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Botulismus

Die Gefahr in der Wurst

11.04.2016  09:51 Uhr

Von Edith Schettler / Infektionen mit dem Erreger Clostridium ­botulinum sind bei Menschen relativ selten, obwohl die anaeroben Bakterien weltweit vorkommen. In Deutschland werden dem Robert-Koch-Institut jährlich rund 20 Fälle gemeldet. Die Erkrankung geht mit einer hohen Sterblichkeit einher.

Bei Botulismus unterscheidet man zwei Formen: die akute Form, die bei Menschen vorkommt, und die chronische, die bei Rindern auftritt. Das grampositive Stäbchenbakterium Clostridium botulinum ist verwandt mit den Erregern des Tetanus (Clostridium tetani) und des Gasbrandes (Clostridium perfringens) – alle Auslöser lebensbedrohlicher Infektionen. Die Clostri­dien selbst sind keine Gefahr für den menschlichen Organismus, denn die Magensäure und ein intaktes Immunsystem werden schnell mit ihnen fertig. Das eigentliche Problem sind die Toxine, die als Stoffwechselprodukte im Wirt oder in geeignetem Substrat entstehen. Dieser Prozess geschieht sogar in Lebensmittelkonserven, denn als Anaerobier finden die Bakterien unter Sauerstoffabschluss optimale Lebensbedingungen. Die Toxine der Clostri­dien gehören zu den stärksten natür­lichen Nervengiften und entfalten im Körper selbst dann noch ihre zerstöre­rische Wirkung, wenn der eigentliche Erreger längst nicht mehr nachweisbar ist. Die letale Dosis von Botulinum-Neurotoxin für den Menschen beträgt 0,001 µg pro Kilogramm Körpergewicht.

Verborgene Rinderseuche

Clostridium botulinum kommt weltweit im Erdboden und in küstennahen Gewässern vor. Wildtiere und Wasservögel nehmen es über ihre Nahrung auf, ohne selbst ersichtlich zu erkranken. In ihrem Darm leben die Bakterien vermutlich als Bestandteil der Darm­flora und gelangen über den Kot der Tiere wieder in die Umwelt.

Während der maschinellen Heuernte werden zudem auf den Feldern nicht selten Mäuse oder Vögel mit zerhäckselt. Waren diese mit Clostridien infiziert, entstehen während des Reifeprozesses des Grases zu Silage unter Luftabschluss die toxischen Stoffwechselprodukte der Bakterien. Fressen nun Rinder mit Kadavern von Wildtieren verunreinigtes Futter, können sie chronischen Botulismus entwickeln und an den aufgenommenen Botulinum-Neurotoxinen erkranken. Diese Vergiftung verläuft in vielen Fällen schleichend, sodass nicht auszuschließen ist, dass kontaminiertes Fleisch sowie belastete Milch oder Milchprodukte in den Verkehr gelangen.

Wie viele Rinder chronisch an Botulismus erkrankt sind, ist nicht bekannt, denn die Erkrankung ist in Deutschland nicht meldepflichtig. Noch sind sich die Wissenschaftler nicht darüber einig, warum manche Tiere mit Clostridien infiziert sind, aber dennoch keine Krankheitszeichen zeigen, andere Tiere jedoch an den Toxinen verenden. In Südafrika sind bereits ein Impfstoff und Antitoxine für Rinder zugelassen, in Deutschland dürfen diese Arzneimittel nur mit einer Sondergenehmigung angewendet werden.

Meldepflichtige Fälle

Clostridien sind Sporenbildner und können Desinfektionsmaßnahmen über­dauern. Länger als 5 Minuten anhaltende Temperaturen über 100 °C töten die Bakterien und ihre Sporen jedoch ab. Auch die Toxine sind als Eiweißkörper nicht unbegrenzt hitzeresistent. Wenn nun Fleisch- oder Wurstkonserven nicht lange oder hoch genug erhitzt werden, finden die Sporen in der luftdichten Verpackung optimale Bedingungen zu ihrer weiteren Vermehrung und beginnen wieder mit der Produk­tion von Toxinen. Nimmt ein Mensch diese Toxine über die Nahrung auf, erkrankt er an akutem Botulismus. Der akute Botulismus ist als Vergiftung nicht ansteckend. Diese Vergiftungsfälle sind in vielen Ländern, so auch in Deutschland, meldepflichtig.

