Wenn das Leben zur Zitterpartie wird |
11.04.2016 09:52 Uhr |
Von Clara Wildenrath / Morbus Parkinson ist nach der Alzheimer- Krankheit die zweithäufigste degenerative Nervenerkrankung. Unter ihr leiden in Deutschland knapp 2 Prozent der Über-60-Jährigen. Eine ursächliche Therapie gibt es bislang nicht, doch die Symptome lassen sich durch Medikamente und Bewegungstherapie meist gut in den Griff bekommen.
Zuerst war es den Verwandten bei einem Familientreffen aufgefallen: Hans Hauser* bewegte sich anders als früher, er lief leicht vornübergebeugt und schlurfend, schwankte gelegentlich. Der Hausarzt äußerte dann den Verdacht auf Morbus Parkinson. Neurologische Untersuchungen bestätigten die Diagnose. »Das war ein abgrundtiefer Schock«, erinnert sich der 74-Jährige an diesen Moment vor acht Jahren. Im Nachhinein fiel ihm auf, dass er schon länger an Frühsymptomen litt: »Ich habe Gerüche nicht mehr so gut wahrgenommen und viel mehr geschwitzt als früher.« Inzwischen macht sich die Krankheit deutlicher bemerkbar: Seine Hände zittern häufig, er bewegt sich langsamer und hat oft Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten. »Mein Leben hat sich entschleunigt«, sagt er im persönlichen Gespräch.
Foto: Your Photo Today
Die Diagnose Parkinson trifft in Deutschland jedes Jahr etwa 15 000 Menschen. Rund 300 000 leben mit der Erkrankung, die bisher nur symptomatisch behandelbar ist. Ihr Namensgeber ist der britische Arzt James Parkinson, der im Jahr 1817 erstmals die typischen Symptome der »Schüttellähmung« beschrieb. An seinem Geburtstag am 11. April wird seit 1997 der Welt-Parkinson-Tag begangen.
Über die Ursachen der später nach ihm benannten Erkrankung wusste der Londoner Mediziner noch recht wenig. Erst in den 1960er-Jahren erkannten Wissenschaftler die zugrunde liegende biochemische Veränderung im Gehirn: Dopaminmangel. Dieser Botenstoff spielt im Nervensystem eine wichtige Rolle bei der Übertragung von Bewegungsimpulsen. Gebildet wird er vor allem in der sogenannten Schwarzen Substanz (Substantia nigra) des Zwischenhirns.
Zerstörerische Prozesse
Bei der Parkinson-Erkrankung gehen die Zellen, die für die Produktion von Dopamin zuständig sind, allmählich zugrunde. Anfangs kann das Gehirn das noch ausgleichen. Erst wenn schon mehr als die Hälfte der Schwarzen Substanz verschwunden ist, treten die für Parkinson typischen Symptome auf: Muskelsteifheit (Rigor), verlangsamte Bewegungen (Bradykinese), Zittern (Tremor) und eine instabile Körperhaltung. Der Gang wird langsamer und unsicherer, oft schwingt beim Gehen nur ein Arm mit, Stolpern und Schwanken nehmen zu.
Dazu kommen meist Schwierigkeiten in der Feinmotorik, die sich zum Beispiel in einer kleinen und unleserlichen Handschrift äußern, eine eingeschränkte Mimik und immer wieder kurze Phasen von Bewegungsstarre, das sogenannte Freezing. Viele Patienten leiden außerdem unter Schmerzen im Schulter-Nackenbereich, starker Schweiß- und Talgproduktion, Sehstörungen, Darmträgheit, Blasenschwäche oder vermehrtem Speichelfluss.
Die Diagnose Parkinson stellt der Neurologe hauptsächlich aufgrund der charakteristischen Hauptsymptome Bradykinese, Rigor, Tremor und Haltungsinstabilität. Dabei helfen ihm verschiedene neurologische Tests. »Eine zusätzliche Kernspinuntersuchung dient vor allem dazu, andere Ursachen auszuschließen – zum Beispiel Schlaganfall, Hirntumor oder Entzündungen im Gehirn«, erklärt Dr. Kathrin Brockmann von der Parkinson-Ambulanz am Universitätsklinikum Tübingen.
