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Bienenhaltung

Honig aus der Stadt

16.03.2018  14:34 Uhr

Von Anna Pannen / Es summt in deutschen Großstädten: Immer mehr Menschen in urbanen Regionen züchten hobbymäßig Bienen. Kurioserweise geht es den Tieren dort inzwischen besser als auf dem Land. Doch auch ihr Bestand ist gefährdet, mit fatalen Folgen für Mensch und Natur.

Wenn mir jemand vor fünf Jahren erzählt hätte, dass ich einmal Bienen züchten würde, hätte ich ihn ausgelacht. Schließlich lebe ich mitten in ­einer Großstadt. Aber manchmal kommt es anders als man denkt: Inzwischen stehe ich jedes Wochenende zwischen März und September mit Schleier und Smoker vor unseren ­Bienenstöcken. Wie kam es dazu?

Alles fing damit an, dass mein Mann 2013 auf einem Wochenmarkt Honig kaufte und sich ausgiebig mit dem Verkäufer unterhielt. Kurz darauf belegte er an einem Fachinstitut zwei offizielle Kurse und bekam bald darauf sein ­erstes Bienenvolk. Seitdem stehen ­unsere bis zu acht Völker in einer Kleingartenkolonie nahe unserer Wohnung mitten in Berlin.

Unsere? Ja, genau! Schon nach kurzer Zeit machte ich mit und kümmere mich seitdem begeistert um die kleinen Honigsammlerinnen. Und wir sind nicht die Einzigen: Die ­Imkerei in der Großstadt boomt.

Honigbienen werden bereits seit Jahrtausenden als Nutztiere gehalten. Doch in den vergangenen fünfzig Jahren ist ihr Bestand in vielen Teilen der Welt zurückgegangen, besonders deutlich in Europa und Nordamerika. Apis mellifera, so der Fachterminus für die westliche Honigbiene, scheint es nicht gut zu gehen. Das gilt sowohl für die wild lebenden Völker als auch für kommerziell gehaltene Bienen. Die Gründe dafür sind vielfältig und noch nicht endgültig erforscht. So schwächt die in den sechziger Jahren aus Südostasien eingeschleppte Varroamilbe die Honigbienen inzwischen fast weltweit. Nur Australien und Ozeanien blieben bislang verschont. Die millimetergroße Milbe setzt sich auf die Bienenlarven und macht die befallenen Tiere kleiner, langsamer und weniger langlebig.

Die Biene und ihre Feinde

Auch die industrielle Landwirtschaft macht den Bienen zu schaffen. Immer wieder stehen Pestizide, besonders die hochwirksamen Neonicotinoide, in der Kritik. Sie bekämpfen Schädlinge, können jedoch auch dazu führen, dass Insekten die Orientierung verlieren. Bienen kehren dann etwa nicht in ihren Stock zurück.

Hinzu kommt, dass die Nahrungsauswahl für Bienen und andere Insekten schrumpft. Schuld ist die zunehmend einseitige Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für eine bestimmte Pflanzenart (Monokultur). Wo im Mai kilometerweit nur Rapsfelder zu sehen sind, blüht im Juni gar nichts mehr: Die Bienen finden kein ­Futter. Berufsimker transportieren ihre Bienen­stöcke deshalb mit großen Lastwagen von Standort zu Standort, um die Blühzeiten verschiedener Pflanzenarten auszunutzen.

Wildlebenden Bienen nützt das jedoch nichts, und auch Kleinimker in ländlichen Regionen berichten, dass ihre Bienen nach der Rapsblüte wochenlang kaum etwas eintragen. Was helfen kann, sind Blühstreifen an Ackerrändern, bepflanzt mit Wildblumen und Kräutern. Dort gibt es von Frühling bis Herbst Blüten­ und Nektar. Das nützt nicht nur den Honigbienen, sondern auch an­deren Insekten wie Hummeln oder Schmetterlingen. Für das Bereitstellen solcher Streifen können Landwirte staatliche Zuschüsse beantragen. Allerdings bleibt es trotz dieser Gelder ein finanzielles Verlustgeschäft: Weit mehr ver­dienen die Bauern, wenn sie auch den Feldrand mit Raps oder Mais bepflanzen.

