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Fakten und Mythen

Alkohol im Check

16.03.2018  14:34 Uhr

Von Inka R. Stonjek / Alkohol ist ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Viele Menschen schätzen ein Schlückchen in Ehren. Doch es ist ein zweischneidiges Schwert. Wirklich gesund ist sein Konsum nie. Fakten und Mythen.

Der Wein zum Essen, der Aperitif davor oder das Bier danach: In Deutschland gehören alkoholische Getränke als Genussmittel seit Jahrhunderten zum Leben dazu. Sie sind gesellschaftlich akzeptiert und spielen bei feierlichen Anlässen und im Alltag gleichermaßen eine Rolle. So kamen­ 2016 auf jeden Bundesbürger im Schnitt rund 104 Liter Bier, 21 Liter Wein, fünf Liter Spirituosen und vier Liter­ Schaumwein. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit auf einem vorderen Platz.

Ein großes Bier im 0,5-Liter-Glas liefert rund 20 Gramm reinen Ethanol. Ein geringer Teil wird bereits im Magen durch die Alkoholdehydrogenase zu Acetaldehyd abgebaut oder unverändert aus­geschieden. Der weitaus größere Rest wird während seiner Passage durch den Verdauungstrakt resorbiert: von der Schleimhaut in Mund und Speiseröhre (etwa 5 Prozent der getrunkenen Menge), im Magen (etwa 15 Prozent) und im oberen Dünndarm (etwa 80 Prozent).

Über das Blut verteilt er sich im gesam­ten Körperwasser und gelangt in die Organe. Auf nüchternen Magen geht das schnell: Etwa 30 bis 60 Minuten nach dem Bier ist die höchste Blutalkoholkonzentration erreicht. Zum Essen genossen ist die Verweildauer im Magen länger. Der Alkohol wird zwar trotzdem resorbiert, es geschieht­ jedoch langsamer. Damit ist die erste Volksweisheit wahr: Mit einer­ Grundlage wird man nicht so schnell betrunken.

Von wegen Herzschutz

Viele Menschen schätzen den protektiven Effekt von Rotwein auf kardiovaskuläre Krankheiten. Doch die als »French Paradox« bekannte Hypo­these, warum Franzosen seltener einen Herzinfarkt erleiden als die Bürger ­anderer Nationen, bröckelt. Experten schreiben den Effekt mittlerweile anderen Faktoren zu. Zum Beispiel, dass sich Rotweintrinker generell anders ­ernähren und Obst und Gemüse, Nüssen, Fisch und Olivenöl den Vorzug ­geben.

»Auch von Resveratrol als Er­klä­rungs­versuch ist man abge­kommen«, informiert Professor Dr. Sebastian Mueller­, Gastroenterologe und Ko-Direk­tor des Zentrums für Alkohol­forschung an der Universität Heidelberg. So hat etwa Richard Semba von der Johns Hopkins University School of Medicine in Baltimore mit seinem Team 2014 keinen Nutzen von hohen Resveratrol-Spiegeln für die Gesamtsterblichkeit finden können. Das rela­tiviert die zweite Volksweisheit: Rotwein ist nicht ausnahmslos gut fürs Herz.

Mythos Verdauungsschnaps

Manche schwören auf ein Schnäpschen zur besseren Verdauung. Doch der vermeintlich gute Effekt ist trügerisch. ­Alkohol lockert kurzzeitig die Magenmuskulatur, weshalb der Bauch we­niger spannt. Auf die Verdauung hingegen hat er keine Wirkung, wie schweizer­ische Forscher kürzlich zeigten. Sie gaben ihren­ Probanden C13-markiertes Käsefondue mit Brot zu essen und ließen eine Gruppe Weißwein dazu trinken, die andere Schwarztee. Anderthalb Stunden nach der fettreichen Mahlzeit bekamen­ die Weintrinker zusätzlich einen­ Kirschgeist, die Teetrinker Wasser.

Die Menge des ausgeatmeten Isotops brachte ans Licht, dass Alkohol die Magenentleerung rapide verlangsamt. Bei den Wein-/Schnapstrinkern dauerte es neun Stunden, bis die Hälfte des Fondues den Magen wieder verlassen hatte. Bei der Kontrollgruppe nur sechs. Ursache dafür ist, dass die Leber dem Alkohol Priorität einräumt und diesen zuerst abbaut, bevor sie die Fette aufzuspalten beginnt. Damit ist die dritte Volksweisheit widerlegt: Der berühmte Verdauungsschnaps ist ein Mythos.

