Auf die Menge kommt es an |
10.03.2015 11:14 Uhr |
Von Ulrike Becker / Kuchen, Kekse, Karamell – zuckerreiche Süßigkeiten sind bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen beliebt. Kein Wunder, ist die Vorliebe für den süßen Geschmack doch angeboren. Dabei muss es nicht immer Zucker sein, auch Honig, Dicksäfte und Süßstoffe sorgen für den süßen Geschmack. Beim gesunden Süßen kommt es vor allem auf die Menge an.
Jeder Bundesbürger verzehrt pro Jahr im Schnitt rund 37 Kilogramm Zucker, das sind fast 100 Gramm am Tag. Aus ernährungsphysiologischer Sicht könnte unser Körper dabei komplett auf herkömmlichen Haushaltszucker (Saccharose) verzichten. Zucker zählt zwar zu den energieliefernden Kohlenhydraten, doch sollten diese besser in komplexer Form zugeführt werden, beispielweise über Kartoffeln, Vollkornflocken oder Brot. Diese Lebensmittel enthalten nämlich gleichzeitig noch weitere Nährstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe, Ballaststoffe und sekundäre Pflanzenstoffe. Reiner Zucker liefert lediglich leere Kalorien. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) rät, nicht mehr als 10 Prozent des täglichen Energiebedarfs in Form von Zucker aufzunehmen. Für eine Frau mit rund 2000 Kilokalorien Tagesenergiebedarf sind das immerhin 50 Gramm Zucker.
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Zucker macht Marmelade, Honig, Bonbons und Schokolade süß. Doch Zucker ist nicht nur ein wichtiger Geschmacksträger; er sorgt auch für Volumen, beeinflusst die Konsistenz und trägt zur Konservierung bei. Deswegen setzt die Lebensmittelindustrie Zucker auch Senf, Ketchup, Tütensuppen und vielem anderen mehr zu. Neben Zucker haben die Verbraucherzentralen 70 unterschiedliche Begriffe für süßende und zum Zuckergehalt beitragende Zutaten gefunden. Dazu zählen unter anderem Saccharose, Glucosesirup, Fructose, Malzextrakt, Traubenzucker, Invertzuckersirup oder Maltoseextrakt. Auf den ersten Blick ist daher kaum erkenntlich, wie viel isolierter Zucker in einem Produkt steckt. Als ungünstig hat sich der zunehmende Einsatz von Fructose (Fruchtzucker) herausgestellt. Das Monosaccharid kommt natürlicherweise in Früchten vor, wird industriell aber aus Maisstärke isoliert. Wissenschaftler haben festgestellt, dass der billige Rohstoff den Fettstoffwechsel negativ beeinflusst und in der Leber die Neubildung von Fetten anregt. Durch die fehlende Insulinausschüttung bleibt zudem ein Sättigungssignal aus, was einen Überkonsum begünstigt.
Aus Rohr und Rübe
Klassischer weißer Industriezucker (Haushaltszucker oder Saccharose) wird in zahlreichen Verarbeitungsschritten aus Zuckerrüben oder Zuckerrohr gewonnen; chemisch ist er trotz botanischer Unterschiede identisch. Während weltweit etwa 80 Prozent des Zuckers aus Zuckerrohr stammen, produziert Deutschland seinen Zucker selbst aus Zuckerrüben. Als vermeintlich gesündere Alternative zum raffinierten Industrieprodukt bieten Hersteller auch braunen Zucker an. Bei ihm fehlt die letzte Reinigungsstufe, das heißt, er ist geringfügig weniger verarbeitet. Gesünder ist er deswegen keineswegs, das gilt auch für Roh- oder Rohrohrzucker. Bei Vollrohr- oder Vollrübenzucker, die in manchen Bioprodukten zum Einsatz kommen, handelt es sich um eingedickten und getrockneten Zuckerrohr- beziehungsweise Zuckerrübensaft. Der Gehalt an Mineralstoffen beträgt etwa 2 bis 2,5 Prozent, ernährungsphysiologisch sind diese Mengen allerdings unerheblich.
