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Gewürze aus aller Welt

Ingwer fördert den Appetit

24.06.2011  13:18 Uhr

Von Brigitte M. Gensthaler / Ingwerplätzchen, kandierter Ingwer und Ginger Ale: Nur in wenigen Speisen und Getränken lieben die Europäer das scharf-würzige Ingwer-Rhizom. In Indien und China hingegen kommen Köche nicht ohne das Gewürz aus.

Ingwer ist eine sehr alte und weit verbreitete Kulturpflanze. Vermutlich stammt sie aus Südchina. Ab dem 2. Jahrtausend v. Chr. finden sich in Indien erste Belege, dass Ingwer auch dort verwendet wurde. In den Mittelmeerraum gelangte das Gewürz um die Mitte des 1. Jahrtausends v. Chr. Ingwer (Zingiber officinale Roscoe) gehört ebenso wie Gelbwurz (Curcuma) und Kardamom zur Familie der Zingiberaceae. Sein Name leitet sich aus dem alt-indischen Sanskrit-Wort Sringa-vera ab, das »geweihförmig« oder »mit Geweihsprossen versehen« bedeutet.

Speise, Grabbeigabe, Heilmittel

Als »Mittel zum Abstimmen und Harmonisieren« bezeichnen Chinesen auch heute noch Gewürze und Würzmittel. Dieses Denken hat eine lange Tradition. Ingwer, Cassia-Zimt und Szechuanpfeffer werden bereits in dem berühmten Buch »Shennongs Klassiker der Drogenkunde« aufgeführt. Der Text entstand nach Beginn der christlichen Zeitrechnung und gilt als erste schriftliche Dokumentation alter bisher nur mündlich überlieferter Heilverfahren. Er enthält Rezepte des legendären Kaisers Shennong (Shen Nung), der vor etwa 5000 Jahren lebte und als Begründer der Landwirtschaft und Vater der Pflanzenkunde gilt.

Dass Ingwer eine wichtige Rolle bei Bestattungen spielte, zeigen Grabfunde und Grabreliefs mit Küchenszenen aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. Damals gaben die Angehörigen den Toten Nahrungsmittel und Gewürze mit auf ihren Weg ins Jenseits. Forscher fanden auch umfangreiche Schriften mit Heilrezepturen, die getrockneten und frischen Ingwer enthielten. Zur innerlichen Anwendung wurden die Gewürze meist mit Wein eingenommen. Zur äußerlichen Anwendung wurden sie oft mit anderen Heilsubstanzen gemischt und für Räucherungen oder heiße Packungen verwendet. Auch sollten sie die Liebeskraft bei Mann und Frau anregen.

Bei den Römern beliebt

Im römischen Reich gehörte Ingwer neben Pfeffer, Kardamom, Zimt, Nelken und Muskatnüssen zu den klassischen Importprodukten aus Asien. Er war eines der billigsten tropischen Gewürze. Auch der Feinschmecker Marcus Gavius Apicius beschreibt in seinem Kochbuch aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. Ingwer als Gewürz in Speisen und Getränken der gehobenen römischen Küche. Vor allem aber diente er ebenso wie Kardamom und Zimt zur Herstellung von Arzneien, Gewürzweinen und Parfümen.

Im Mittelalter war Ingwer in Mitteleuropa fast so beliebt wie Pfeffer. Hildegard von Bingen (1098 bis 1179) nennt in ihren Schriften zahlreiche exotische Gewürze, darunter Pfeffer, Ingwer, Zimt, Muskat und Nelken. Die Beliebtheit zeigt sich auch da­rin, dass Ingwerrhizome nach der Entdeckung Amerikas sehr bald in die Neue Welt gebracht und dort angebaut wurden. Bereits in der Mitte des 16. Jahrhunderts produzierten karibische Plantagen das Gewürz für den europäischen Markt.

Handarbeit bei der Ernte

Heute wird Ingwer in fast allen tropischen Ländern angebaut, wobei Indien der größte Produzent ist. Die schilfähnliche Pflanze wird in warmem niederschlagreichem Klima etwa einen Meter hoch. Viele Bauern kultivieren Ingwer in Fruchtfolge und wechseln regelmäßig die Anbaufläche. Dadurch wird die Pflanze widerstandsfähiger gegen Virenbefall, der sonst ganze Ernten vernichtet.

Der kräftige knapp einjährige Wurzelstock, das Rhizom, wird von Hand geerntet. Die Bauern brechen die Wurzelstöcke sofort auseinander, waschen sie und breiten sie zum Trocknen aus, sofern sie nicht für den Frischverzehr bestimmt sind. Für den sofortigen Verzehr wurden spezielle Sorten gezüchtet mit einem geringeren ­Faseranteil. Wird das Rhizom geschält, resultiert später ein helleres Pulver.

