Alles begann mit einer Tasse Kakao |
23.03.2015 10:53 Uhr |
Von Edith Schettler / Die Entdeckung der ersten Diuretika ist überwiegend von glücklichen Zufällen geprägt. Meist fiel Ärzten oder Patienten die diuretische Wirkung als Nebenwirkung anderer Arzneimittel auf.
Die älteste Stoffgruppe, deren diuretischer Effekt therapeutisch genutzt wurde, sind die Purine. Lange vor der Entdeckung Amerikas verwendeten die Azteken bereits die Früchte des Kakaobaumes (Theobroma Cacao) als Arznei. Bei Ausgrabungen in Südamerika fanden Archäologen in über 2600 Jahre alten Töpfen Überreste von Kakao, die sie anhand ihres Theobromingehaltes identifizieren konnten. Kakaosamen enthalten zu 0,9 bis 3,0 Prozent Theobromin, das für die diuretische Wirkung verantwortlich ist.
Auch in den Heilungszeremonien der Indianer Mittelamerikas spielte Kakao eine wichtige Rolle: Nach Abschluss der Gebete und Tänze überreichte der Medizinmann dem Patienten einen Becher Kakao, der mit Chili, Honig, Tabaksaft und meist auch mit verschiedenen Kräutern versetzt war. Vermutlich galt der Trunk als Allheilmittel, denn er soll unter anderem auch zur Herzstärkung und gegen Nierenleiden Verwendung gefunden haben.
Mit den ersten Reisen in die Neue Welt im 15. Jahrhundert brachten die Spanier den Kakao neben anderen exotischen Pflanzen nach Europa. Hier war er zunächst nur den Königen und weiteren privilegierten Kreisen als Genussmittel vorbehalten. Doch schon bald entdeckten ihn die Mediziner als Stärkungsmittel. Die diuretische Wirkung des Kakaos bemerkte der spanische Hofarzt Antonio Colmenero de Ledesma Mitte des 17. Jahrhunderts. Er berichtete, Schokolade provoziere vermehrtes Wasserlassen und könne Steinleiden kurieren. Fortan verordneten Ärzte Patienten mit Nierenerkrankungen und Urinierschwäche Schokolade als Diuretikum.
Nebenwirkung des Quecksilbers
Nach den Purinen hielten die Quecksilberverbindungen als Diuretika Einzug in die Medizin. Auch hier fiel die diuretische Wirksamkeit zuerst als Nebenwirkung auf. Viele Patienten, die Kalomel (Quecksilber-I-chlorid) als Laxans einnahmen, oder Syphiliskranke, die lokal Sublimat (Quecksilber-II-chlorid) einsetzten, berichteten, dass sie vermehrt Wasser lassen mussten.
Vom Kaffee bestens bekannt, doch auch Kakao fördert die Diurese.
Foto: Colourbox
Basierend auf diesen Beobachtungen synthetisierte der deutsche Chemiker Otto Diels (1876–1954) im Jahr 1906 die organische Quecksilberverbindung Mersalyl. Diese meldete die Firma Hoechst im Jahr 1925 unter dem Namen Salyrgan® erstmals als Diuretikum zum Patent an.
Bis in die 1950er-Jahre waren Quecksilberdiuretika dann der Therapiestandard für die Diurese. Wegen ihrer Toxizität suchten Forscher jedoch bald nach verträglicheren Alternativen. Wieder half der Zufall, als bekannt wurde, dass auch Sulfonamide die Diurese steigern. Die Substanzklasse war nicht neu, denn in den 1930er-Jahren hatte der deutsche Nobelpreisträger Gerhard Domagk (1895–1964) mit Prontosil® (Sulfanilamid) das erste bakteriostatische Chemotherapeutikum entwickelt.
Daraufhin hatten Forscher in den Folgejahren zahlreiche strukturell abgewandelte Sulfonamide synthetisiert und die Palette der auf dem Markt verfügbaren Sulfonamide wuchs. Da die Arzneistoffe breite Anwendung fanden, fielen auch ihre Nebenwirkungen schnell auf.
Sulfonamide mit diuretischer Wirkung
So berichtete der US-amerikanische Nephrologe William Schwartz (1922–2009) im Jahr 1949, bei drei seiner Patienten, die aufgrund einer Herzinsuffizienz an Ödemen litten, hätte die Gabe des Antibiotikums Sulfanilamid nicht nur gegen die Infektion geholfen, sondern auch gegen die Ödeme. Daraufhin behandelte Schwartz Freiwillige mit hohen Dosen Sulfanilamid, musste jedoch feststellen, dass der Arzneistoff für eine Langzeitbehandlung zu toxisch war.
Diese Aussage rief die Chemiker auf den Plan. Nur ein Jahr später, also 1950, kam Acetazolamid auf den Markt. Die Substanz ist noch heute im Handel, wird allerdings vor allem zur Glaukombehandlung eingesetzt. Im Jahr 1957 folgte die Markteinführung der mittlerweile weniger gebräuchlichen Substanz Chlorothiazid durch die Firma MSD Sharp & Dohme, zwei Jahre später das Hydrochlorothiazid – noch heute Bestandteil vieler gängiger Antihypertensiva.
