Schilddrüsenhormone und polyvalente Kationen |
25.07.2007 09:44 Uhr |
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Schilddrüsenhormone und polyvalente Kationen
Andrea Gerdemann, München, Nina Griese, Berlin
Bei einer Anwendungsbeobachtung in bayrischen Apotheken stand die Interaktionsmeldung zwischen Levothyroxin und polyvalenten Kationen an fünfter Stelle. Die Wechselwirkung ist für Calcium-, Aluminium- und Eisen-Ionen beschrieben. Präparate mit diesen Ionen werden zum einen im Rahmen der Selbstmedikation gekauft, zum anderen von Ärzten verordnet. Welche Informationen sind für PTA und Apotheker wichtig, damit sie die Relevanz dieser Interaktion richtig beurteilen können?
Levothyroxin wird zur Substitutionstherapie zahlreicher Schilddrüsenerkrankungen eingesetzt, so zum Beispiel bei deren Unterfunktion (Hypothyreose), Jodmangelstruma oder auch einer Schilddrüsenentzündung. Die Behandlung beginnt einschleichend: Der Patient erhält meist 8 bis 14 Tage lang eine niedrige Dosis. Danach wird die Dosis in mehrwöchigen Abständen bis zur Erhaltungsdosis gesteigert. Menschen mit einer Schilddrüsenunterfunktion sind oft lebenslang auf den Hormonersatz angewiesen. Da Nahrung die Bioverfügbarkeit von Levothyroxin um circa 20 Prozent verringert, müssen die Patienten ihre Tablette morgens nüchtern, das heißt eine halbe Stunde vor dem Frühstück einnehmen.
Die Indikation für Eisenpräparate sind Eisenmangelzustände, zum Beispiel während oder gegen Ende der Schwangerschaft. Daher werden die Arzneimittel oft von Frauenärzten verordnet. Auch hier lautet die Empfehlung: circa 30 Minuten vor dem Frühstück oder zwischen den Mahlzeiten mit Vitamin-C-haltigen Fruchtsäften oder Vitamin C einnehmen.
Calcium-haltige Brausetabletten kaufen viele Kunden im Rahmen der Selbstmedikation. Ärzte verordnen Calciumsalze zur Osteoporoseprophylaxe oder -behandlung sowie während der Schwangerschaft.
Auch Aluminium-haltige Antazida, zum Beispiel Algeldrat, Aluminiumhydroxid oder Sucralfat, spielen sowohl bei Verordnungen als auch in der Selbstmedikation eine Rolle. Hier gilt als Einnahmeempfehlung: eine bis zwei Stunden nach den Mahlzeiten.
Mechanismus noch unklar
Die gleichzeitige Einnahme von L-Thyroxin und den polyvalenten Kationen Eisen, Calcium oder Aluminium kann zu einer verminderten Wirksamkeit des Schilddrüsenhormons führen. Als Folgen dieser Interaktion können die typischen Symptome einer Hypothyreose wie Müdigkeit, Gewichtszunahme und Kälteintoleranz auftreten. In der Fachliteratur sind relativ wenige Untersuchungen zur Wechselwirkung zwischen Levothyroxin und polyvalenten Kationen beschrieben. Die hohen Verordnungszahlen von L-Thyroxin weisen jedoch auf die Bedeutung dieses Arzneistoffs hin: 2005 wurden in Deutschland mehr als 1000 Millionen Tagesdosen verordnet; bei den 45- bis 60-jährigen Frauen steht Levothyroxin an zweiter Stelle der verordneten Arzneimittel.
Der Mechanismus dieser Interaktion ist nicht vollständig geklärt. Vermutlich bilden die polyvalenten Kationen mit Levothyroxin schwer resorbierbare Komplexe. Bislang ist diese Wechselwirkung nur für Eisen-, Calcium- und Aluminium-Ionen beschrieben. Für weitere Kationen liegen keine Daten vor. Es wird vermutet, dass die Komplexbildung hier nicht so stark ausgeprägt ist.