Ingwer hat einen leicht bitteren, scharfen Geschmack und ein erfrischendes zi­tronenartiges Aroma. Die in Deutschland erhältlichen Rhizome sind häufig nur scharf. Fügt man der Speise neben Ingwer noch ein wenig Zitronengras zu, erhält sie dennoch den nötigen »Pfiff«.

Das Rhizom enthält ätherisches Öl mit Sesquiterpenen wie Zingiberen und Zingiberol, nicht flüchtige Scharfstoffe wie Gingerole und Shogaole und Diarylheptano­ide (Curcuminoide). Die Bezeichnung Shogaol leitet sich von dem japanischen Wort für Ingwer »shoga« ab, da ein japanischer Forscher diese Verbindungen entdeckt hat. Bei der Lagerung wandeln sich Gingerole in die Shogaole, weshalb das Rhizom mit der Zeit immer schärfer schmeckt.

Duftbraten mit Ingwer

Ingwer ist in der Küche Chinas und Indiens sehr populär. Fast alle indischen Currys enthalten Ingwer und Knoblauch, oft sogar zu gleichen Teilen. Traditionell werden diese fein gehackt und mit Zwiebeln angeschwitzt. Ingwer wird immer frisch verwendet und zählt zu den »grünen Gewürzen« (hara masala). Fügt man Reis oder Hülsenfrüchten beim Kochen einige Scheiben Ingwer hinzu, verleihen sie dem Gericht eine leichte Schärfe und frischen Duft.

Ein Kennzeichen der chinesischen Küche ist es, Gewürze kurz im Wok anzufrittieren. Dieses »Duftbraten« gelingt mit Ingwer, Zwiebeln und Knoblauch. Noch wichtiger ist die Verwendung für aroma­tische Brühen, die für viele Rezepte ­gebraucht werden.

Japanische Köche gebrauchen nur wenige Gewürze, aber unbedingt Ingwer. Süßsauer eingelegter Ingwer wird als Beilage zu Sushi gereicht. Traditionell essen Japaner eine Ingwerscheibe, wenn sie von einer Sushi-Sorte zur nächsten wechseln. Fleisch wird vor dem Braten mit Ingwersaft mariniert; roh geraspelter Ingwer gibt Salaten eine frisch-scharfe Würze.

Besonders im Himalaya trinken die Menschen gerne Ingwertee, der durch Überbrühen dünner Ingwerscheiben mit kochendem Wasser hergestellt wird. In Sri Lanka ist mit Ingwer gewürzter Schwarztee sehr beliebt.

In Europa verflog die im Mittelalter vorherrschende Begeisterung für das scharfe Rhizom weitgehend. Als Speisen und Getränke haben sich nur Ingwerplätzchen, kandierter Ingwer, der Softdrink Ginger Ale und das leicht alkoholische Ginger Beer behauptet. Sehr gut eignet sich frischer geriebener Ingwer auch als Beigabe zu süßen Kompotten und Marmelade.

Hilfe gegen Unwohlsein

Doch nach wie vor wird Ingwer als Acrio-aromaticum geschätzt, das die Bildung von Speichel und Magensaft stimuliert. Unter Experten ist umstritten, ob das Gewürz auch die Darmperistaltik anregt. Außerdem wirkt Ingwer antiemetisch. Als Anwendungsgebiete empfiehlt die Kommission E des früheren Bundesgesundheitsamts Appetitlosigkeit, dyspeptische Beschwerden und die Verhütung der Reiseübelkeit. Wer erfahrungsgemäß auf Reisen an Übelkeit, Schwindel oder Erbrechen leidet, kann eine halbe Stunde vor Reiseantritt zwei Kapseln mit gepulvertem Rhizom einnehmen und dies – falls nötig – nach vier Stunden wiederholen. Bei Verdauungsproblemen helfen 20 Tropfen Ingwertinktur vor der Mahlzeit eingenommen.

Gekühlter Ingwertee ist ein spritziger Durstlöscher im Sommer und mit Apfel- oder Holundersaft verfeinert ein köstlicher alkoholfreier Partydrink. /

Ingwertee mit Apfelsaft

Einen halben Liter Wasser mit einem Stück frischer Ingwerwurzel (circa 3 cm lang und in feine Scheiben ­geschnitten) aufkochen und damit 1 Esslöffel Schwarztee übergießen. Nach Belieben noch Ingwerpulver ­zugeben. Tee ziehen lassen und danach abseihen.

In den abgekühlten Tee den Saft einer Zitrone geben, kalt stellen und mit 300 ml Apfelsaft (oder Holundersaft) auffüllen. Zerstoßenes Eis in ein großes Glas geben, mit Ingwertee auffüllen und mit einer Zitronenscheibe oder Minzblättchen garnieren.

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