Als erste Mediziner beschrieben Justinus Kerner (1786–1862) und Johann Georg Steinbuch (1770–1818) im Jahr 1817 die Symptome, den Verlauf und die Therapie des akuten Botulismus beim Menschen. Sie bezeichneten die Krankheit als »Wurstvergiftung«, der Name Botulismus entstand in Anlehnung an das lateinische Wort »botulus« für »Wurst«. Der chronische Botulismus trägt Kerner zu Ehren auch die Bezeichnung »Morbus Kerner«.

Die weitaus häufigste Form ist der durch Lebensmittel bedingte Botulismus. Doch neben der Aufnahme des Erregers oder seiner Toxine mit der Nahrung können die Clostridien auch auf anderem Weg in den Körper gelangen, beispielsweise über Wunden. Im Jahr 2015 infizierten sich vor allem in der Drogenszene Schwedens und Schottlands zahlreiche Abhängige: Damals spritzten sie mit Sporen kontaminiertes Heroin. Die Gefahr des sogenannten Inhalationsbotulismus, das heißt Erreger oder die Toxine einzu­atmen, existiert vor allem für die Mitarbeiter in Labors, in denen Lebensmittel untersucht werden.

Sporen im Honig

Säuglinge können an einer Infektion mit Clostridium botulinum erkranken, da ihr Verdauungstrakt noch nicht so weit ausgereift ist, dass die Magensäure verschluckte Bakterien oder Sporen abtötet. Dann vermehren sich bei ihnen die Keime im Darm und produzieren Toxine, die das Krankheitsbild des Botulismus auslösen. Die Infektion wird als viszeraler oder Säuglingsbotulismus bezeichnet. Sie trat vor allem in den 1980er-Jahren häufiger auf und wurde auf die Aufnahme von mit Botulinumsporen kontaminiertem Honig zurückgeführt. Zusammen mit Pollen und Nektar sammeln Bienen die Bakterien unbeabsichtigt und lagern sie im Honig mit ein, wo die Sporen lange Zeit überleben. In einer großen Aufklärungskampagne wurden die Mütter auf das Problem aufmerksam gemacht, sodass sie ihren Babys keinen Honig mehr gaben. Auch die Hersteller von Säuglingsnahrung verzichteten auf den Zusatz von unsterilem Honig und aus den Apothekenregalen verschwanden damals alle Hustensäfte für Säuglinge, die Honig enthielten.

Eile geboten

Botulinum-Neurotoxine blockieren die neuromuskulären Synapsen und verhindern die Ausschüttung der Transmittersubstanz Acetylcholin, sodass der Muskel nicht auf den Nervenimpuls reagieren kann. Daher sind symmet­rische Muskellähmungen für akuten Botulismus charakteristisch. Typischerweise beginnen sie am Kopf und setzen sich absteigend am ganzen Körper fort. Dem Patienten fallen zunächst meist Sehstörungen auf oder Schwierigkeiten, seine Lider zu bewegen. Im weiteren Verlauf entstehen Mundtrockenheit, Sprech- und Schluckstörungen, Erbrechen und Durchfall, bis schließlich der Tod durch Lähmung der Atmung oder des Herzmuskels eintritt.

Schwierige Diagnose

Für Ärzte ist es nicht ganz einfach, Bolutismus zu diagnostizieren. Anhand der klinischen Symptome und der Anamnese des Patienten stellen sie eine Anfangsdiagnose, die üblicherweise durch einen Laborbefund erhärtet werden muss. Bei Botulismus ist das der schwierigste Teil der Diagnostik, denn vom Botulinum-Neurotoxin sind sieben Serotypen und mehr als 40 Subtypen bekannt. Da das Toxin bereits im Nanogrammbereich seine tödliche Wirkung entfaltet, gelingt der Nachweis nur mit empfindlichen Analysemethoden. Über diese verfügen lediglich Speziallabors wie das Zentrum für Biologische Gefahren und Spezielle Pathogene am Robert-Koch-Institut in Berlin. Liegt die Konzentration des Toxins im Patientenserum jedoch unterhalb der Nachweisgrenze, ergibt sich ein falsch negativer Laborbefund.

