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Syphilis

Die Wunderdroge Guajakholz

24.06.2011  15:39 Uhr

Von Ernst-Albert Meyer / Als Christoph Kolumbus im Jahr 1492 von seiner Entdeckung Amerikas nach Spanien zurückkehrte, hatten seine Matrosen ein »Mitbringsel« im Gepäck: die Geschlechtskrankheit Syphilis. Während diese Lustseuche im 16. Jahrhundert in ganz Europa wütete, fühlten sich die Menschen ihr ausgeliefert. Hilfe erhofften sie sich damals von der »Wunderdroge« Guajakholz.

Nach Kolumbus Rückkehr griffen die Spanier im Jahr 1494 in die Kämpfe um Neapel ein und infizierten die Italiener und Franzosen mit der neuen Geschlechtskrankheit, so sehen es die meisten Medizinhistoriker. Im Jahr darauf gaben die Truppen Karls des VIII. (1470 bis 1498) von Frankreich die Belagerung Neapels auf und zogen nach Hause, weil die Pocken sie zu sehr geschwächt hatten. Die heimkehrenden Soldaten lösten die erste Syphilisepidemie aus, denn die neue Geschlechtskrankheit verbreitete sich im Eiltempo in ganz Europa und erreichte bald die asiatischen Länder. Aus dieser Zeit stammt der Name »Franzosenkrankheit«.

Die Städte schützen sich

In Mittelalter und Renaissance interpretierten die Vertreter der Kirchen Krankheiten als Strafe Gottes für das sündige Leben der Menschen. Das galt besonders für die fast ausschließlich durch den Geschlechtsverkehr übertragene Syphilis, denn jeglicher Sex außerhalb der Ehe wurde als sündig und »unrein« verurteilt. So erging es den an Syphilis Erkrankten schlecht: Sozial isoliert, blieb ihnen oft nichts anderes übrig, als sich in Wald und Flur aufzuhalten und im Freien ein elendes Leben zu fristen. Beim Betreten der Städte wiesen die Zöllner sie schon an den Stadttoren darauf hin, dass sie sich nur kurz in der Stadt aufhalten und nicht betteln durften. Viele Städte verboten den Gastwirten Syphilis-Kranken Unterkunft zu gewähren. Chirurgen, Badern und Barbieren war es untersagt, sie zu behandeln. Vor allem die Bader durften alle, »die an der newen kranckheit, malen Frantzosen, beflecket und kranck sein«, nicht in ihre Badestuben aufnehmen. Bald mieden auch die gesunden Bürger die bis dahin beliebten öffentlichen Badestuben. Zahlreiche Badegäste hatten sich dort mit der Lustseuche infiziert, weil sie auch »Liebesdienste« in Anspruch genommen hatten. Auf die große Zahl der Syphilis-Kranken reagierten viele Städte und gründeten besondere Heime. Vor allem in Süddeutschland entstanden um 1500 neue Seuchenhäuser, die auch den Namen »Franzosenhäuser« erhielten.

Auch Prominente erkranken

Heute ist eine sichere Aussage darüber schwierig, wie weit die Syphilis zur damaligen Zeit in den verschiedenen Gesellschaftsschichten verbreitet war. Ganz sicher übertrugen zunächst Landsknechte und Deserteure, Zuhälter und Vagabunden sowie leichte Mädchen und Prostituierte maßgeblich die Seuche.

Doch nach und nach erfasste sie alle Schichten der Bevölkerung. In der Renaissance erkrankten berühmte Herrscher an der Syphilis, zum Beispiel Heinrich VIII. und Iwan der Schreckliche. Erasmus von Rotterdam schrieb zynisch, ein Adliger ohne Syphilis sei entweder nicht sehr adlig oder kein richtiger Mann. Mit der Zeit wurde die Liste der Syphilisopfer immer länger: Kardinal Richelieu, Peter der Große und Katharina die Große; aber auch Künstler wie Goya, Franz Schubert, Paul Gauguin, Guy de Maupassant, Ludwig van Beethoven, Heinrich Heine und Oscar Wilde zählten zu den Kranken.

