Wenn Läusen die Luft ausgeht |
24.07.2007 21:56 Uhr |
Wenn Läusen die Luft ausgeht
Daniela Biermann, Frankfurt am Main
Bei den meisten Müttern regt sich das schlechte Gewissen, wenn sie in den Haaren ihres Kindes Kopfläuse entdecken. Dabei hat Kopflausbefall nichts mit mangelnder Hygiene zu tun. Da manche der eingesetzten Substanzen neurotoxisch wirken,suchen viele Mütter nach Alternativen. Für das physikalisch wirkende Dimeticon belegt nun erstmals eine Studie die Effektivität des Therapieprinzips.
Nach den Erkältungen ist Kopflausbefall sogar die zweithäufigste übertragbare Krankheit bei Kindern. Unabhängig vom sozialen Status sind besonders häufig die 3- bis 11-Jährigen betroffen. »In Deutschland gilt Kopflausbefall immer noch als anrüchig«, sagte Professor Dr. Jörg Heukelbach auf einer Informationsveranstaltung der Firma Pohl-Boskamp in Frankfurt am Main Ende Mai.
Daher scheuen viele Eltern den Weg zum Arzt und fragen direkt in der Apotheke nach einem Mittel gegen Kopfläuse (Pediculus humanus capitis), so genannten Pedikuloziden. Dann ist die umfassende Beratung durch PTA oder Apotheker gefragt, denn nur die richtige Anwendung des antiparasitären Mittels und zusätzlicher Maßnahmen sichern den Erfolg der Behandlung. Außerdem können sie die Gelegenheit nutzen, um einige Vorurteile auszuräumen.
Von der Nisse zur Laus
Kopfläuse können weder springen noch fliegen. Sie werden auch nur äußerst selten durch Kleidung und Gegenstände übertragen, da sie ohne einen menschlichen Wirt nur wenige Stunden überleben. Dagegen hangeln sie sich dank ihrer hakenförmigen Klauen sehr schnell an Haaren entlang. So gelangen sie auch von einem Kopf zum nächsten. Dort saugen die Parasiten mehrmals täglich Blut und legen am Haarschaft ihre Eier, die Nissen, ab. Nach sieben Tagen schlüpfen die Larven (auch als Nymphen bezeichnet), die wiederum nach weiteren zehn Tagen selbst Eier legen. Da Nissen gegen viele Pedikulozide unempfindlich sind, empfiehlt das Robert-Koch-Institut unabhängig vom verwendeten Mittel sicherheitshalber eine Nachbehandlung nach acht bis neun Tagen.
Die Therapie des Kopflausbefalls besteht immer aus der Kombination von antiparasitären Mitteln und mechanischen Methoden. Auskämmen allein reiche nicht aus. Selten würde dabei jede Laus erwischt, obwohl ein typischer Befall in Deutschland meist nur aus zehn bis zwölf Läusen bestünde, so Heukelbach. Als zusätzliche Maßnahme ist das Auskämmen jedoch unverzichtbar. Der Mediziner empfahl, die Haare mit einem Nissenkamm mit engen Metallzinken auszukämmen und vorher eine Spülung zu benutzen, denn diese lähmt die Läuse für circa eine halbe Stunde. Außerdem sollten die Haare stets feucht sein, da die Parasiten bei trockenem Haar dem Kamm davon krabbeln oder durch die elektrische Aufladung der Haare an andere Stellen der Kopfhaut gewirbelt werden.
Aus die Laus
Als Pedikulozide stehen chemisch und physikalisch wirkende Mittel zur Verfügung. Die chemischen Substanzen wirken neurotoxisch, lähmen also das Nervensystem der Läuse. Gegen Nissen wirkten sie nur bedingt, da der Läuseembryo sein Nervensystem erst nach vier Tagen entwickele, so Heukelbach.