Bei manchen Patienten scheint die gleichzeitige Einnahme von Calciumcarbonat die Absorption von Levothyroxin nur minimal zu beeinflussen. Doch es existieren ebenso Fallberichte, bei denen Calcium den Blutspiegel von Levothyroxin klinisch relevant reduzierte. Da es nicht möglich ist, vorherzusagen, zu welcher Gruppe der einzelne Patient gehört, sollte dem Patienten empfohlen werden, zwischen der Einnahme von Levothyroxin und polyvalenten Kationen einen Abstand von mindestens zwei, besser vier Stunden einzuhalten.
Compliance gefährdet
Bei den Einnahmehinweisen sollten PTA oder Apotheker bedenken, dass ihre Empfehlung »praktikabel« sein muss. Eine Einnahmeempfehlung, die in der Praxis nur schwer umzusetzen ist, kann dazu führen, dass der Patient die Arzneimittel falsch oder gar nicht einnimmt, also nicht compliant ist. Ein zweistündiger Abstand, der zum Beispiel dazu führt, dass der Patient das zweite Arzneimittel zwischen Frühstück und Mittagessen einnehmen muss, kann unpraktisch sein und dazu führen, dass der Patient die Einnahme gänzlich vergisst.
Für Calcium-haltige Tabletten lautet der Rat: »Nehmen Sie das L-Thyroxin morgens 30 Minuten vor dem Frühstück wie gewohnt und das zweite Medikament mit dem Calcium erst zum Mittag- oder auch Abendessen.«
Sowohl Eisen-haltige Arzneimittel als auch Levothyroxin sollten morgens nüchtern eingenommen werden. Hier müssen PTA oder Apotheker den Patienten darauf hinweisen, dass er wegen der Interaktion beide Präparate nicht kurz hintereinander nehmen darf.
Neben der nüchternen Einnahme wird bei Eisenpräparaten auch eine Gabe zwischen den Mahlzeiten oder bei schlechter Verträglichkeit sogar zu den Mahlzeiten empfohlen. Als Lösung bietet sich daher an, das Eisenpräparat eine halbe Stunde vor dem Mittag- beziehungsweise Abendessen oder bei schlechter Verträglichkeit zu diesen Mahlzeiten zu nehmen.
Da Levothyroxin, nüchtern circa 30 Minuten vor dem Frühstück, Antazida dagegen eine bis zwei Stunden nach den Mahlzeiten und zur Nacht angewendet werden sollen, ist nicht zu erwarten, dass der Patient beide Arzneimittel zur gleichen Zeit einnimmt. Hier reicht es, wenn PTA oder Apotheker den Patienten auf die mögliche Interaktion hinweisen und ihm raten, das Antazidum aus diesem Grund erst zwei Stunden und nicht bereits eine Stunde nach der Mahlzeit einzunehmen.
Kein Mineralwasser
Bei der Abgabe eines Arzneimittels mit dem Schilddrüsenhormon sollten PTA oder Apotheker grundsätzlich empfehlen, die Tabletten mit einem Glas Leitungswasser zu schlucken, da einige Mineralwässer erhebliche Mengen an Calcium-Ionen enthalten. Wegen der hohen Konzentration an Calcium-Ionen wird Schilddrüsenpatienten auch häufig geraten, Milchprodukte erst zwei Stunden nach der Levothyroxintablette zu trinken oder zu essen. Da Patienten die Schilddrüsenhormone wahrscheinlich lebenslang benötigen, ist es allerdings praxisfern, ihnen Milchprodukte zum Frühstück zu verbieten. Dies würde die Lebensqualität vieler Patienten erheblich einschränken.
Dosisanpassung möglich
Bei der Erstverordnung sollten PTA oder Apotheker dem Patienten raten, nach der Levothyroxin-Tablette möglichst zwei Stunden lang auf größere Mengen Milch und Milchprodukte zu verzichten. Der regelmäßige Verzehr kleinerer Mengen, beispielsweise einer Scheibe Käse auf dem Frühstücksbrot oder von etwas Milch im Kaffee, ist unproblematisch, weil Ärzte die Patienten auf einen bestimmten Schilddrüsenhormonstatus einstellen. Verringern Milchprodukte die Resorption, so gleichen die Ärzte dies durch eine Dosiserhöhung aus. Für die Apothekenpraxis bedeutet dies, dass PTA oder Apotheker Patienten, die schon längere Zeit Schilddrüsenhormone einnehmen und danach täglich zum Beispiel ein Müsli mit Milch oder auch Joghurt sowie Quark zum Frühstück essen, zu fragen, ob sie ihre Schilddrüsenwerte regelmäßig kontrollieren lassen. Sind die Werte laut Aussage des Patienten »in Ordnung«, spricht nichts gegen seine »falschen« Einnahmegewohnheiten, da die Thyroxindosis wahrscheinlich der Interaktion mit dem Calcium angepasst und erhöht wurde.
