Essen nach Erbgut |
18.03.2016 13:05 Uhr |
Von Inga Richter / Wissenschaftler untersuchen schon lange Wechselwirkungen zwischen Ernährung, Genen und Gesundheit. Ihr Ziel ist es, anhand des Genotyps in Zukunft personalisierte Ernährungsempfehlungen zu geben und so Erkrankungen und Übergewicht vorbeugen zu können. Manche Firmen verkaufen bereits auf Gentests basierende Ratschläge für Gesundheit und Gewicht. Die Studienlage ist allerdings noch zu dünn.
So individuell jeder Mensch auch ist: Genetisch gesehen sind wir zu etwa 99 Prozent gleich. Nur wenige Abweichungen des Erbguts bestimmen, ob unsere Haare schwarz oder blond, ob die Augen grün, blau oder braun sind. Zu einem gewissen Anteil sind die Informationen auf der Desoxyribonukleinsäure (DNA) aber auch für das Risiko verantwortlich, anfälliger für bestimmte Erkrankungen zu sein, und möglicherweise diktieren sie in Zukunft sogar unseren Speiseplan. »Genvariationen haben Einfluss darauf, dass die Nahrung von Person zu Person unterschiedlich verwertet wird«, sagt Professor Dr. Lars-Oliver Klotz, Biochemiker und Inhaber des Lehrstuhls für Nutrigenomik an der Universität Jena im Gespräch mit PTA-Forum. Das erklärt zumindest teilweise, warum manche selbst bei der kleinsten Ernährungssünde zunehmen, während andere ungeniert essen können und dabei gertenschlank bleiben.
Bestimmen die Gene nicht nur unser Aussehen, sondern auch, was wir essen sollten? Das ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen.
Foto: Shutterstock/Tyler Olson
Etwa neun von zehn der genetischen Varianten beim Menschen beruhen auf Einzelnukleotid-Polymorphismen (engl. Single Nucleotide Polymorphism, SNP). Dabei wird im Verlauf der Verdoppelung des DNA-Stranges vor der Zellteilung eine falsche Base eingebaut. Bei jeder Replikation entstehen viele tausend solcher Schreibfehler. Meist bleiben sie ohne relevante Folgen. Viele werden repariert, andere Fehler fallen nicht ins Gewicht. Je nachdem, in welchen DNA-Regionen die Fehler passieren, können sie jedoch auch Auswirkungen auf den Stoffwechsel haben. Diese Einflüsse der Gene auf verschiedene Stoffwechselwege untersuchen Wissenschaftler des Fachgebietes Nutrigenetik, welches oftmals synonym mit der Nutrigenomik genannt wird. Nutrigenomiker jedoch beschäftigen sich mit der entgegengesetzten Richtung. Denn nicht nur die Gene beeinflussen die Nahrungsverwertung, sondern einzelne Nahrungsmittelbestandteile auch das Ablesen der Gene. »Nicht nur Fette oder Kohlenhydrate«, sagt Klotz, »auch Makro- und Mikronährstoffe sowie toxische Inhaltsstoffe können zelluläre Signalprozesse verändern und die Entwicklung ernährungsbedingter Erkrankungen beeinflussen.«
Korrelationen möglich
Beide Forschungsrichtungen entstanden zu Beginn dieses Jahrtausends, etwa zeitgleich mit der kompletten Entschlüsselung des Erbgutes. Inzwischen weiß man um zahlreiche genetische Kennzeichen, die mit gewissen Inhaltsstoffen von Lebensmitteln in Verbindung stehen. Doch bislang könne man bis auf einige Ausnahmen nur Korrelationen herausrechnen, so Klotz. »Ein bestimmter Genotyp erlaubt in den seltensten Fällen eine 100-prozentige Vorhersage des Phänotyps«, also die physiologischen, biochemischen und körperlichen Merkmale.
»Bei etwa jedem Zehnten hat sich eine Variante des MTHFR-Gens durchgesetzt«, erklärt Klotz. Das Gen codiert für das Enzym Methylen-Tetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR), das dafür sorgt, dass im Folsäure-Stoffwechsel anfallendes potenziell toxisches Homocystein in die nützliche Aminosäure Methionin umgewandelt wird. Durch einen SNP ist das Enzym weniger aktiv. Folglich kann sich Homocystein anreichern und auf Dauer Gefäße schädigen, unter anderem Herz und Augen. Durch den Mangel an Methionin werden zudem laut D.A.CH-Liga Homocystein zahlreiche wichtige Stoffwechselprozesse beeinträchtigt. Der Homocysteinabbau ist auf Folsäure und andere B-Vitamine angewiesen, sodass Träger der MTHFR-Genvariante einen höheren Bedarf haben.
