Erste Hilfe auf hoher See |
11.04.2016 09:51 Uhr |
Von Christiane Berg / Ob schwere Unfälle oder leichte Blessuren: Anders als an Land, wo der Notarzt schnell zur Stelle ist, sind Freizeit-Skipper und auch Segler bei Unglücks- und Krankheitsfällen an Bord zunächst auf sich allein gestellt.
Rautek-Rettungsgriff, Herz-Druckmassage oder stabile Seitenlage: »Wer sich auf See begibt, sollte Kenntnisse in Basismaßnahmen der ersten Hilfe sowie zur Versorgung von Wunden, orthopädischen Problemen und Verbrennungen besitzen«, konstatierte Dr. Fabian Steffen, Hamburg, im Gespräch mit dem PTA-Forum.
Auf einem Segelboot kann es schnell zu kleinen Verletzungen kommen, bis hin zu dem Risiko, vom unkontrolliert umschlagenden Baum getroffen zu werden.
Foto: Colourbox
Der Arzt riet eindringlich dazu, spezifische Techniken vorab im Rahmen entsprechender Seminare zu trainieren. »Erst im Bedarfsfall in ein Buch zu schauen, ist nicht vielversprechend«, so der Anästhesist, Intensiv- und Notfallmediziner, der sich zurzeit in der Weiterbildung zum Allgemeinmediziner befindet. Steffen ist selbst ein begeisterter Wassersportler und außerdem viel mit seinem Segelboot auf der Ostsee unterwegs.
Ob küstennahe oder große Fahrt, Steffen betont: »Erste Hilfe auf einem Segelschiff bedeutet, körperliche und gesundheitliche Probleme mehrere Stunden oder Tage lang gegebenenfalls bis zum ersten Land- und Arztkontakt allein bewältigen zu können. Mehr noch: Gerade kleinere Blessuren sollten selbstständig versorgt werden können, da eine Unterbrechung der Reise oftmals nicht möglich ist.«
Zudem könne sich anderenfalls selbst aus einer Lappalie sehr schnell ein großes medizinisches Problem entwickeln. So zum Beispiel kann aus einer banalen Verletzung auch eine Wundinfektion entstehen.
Selten, aber nicht auszuschließen seien lebensbedrohliche Situationen, zum Beispiel Bewusstlosigkeit mit Atemstillstand und/oder Gehirnerschütterungen nach Stürzen oder Schlägen vom Baum (unterer Ausleger am Segel) an den Kopf. Mit etwa 60 Prozent, so Steffen, stehen jedoch orthopädische Probleme wie Bänderdehnungen, Prellungen, Verstauchungen, Verrenkungen oder Knochenbrüche ganz vorn bei den möglichen körperlichen Komplikationen.
Etwa 30 Prozent machen Wunden aller Art wie Schürf-, Quetsch-, Schnitt-, Riss- und Stichwunden aus, zum Beispiel wenn der Arm zwischen Festmacher und Bordwand oder der Finger in Seilwinden klemmt. Mit etwas mehr als 10 Prozent, so Steffen, folgen Verbrennungen, wozu auch Sonnenbrände und lokale Brandwunden infolge des schnellen Durchrauschens von Leinen und Schoten durch die Handinnenflächen zählen.
Lebensbedrohliche Situationen wie Herzinfarkt und Schlaganfall seien an Bord ebenso häufig wie an Land. Auch könne es zu Unterkühlungen oder Thrombosen kommen. Und wie an Land sei natürlich auch auf See niemand vor banalen Erkrankungen gefeit, beispielsweise vor grippalen Infekten mit Fieber und Gliederschmerzen beziehungsweise Magen-Darm-Erkrankungen, Husten, Schnupfen, Heiserkeit und Halsschmerzen.
Professionelle Bordapotheke
Dann, so Steffen, ist systematisches Vorgehen angesagt: »Gerade im Notfall kommt es darauf an, das Richtige zu tun.« Orthopädische Unglücksfälle sollten stets nach dem sogenannten PECH-Schema (Pause-Eis-Kompression-Hochlagern) versorgt werden. »Pause« bedeute im Idealfall die Ruhigstellung betroffener Extremitäten mit wasserfesten Bandagen oder professionellen Schienen.
Das erste Ziel bei Wunden ist stets die Vermeidung von Infektionen. Sind diese tief, kann neben der sorgfältigen Reinigung gegebenenfalls unter Nutzung von Spülkanülen auch der regelmäßige Verbandswechsel unumgänglich werden. Zur ersten Versorgung von Verbrennungen eignen sich am besten feuchtigkeitserhaltende Verbände. Im weiteren Verlauf kann die Entfernung von abgestorbenem Hautgewebe notwendig werden.
Ob Schwäche, Durchfall, Übelkeit oder Erbrechen: Bei inneren Erkrankungen, so Steffen, geht es darum, professionellen Helfern an Land per Funk die Symptome zu schildern. Anhand der Informationen können diese entscheiden, ob eine Therapie mit Bordmitteln ausreicht oder professionelle Hilfe nötig ist beziehungsweise ob der Verletzte möglichst umgehend in eine Klinik gebracht werden muss.
Zertifizierte Kurse
»Eine erfolgreiche ärztliche Beratung per Funk kann nur bei guter Qualität der medizinischen Informationen erfolgen«, berichtet der Mediziner aus eigener Erfahrung. Entsprechend zertifizierte Kurse bieten nicht nur die Kreuzer-Abteilung des Deutschen Seglerverbands e. V. an. Auch Steffen selbst hat dazu eine Schulung entwickelt. Unter www. seadoc.de stehen weitere Informationen.
Die Größe der Bordapotheke müsse dem Fahrtrevier angepasst sein. Neben Verbandmaterial, Pinzetten, Fieberthermometer oder Zungenspatel muss diese unter anderem auch Desinfektionsmittel sowie Medikamente zum Beispiel zur Behandlung von Verdauungsproblemen, Schmerzen oder Erkältungen enthalten.
»Naturgemäß erweitert sich diese Liste je nach Törnlänge sowie nach Qualität und Umfang der absolvierten Kurse und Kenntnisse des verantwortlichen Skippers und der Crewmitglieder«, so Steffen. Der Notfallmediziner hat dazu selbst entsprechende »Medizintafeln« mit klaren Vorgaben und Handlungsempfehlungen für die Soforthilfe sowie Leitfäden inklusive Ausstattungsvorschlägen für Bordapotheken erstellt.
Jede Versorgung kann nur so gut sein wie die medizinische und medikamentöse Ausstattung, so Steffen. »Im Notfall ist die gut bestückte Bordapotheke so wichtig wie die einsatzbereite Rettungsweste bei schwerer See.« /