Mehr Fälle, mehr Resistenzen |
16.03.2018 14:34 Uhr |
Von Sandra Westermair / Seit einigen Jahren ist die Tuberkulose (abgekürzt Tb oder Tbc) in Deutschland wieder auf dem Vormarsch. Zwar gibt es wirksame Antituberkulotika, mit denen sich die Erkrankung gut behandeln lässt. Aufgrund des gehäuften Auftretens multiresistenter Mykobakterien werden aber auch neue Wirkstoffe dringend gebraucht.
Für das Krankheitsbild der Tuberkulose sind stäbchenförmige Mykobakterien verantwortlich, meist Mycobacterium tuberculosis, seltener auch andere Vertreter wie M. bovis oder M. africanum. Sie gelangen in der Regel über eine Tröpfcheninfektion in den menschlichen Körper. Während der Inkubationszeit von bis zu zwei Monaten induzieren sie eine Entzündungsreaktion, die ein gesundes Immunsystem meist in Schach halten kann. In neun von zehn Fällen gelingt es den menschlichen Abwehrzellen, den Makrophagen, die Bakterien in sogenannte Granulome abzukapseln. Sie sind darin nicht infektiös und verursachen keine Symptome. Allerdings werden die Erreger von den Makrophagen nicht vollständig verdaut. Die Bakterien können zu einem späteren Zeitpunkt, etwa wenn das Immunsystem geschwächt ist, reaktiviert werden und eine Erkrankung auslösen. In diesem Fall sprechen Mediziner von einer latenten Tuberkulose.
Attacke auf das Atmungsorgan: Zu 80 Prozent manifestiert sich eine Tb in der Lunge.
Foto: Shutterstock/ Puwadol Jaturawutthichai
Gelingt es dem Immunsystem nicht, die Infektion vorerst abzuwehren, entsteht nach etwa vier bis sechs Wochen das klinische Bild der Primärtuberkulose. Zu 80 Prozent manifestiert sich die Tbc in der Lunge, es entsteht die gefürchtete offene Form: Der Patient hustet infektiöses Sekret ab, die Erreger gelangen so nach draußen und können andere infizieren. Neben der Lunge kann die Tuberkulose aber prinzipiell auch andere Organe wie Darm, Lymphknoten, Gehirn, Harnwege oder Knochen befallen.
Trendwende
Betroffen sind meist Menschen in Entwicklungsländern, die meisten Neuinfektionen treten in Afrika und Asien auf. Aber auch in Deutschland steigt die Zahl der Tuberkulose-Fälle wieder an. Vor acht Jahren waren die Erkrankungszahlen in Deutschland noch rückläufig, mittlerweile meldet das Robert-Koch-Institut (RKI) hierzulande einen Anstieg der jährlichen Fälle von rund 4200 auf etwa 5900 von 2012 bis 2016. Das Institut führt dies vor allem auf die vermehrte Migration in diesem Zeitraum zurück. 2016 verstarben 100 der gemeldeten Tuberkulosepatienten aufgrund ihrer Krankheit.
Global ist die Situation gravierender. Im »Ratgeber für Ärzte« des RKI von 2013 heißt es, dass rund ein Drittel der Weltbevölkerung Tuberkuloseerreger in sich trägt. Laut dem »Global tuberculosis report 2017« der Weltgesundheitsorganisation WHO sind circa 10,4 Millionen davon mit einer behandlungsbedürftigen Form infiziert. Die Krankheit fordert weltweit rund 1,7 Millionen Todesfälle pro Jahr.
An der Tuberkulose erkranken vor allem Menschen mit eingeschränkter Immunabwehr, darunter multimorbide Senioren und Kinder sowie Personen unter immunsuppressiver Therapie (besonders mit TNF-alpha-Blockern). In der Gruppe der HIV-Infizierten ist die Tuberkulose nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen.
Eine offene Tb äußert sich durch wochenlangen, teils produktiven Husten, der selten auch mit Atemnot, Schmerzen oder blutigem Auswurf einhergeht. Klagt ein Kunde in der Apotheke über diese Symptomatik, so sollte er zur weiteren Abklärung an einen Arzt verwiesen werden. Begleitend zum Husten können eine leicht erhöhte Körpertemperatur, allgemeine Schwäche, Gewichtsabnahme und Nachtschweiß auftreten. Vor allem bei Kindern sind die Symptome jedoch oft nur leicht ausgeprägt.
