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Hörsturz

Abwarten und kürzertreten

Einen Hörsturz erleiden Jahr für Jahr drei von 1000 Menschen, berichtet der Medizinische Dienst der Kranken­kassen. Die Betroffenen können von einem Moment auf den anderen nicht mehr richtig hören, oft kommen Ohrgeräusche, ein Druckgefühl oder Schwindel hinzu. Dann ist es erforderlich, zur Diagnose der Beschwerden einen Arzt aufzusuchen.
Barbara Erbe
23.03.2015  10:53 Uhr
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Dies ist ein Beitrag aus unserem Archiv. Die Inhalte sind unter Umständen veraltet. Aktuelle Informationen zum Thema finden Sie auf unserer Themenseite Ohren.

Als Hörsturz bezeichnen Mediziner, wenn plötzlich und ohne offensicht­liche Ursache einseitige Hörprobleme bis hin zum kompletten Hörverlust auftreten, erläutert Dr. Jan Löhler, Facharzt für HNO-Heilkunde in Bad Bram­stedt und Landesvorsitzender Schleswig-Holstein des Deutschen Berufsverbandes der HNO-Ärzte.

»Meist verspürt der Betroffene ein dumpfes Gefühl wie ›Watte im Ohr‹, manchmal kommt auch ein akuter Tinnitus dazu, Schmerzen eher nicht.« Da neben dem Hörsturz auch andere Ursachen zur akuten Innenohrschwerhörigkeit führen können, so beispielsweise Tuben­katarrh (Entzündung der Ohrtrom­pete), Paukenerguss, Herpes-Infektion am oder im Ohr (Zoster oticus) oder auch einfach Ohrenschmalzpfropfen, rät Löhler allen Betroffenen, die Sache möglichst rasch von einem HNO-Arzt klären zu lassen.

Der fragt in aller Regel zunächst nach den Symptomen und danach, wie lange die Beschwerden schon bestehen. Könnten sie auf äußere Einflüsse zurückgehen? Oder Folge von Erkrankungen oder bestimmten Medikamenten sein? Anschließend wird das Ohr mit einem Ohrmikroskop untersucht und mit dem sogenannten Weber- Versuch getestet. Dabei setzt der Arzt dem Patienten eine schwingende Stimmgabel auf den Scheitel. Da sich deren Ton über die Knochen ausbreitet, nimmt ein Gesunder ihn auf beiden Seiten gleich stark wahr. Bei einem Hörsturz aber empfindet er den Ton mit dem gesunden Ohr lauter. Schließlich prüft der Facharzt Bereich und Schweregrad der Hörstörung mithilfe einer Tonaudiometrie, die zeigt, ab welcher Lautstärke der Patient die Töne des hörbaren Frequenzbereichs wahrnimmt.

Mögliche Ursache Durchblutungsstörungen

So weit, so klar. Wie ein Hörsturz aber entsteht und was ihn auslöst, darüber sind sich die Experten noch immer nicht abschließend einig. Hauptsächlich diskutieren sie Durchblutungs­störungen in den Gefäßen im Ohr als Ursache, erläutert Löhler, der auch an der HNO-Leitlinie zur Behandlung des Hörsturzes mitgewirkt hat. »Immerhin versorgt das Blut Innenohrschnecke und Hörorgan mit Nährstoffen. Durchblutungsstörungen behindern diese Versorgung und auch den Abtransport von Abfallstoffen. Dadurch schädigen sie die Haarzellen des Hörorgans, das dann die Druckschwingungen von Schallwellen nicht mehr richtig aufnehmen kann.«

Ein möglicher Auslöser von Durchblutungsstörungen im Ohr ist Stress, denn die damit verbundene vermehrte Adrenalinausschüttung verengt die Kapillargefäße. Aber auch Verspannungen oder Verschleißerscheinungen der Halswirbelsäule – auch als Folge eines Schädel- beziehungsweise »Schleudertraumas« – kommen in Frage, ebenso Blutdruckschwankungen, ein Schlaganfall, Herz-Kreislauf-Probleme oder Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus. »Jeder Faktor für sich kann zu Gefäßveränderungen im Innenohr führen, die sich ungünstig auf die Ohrdurchblutung auswirken und einen Hörsturz begünstigen«, erläutert Löhler.

Neben Durchblutungsstörungen kommen noch weitere Ursachen für einen Hörsturz in Frage. Hier nennt der HNO-Arzt Virusinfektionen, beispielsweise im Rahmen einer Influenza oder von Masern, Mumps, einer HIV- oder Herpes-Erkrankung. Auch bakterielle Infektionen können mit entzündlichen Veränderungen des Innenohres einhergehen, so etwa infolge einer Mittelohrentzündung oder einer Borreliose.