Der erhöhte Vitaminbedarf ist allerdings nicht spürbar und wird meist erst bei einer Blutuntersuchung entdeckt. Dann können bereits Schäden entstanden sein. Ein Gentest könnte derartige SNP aufdecken, und der Gedanke liegt nahe, dass sich so manche Erkrankung verhindern ließe. Doch das Vorhandensein einer entsprechenden Genvariante bedeutet nicht zwangsläufig, dass daraus gesundheitliche Folgen entstehen. So ist das Vorliegen der MTHFR-Genvariante nicht zu 100 Prozent mit erhöhten Homocysteinspiegeln im Blut verbunden, geschweige denn mit einem durch Homocystein mitverursachten Krankheitsbild
»Zum Beispiel im Gegensatz zur Phenylketonurie testet man nicht jede Person auf die Aktivität des MTHFR-Gens oder auf den Homocysteinspiegel, da dadurch die Entwicklung von Erkrankungen nicht vorhersagbar ist«, sagt Klotz. Außerdem spielt bei den meisten Erkrankungen auch die Lebensweise eine große Rolle. So haben die Träger der MTHFR-Genvariante laut D.A.CH-Liga Homocystein bei einer ausgewogenen und vitaminreichen Ernährung keine negativen Konsequenzen zu befürchten. Warum sich diese Gensequenz allerdings durchgesetzt hat, sei nicht ganz klar, so Klotz. Ein Polymorphismus verbleibt eigentlich nur im Genpool, wenn er entweder ohne Auswirkung ist oder sich bei einer Vielzahl an Individuen genetisch als Vorteil erwiesen hätte.
Lactose-Intoleranz
So auch bei der Fähigkeit, Milchprodukte zu vertragen. »Normalerweise verlieren Kinder nach dem Entwöhnen ihre Lactosetoleranz«, erklärt der Biochemiker. Im Erwachsenenalter büßt die für den Abbau von Milchzucker zuständige Lactase an Aktivität ein. Lactose-Intoleranz ist demnach keine Krankheit, sondern für drei Viertel der Menschheit normal. Auffällig ist: In Südostasien vertragen neun von zehn Menschen Milchprodukte nicht, in nördlichen Gefilden ist dies nur bei etwa jedem Fünften der Fall. Man geht davon aus, dass es sich in Nordeuropa mit Beginn der Viehwirtschaft als vorteilhaft herauskristallisiert hat, Milchprodukte verzehren zu können.
Das Erbgut besteht aus zwei schraubenförmig aneinandergelagerten Kettenmolekülen, die aus Nukleotiden aufgebaut sind. Diese Nukleotide wiederum bestehen aus jeweils einem Molekül Phosphorsäure, dem Zucker Desoxyribose und einer von vier verschiedenen Basen. Wasserstoffbrückenbindungen zwischen je zwei dieser Basen halten die beiden Einzelstränge zusammen. Dabei paart sich normalerweise die Base Adenin mit Thymin und Cytosin mit Guanin. Während der DNA-Verdoppelung im Rahmen der Zellteilung werden die Wasserstoffbrücken gelöst, sodass sich neue Nukleotide mit der passenden Base anlagern können. Die meisten SNP, auch Punktmutationen, entstehen dadurch, dass sich die Base Cytosin fehlerhaft an ein Adeninnukleotid heftet oder sich Guanin mit Thymin paart. Ein Gen ist ein Abschnitt des DNA-Stranges, der durch die Basenreihenfolge die Informationen enthält, bestimmte Proteine zu produzieren, zum Beispiel Enzyme, die Vorgänge im Körper steuern.
Personalisierte Tipps
Zukünftig sollen anhand des genetischen Codes personalisierte Ernährungsempfehlungen entwickelt werden, die sich aus dem SNP-Muster im Genom ergeben, um so einer Vielzahl an Krankheiten vorzubeugen. Als eine der ersten praktischen Untersuchungen startete 2011 das von der Europäischen Union geförderte Projekt Food4me. Wissenschaftler aus zwölf europäischen Ländern suchen bei bislang etwa 1200 Probanden nach einem Zusammenhang zwischen Genotyp, Ernährung und Phänotyp. Auch werden dabei Geschäftsmodelle entwickelt und die bislang noch ausstehenden rechtlichen und ethischen Grundvoraussetzungen geprüft, »mit besonderem Augenmerk auf den Gesetzen, welche die Entwicklung und Verteilung von neuen Lebensmittelprodukten für eine individualisierte Ernährung bestimmen.« Die Ergebnisse von Untersuchungen zu Effekten einzelner Nahrungsbestandteile auf den Organismus könnten etwa bei der Pflanzenzüchtung genutzt werden oder dazu dienen, funktionelle Lebensmittel zu entwickeln.
Der Durchbruch auf diesem Gebiet lässt allerdings noch auf sich warten. Zwar sind Gentests inzwischen realisier- und auch bezahlbar. Doch die Informationen und Bedeutungen der circa 25 000 Gene auf den DNA-Strängen sind komplex und längst nicht komplett verstanden. Professor Dr. Hans-Georg Joost, wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE), sagte 2008: »Derzeit sind wir noch weit davon entfernt, Ernährungsempfehlungen zu geben, die die individuelle genetische Veranlagung einer Person berücksichtigen.« Das gilt laut einer Übersichtsarbeit zu den bis 2013 gelaufenen Studien immer noch. »Zu wenige Studien und Teilnehmer« lautete deren Ergebnis. Die Ernährung sei zudem zu vielschichtig aufgebaut und der Einfluss auf die langfristige Gesundheit beginne bereits im Mutterleib. Es sei nicht möglich, die Effizienz eines isolierten Lebensmittelinhaltsstoffes in der Prävention zu testen. Dafür müsse man Tausende von Teilnehmern über viele Jahre kontinuierlich beobachten und selbst dann könne eine auftretende Erkrankung womöglich durch einen anderen Faktor bedingt sein.