Die Tuberkulose ist aufgrund der unspezifischen Symptome zunächst recht schwierig zu diagnostizieren. Die Bakterien können im Sputum, Bronchialsekret oder anderen Körperflüssigkeiten nachgewiesen werden. Teilweise sind die Stäbchen direkt im Mikroskop sichtbar oder sie werden auf Fest- und Flüssigkulturmedien angezüchtet, was mehrere Wochen in Anspruch nehmen kann. Um Verdachtsfälle rasch abzuklären, sind aber auch schnellere PCR-Testungen möglich. Auch im Röntgenbild kann der Arzt eventuell Entzündungsherde in der Lunge erkennen.
Die Tuberkulose wird standardmäßig mit der Kombination mehrerer Antibiotika behandelt. Auf diese Weise erfasst die Therapie sämtliche Stoffwechselstadien und Lokalisationen der Erreger, und das Risiko der Resistenzbildung wird vermindert.
Bewährte Therapie
Die S2k-Leitlinie »Tuberkulose im Erwachsenenalter« des Deutschen Zentralkomitees zur Bekämpfung der Tuberkulose von 2017 empfiehlt, wie auch international gültige Richtlinien, in unkomplizierten Fällen initial zwei Monate mit Rifampicin, Isoniazid, Pyrazinamid und Ethambutol zu behandeln. Direkt im Anschluss folgt eine viermonatige Stabilisierungsphase mit Rifampicin und Isoniazid. Die Wirkstoffe werden am besten resorbiert, indem sie gleichzeitig nüchtern etwa 30 Minuten vor dem Frühstück eingenommen werden. Spricht der Patient auf die Arzneimittel an, ist er nach etwa zwei bis drei Wochen nicht mehr infektiös. Ein weiterer Vorteil der Standardtherapie ist, dass sie auch während einer Schwangerschaft eingesetzt werden kann.
Die meisten Tuberkulose-Neuinfektionen treten in Afrika und Asien auf.
Foto: WHO
Seit den 1960er-Jahren ist das Antibiotikum Rifampicin als Tuberkulostatikum bekannt. Es hemmt die RNA-Polymerase und greift so in die bakterielle Transkription ein. Die Erwachsenendosierung beträgt 10 mg/kg Körpergewicht, jedoch höchstens 600 mg täglich. Unerwünschte Wirkungen betreffen neben einer Rotfärbung des Urins vor allem den Magen- Darm-Trakt und die Leber. Rifampicin induziert Cytochrom-P450-Enzyme, was die Wirkung von Medikamenten wie Azol-Antimykotika und HIV-Protease-Inhibitoren abschwächen kann. In der Apotheke sollten Frauen im gebärfähigen Alter immer auf alternative Verhütungsmaßnahmen hingewiesen werden, denn auch hormonelle Kontrazeptiva werden unter Rifampicin- Therapie beschleunigt abgebaut.
Isoniazid ist selektiv gegen Mykobakterien wirksam und greift als Radikal Mykolsäuren in deren Zellwand an. Erwachsene erhalten 5 mg/kg Körpergewicht, maximal 300 mg pro Tag. Neben Leberschäden und Hautreaktionen weist Isoniazid vor allem Nebenwirkungen neurologischer Art auf, da es den Effekten von Vitamin B6 im menschlichen Körper entgegenwirken kann. Eine Supplementation von Vitamin B6 wird den Autoren der aktuellen Leitlinie zufolge jedoch nur noch in besonderen Situationen, etwa in der Schwangerschaft, empfohlen.
Ethambutol wirkt bakteriostatisch und bildet Poren in der mykobakteriellen Zellwand. Es wird mit 15 bis 25 mg/kg Körpergewicht einmal täglich dosiert. Ethambutol kann zu irreversiblen Sehstörungen führen, die typischerweise mit Veränderungen des Grünsehens beginnen. Daher werden regelmäßige augenärztliche Kontrollen empfohlen. Außerdem sollte der Arzt Harnsäurewerte und Nierenparameter überwachen.