Der alleinige Nachweis des Bakteriums im Darm oder einem anderen Organ des Patienten hat keine Beweiskraft. So ist als Beweis für Botulismus einzig der Nachweis biologisch aktiven Botulinum-Neurotoxins anerkannt.

Die Therapie muss innerhalb der ersten 24 Stunden nach Einsetzen der Symptomatik erfolgen. Dazu verabreicht ein Arzt dem Patienten Botulismus-Anti­toxin vom Pferd. Die Notfalldepots der Apothekerkammern halten ein trivalentes Antitoxin gegen die Serotypen A, B und E ständig vorrätig. Bei ärztlicher Verordnung können es die Apotheken dort zeitnah anfordern und kommen damit ihrer Verpflichtung gemäß § 15 Apothekenbetriebsordnung zur Vorratshaltung von Notfallmedikamenten nach. Das Antitoxin bindet nur das freie Toxin im Blut und wirkt nicht gegen das bereits an Nervenstrukturen gebundene Gift. Deshalb können die Ärzte keinesfalls das Ergebnis der Labortests abwarten und müssen unverzüglich mit der Therapie beginnen. Kinder und Erwachsene erhalten die gleiche Dosis von dreimal 250 ml als Infusion. Nur bei Wundbotulismus muss der Patient parallel Penicillin G einnehmen.

Prävention ist besser

Mit wenigen Grundkenntnissen kann jeder einer Vergiftung oder Infektion vorbeugen. Zwar kann sich Clostridium botulinum in allen vakuumverpackten Lebensmitteln vermehren. Allerdings sind Industriekonserven heutzutage kaum noch eine Gefahr, da die Hersteller diese ausreichend sterilisieren, bevor sie in den Handel kommen, oder Konservierungsmittel einsetzen. Sollte trotzdem eine Konserve durch Gasbildung aufgebläht sein, sollten die Verbraucher diese ungeöffnet dem zuständigen Veterinäramt zur Untersuchung übergeben. Dieses leitet dann die erforderlichen Maßnahmen ein, um die Infektionsquelle zu ermitteln.

Die meisten Vergiftungsfälle entstehen jedoch durch hausgemachte Konserven wie eingekochtes Gemüse, eingelegten Fisch oder auch Wurstwaren aus Hausschlachtung. Vor allem Ostsee­heringe sind häufig mit Clostridium botulinum kontaminiert. Hobbyköche sollten eingewecktes Fleisch stets zweimal erhitzen, um auch ausgekeimte Sporen abzutöten. Sauer eingelegtes Gemüse oder Fisch müssen in Essig mit mindestens 1 Prozent Säuregehalt konserviert werden, sodass ein pH-Wert von maximal 4,5 erreicht wird. Um der Vermehrung der Erreger vorzubeugen, raten Experten außerdem zur lückenlosen Kühlung des Eingelegten bei Temperaturen von möglichst unter 3 °C. Dasselbe gilt für Urlaubsmitbringsel wie vakuumverpackte Wurst oder Fisch. Problematisch sind mild gesalzene oder nicht vollständig abgetrocknete Produkte aus privater Kleinherstellung.

Einsatz für die Schönheit

Manche Menschen nutzen freiwillig die Wirkung des Botulinum-Neurotoxins, um Fältchen oder Falten durch Lähmung der mimischen Muskulatur zu glätten. Dazu lassen sie sich von plastischen Chirurgen oder einem Hautarzt stark verdünnte Lösungen, bekannt als Botox, unter die Haut injizieren. Vermutlich weiß wohl kaum eine Kundin oder ein Kunde einer Schönheitsklinik, dass die Wirksamkeit jeder Charge eines Botulinum-Neurotoxin-Medikamentes an mindestens 100 Mäusen getestet werden muss. Weltweit sterben so jährlich mehr als 600 000 Tiere.

Doch auch als Arzneimittel finden die Serotypen A und B Anwendung, beispielsweise bei Hyperhidrose oder um Lidkrämpfe oder spastischen Schiefhals zu beheben. /