Zucker per se ist nicht ungesund oder unmittelbar an der Entstehung von Übergewicht beteiligt. Gesüßte Lebensmittel tragen aber zweifellos zu einer ungesunden Ernährung bei, das gilt ganz besonders für zuckerhaltige Getränke. Ernährungswissenschaftler warnen, dass man über Cola, Limonade oder Eistee mit erheblichen Mengen Zucker auch reichlich Energie aufnimmt, ohne dass ein Sättigungseffekt eintritt. Zudem steigt der Blutzuckerspiegel schnell in die Höhe. Experten gehen davon aus, dass solche Blutzuckerspitzen langfristig den Insulin-bildenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse schaden und die Entwicklung von Typ-2-Diabetes begünstigen.
Alternativ süßen
Das ursprünglichste Süßungsmittel ist in unseren Breiten zweifellos der Honig, der auf eine Tradition von etwa 10 000 Jahren zurückblickt. Seine hohe Süßkraft beruht auf einem Mix aus Frucht- und Traubenzucker. Durch die unterschiedlichen Blüten aus verschiedenen Regionen, die die Bienen für die Sammlung von Nektar und Pollen nutzen, entstehen die vielfältigen Sorten und charakteristischen Aromen: von Akazien- über Lavendel- bis zu Orangen- und Wildblütenhonig. Honig enthält zwar im Gegensatz zu isoliertem Zucker Enzyme, Mineralstoffe und Vitamine, doch sind die geringen Mengen als Beitrag zur Nährstoffversorgung zu vernachlässigen.
Süßstoff | Süßkraft* |
---|---|
Acesulfam K (E 950) | 130–200 |
Aspartam (E 951) | 200 |
Aspartam-Acesulfam-Salz (E 962) | 350 |
Advantam (E 969) | 37 000 |
Cyclamat (E 952) | 30–50 |
Neohesperidin DC (E 959) | 400–600 |
Saccharin (E 954) | 300–500 |
Steviolglycoside(E 960) | 200–300 |
Sucralose (E 955) | 600 |
Thaumatin (E 957) | 2000–3000 |
Neotam (E 961) | 7000–13 000 |
* im Vergleich zu Haushaltszucker (Saccharose) |
Tabelle 1: Übersicht Süßstoffe
Eine weitere natürliche Zuckeralternative sind Dicksäfte. Für die Herstellung von Apfel- oder Birnendicksaft entzieht man dem entsprechenden Fruchtsaft Wasser. Je nach Obstsorte erfolgt eine Konzentration um das Sechs- bis Achtfache, das heißt, aus 6 bis 8 Litern Saft entsteht etwa 1 Liter Dicksaft. Der Zuckergehalt frischer Früchte konzentriert sich so auf etwa 70 bis 85 Prozent auf. Wegen der geringen Verarbeitung bleiben die ursprünglichen Aromastoffe gut erhalten und sorgen für fruchtige Süße. Die zähflüssige Konsistenz der Dicksäfte lässt sich gut verarbeiten, zum Beispiel in Gebäck und Getreidebreien. Ahornsirup, der eingedickte Saft des Zuckerahorns, zählt ebenfalls zu den natürlichen Süßungsmitteln. In Kanada und den USA hat der Baumsaft eine lange Geschichte, schon Indianer sollen den süßen Sirup genutzt haben. Etwa 40 Liter Saft werden einem ausgewachsenen Baum abgezapft und anschließend auf einen Wassergehalt von 33 Prozent eingedickt. Der typisch nordamerikanische Ahonsirup mit karamellartigem Geschmack wird traditionell zu Pancakes und anderen Süßspeisen gegessen.
In Nordamerika ist Ahornsirup ein beliebtes Süßungsmittel, vor allem zum Frühstücksklassiker, den Pancakes. In Europa werden eher Honig, Dicksäfte und Zuckerrübensirup bevorzugt.
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Die in tropischen und subtropischen Ländern beheimateten Agaven sondern ebenfalls eine süße Flüssigkeit ab, die aufgefangen und eingedickt als Süßungsmittel Verwendung findet. Die Süßkraft ist etwas höher als die von Zucker und aufgrund des geringen Eigengeschmacks vielseitig einsetzbar. Weniger bekannt ist Reissirup, der aus fermentierter Reisstärke gewonnen wird. Da er keinen Fruchtzucker enthält, eignet sich seine milde nussige Süße besonders für Menschen mit einer Fructoseunverträglichkeit. Reissirup findet sich auch in speziellen Produkten für diese Zielgruppe. Etwas weniger verarbeitet als die weißen Zuckerkristalle ist der dunkelbraune, zähflüssige Zuckerrübensirup, auch Rübenkraut genannt, der einen intensiven Eigengeschmack mitbringt und als Brotbelag oder zu Kartoffelpuffer in bestimmten Regionen beliebt ist. Wie Honig enthalten Fruchtdicksäfte und Sirupe ein paar Mineralstoffe, doch die aufgenommenen Mengen spielen kaum eine Rolle für den Nährstoffhaushalt. Im Energiegehalt stehen sie dem Zucker in nichts nach.