Unruhestifter

Andere meinen, mit Alkohol besser schlafen zu können. Und tatsächlich: ­Zunächst entspannt er und setzt die Hirntätigkeit herab, sodass die Ge­danken nicht mehr endlos kreisen und das Einschlafen leichter fällt. Er verstärkt die Tiefschlafphasen, die vermehrt in der ersten Nachthälfte auftreten, und sta­bilisiert auf diese Weise den Schlaf.

Tabelle: Die Wirkung von Alkohol

Promille Wirkung
Ab 0,2 Promille Entspannung, Wohlfühlen
Ab 0,3 – 0,5 Promille Euphorisierung mit leichten Beeinträchtigungen von Koordinations-, Reaktions- und Sehvermögen
1,0 – 2,0 Promille Rauschzustand mit erheblichen Beeinträchtigungen im Koordinations-, Reaktions- und Sehvermögen, Enthemmung, Stimmungsschwankungen
2,0 – 3,0 Promille Betäubungsstadium mit weiter minimiertem Reaktions­vermögen und Verstärkung der Beeinträchtigungen
3,0 – 5,0 Promille Lähmungsstadium: Bewusstlosigkeit und Koma, lebensbedrohliche Situation
> 5,0 Promille Atemlähmung, im schlimmsten Fall tödlich

Quelle: Alkoholatlas Deutschland 2017 (modifiziert)

In der zweiten Hälfte aber rächt sich der Schlummertrunk. So haben Schlafforscher um Dr. Irshaad Ebrahim vom Londoner Schlaflabor in einem Review Übersichtsarbeiten ausgewertet und festgestellt, dass er die REM-Phasen verzögert und abschwächt. Je mehr konsumiert wird, desto unruhiger wird der Schlaf. Außerdem entzieht der Alkohol dem Körper Wasser; das macht Durst und drückt auf die Blase. Am nächsten Morgen fühlt man sich dadurch nicht erholt und ausgeruht, sondern müde und gerädert. Somit entpuppt sich die vierte Volksweisheit ebenfalls als Lüge.

Unruhiger Schlaf ist nur ein unerwünschter Effekt von Alkohol. Abhängig von der getrunkenen Menge, den Trinkgewohnheiten, dem Geschlecht und Körpergewicht treten früher oder später Wahrnehmungsstörungen und Koordinationsschwierigkeiten auf. Im Gehirn wirkt er auf den Botenstoffwechsel und beeinträchtigt verschiedene Hirnfunktionen: Die Sehleistung wird verringert, und das Blickfeld verengt sich (Tunnelblick). Aufmerk­samkeit, Konzentration, Kritik- und Urteils­fähigkeit und Reaktions­v­er­mögen leiden, die Risikobereitschaft steigt an. So ist zum Beispiel die Reaktions­zeit bei einem Blutalkoholwert von 0,8 Promille gegenüber dem nüchternen Zustand beinahe doppelt so lang.

Nachteile überwiegen

Die Deutsche Gesellschaft für Er­nährung empfiehlt gesunden Frauen, nicht mehr als zehn Gramm Ethanol pro Tag zu trinken. Für gesunde Männer werden 20 Gramm als maximal to­lerierbare tägliche Alkoholzufuhr an­gesehen. »Diese Angabe ist keine Auffor­derung, jeden Tag Alkohol zu trinken«, warnt die Fachgesellschaft. Stattdessen sollten mindestens zwei alkoholfreie Tage pro Woche einge­halten werden. Es existieren keine Grenzwerte, innerhalb derer ein risikofreier Konsum vorliegt. »Alkohol ist ein Zellgift. Streng genommen ist von jegli­chem Konsum abzuraten«, rät auch Professor Mueller.

Hinzu kommt, dass die Verträglichkeit individuell sehr schwankt. »Die größte Menge an Alkohol, die jemals einer meiner Patienten langfristig getrunken hat, waren zwei Liter Schnaps am Tag. Trotzdem hatte der Mann keine­ Anzeichen einer Leberzirrhose«, er­klärte Mueller im Gespräch mit PTA-Forum. Die meisten anderen Patienten entwickeln schon nach relativ ge­ringen Mengen gesundheitliche Folgeschäden.