Pollenangebot in der Stadt

Die absurde Folge: Bienen geht es dort, wo man sie erwarten würde – nämlich auf dem Land – immer schlechter. In diesen Regionen lohnt sich die Bienenhaltung deshalb oft nicht mehr. Die Tiere tragen wenig ein, doch den Honig können die Imker nicht teurer verkaufen. In den Städten dagegen werden kaum Pestizide eingesetzt, außerdem blüht dort immer etwas: auf Balkonen­ und Dach-terrassen, in Parkanlagen und Kleingärten. Auch unseren Bienen geht es deshalb sehr gut. Dass das Imkern in der Stadt so gut klappt, sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zahl der Honigbienen und anderer bestäubender Insekten insgesamt dramatisch schrumpft. 2016 gab es in Deutschland rund 75 Prozent weniger Fluginsekten als noch 1989. Häufig gibt es dabei eine Art Dominoeffekt: Eine bestimmte Blume wird nur von einer einzigen Wildbienen- oder Schmetterlingsart bestäubt. Geht der Bestand des Insekts zurück, folgt auch die Pflanze – und umgekehrt.

Noch ist nicht abzusehen, wie sich der Rückgang der Honigbienen-Population entwickeln wird. Jedes Jahr berichten deutsche Imker, dass ein Teil ihrer Bienenvölker den Winter nicht überlebt hat. 2017 meldeten sie im Schnitt einen Völkerverlust von 20 Prozent. Oft ist die Ursache unklar, dann findet auch der Amtsveterinär keinen Hinweis auf eine Krankheit oder Parasiten. Experten vermuten inzwischen, dass es den einen Grund für die Verluste nicht gibt, sondern viele Faktoren zusammenwirken und die Tiere insgesamt schwächen. Doch der Aufschrei bleibt bislang aus. Rinder- und Schweinezüchter wären bei ähnlich hohen Verlustzahlen wohl längst auf die Barrikaden gegangen. Die Zahl der Imker in Deutschland ist jedoch gering, Lobbyarbeit gibt es kaum.

Bienensterben mit Folgen

Klar ist, dass ein Bienensterben auch den Menschen empfindlich treffen würde. Rund 80 Prozent der europä­ischen Nutz- und Wildpflanzen werden von Bienen bestäubt. Ohne sie gäbe es nicht nur keinen Honig, sondern auch die meisten Obst- und Gemüsesorten nicht mehr. Die Biene gilt deshalb hierzulande als drittwichtigstes Nutztier nach Rind und Schwein. Ihre Wirtschaftsleistung in Deutschland be­ziffern Ökonomen auf rund vier Milliarden Euro, weltweit sind es mehr als 150 Milliarden Euro. Für bestäubende Insekten gibt es keinen Ersatz. Blütenstaub per Hand oder Maschine auf­zutragen, funktioniert nicht, jedenfalls nicht wirtschaftlich.

Der Mensch ist also auf Bienen angewiesen. Umso wichtiger wäre es, uns besser um das Wohlergehen der Tiere zu kümmern. Das kann eigentlich jeder, indem er Garten, Balkon oder Fensterbretter mit Blumen bepflanzt, die Insekten gerne anfliegen. Nutzen kann man dafür sowohl spezielle Saatgutmischungen (»Bienenweide«) als auch fertig gekaufte Pflanzen. Bienen lieben alle blühenden Küchenkräuter und ungefüllte heimische Pflanzen wie Löwenmäulchen, Goldlack oder Glocken­blumen.

Tipps für Bienenfreunde

Bienenfreunde mit Garten sollten nicht auf Ordnung in Form von englischem Rasen und Rosensträuchern setzen, sondern Schafgarbe, Astern oder ungefüllte Dahlien sowie Beerensträucher, Efeu oder wilden Wein pflanzen. Es hilft auch, einzelne Rasenflecken einfach nicht zu mähen. Die Bienen freuen sich über alles, was dort ganz von allein wächst. Mit besonders prächtigen oder gefüllten Blüten können sie dagegen nichts anfangen. Die »typischen« Balkonpflanzen Geranien, Fleißige Lieschen oder Margeriten fliegen Bienen nicht an.

Wer Lust hat, noch mehr für den Bienenschutz zu tun, kann auch einfach selbst imkern. Das macht weniger­ Arbeit, als man glauben könnte. Wer nur ein oder zwei Völker hat, muss nicht allzu viel Zeit in­vestieren und bekommt neben leckerem Honig ein fantastisches Gespür für Naturvor­gänge.

Bienen halten ist toll! Es beruhigt ungemein, die kleinen Tiere über das Jahr zu beobachten. Wie sie am ersten wärmeren Vorfrühlingstag zum ersten Mal ihre Beute (so nennt man das mehrstöckige Bienenhaus) verlassen. Noch ganz schwach und kein bisschen stechfreudig sitzen sie in der milden Sonne. Je wärmer es wird, desto größer wird ihre Zahl. Emsig fliegen sie ein und aus und bringen Nektar und erste Blütenpollen mit. Mit jedem Wochenende wird das Gewusel im Stock dichter, fleißig bauen die Tiere Wachswaben für ihren Nachwuchs und den gesammelten Nektar.