Das Krankheitsbild verändert sich

Die Infektionskrankheit Syphilis wird durch das Bakterium Treponema pallidum ausgelöst und fast ausschließlich beim Geschlechtsverkehr übertragen. Noch während der ersten europäischen Epidemie im Jahr 1494 waren die Erkrankten durch Ausschlag und Geschwüre entstellt, und viele starben. Nach und nach wandelte sich die Syphilis in eine chronische Form, die noch heute in typischen Stadien verläuft: Nach circa 3 Wochen bildet sich am Infektionsort ein nicht schmerzhaftes Geschwür, und die regionalen Lymphknoten schwellen an. Beide Symptome verschwinden auch bei unbehandelten Kranken spontan wieder. Im zweiten Stadium – etwa ab der 8. bis 12. Woche nach der Infektion – verbreiten sich die Erreger über Blut und Lymphe im Körper und führen unter anderem zu Kopf- und Gliederschmerzen, Müdigkeit, leichten Halsschmerzen und Fieber, in dieser Phase schwellen die Lymphknoten am ganzen Körper an. Bei manchen Kranken entzünden sich Augen und Ohren sowie die Leber, Gelenke und Knochen. In diesem frühen Stadium kann das Bakterium bereits das Zentralnervensystem befallen. Gleichzeitig bildet sich am ganzen Körper ein papulöser Hautausschlag, die Schleimhäute verändern sich, und die Haare fallen aus. Bleibt auch dieses zweite Stadium unbehandelt, können die Symptome über viele Monate anhalten, immer wiederkehren und schließlich spontan abheilen.

Stationäre Behandlung notwendig

Etwa ein Viertel der Kranken kommt nach einer jahrelangen bis jahrzehntelangen Latenzzeit ins dritte und vierte Stadium. Dann entstehen knötchenartige Gewebeneubildugen (Granulome) an Haut, Schleimhäuten und inneren Organen. Gleichzeitig stellen sich schwere Schäden des Herz-Kreislauf- sowie des Nervensystems ebenso wie psychiatrische Phänomene ein. Für dieses letzte Stadium sind Persönlichkeitsveränderungen mit Wahnvorstellungen typisch, die eine stationäre Behandlung notwendig machen.

Mit dem Bakterium Treponema pallidum infizierte Schwangere können die Infektionskrankheit ab der 12. Schwangerschaftswoche an das Ungeborene weitergeben. Entweder kam es früher zu einer Fehlgeburt oder das Neugeborene zeigte das Krankheitsbild der angeborenen Syphilis (Syphilis connata). Auch heute ist die Syphilis keine »ausgestorbene« Krankheit. Seit 2001 ist die Seuche in Europa und Nordamerika wieder auf dem Vormarsch. Doch sie lässt sich wirkungsvoll mit Antibiotika wie Benzylpenicillin-Benzathin (wie Pendysin® 1,2 Mio I.E., Tardocillin® 1200) oder Doxycyclin behandeln. Damit hat diese frühere »Geißel der Menschheit« ihren Schrecken verloren.

Die Wunderdroge entdeckt

Zu Zeiten der Renaissance glaubten die Menschen, nur ein Heilmittel aus der Neuen Welt könne wirksame Hilfe gegen die furchtbare Seuche bringen. Die Erkrankung hatte ja denselben Weg über den Ozean genommen. Der Überlieferung nach führte der Schatzmeister der Provinz Hispania Gonzales das Guajakholz im 16. Jahrhundert nach Europa ein. Gonzales behauptete, er sei durch das Guajakholz von der Syphilis genesen. Diese Nachricht erfüllte die Europäer mit großer Hoffnung. Bis zu diesem Zeitpunkt mussten die Syphiliskranken ihren ganzen Körper tage- oder wochenlang mit Quecksilbersalbe behandeln und anschließend tagelange Schwitzkuren ertragen. Kein Wunder, dass diese Therapie immer wieder zu schweren Quecksilbervergiftungen führte, sodass viele Kranke diese Behandlung ablehnten. Das Guajakholz oder Pockholz ist das sehr harte und schwere Holz von Guaiacum officinale und Guaiacum sanctum, von zwei Bäumen, die 9 bis 12 Meter hoch werden. Sie gehören zur Familie der Jochblattgewächse (Zygophyllaceae). Guaiacum officinale wächst unter anderem auf den Antillen, in Venezuela, Kolumbien und Panama. Guaiacum sanctum ist vor allem auf den westindischen Inseln heimisch.

