Säure binden oder blocken |
25.07.2007 08:39 Uhr |
Säure binden oder blocken
Andrea Gerdemann, München
»Ich bin total sauer.« Diesen Satz hat sicher jeder schon gehört oder selbst benutzt. Doch wer denkt dabei an den physiologischen Bezug dieser Aussage? Denn bei Stress und Hektik produziert der Magen besonders viel Magensäure. Weitere Gründe für das saure Aufstoßen sind ungesunde Ernährungsgewohnheiten. So ist es nicht verwunderlich, dass circa die Hälfte der deutschen Bevölkerung einmal im Monat unter Sodbrennen leidet und Magen-Darm-Mittel zu den umsatzstärksten Arzneimitteln der Selbstmedikation in Apotheken gehören.
Normalerweise verhindert der Schließmuskel (Ösophagussphinkter) am Mageneingang, dass Mageninhalt in die Speiseröhre hochsteigt. Da mit dem Alter die Kraft dieses Muskels nachlässt, leiden vor allem ältere Menschen vermehrt unter Sodbrennen. Es äußert sich durch schmerzhaftes Brennen, das sich vom Oberbauch bis in den Hals erstrecken kann. Verursacht wird das Brennen durch den gastroösophagealen Reflux, wenn Magensaft sowie angedauter Speisebrei in die Speiseröhre aufsteigen.
Ein gelegentlicher Rückfluss ist kein Grund zur Sorge, doch falls regelmäßig Säure in die Speiseröhre gelangt, verätzt diese die Schleimhaut und löst Entzündungen aus. Etwa bei jedem zehnten Betroffenen entwickelt sich eine Refluxösophagitis. Patienten mit ständigen Beschwerden müssen unbedingt einen Arzt konsultieren. Nur er kann ausschließen, dass eine Ösophagitis, die gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD), ein Ulkus oder eine andere ernsthafte Erkrankung vorliegen.
Eine als Hausapothekenkundin gut bekannte 73-jährige Patientin reicht in der Apotheke ein Rezept über Enalapril ein. Zusätzlich bittet sie noch um »Natron-Tabletten« für den Magen, die sie von früher kennt und die ihr immer so gut geholfen haben. Um mehr über die Art der Beschwerden zu erfahren, stellt die PTA der Patientin einige Fragen, unter anderem zur Dauer und zu den Begleitsymptomen. In Frage kommen etwa:
Daraufhin erzählt die ältere Dame, dass ihr das Sodbrennen erst seit einigen Tagen Probleme bereitet. Die Beschwerden träten frühmorgens und nach dem Genuss von Kaffee und Kuchen auf. Stuhlfrequenz und -beschaffenheit seien unverändert normal, auch habe sie keine Oberbauchbeschwerden. Aus der Medikationsdatei der Hausapothekenkundin entnimmt die PTA, dass die Patientin Enalapril seit Langem wegen ihrer bestehenden Herzinsuffizienz einnimmt und zusätzlich regelmäßig ein Etidronsäure-Präparat, ein Bisphosphonat zur Behandlung der postmenopausalen Osteoporose. Bei Bedarf kauft sie ab und zu noch ein nicht verschreibungspflichtiges Ibuprofen-Präparat. Aus den vorliegenden Informationen kommt die PTA zu dem Schluss, dass die ältere Kundin ihr Sodbrennen mit einem Arzneimittel aus der Selbstmedikation behandeln kann, da keiner der im Kasten aufgeführten Punkte auf sie zutrifft.
Aus: Braun/Schulz, Selbstbehandlung, 8. Erg.Lfg. 2007
Mittel zur Selbstbehandlung
Zur kurzfristigen Behandlung des Sodbrennens stehen für die Selbstmedikation Antazida und die H2-Blocker Famotidin und Ranitidin zur Verfügung. Grundsätzlich sollten Patienten sowohl das Antazidum als auch den H2-Blocker nicht länger als drei Tage hintereinander einnehmen. Bessern sich die Symptome nicht, müssen sie einen Arzt aufsuchen, spätestens nach zwei Wochen. Schwangere und Stillende sowie Kinder unter 7 Jahren dürfen Antazida und Jugendliche unter 16 Jahren H2-Blocker nur auf Rat eines Arztes nehmen.