Da der neurotoxische äußerst wirksame chlorierte Kohlenwasserstoff Lindan als krebserregend gilt, werden die Lindan-haltigen Präparate (Jacutin® Emulsion und Gel) Ende 2007 vom Markt genommen.
Korrekt angewendet wirken Pyrethrine (Goldgeist® forte Lösung) genau wie synthetische Pyrethroide, zum Beispiel Permethrin (Infecto Pedicul® Lösung) und Allethrin (Jacutin® N Spray), sicher und effektiv. Die Mittel dürfen nicht in die Augen oder auf Schleimhäute gelangen und haben allergenes Potenzial.
Bei vorgeschädigter Haut, zum Beispiel bei Kindern, die sich wegen des Juckreizes den Kopf stark aufgekratzt haben, werden Pyrethroide vermehrt resorbiert. Diese Fälle gehören nicht in die Selbstmedikation, da das Risiko einer bakteriellen Superinfektion hoch ist. Kinder unter drei Jahren, Schwangere und Stillende genau wie Patienten mit intensivem oder wiederholtem Befall sollten PTA oder Apotheker ebenfalls zum Arzt schicken.
Resistenzen nehmen zu
Ein Problem der neurotoxischen Substanzen ist die zunehmende Resistenzentwicklung, warnt auch das Robert-Koch-Institut im »Epidemiologischen Bulletin 20/2007«. Zwar lägen für Deutschland kaum Daten vor, doch Heukelbach berichtete, dass zum Beispiel in Dänemark 70 Prozent der Kopfläuse gegen Permethrin resistent seien.
Bei physikalisch wirkenden Mitteln ist eine Resistenzbildung unwahrscheinlich. Öle pflanzlichen Ursprungs (wie Kokosöl in Aesculo® Gel und Andirobabaumöl in Laus-Stop) oder synthetische Öle (wie in Nyda® L Pumpspray) verstopfen die Atemöffnungen (Aeropylen) der Läuse in allen Entwicklungsstadien, so dass sie daraufhin ersticken. Weil Läuse für eine gewisse Zeit ohne Sauerstoff auskommen können, müssen PTA oder Apotheker die Anwender bitten, die Einwirkzeit sehr genau zu beachten.
Dimeticon verstopft die Atemwege
Da die Hersteller ihre Präparate als Medizinprodukte zugelassen haben, fehlen größtenteils deren Wirksamkeitsnachweise. Für Nyda® L Pumpspray, das seit 2006 in Deutschland zugelassen ist, stellte Heukelbach nun erstmals Daten zur Wirksamkeit vor. In einer kontrollierten, randomisierten Studie mit 145 brasilianischen Kindern mit starkem Kopflausbefall testeten der deutsche Arzt und sein Team ein mit Nyda® L identisches Präparat mit 92 Prozent Dimeticon gegen ein 1-prozentiges Permethrin-Präparat. Die Kinder wurden an Tag 1 und 8 behandelt, und an Tag 2 und 9 wurde das nasse Haar ausgekämmt, um festzustellen, wie viele Kopfläuse die Behandlung überlebt hatten. Schon an Tag 2 galten 94,5 Prozent in der Dimeticon-Gruppe als »entlaust« gegenüber 66,7 Prozent in der Permethrin-Gruppe. An Tag 9 stiegen die Zahlen in beiden Vergleichsgruppen auf 97,2 beziehungsweise 67,6 Prozent.
Laut Herstellerangaben enthält Nyda® L zwei unterschiedliche Dimeticone. Die leicht flüchtige, niedrig viskose Variante mit sehr geringer Oberflächenspannung dringt tief in die Atemöffnungen der Läuse sowie in die Eier ein und verdrängt die Luft. Das höher viskose Dimeticon fließt nach und härtet aus, wenn das flüchtigere verdunstet. Dadurch verstopfen die Aeropylen, und die Laus erstickt. Als einzige Nebenwirkung wurden allergische Reaktionen auf einen der Inhaltsstoffe beobachtet.
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