Gentests im Angebot
Trotz alledem bieten eine Reihe von Firmen bereits Gentests als Lifestyle-Analysen an. Eine davon ist das DNA-Plus-Zentrum für Humangenetik in Österreich. »Obst ist gesund und fettiges Fleisch ungesund«, schreiben die Betreiber auf ihrer Homepage korrekterweise, allerdings gingen diese allgemeinen Ernährungstipps »nicht auf individuelle Veranlagungen und Bedürfnisse ein«. Eine einzige Speichelprobe genüge, Krankheitsrisiken aufzudecken und herauszufinden, wie man diesen mit einer Ernährungsumstellung effektiv vorbeugen kann. Die »Gendiät Metacheck« der Firma CoGAP verspricht, individuelle Ernährungsempfehlungen anhand von vier verschiedenen Metabolismus-Typen zu geben, mit dem Ziel, »gesundes, schnelles und nachhaltiges Abnehmen zu ermöglichen«. Die beschriebenen α-, β-, γ- und δ-Meta-Typen scheinen allerdings nur die Mitarbeiter der Firma CoGAP zu kennen.
Per Gentest zur individuellen Ernährung: Einige Firmen bieten bereits entsprechende Gen-Analysen an.
Foto: Imago/Emil Umdorf
Gentest-Anbieter, die ihren Kunden keine persönliche, fachlich fundierte oder ärztlich begleitete Beratung anbieten, handelten grob fahrlässig, heißt es bei der Verbraucherzentrale. Das könne Kunden überfordern und verunsichern. Auch die Gesellschaft für Humangenetik schätzt »für derartige Gentests die Gefahren einer Fehl- oder Überinterpretation für die Kunden höher ein als den potenziellen Nutzen«.
Vor zehn Jahren haben Wissenschaftler des US-amerikanischen Government Accountability Office vier solcher Unternehmen unter die Lupe genommen. Dafür verschickten sie 14 Speichelproben und erfanden zu jeder Probe unterschiedliche Daten und Lebensstile. Zwölf der Proben stammten von einem neun Monate alten Mädchen, die anderen beiden von einem 48-jährigen Mann. Das Alter der fiktiven Konsumenten rangierte zwischen 32 und 72, mal war die zugehörige Person Mann oder Frau, Raucher oder Nichtraucher, dick oder dünn, sportlich oder faul.
Ernüchternde Ergebnisse
Die Ergebnisse hätten willkürlicher kaum ausfallen können: Nicht nur, dass dieselben Proben bei den verschiedenen Anbietern sowie innerhalb derselben Firma mit unterschiedlichen Resultaten und Ratschlägen belegt wurden. Auch sagten die Gutachter allen erfundenen Personen ein erhöhtes Risiko für eine Reihe an Erkrankungen voraus, von Bluthochdruck über Typ-2-Diabetes bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs. Die Unternehmen gaben den vermeintlichen Rauchern den Tipp, damit aufzuhören. Nichtraucher erhielten den Ratschlag, dies auch weiterhin zu lassen. Bewegungsmuffeln riet man dazu, sich sportlich zu betätigen. Die Angabe einer hohen Kohlenhydrat-Zufuhr führte zu der Empfehlung, diese zu reduzieren. Genauso verhielt es sich bei angeblich fettreicher Ernährung. Zwei der Firmen boten ihren Kunden entsprechend der potenziellen Risikofaktoren »personalisierte« Nahrungsergänzungen an, die bis zu 1200 US-Dollar im Jahr kosten sollten. Dabei handelte es sich um Multivitamine, die teilweise überdosiert waren und firmenspezifisch immer die gleiche Zusammensetzung hatten.
»Die Idee einer personalisierten Ernährung ist im Prinzip gut«, sagt Klotz. Für entsprechende Empfehlungen ist es allerdings zu früh. Laut Informationen des Roswell Park Cancer Institute (RPCI) in Buffalo deuten beispielsweise Studienergebnisse darauf hin, dass bei bestimmten Genotypen verschiedene Kohlsorten vor Krebs schützen könnten. Abschließend schreiben die Verfasser jedoch: »Es muss festgehalten werden, dass eine balancierte Ernährung mit viel Obst und Gemüse, Vollkorn und wenig Fleisch und Fetten für die allgemeine Gesundheit und Wohlbefinden sorgt und einer Vielzahl an Erkrankungen vorbeugt« – und das, zumindest zu diesem Zeitpunkt, völlig unabhängig vom individuellen Genotyp. /