So ein Bienenstock ist warm und lebendig. Und duftet ungemein gut. Als Imker muss man eigentlich nicht viel tun, die meiste Arbeit erledigen die Bienen selbst. Wir hängen ihnen frische Holzrähmchen in ihr Haus, und sie bauen die Waben hinein. Wir passen auf, dass sie immer genügend Platz haben, denn wenn es ihnen zu eng wird, schwärmt ein Teil des Volkes aus und sucht sich ein neues Zuhause: Wenn man Pech hat, liegt das weit oben in der Fichte des Nachbargartens. Nach der letzten Ernte behandeln wir jedes Volk gegen die Varroamilbe. Und wir geben am Ende der Saison Acht, dass die Bienen genügend Futter für den Winter haben. Zwischen September und März lassen wir sie dann ganz in Ruhe, das Volk überwintert allein.

Bienen-Wissen

Auf Partys bieten Bienen ausreichend Gesprächsstoff. Haben Sie gewusst, dass die Tiere den gesamten Winter über kein großes Geschäft machen, um den Stock nicht zu beschmutzen? Steigen die Temperaturen an einem Frühlingstag erstmals auf 12 Grad, kann man die Bienen quasi mit der Stoppuhr dabei beobachten, wie sie hinausfliegen, um sich zu erleichtern. An diesem Tag sollte man keine weißen Bettlaken in den Garten in die Nähe eines Bienen­stockes hängen, denn darauf finden sich dann winzige braune Punkte.

Oder wussten Sie, warum Imker bei der Arbeit an den Bienenstöcken Rauch versprühen? Das täuscht den Tieren ­einen Waldbrand vor. Sie ziehen sich in die Waben zurück und trinken dort möglichst viel Honig, um ihn vor der drohenden Vernichtung zu retten. Der Imker zerquetscht so bei seiner Arbeit weniger Bienen. Anschließend tragen die Bienen ihr gerettetes Futter in die Luft. Vollgesaugt mit Honig können­ die kleinen Sammlerinnen ihren Körper ­allerdings nicht mehr krümmen – und so den Imker also nicht stechen. Nach einer Weile bemerken die Bienen den falschen Alarm und bringen den Honig zurück.

Menschen mit Interesse für Pharmazie können als Imker außerdem ­ihrem Forscherdrang frönen. Die me­dizinische Wirkung von Honig ist nämlich noch nicht vollständig enträtselt. Klar ist, dass er antibakterielle, anti­septische, antioxidative sowie ent­zündungshemmende Eigenschaften besitzt und unter anderem Wasserstoffperoxid und Methylglyoxal enthält. Medizinalhonig wird deshalb seit Jahrzehnten erfolgreich als Wund­auflage eingesetzt. Australische Forscher konnten nachweisen, dass Honig mit besonders hoher Methylglyoxal-Konzentration selbst gegen multire­sistente Erreger wirkt, die nicht auf Anti­biotika ansprechen. Die Keime entwickelten keine Resistenzen gegen den Honig. Wie dieser Effekt entsteht, ist noch unbekannt.

Medizinisch wirksam sind neben dem Honig auch andere Bienenprodukte. Bienen­ dichten ihren Stock mit einem Kittharz aus Wachs und Pollen ab, um ihn gegen Bakterien, Pilze und andere Mikroorganismen zu schützen. Dieses Propolis genannte Gemisch enthält unter anderem Flavonoide (Pinocembrin, Galangin, Apigenin, Luteolin) und Kaffeesäure­ester. Es zeigte sich in vielen In-vitro-­Versuchen wirksam gegen grampositive und gramnegative Keime, Rhino- und Herpesviren, Candida und Dermato­phyten. Im Tierversuch wurden auch zyto­toxische Wirkungen nachgewiesen. /

Weiterführende Informationen

Wer selbst Bienen halten möchte, kann sich an den Imkerverband seines­ Wohnortes wenden. Hier gibt es Kurse für Nachwuchsimker. Oft überlassen erfahrene Imker den Neulingen ihr Equipment wie die Honig­schleuder zur Mitnutzung. Die Kosten von etwa 500 Euro für die Ausrüstung kommen in den ersten zwei Jahren durch Honigverkauf locker­ wieder rein.

Das Dilemma moderner Bienen­haltung erklärt wunderbar der Film »More than Honey« des Schweizer Regisseurs Markus Imhoof. Die DVD kostet etwa 10 Euro.

Die präzise und poetische Schilderung der Vorgänge im Bienenstock im Buch »Das Leben der Bienen« des Literaturnobelpreisträgers Maurice Maeterlinck ist bis heute eines der schönsten und informativsten Werke über Bienen (Unionsverlag, 256 Seiten, 12,95 Euro).