Süßstoffe als Ersatz
Auf der Suche nach Süße, die nicht dick macht, haben Chemiker schon Ende des 19. Jahrhunderts den ersten synthetischen Süßstoff entwickelt. Derzeit sind in der Europäischen Union 19 Süßungsmittel zugelassen, elf Süßstoffe und acht Zuckeraustauschstoffe (Zuckeralkohole beziehunsgweise Polyole). Eine Unterscheidung in der Zutatenliste entfällt seit Dezember 2014. Angeben müssen die Hersteller nur den Namen und die E-Nummer (siehe Tabellen). Das erschwert Verbrauchern, kalorienfreie Süßstoffe und kalorienhaltige Zuckeraustauschstoffe auseinander zu halten. Die Süßungsmittel unterscheiden sich nicht nur chemisch, sondern ebenso in ihren technologischen Eigenschaften und ihrer Süßkraft.
Zuckeralkohol | Süßkraft* | Herkunft |
---|---|---|
Sorbit (E 420) | 0,5 | Stärke |
Xylit (E 967) | 1,0 | Xylose |
Mannit (E 421) | 0,3–0,5 | Glukose |
Isomalt (E 953) | 0,5–0,6 | Saccharose |
Maltit (E 965) | 0,9–1,0 | Stärke |
Lactit (E 966) | 0,4 | Milchzucker |
Erythrit (E 968) | 0,6–0,8 | Stärke |
Polyglycitolsirup (E 964) | 0,5 | |
* im Vergleich zu Haushaltszucker (Saccharose) |
Tabelle 2: Zuckeralkohole und ihre Eigenschaften
Quellen: Süßstoff-Verband, www.was-wir-essen.de (Hrsg. aid infodienst)
Süßstoffe haben auf den ersten Blick durchaus Vorteile gegenüber isoliertem Zucker: Sie sind kalorienfrei, verursachen keine Karies und beeinflussen den Blutzuckerspiegel nicht oder nur geringfügig. Für ihren Einsatz gibt es verbindliche Grenzwerte, sogenannte ADI-Werte (Acceptable Daily Intake), die eine tägliche Aufnahmemenge ohne Gesundheitsrisiko festlegen. Aufgrund einiger Studienergebnisse wurden die Werte für einzelne Süßstoffe schon mehrfach korrigiert. Zuletzt haben die Wissenschaftler der europäischen Lebensmittelbehörde EFSA das in der Kritik stehende Aspartam neu bewertet und weiterhin als unbedenklich eingestuft. Allerdings gelten die ADI-Werte nur für die einzelnen Süßstoffe, viele Produkte enthalten aber einen Mix, weil sich ihre Süßkraft verstärkt oder die Kombination besser schmeckt. Verbraucherschützer halten dabei eine gegenseitige Verstärkung ungünstiger Effekte für denkbar und fordern strengere Werte bei den Höchstmengen.
Zuckeralkohole wie Xylit, Mannit oder Sorbit gelten dagegen als unkritisch, daher existieren auch keine Höchstwerte. Sie haben eine deutlich geringere Süßkraft als Süßstoffe und liefern teilweise etwas weniger Energie als Haushaltszucker. Sie lassen den Blutzuckerspiegel nicht oder nur leicht ansteigen. Allerdings kann es bei übermäßigem Verzehr zu osmotischem Durchfall kommen. Deswegen ist der Hinweis »kann bei übermäßigem Verzehr abführend wirken« auf Produkten vorgeschrieben, die mehr als 10 Prozent dieser Süßmacher enthalten.
Stevia: In der EU lange umstritten.