Antazida binden freie hydratisierte Protonen und vermindern dadurch die Säureaktivität. Mittel der Wahl sind Kombinationspräparate aus Magnesium- und Aluminiumhydroxid. Ebenfalls geeignet sind Komplexverbindungen: die Schichtgitterantazida wie Hydrotalcit und Magaldrat sowie Aluminium-Magnesiumtrisilikat (Simaldrat) oder Aluminium-Magnesium-silikathydrat (Almasilat). Die alleinige Gabe von Calcium- oder Magnesiumcarbonat ist nicht sinnvoll, auch Moorextrakte und -zubereitungen, Kieselerde und -säure sowie Natriumhydrogencarbonat sind nicht zu empfehlen.
Dosierungsempfehlung beachten
Als Aluminiumverbindungen enthalten Antazida Aluminiumhydroxid, -oxid oder auch -phosphat. Sie schützen zudem die Magenschleimhaut, da sie die endogene Prostaglandinsynthese stimulieren beziehungsweise eine prostaglandinartige Wirkung entwickeln. Aluminium-haltige Antazida wirken vor allem lokal, nur sehr gering systemisch und werden vorwiegend mit anderen Antazida kombiniert. Zu hohe Dosierungen können zu Verstopfung führen.
Zu den Magnesium-haltigen Antazida zählen Magnesiumhydroxid, -carbonat, -oxid und Magnesium-Aluminat-Hydrat. Auch hier ist die systemische Wirkung dosisabhängig. Bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion muss die Magnesium-Plasmakonzentration regelmäßig kontrolliert werden. Als Nebenwirkungen können Durchfall oder ein weicher Stuhl auftreten.
Die alleinige Gabe von Calciumcarbonat als Antazidum ist nicht sinnvoll, daher wird es in der Regel mit anderen Antazida kombiniert. Der Vorteil von Calciumcarbonat im Vergleich zu Aluminium- oder auch Magnesium-haltigen Antazida ist der schnelle Wirkeintritt, von Nachteil die kurze Wirkdauer. Normal dosiert wirkt Calciumcarbonat nicht systemisch. Bei Patienten mit Niereninsuffizienz und bei langfristiger Einnahme hoher Dosen (im Rahmen der kurzzeitigen Selbstmedikation nicht relevant) kann es zu Hypercalcämie, metabolischer Alkalose und Phosphatverarmung kommen.
Gefahr der Alkalose
Natriumhydrogencarbonat ist aufgrund seiner Nebenwirkungen obsolet. Es führt zu Völlegefühl und Aufstoßen, Störungen des Ionenhaushalts und birgt die Gefahr der Nierensteinbildung sowie der metabolischen Alkalose. Die Nebenwirkung der metabolischen Alkalose ist nicht bei allen Antazida gleich ausgeprägt. Ihre Wahrscheinlichkeit sinkt in der folgenden Reihenfolge: Natriumhydrogencarbonat, Calciumcarbonat, Magnesiumhydroxid, Aluminiumhydroxid. Unter einer metabolischen Alkalose versteht man den durch den Stoffwechsel (metabolisch) bedingten Anstieg des Blut-pH-Wertes über 7,43 (Alkalose). Bei dieser schwerwiegenden Störung des Säure-Basen-Haushalts versucht der Körper das Übergewicht an Basen beziehungsweise das »zu alkalische« Blut durch eine verminderte Atmung und durch vermehrte Ausscheidung von Bicarbonat und Rückhaltung von H+-Ionen durch die Nieren auszugleichen.
Bei der Abgabe eines Antazidums ist zu bedenken, dass die eingesetzten Substanzen die Bioverfügbarkeit anderer Arzneistoffe durch Komplexbildung beziehungsweise Bindung vermindern können. Das betrifft zum Beispiel Bisphosphonate wie Etidronat, Gyrasehemmer wie Ciprofloxacin und Ofloxacin sowie Tetracycline. Aus diesem Grund lautet die Empfehlung: Die Patienten sollten die genannten Arzneimittel nicht gleichzeitig mit dem Antazidum einnehmen, sondern zwei bis drei Stunden vor diesem.
An Nebenwirkung denken
Bei hoher Dosierung können Kombinationspräparate aus Aluminium- und Magnesiumverbindungen (zum Beispiel Hydrotalcit, Magaldrat) zu gastrointestinalen Beschwerden wie breiigen, weichen Stühlen oder auch zu Diarrhö führen.