Ärzte euphorisch

Die Ärzte schwärmten geradezu vom neuen Heilmittel gegen die Syphilis und priesen die neue Wunderdroge. Der Bedarf stieg und die Importeure des Guajakholzes verdienten viel Geld. In Deutschland vergrößerte die reiche Bankiersfamilie der Fugger aus Augsburg mit dem Guajakholz-Handel ihr Vermögen, denn von Kaiser Karl V. hatten sie das Privileg zum Handel mit dem »Lignum sanctum« (heiliges Holz) erhalten. Doch bevor das »Franzosen-Holz« als Tee (Abkochung), Sirup, Latwerge, Destillat oder Extrakt weiterverarbeitet werden konnte, musste das äußerst harte und schwere Holz – schwerer als Wasser – erst zerkleinert werden. Diese mühselige und monotone Arbeit des Zerkleinerns (»Raspeln«) übertrug man in Europa Gefangenen. Deshalb bezeichnete der Volksmund ein Gefängnis schon bald als »Raspelhüss«.

Ritter singt Loblied

Eine Schrift des Humanisten und Reichsritters Ulrich von Hutten (1488 bis 1523) hat entscheidend zum »Siegeszug« des Guajakholzes in Europa beigetragen. Der Syphilis kranke Hutten schrieb im Jahr 1519: »Meinen Beobachtungen nach wirkt das Mittel (Guajakholz) langsam und gleichmäßig, nicht rasch oder stürmisch. Weit entfernt davon, dass ... es die Schmerzen ... rasch lindert, wird im Gegenteil zu Anfang der Cur und für die ersten vierzehn Tage die Krankheit im höchsten Grad acut: Die Qualen nehmen zu, die Geschwüre breiten sich aus und in der That kommt es dem Kranken vor, als ginge es ihm schlechter denn je.« Hutten stirbt mit 35 Jahren an der Syphilis.

Da Guajakholz keine antibakteriellen Inhaltsstoffe enthält, ist es bei Syphilis unwirksam. Wahrscheinlich hielten diejenigen Kranken große Stücke auf die Guajakholz-Kur, weil sie es in einer Phase vorübergehender Besserung angewendet hatten. Der berühmte Arzt Paracelsus (1493 bis 1541) kritisierte die Wunderdroge zum ersten Mal. Paracelsus sah in dem »Franzosengift« ein »fixes Übel, das den ganzen Leib mit Blattern, offenen Schäden, Löchern, Narben, Lähmen verderbt«. Paracelsus hält die Quecksilber-Therapie bei Syphilis für erstrangig, im Guajakholz sieht er nur ein zusätzliches Mittel. Damit zog sich Paracelsus die Feindschaft einiger Ärzte, aber vor allem derjenigen zu, die am Guajakholz-Import verdienten. Den Fuggern gelang es in Nürnberg, den Druck einer Schrift von Paracelsus zu verbieten. Bald gilt das Druckverbot im ganzen Reich.

Guajakholz in der Phytotherapie

Die Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamtes schreibt »Guajaci lignum« folgende therapeutischen Eigenschaften zu: antiphlogistisch, spasmolytisch, aquaretisch. Als Anwendungsgebiet nennen die Experten: »adjuvant bei rheumatischen Beschwerden.«

Etwa um 1530 klang die Guajakholz-­Euphorie in Europa langsam ab. Zur Therapie der Syphilis werden auch andere Mittel eingesetzt: die Chinawurzel aus Ostasien von Smilax chinae, die mittelamerikanische Sarsaparille-Wurzel und das Holz des nordamerikanischen Fenchelholzbaumes. Doch vor allem die Quecksilber-Kuren gewannen wieder an Bedeutung.

Hahnemann und die Syphilis

Sogar der Begründers der Homöopathie Dr. Samuel Hahnemann (1755 bis 1833) bezog die Syphilis noch in seine Miasmen-Lehre ein. Unter dem Begriff »Miasmen« versteht Hahnemann Erbkrankheiten, die er als Basis für die Entwicklung chronischer Krankheiten ansah. Dabei machte der Arzt und Apotheker zunächst drei damals weit verbreitete Krankheiten der Vorfahren für die Entstehung von Organ- und Systemschäden der Nachkommen verantwortlich: Psora (Krätze), Gonorrhö und Syphilis. Nach Hahnemanns Lehre wird der chronischen Krankheit die Basis entzogen und eine Heilung kann erfolgen, wenn die Erbkrankheit durch ein entsprechendes Konstitutionsmittel ausgeleitet wird.

Das homöopathische Mittel Guaiacum enthält das im Guajakholz enthaltene Harz in homöopathischer Verdünnung. Homöopathen setzen dieses Mittel unter anderem bei Patienten mit Tonsillitis, Bronchitis, Gelenkrheumatismus und Gicht ein. /

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