Kommunikation mit Hindernissen |
16.03.2018 14:34 Uhr |
Von Carina Steyer / Eine Voraussetzung für die Kommunikation mithilfe der gesprochenen Sprache ist das Hören. Bei der Gebärdensprache ist es dagegen das Sehen. Treffen beide Sprachen aufeinander, können Missverständnisse und Berührungsängste die Kommunikation erschweren. Mit etwas Rücksichtnahme und praktischen Tipps lassen sich die größten Hürden jedoch gut meistern.
In Deutschland leben etwa 80 000 gehörlose Menschen. Dazu kommen geschätzte 15 Millionen Schwerhörige. Für viele von ihnen ist die Deutsche Gebärdensprache (DGS) ihre »Muttersprache«. Schätzungen zufolge kommunizieren in Deutschland 200 000 Menschen regelmäßig in DGS.
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Wie die Lautsprachen sind auch Gebärdensprachen natürlich entstandene Sprachen, die neben den Gebärden aus Mimik, Gestik, Mundbild und Körperhaltung bestehen. Mit der Gebärdensprache können abstrakte Sachverhalte und Gedichte kommuniziert werden, es gibt Theaterstücke, Filme und Lieder.
Nahezu jedes Land hat seine eigene nationale Gebärdensprache mit oftmals zahlreichen regionalen Dialekten. In Deutschland ähnelt ihre Verbreitung den lautsprachlichen Dialekten. So sind auch in Bayern Gebärden verbreitet, die in Hamburg nicht verwendet werden. Auch Soziolekte wie die Jugendsprache entwickeln sich immer wieder neu.
Neben der Gebärdensprache gibt es die sogenannten lautsprachbegleitenden Gebärden (LBG). Sie dienen dem Zweck, die Lautsprache durch einzelne Gebärden zu unterstützen. Mit dem Fingeralphabet werden einzelne Buchstaben mit Handzeichen visualisiert, um Wörter der Lautsprache, Eigennamen oder Fremdwörter zu buchstabieren. In Deutschland wird für das Buchstabieren ausschließlich eine Hand verwendet. In Großbritannien hingegen greift man auf das Zwei-Hand-Fingeralphabet zurück. Wie die Gebärdensprache ist auch das Fingeralphabet nicht international, sondern orientiert sich an der landesspezifischen Lautsprache.
Nicht barrierefrei
In den Sprachwissenschaften gilt die Gebärdensprache bereits seit den 1960er-Jahren als eigenständige Sprache. Rechtlich anerkannt wurde sie in Deutschland aber erst mit Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes im Jahr 2002. Bis dahin wurde Kindern das Gebärden sogar oftmals verboten.
Heute weiß man, dass Kinder, die mit Gebärdensprache aufwachsen, die gleichen Spracherwerbsschritte durchlaufen wie lautsprachlich aufgewachsene Kinder. Auch die Sprachverarbeitung im Gehirn verläuft bei Laut- und Gebärdensprachen gleich. Dennoch sind viele Lebensbereiche für Hörbehinderte nicht barrierefrei. In der Kommunikation mit Hörenden sind sie fast immer auf die Lautsprache angewiesen. Wie gut das funktioniert, hängt davon ab, wie stark das Hörvermögen beeinträchtigt ist (siehe Tabelle) und seit wann der Hörverlust besteht.
Etwa 2 von 1000 Kindern werden gehörlos, 1 bis 2 von 1000 schwerhörig geboren. Zu den häufigsten Auslösern einer angeborenen Hörbehinderung zählen genetische Ursachen, mütterliche Röteln, Toxoplasmose, Medikamenteneinnahme oder Drogenmissbrauch während der Schwangerschaft sowie ein Sauerstoffmangel unter der Geburt. Hat ein hörgeschädigtes Kind gehörlose Eltern, ist das Aufwachsen mit der Gebärdensprache in der Regel selbstverständlich. Die deutsche Lautsprache stellt für sie lediglich eine Zweitsprache dar, die für die Kommunikation mit Hörenden benötigt wird. Ohne entsprechende Förderung ist der Aufbau der Lautsprache und der Umfang des Wortschatzes eingeschränkt. Hörbehinderte Kinder mit hörenden Eltern haben es hier etwas einfacher. Sie erhalten dafür nicht immer Zugang zur Gebärdensprache.
Erworbener Hörverlust
Neben angeborenen Hörbehinderungen gibt es erworbene Hörverluste. Verursacht werden sie zum Beispiel durch Infektionen wie Masern oder Mumps, Mittelohr- oder Gehirnhautentzündungen, Schädelverletzungen, Tumoren, Lärmschäden oder oto- toxische Medikamente. Mit zunehmendem Alter gilt eine schleichende Abnahme des Hörvermögens als physiologisch und ist bei fast jedem Über-50-Jährigen zu beobachten.
Hörverlust | Schwere einer Hörstörung | Geräusche, die nicht mehr wahrgenommen werden |
---|---|---|
Mehr als 20 Dezibel | Leichte Schwerhörigkeit | Das Ticken einer Armbanduhr oder Blätterrauschen |
Mehr als 40 Dezibel | Mittlere Schwerhörigkeit | Ein leises Gespräch oder Vogelgezwitscher |
Mehr als 60 Dezibel | Hochgradige Schwerhörigkeit | Ein Gespräch in normaler Lautstärke oder die Türklingel |
Mehr als 90 Dezibel | Resthörigkeit | Geräusche eines startenden Flugzeugs oder Presslufthammers |
Mehr als 100 Dezibel | Gehörlos |
Tritt der Hörverlust erst nach dem Spracherwerb auf, ist die Situation für viele Betroffene oft schwer zu akzeptieren. Ihre Beeinträchtigung offen anzusprechen, ist ihnen unangenehm. Es gibt jedoch typische Anzeichen, die in einem Gespräch auf eine Hörbehinderung hindeuten. Dazu gehört zum Beispiel eine ungewöhnliche Konzentration auf die Lippen, häufiges Nachfragen, falsches oder unlogisches Antworten sowie merkwürdig erscheinendes Reagieren.
Von den Lippen ablesen
Hörbehinderte Menschen sind in der Kommunikation mit Hörenden darauf angewiesen, das Gesprochene vom Mund abzulesen. Da jedoch nur etwa 30 Prozent des Gesprochenen tatsächlich erkannt werden kann und der Rest geraten werden muss, sind Missverständnisse vorprogrammiert. Um das Gespräch trotz dieser Schwierigkeit positiv und für beide Seiten erfolgreich zu gestalten, haben verschiedenen Gehörlosen- und Schwerhörigen-Verbände Tipps für Hörende erarbeitet, welche die Verunsicherung minimieren und die Kommunikation unterstützen sollen (Kasten).
Auch technische Hilfsmittel können die Kommunikation zwischen hörenden und hörbeeinträchtigten Menschen verbessern. So wird zum Beispiel mit der App VerbaVoice Gesprochenes live von einem Gebärdensprachdolmetscher in Text oder Gebärden übersetzt. Ein Nachteil der App ist, dass sie sich nicht für spontane Gespräche eignet, da der Dolmetscher zuvor gebucht werden muss. Flexibler ist hier die App Ava. Ihr Nachteil ist, dass sie derzeit nur für die Sprachen Englisch, Niederländisch, Französisch und Spanisch verfügbar ist. An einer deutschen Version wird jedoch laut Hersteller bereits gearbeitet. /