Bei Sodbrennen nehmen Patienten das Antazidum ein (und zusätzlich bei Bedarf drei) Stunden nach dem Essen sowie vor dem Zubettgehen ein, insgesamt also vier- bis sechsmal pro Tag. Wichtig ist, dass sie die Tabletten gut kauen oder lutschen. Für Gebissträger eignen sich deshalb eher Suspensionen.
Frei verkäufliche H2-Blocker
H2-Blocker blockieren die Histaminrezeptoren in der Magenschleimhaut, welche die Säureproduktion regulieren. In der Folge bildet die Magenschleimhaut weniger Säure. Im Unterschied zu den Antazida beginnt die Wirkung der H2-Blocker verzögert nach circa 30 bis 60 Minuten, dafür wirken sie länger, das heißt sechs bis zehn Stunden. Die frei verkäuflichen Wirkstoffe Famotidin und Ranitidin eignen sich besonders für Patienten mit nächtlichem, anhaltendem oder ausgeprägtem Sodbrennen. Wird eine schnelle und eine lang anhaltende Wirkung gewünscht, kann der Patient eine (fixe) Kombination aus Antazidum und H2-Blocker einnehmen.
Kontraindikationen beachten
H2-Blocker sind für die Selbstmedikation kontraindiziert bei Schwangeren und Stillenden, Kindern unter 16 Jahren und Patienten mit eingeschränkter Nieren- oder Leberfunktion. Die tägliche Dosis für Famotidin beträgt 10 bis maximal 20 mg und für Ranitidin 75 bis maximal 150 mg. Beide Substanzen werden unzerkaut mit etwas Flüssigkeit eingenommen. Als Nebenwirkungen können gelegentlich Kopfschmerzen oder Schwindel selten Obstipation oder Diarrhö auftreten.
Da H2-Blocker die Resorption der Antimykotika Ketoconazol und Itraconazol vermindern können, sollten Patienten in einem solchen Fall das Azol etwa zwei Stunden vor dem H2-Blocker einnehmen. Die beschriebene Interaktion trifft auch auf die Antazida zu, da die Absorption der Azol-Antimykotika vom pH-Wert des Magens abhängt. Wird dieser erhöht, was sowohl bei H2-Blockern als auch bei Antazida der Fall ist, kann es zu einer verminderten Resorption kommen.
Bevor die PTA der Patientin einen H2-Blocker empfiehlt, erklärt sie ihr, warum sie die »Natron-Tabletten« für nicht geeignet hält. Natriumhydrogencarbonat-haltige Antazida seien aus mehreren Gründen obsolet. Das durch den Kontakt mit saurem Magensaft entstehende Kohlendioxid führe zu unangenehmem Aufstoßen und Völlegefühl.
Den Arzt informieren
Da die Patientin Etidronat einnimmt, hat sich die PTA unter anderem wegen der Interaktion mit Etidronat (Resorptionsverminderung und damit Wirkungsabschwächung) gegen ein Antazidum entschieden. Die PTA erklärt der Kundin, eine Tablette des H2-Blockers zur Nacht unzerkaut mit etwas Flüssigkeit einzunehmen. Außerdem solle sie ihren Stuhl beobachten und bei Blutbeimengung, zum Beispiel auffällig dunkler Färbung, sofort ihren Arzt verständigen. Weil die ältere Frau gelegentlich Ibuprofen, das die Magenschleimhaut schädigen kann, einnimmt, weist die PTA die Patientin eindringlich darauf hin, dass sie ihren Arzt aufsuchen soll, falls die Beschwerden nicht nach drei Tagen verschwunden sind. Unabhängig davon soll sie ihrem Arzt beim nächsten Besuch von ihren Beschwerden berichten.
Darüber hinaus empfiehlt die PTA der Patientin, das Kopfende ihrer Matratze um mindestens 10 bis 15 cm hochzustellen. Zusätzlich soll sie auf Kaffee und Kuchen verzichten, denn nach ihren eigenen Aussagen förderten diese die Beschwerden. Die Tabelle enthält weitere Beispiele unterstützender, nicht medikamentöser Maßnahmen. Abschließend bittet die PTA die Kundin, beim nächsten Apothekenbesuch zu berichten, ob ihr das Arzneimittel geholfen hat.
E-Mail-Adresse der Verfasserin:
andrea(at)gerdemann.info