Fallbeispiel aus der Praxis
Frau Schild, eine 65-jährige Frau, reicht in der Apotheke ein Rezept mit L-Thyroxin 125 Henning® und Calcium Sandoz fortissimum® ein. Als die PTA die Präparate von Frau Schild einscannt, zeigt die Software eine mittelschwere Interaktion an. In der Interaktionsmonographie der ABDA-Datenbank finden sich Informationen zum Effekt (verminderte Wirkung), zum Interaktionstyp (wahrscheinlich pharmakokinetisch, nicht vollständig geklärt), zum Mechanismus und zu den Maßnahmen. Unter den für die PTA interessanten Maßnahmen nennt die Software als Einnahmezeitpunkt für das L-Thyroxin 30 Minuten vor dem Frühstück und rät, die Einnahme des Calciumpräparats und der Schilddrüsenhormone zeitlich zu trennen.
Da Frau Schild nicht zu den Stammkunden gehört, stellt die PTA der älteren Frau mehrere Fragen, um die Relevanz der Interaktion zu klären. »Bekommen Sie beide Präparate zum ersten Mal?« Frau Schild verneint. Auf die Frage »Wie nehmen Sie beide Präparate ein?«, antwortet die Kundin: »Ich nehme die beiden Tabletten morgens zusammen vor dem Frühstück.« »Nehmen Sie die Präparate schon immer zusammen?« Frau Schild: »Das Calcium nehme ich seit einem Jahr.« »Wann wurde das letzte Mal Ihr Schilddrüsenhormonstatus überprüft?« Frau Schild berichtet, dass vor circa einem halben Jahr im Rahmen einer Routineuntersuchung ihr Hormonstatus überprüft wurde. Die Nachfrage der PTA »Wurde nach der Messung die Stärke verändert?« bejaht sie und berichtet, dass der Arzt ihr daraufhin ein stärkeres Präparat verordnet hat.
Abschließend erkundigt sich die PTA noch: »Haben Sie Probleme mit der höheren Dosis?« Frau Schild: »Nein, gar nicht, ich komme mit beiden Präparaten gut zurecht.«
Aus der Tatsache, dass der Arzt vor einem halben Jahr bei Frau Schild die Dosis des Schilddrüsenhormons erhöhte, schließt die PTA, dass die Calciumtabletten wahrscheinlich die Bioverfügbarkeit des Levothyroxins verschlechtert hatten. Die Dosiserhöhung scheint jedoch die Wirkungsverminderung des Schilddrüsenhormons zu kompensieren.
Rücksprache mit dem Arzt
Die PTA informiert Frau Schild kurz über die mögliche Interaktion und zieht einen Apotheker zu dem Gespräch hinzu. Auch wenn Frau Schild akut über keine Probleme berichtet, kommen beide im Gespräch mit der Patientin zu dem Schluss, »sicherheitshalber« Rücksprache mit dem behandelnden Arzt zu halten. Der Apotheker informiert den Arzt über die von der Software gemeldete Interaktion und über das Gespräch mit der Patientin. Beide kommen im Telefonat zu der Entscheidung, Frau Schild nicht auf ihren Anwendungsfehler anzusprechen, da sie offensichtlich gut eingestellt ist.
Daraufhin berichtet der Apotheker der Patientin über das Gespräch mit dem Arzt und bestätigt sie darin, ihre Medikamente weiterhin so einzunehmen wie bisher. Falls die Calciumeinnahme ausgesetzt wird, sollten nach einiger Zeit die Schilddrüsenhormone wieder überprüft werden, weil man davon ausgehen kann, dass die Levothyroxindosis auf Grund der dann nicht mehr vorhandenen Wechselwirkung reduziert werden muss.
E-Mail-Adresse der Verfasserinen:
n.griese@abda.aponet.de