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Natürlich süße Pflanze
Ein neuer Star unter den Süßstoffen ist ein Isolat aus Steviablättern. Seit 2011 sind Extrakte der Blätter von Stevia rebaudiana Bertoni in Deutschland zum Süßen von brennwertverminderten oder ohne Zuckerzusatz hergestellten Lebensmitteln erlaubt; im Handel sind flüssige und pulverförmige Tafelsüßen sowie Süßstofftabletten. Stevia ist praktisch kalorienfrei und wirkt nicht auf den Blutzucker. Außerdem verursachen die Isolate keine Karies und sollen sogar vor Zahnbelägen schützen. Dem Einsatz in der EU ging ein langer Rechtstreit um die gesundheitliche Unbedenklichkeit voraus, es gab Befürchtungen, Stevia sei krebserregend und erbgutschädigend. Ein Gutachten der EFSA hat diese Bedenken jedoch inzwischen ausgeräumt. Steviasüße ist unter anderem in Japan und den USA schon lange auf dem Markt.
Von etlichen Herstellern als natürlicher Süßstoff gefeiert, sind die isolierten Steviolglykoside von ihrem natürlichen Ursprung jedoch weit entfernt. Denn um den süßenden weißen Extrakt zu isolieren, sind etliche Verarbeitungsschritte notwendig. Aufgrund des lakritzartigen Eigengeschmacks werden die Extrakte in der Regel mit anderen Süßstoffen kombiniert. Die Pflanze selbst beziehungsweise ihre süß schmeckenden Blätter sind nach wie vor nicht als Lebensmittel zugelassen.
Weniger ist mehr
Wie viel Zucker oder Süßungsmittel ein Lebensmittel enthält, steht selten prominent auf dem Etikett. Wer es genauer wissen will, muss die Zutatenliste lesen und bedenken, dass sich Zucker hinter zahlreichen Begriffen verbirgt. Alternative Süßungsmittel wie Honig oder Fruchtdicksäfte sind im Übermaß ebenso ungesund wie Zucker. Ein kleiner Vorteil: Aufgrund ihres typischen Eigengeschmacks werden sie in der Regel automatisch niedriger dosiert. Süßstoffe sollten – wenn überhaupt – nur in Maßen zum Einsatz kommen. Wer insgesamt ausgewogen isst, darf sich hin und wieder auch mit Zucker oder Honig gesüßte Leckereien schmecken lassen.
Wer seinen Süßhunger drosseln will, sollte einmal drei Tage lang bewusst einen Bogen um alles Süße machen. Anschließend ist die natürliche Süße der Lebensmittel wieder viel intensiver wahrzunehmen und für den erwünschten Süßgeschmack reicht weniger Zucker aus. Letztlich ist die Schwelle für den süßen Geschmack reine Gewohnheitssache. Der Appetit auf Süßes lässt sich übrigens auch mit frischem, reifem Obst gut stillen. Früchte machen aufgrund ihrer Ballaststoffe zudem noch satt und liefern gesunde Nährstoffe. /
Bislang ist unklar, ob Süßstoffe als Zuckerersatz zur Reduktion von Übergewicht beitragen können. Die EFSA sieht keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen der Verwendung von Süßstoffen und dem Erhalt eines normalen Blutzuckerspiegels und Körpergewichts oder einer Gewichtsreduktion. Möglicherweise fördern Süßstoffe Übergewicht sogar eher: Israelische Forscher stellten fest, dass sich Darmbakterien bei Mäusen veränderten, wenn sie mit Süßstoffen versetztes Wasser tranken. Nach kurzer Zeit zeigten die Mäuse einen überhöhten Anstieg der Blutzuckerwerte und legten an Gewicht zu. Die Forscher vermuten, dass Süßstoffe die Darmflora beeinflussen und das Wachstum von Bakterien begünstigen, die die Resorption von Zucker und von kurzkettigen Fettsäuren aus dem Darm steigern.
Die Datenanalyse aus einer parallel laufenden Bevölkerungsstudie fand bei nicht-diabetischen Probanden, die häufig Süßstoffe konsumierten, hohe Nüchtern-Blutzucker- sowie HbA1c-Werte, eine geringere Glucosetoleranz sowie eine andere Zusammensetzung der Darmflora als bei Teilnehmern, die weniger Süßstoffe verzehrten. Auch legten die Süßstoffkonsumenten bei vergleichbarem Ausgangsgewicht im Beobachtungszeitraum mehr Gewicht zu. Die israelischen Forscher warnen daher, dass der regelmäßige Verzehr von mit Süßstoffen gesüßten Lebensmitteln und Getränken die Ausnutzung der Nahrung durch Darmbakterien steigern könnte. So könnte das Risiko für Übergewicht und Diabetes steigen. Zu den genauen Stoffwechselvorgängen besteht jedoch weiterer Forschungsbedarf.