»Nicht zuletzt kann auch ein hef­tiger Schlag aufs Ohr oder das Heben einer schweren Last das runde Fenster im Innenohr verletzen, sodass von dort Perilymphe ins Mittelohr austritt. Man spricht hier von einer Perilymphfistel«, ergänzt der Facharzt. Als Risikofak­toren eines Hörsturzes gelten neben Stress vor allem Bluthochdruck, übermäßiges Rauchen und erhöhte Cholesterolspiegel.

Insgesamt verläuft jeder Hörsturz sehr unterschiedlich, und die Spontanheilungsrate ist relativ hoch, betont die Sprecherin des GKV-Spitzenverbandes Ann Marini. »Beim idiopathischen – also ohne erkennbare organische Ur­sache ausgelösten – Hörsturz wird eine Vielzahl von Therapien angewandt, deren Wirksamkeit bisher nicht wissenschaftlich nachgewiesen ist.« Da auch der therapeutische Nutzen von durchblutungsfördernden Mitteln wissenschaftlich nicht belegt ist, sei es der gesetzlichen Krankenversicherung nicht möglich, die Kosten dieser Therapien zu übernehmen, so Marini.

Ein Hörsturz schränkt die Lebensqualität eines Patienten aber erheblich ein. Daher hält die S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals- Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie einen Behandlungs­versuch trotz allem für gerechtfertigt. »Wir setzen dabei auf zwei Arten von Medikamenten«, erläutert Koautor Löhler, »zum einen auf – zur Zeit allerdings nicht verfüg­bare – Rheologika, die die Fließeigenschaften des Blutes verbessern, zum anderen auf den Stoffwechsel beeinflussende Glucocorti­coide.« Vor allem bei Verdacht auf eine Entzündung empfiehlt die Leitlinie eine abschwellende und antientzündliche Behandlung mit einem Cortisonprä­parat. GKV-Sprecherin Ann Marini sieht darin ein Problem: »Es gibt einfach bisher keine aussagekräftigen Studien, die den Nutzen dieser Behandlung nachweisen.«

Das bestreitet auch Löhler nicht. »Dennoch gibt es seriöse positive Hinweise, dass diese Medikamente helfen.« Die Hersteller der in Frage kommenden Cortisonpräparate hätten allerdings aufgrund der damit verbun­denen Kosten deren Zulassung zur Behandlung eines Hörsturzes beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bislang nicht beantragt. Deshalb könnten Ärzte die Produkte momentan nur im Off-Label-Use verschreiben.

»Private Versicherer bezahlen die Behandlung mit Cortisonpräparaten in der Regel. Wer gesetzlich versichert ist, muss sie aber selbst finanzieren.« Löhlers Einschätzung nach sind das nicht wenige Patienten, vor allem solche mit einem schweren Hörsturz.

Selbstverständlich müssen Begleit­erkrankungen ebenfalls behandelt werden, etwa mit Virustatika, Anti­biotika oder einer Chirotherapie der Hals-Wirbel-Säule. Bei Bedarf sollten andere behandelnde Ärzte zusammenwirken und auch Blutzucker und Blutdruck einstellen.

Vor allem aber müssen Betroffene nach einem Hörsturz unbedingt kürzer treten. Denn dass Stress bei der Entwicklung eine Rolle spielt, gilt weithin als belegt. In der Regel werden Patienten deshalb auch für einige Zeit krankgeschrieben. Aufs Rauchen sollten sie komplett verzichten.

Entspannung heißt das Zauberwort

Wird der Hörsturz frühzeitig behandelt, bleiben bei 60 bis 90 Prozent der Betroffenen keine Gehörschäden zurück, berichtet HNO-Arzt Löhler. Die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Hörsturzes liege aber bei 30 Prozent. »Das bedeutet, vor allem Patienten mit fortbestehenden Risikofaktoren wie Bluthochdruck oder anhaltendem Stress sind gefährdet.«

Die Betroffenen können zwar einen weiteren Hörsturz nicht direkt verhindern. »Aber sie sollten sich keinem Dauerstress aussetzen, sich immer wieder Momente der Entspannung gönnen und sich aus dem Alltagslärm zurückziehen.« Patienten mit einem akuten Infekt wie einer Influenza brauchen Schonung und dürfen ihre Erkrankung nicht auf die leichte Schulter nehmen. Raucher sollten darüber hinaus ihren Nikotinkonsum überdenken, da dies neben vielen anderen gesundheitlichen Schäden auch die Gefahr eines Hörsturzes erhöht. Patienten mit einer chronischen Erkrankung wie Diabetes, Bluthochdruck oder Hypercholesterolämie lassen sich am besten regelmäßig ärztlich durchchecken und melden gesundheitliche Probleme sofort ihrem Arzt.