Diese Thiaziddiuretika hemmen den aktiven Rücktransport von Natrium- und Chlorid-Ionen aus dem Primärharn, indem sie den sogenannten Cotransporter blockieren. Durch einen osmotischen Effekt führt dies zur gesteigerten Wasserausscheidung. In der Folge werden mit dem Harn auch vermehrt Kalium und Magnesium ausgeschieden, Calcium reichert sich in den Nierenkanälchen an. Die daraus resultierende Verschiebung des Mineralienhaushaltes ist für einige Nebenwirkungen dieser Arzneistoffe verantwortlich.
Zahlreiche Abwandlungen der Molekülstruktur
Die Suche nach potenteren und verträglicheren Diuretika ging weiter. Besonders erfolgreich waren dabei zwei Forscher der Farbwerke Hoechst, der Chemiker P. Hajdu und der Mediziner Roman Muschaweck (1918–2007). Hajdu ersetzte die Ringstruktur des Benzothiadiazins durch einen offenkettigen Substituenten, behielt jedoch die Sulfonamid-Struktur bei und ergänzte diese um eine Furylmethyl- und eine Carboxylgruppe.
Dem Mediziner Muschaweck oblag es dann, die neuen Diuretika auf ihre Wirksamkeit zu prüfen. Dabei widmete er sich besonders der Substanz Hoe 058, da diese in seinen Augen den größten Erfolg versprach. Über die widrigen Umstände bei der Erprobung dieser Substanz schrieb er: »Ich glaubte nicht, dass mit den Thiaziden das Ende der Saluretika erreicht sei. Vielmehr nahm ich an, dass noch andere Angriffspunkte und auch neue Wirkungsprinzipien vorhanden seien. Meine Vorstellungen und Pläne lösten bei den Berufskollegen und den klinischen Mitarbeitern zunächst nur Lächeln aus.«
Unerschütterlicher Forschergeist
Obwohl die Kollegen Muschawecks erste Befunde anzweifelten und als zufällig bezeichneten, ließ sich der Mediziner nicht beirren. Doch noch weitere Widrigkeiten erschwerten seine Arbeit. Er hatte beispielsweise keine Rechenmaschine zur Verfügung, um seine Befunde auszuwerten. Dazu schrieb Muschaweck: «... solche Geräte waren das Privileg der Kaufleute. Selbst besaß ich nur einen überdimensionalen Rechenschieber.«
Muschaweck führte als Pharmakologe seine Toxizitätsuntersuchungen selbst durch. Nachdem er die akute, subakute beziehungsweise subchronische Applikationen von Furosemid an verschiedenen Tierarten abgeschlossen hatte und mit den Befunden zufrieden war, sollten chronische Toxizitätsuntersuchungen folgen. Doch diese konnte die toxikologische Abteilung »mangels Kapazitäten« nicht übernehmen. Also war wieder Muschawecks Labor gefordert, der daraufhin selbst die Pläne für Jahrestoxizitäten an verschiedenen Tierarten ausarbeitete.
Um die Versuche über ein Jahr täglich kontrollieren zu können, verzichtete er auf Wochenenden und Urlaub und fuhr mit einem roten Fahrrad, das er dem Werksleiter in seiner hartnäckigen Art regelrecht abgerungen hatte, sommers wie winters die an verschiedenen Standorten untergebrachten Tierbehausungen ab. Dies brachte ihm bald den Beinamen »Roter Radler« ein.
Mit dieser Zielstrebigkeit gelang es ihm, die von der Food and Drug Administration (FDA) für das Zulassungsverfahren geforderten Toxizitätsprüfungen erfolgreich abzuschließen. Die Firma Hoechst verdankt es damit dem persönlichen Engagement Muschawecks, dass sie die Substanz Hoe 058 beziehungsweise Furosemid im Jahr 1959 unter dem Namen Lasix® zum Patent anmelden konnte.
Erster Vertreter der Schleifendiuretika
Überraschend für die Forscher war die Erkenntnis, dass der Wirkmechanismus von Furosemid nicht identisch mit dem der Thiaziddiuretika ist. Es wirkt nicht wie erwartet am frühdistalen Tubulus, sondern an der Henle’schen Schleife, was die wesentlich stärkere Wirkung erklärt. Muschaweck hatte dem ersten Schleifendiuretikum auf die Welt verholfen.
Schleifendiuretika hemmen den Cotransporter für Natrium-, Kalium-und Chlorid-Ionen am aufsteigenden Teil der Henle’schen Schleife und verstärken so deren Ausscheidung. Ihr häufigstes Indikationsgebiet ist die Behandlung der Hypertonie. Daher werden sie in den Leitlinien der Deutschen Hochdruckliga und der Deutschen Gesellschaft für Hypertonie und Prävention ebenso erwähnt wie in denen der European Society of Hypertension (ESH) und anderer internationaler Gesellschaften. Die am besten untersuchte Standardsubstanz ist nach wie vor das Furosemid.
Darüber hinaus finden Schleifendiuretika Anwendung bei der Behandlung von Patienten mit Herz- und Niereninsuffizienz, Lungen- und Lebererkrankungen, die mit Ödemen einhergehen, aber auch von nicht-ödematösen Erkrankungen wie Diabetes insipidus. /