Die Leber als zentrales Entgiftungs­organ leidet unter Alkohol besonders. Bei einer Leberzirrhose ist das Gewebe weitgehend irreversibel geschädigt. Ihre Al­koholdehydrogenase baut 90 bis 95 Prozent des aufgenommenen Ethanols zu Acetaldehyd und dann durch die Aldehyddehydrogenase 2 zu Acetyl-Co­en­zym A ab. Da sie allerdings nur etwa 15 Gramm pro Stunde schafft, verbleibt alles, was darüber hinausgeht, weiterhin im Blut und wirkt unge­hindert auf die Organe ein. »Auf diese Weise erhöht Alkohol auch das Risiko für verschiedene andere Krankheiten, darunter manche Krebs­arten«, so Mueller. Zum Beispiel für Darmkrebs, wie die Deutsche Gesellschaft für Gastro­enterologie, Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen anlässlich des Aktionsmonats März hinweist.

Hang zur Sucht

Zudem kann Alkohol süchtig machen. Wie viele Menschen in Deutschland ein krankhaftes Verlangen haben, ist unklar. Die Zahlen schwanken. Im »Alkoholatlas Deutschland 2017« spricht das Deutsche Krebsforschungszentrum von 14 Prozent der Frauen und 18 Prozent der Männer mit mindestens wöchentlichem riskanten Alkoholkonsum. Besonders ver­breitet ist er bei den 45­- bis 64-­Jährigen. Frauen der oberen Bildungsgruppe weisen in allen Altersgruppen höhere Prä­valenzen auf als Frauen aus unteren Bildungs­gruppen. Bei Männern trifft dies auf die 65-Jährigen und Älteren zu.

Weniger Alkohol ist also mehr: Das gilt für Gesunde ebenso wie für Menschen mit genetischem Risiko für alkohol­assoziierte Erkrankungen oder Krankheiten, die mit Alkohol verschlechtert werden können. Streng tabu ist er für trockene Alkoholiker.

Wer vorsichtig sein muss

Auch schwangere Frauen sollten ihn konsequent meiden, da er ungehindert vom mütterlichen Blut in die Plazenta des Kindes übergeht. Das Ungeborene ist daher den gleichen Blutalkohol­spiegeln ausgesetzt wie die Mutter. ­Allerdings sind die Folgen fataler, da seine­ unausgereifte Leber den Alkohol langsamer abbaut als ein erwachsenes Organ und das Zellgift länger auf den kleinen Organismus einwirken kann. Besonders empfindlich ist das Gehirn, obwohl das Spektrum an fetalen ­Al­koholstörungen groß ist und zu den häufigsten angeborenen Erkrankungen gehört. Die Nationale Stillkommission empfiehlt, die Abstinenz auch in der Stillzeit fortzuführen, hält aber kleine Ausnahmen mit mindestens ein bis zwei Stunden Abstand zur nächsten Stillmahlzeit für vertretbar.

Alkoholfreies Bier ist nur bedingt eine Alternative, da es trotzdem bis zu 0,5 Volumenprozent Alkohol enthalten darf. Auch Mahlzeiten mit einem Schuss Wein abzulöschen, sollten Schwangere überdenken. Er verkocht nicht immer vollständig, wie eine weitere­ Volksweisheit behauptet. Wie viel übrig bleibt, hängt von der zuge­gebenen Menge, der Kochdauer, -temper­atur sowie dem Fettanteil ab.

Mit Alkohol vorsichtig sein sollten auch Menschen, die Medikamente einneh­men müssen. »Hier können die Fachkräfte in Apotheken eine wichtige Unterstützung sein. Oftmals wird in den Packungsbeilagen nur pauschal gewarnt«, sagt Mueller. Dabei interagiert Ethanol auf sehr unterschiedliche Weise mit den jeweiligen Wirkstoffen, kann sie abschwächen oder gar verstärken. Deshalb ist Alkohol manchmal in jeg­licher Form tabu, in anderen Fällen­ sind moderate Mengen gelegentlich ak­zeptabel. Darüber sollten PTA und Apotheker ihre Patienten im Beratungs­gespräch in­formieren. Aus der ABDA-Datenbank sind zahlreiche Monographien zu klinisch­ rele­vanten Wechselwirkungen von Ethanol mit Arzneistoffen abrufbar. Der Abschnitt »Maßnahmen« enthält praxisge­rechte Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol. /

Tabelle: So viel Alkohol ist drin

Ethanolgehalt in Volumen­prozent Trinkmenge in Liter (Standardglas) Ethanolaufnahme in Gramm
Bier 5 0,33 – 0,5 13,3 – 20
Wein 10 – 13 0,125 – 0,25 10 – 26
Sekt 11 0,1 8,8
Spirituosen 20 – 45 0,02 – 0,03 3,2 – 9,6
Alcopops 5,5 0,275 11,8

Quelle: Bundesverband der Deutschen Spirituosen-Industrie und -Importeure