Vor allem in der sauren Umgebung von Makrophagen hemmt Pyrazinamid wahrscheinlich Ribosomen, die an der Proteinsynthese der Tbc-Erreger beteiligt sind. Der genaue Wirkmechanismus der bakteriziden Substanz ist aber noch ungeklärt. Erwachsene und Jugendliche ab 30 kg Körpergewicht erhalten 1,5 bis 2,5 g Pyrazinamid pro Tag. Patienten klagen zum Teil über Magen-Darm-Unverträglichkeiten, selten kommt es zu Leberschäden und Photosensibilisierungen. Bei Gicht und Niereninsuffizienz ist Vorsicht geboten.
Multiresistenzen
Mit steigender Inzidenz der Krankheit nimmt auch das Resistenzrisiko gegenüber den Standardtherapeutika zu. Eine multiresistente Tuberkulose (MDR-Tb, multidrug-resistant tuberculosis) ist dadurch gekennzeichnet, dass die Erreger zumindest unempfindlich gegenüber Rifampicin und Isoniazid sind. Spricht der Patient weder auf die Fluorchinolone Moxifloxacin und Levofloxacin noch auf mindestens ein injiziierbares Aminoglykosid an, handelt es sich um eine extrem arzneimittelresistente Tuberkulose (XDR-Tb, extensively-drug resistant-tuberculosis).
Kleine knötchenartige Zellansammlungen (Granulome) aus Monozyten und Lymphozyten können auf eine Tuberkulose hinweisen.
Foto: Shutterstock/ Komsan Loonprom
Laut Leitlinie sollen in diesen Fällen vier bis fünf Antibiotika parallel verabreicht werden, die sich in der Resistenztestung als geeignet erwiesen haben. Außerdem verlängert sich die Therapiedauer auf bis zu 20 Monate. Zur Verfügung stehen zur Tuberkulose-Therapie unter anderem die injiziierbaren Aminoglykoside Amikacin und Capreomycin, außerdem Carbapeneme, Rifabutin, Protionamid, Terizidon, p-Aminosalicylsäure (PAS), Clofazimin sowie die 2014 neu zugelassenen Substanzen Bedaquilin und Delamanid.
Bedaquilin blockiert die Energiegewinnung der Bakterien über Hemmung ihrer ATP-Synthase, während Delamanid in den Stoffwechsel der Zellwand eingreift. Beide Stoffe werden über CYP-Enzyme verstoffwechselt, wodurch es zu Wechselwirkungen mit anderen Arzneistoffen kommen kann. Außerdem können beide Substanzen das QT-Intervall im EKG verlängern. Deshalb wurden sie bisher kaum gemeinsam verabreicht. Die Fachzeitschrift »The Lancet« berichtete jedoch im Februar 2018 über eine retrospektive Kohortenstudie mit 28 Patienten, in der die gleichzeitige Gabe beider Antibiotika positive Effekte auf den Therapieausgang hatte.
Meldepflicht und Isolation
Sobald in deutschen Laboren ein Tbc-Erreger isoliert wird, ist dieser Fall meldepflichtig. Außer Patientendaten (unter anderem Name, Geburtsort, Einreisedatum) und Ergebnissen der Resistenztestung wird auch der Behandlungserfolg an die zuständige Behörde übermittelt.
Betroffene bleiben so lange isoliert, bis in ihren Körpersekreten keine Erreger mehr nachweisbar sind. Während dieser Zeit sind strenge Hygienemaßnahmen zu beachten, darunter ausgiebige Händedesinfektion und Tragen entsprechender Schutzkleidung. Alle engeren Kontaktpersonen sollten auf Tuberkulose untersucht und gegebenenfalls behandelt werden. Um größere Ausbrüche zu verhindern, dürfen Angestellte oder Bewohner einer Gemeinschaftseinrichtung diese erst nach ärztlicher Genehmigung wieder besuchen. /
Am 24. März 1882 veröffentlichte Robert Koch in Berlin seine Erkenntnisse zur Tuberkulose-Erkrankung. Er machte den bis dahin unbekannten Erreger Mycobacterium tuberculosis für die Erkrankung verantwortlich und ebnete damit den Weg für eine gezielte Therapie. In Erinnerung daran will der Welttuberkulosetag jedes Jahr am 24. März darauf aufmerksam machen, dass die Tuberkulose heute in weiten Teilen der Welt noch immer eine Epidemie darstellt, vor allem in Entwicklungsländern. Die WHO hat sich das Ziel gesetzt, die Tuberkulose bis 2050 auszurotten.