In manchen Fällen kommen weitere bildgebende Verfahren zum Einsatz, mit denen sich der Funktionszustand der Nervenzellen in der Schwarzen Substanz im Gehirn beurteilen lässt. Bestätigt wird die Diagnose durch einen Dopamintest: Im Falle einer Parkinson-Erkrankung verringern sich die Symptome nach der Gabe des Botenstoffes.
Zur Therapie des Morbus Parkinson stehen Ärzten inzwischen Arzneistoffe mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zur Verfügung.
Grafik: Mathias Wosczyna
Frühe Warnzeichen
In den letzten Jahren haben Wissenschaftler herausgefunden, dass dem Ausbruch der Parkinson-Erkrankung oft bestimmte Frühzeichen vorausgehen. Dazu gehören Störungen des Geruchsinns und Depressionen. Wichtigstes Warnsignal sind aber wilde Träume, bei denen der Schlafende körperlich sehr aktiv ist, oft um sich schlägt und laut spricht oder schreit. »Wir wissen heute, dass Menschen mit einer solchen REM-Schlafstörung ein bis zu 80-prozentiges Risiko tragen, innerhalb von zehn Jahren eine Parkinson-Erkrankung entwickeln«, sagt Brockmann. Normalerweise ist die Muskulatur in den REM-Schlafphasen schlaff, nur die Augen bewegen sich schnell hin und her (REM = Rapid Eye Movement).
Multifaktorieller Prozess
Was das allmähliche Absterben der dopaminproduzierenden Nervenzellen auslöst, konnten Wissenschaftler noch nicht eindeutig klären. Wahrscheinlich sind verschiedene Faktoren daran beteiligt: zum Beispiel genetische Veränderungen, Alterungsprozesse, oxidativer Stress durch freie Radikale, Umweltschadstoffe und eine gestörte Entgiftung des Körpers. In etwa 2 bis 5 Prozent der Fälle ist Parkinson erblich bedingt. Bei der überwiegenden Mehrheit der Patienten sind die Krankheitsursachen jedoch nicht bekannt. Mediziner sprechen dann von einem idiopathischen Parkinson-Syndrom.
Von zentraler Bedeutung scheinen sowohl bei der familiären als auch bei der sporadisch auftretenden Form krankhafte Eiweißansammlungen innerhalb der Nervenzellen zu sein. Ob diese Verklumpungen von sogenanntem alpha-Synuklein aber Ursache oder Folge der Erkrankung sind, wissen die Forscher noch nicht genau.
Medikamentöse Therapie
Ein Präparat, das die fortschreitende Zerstörung der Nervensubstanz aufhalten kann, gibt es bislang nicht. Ärzte können jedoch eine ganze Reihe von Medikamenten auswählen, die die Symptome lindern und vielen Patienten über Jahre ein Leben ohne große Einschränkungen ermöglichen.
»Wir beginnen heute mit der Therapie, sobald die Diagnose feststeht – so viel wie nötig und so wenig wie möglich«, berichtet Parkinson-Spezialistin Brockmann. »Früher hat man die medikamentöse Behandlung manchmal hinausgeschoben. Es hat sich aber herausgestellt, dass sich ein früher Therapiebeginn sowohl auf die Lebensqualität als auch auf die Lebenserwartung positiv auswirkt.«
Die wichtigsten Substanzen zur Behandlung von Parkinson sind L-Dopa (Levodopa), eine Vorstufe von Dopamin, und Dopaminagonisten. »Die Agonisten benutzen die gleichen Andockstellen an den Nervenzellen wie das Dopamin und ahmen seine Wirkung nach«, erklärt die Tübinger Neurologin. Als Nebenwirkung können sie bei manchen Patienten allerdings zu Impulskontrollstörungen führen – also beispielsweise zu Spielsucht, Kaufsucht, Esssucht oder auch Sexsucht.
L-Dopa gilt zwar als nebenwirkungsärmer, verursacht aber in der Langzeitbehandlung relativ häufig Überbewegungen, sogenannte Dyskinesien. Deshalb erhalten vor allem jüngere Patienten in der Regel zunächst einen Dopaminagonisten. Oft wird die Therapie dann nach einigen Jahren durch L-Dopa ergänzt. PTA und Apotheker sollten bei der Abgabe darauf hinweisen, dass L-Dopa zeitlich versetzt zu den Mahlzeiten eingenommen werden muss, entweder eine halbe bis eine Stunde davor oder eineinhalb bis zwei Stunden danach. Der Grund: Eiweißreiche Lebensmittel behindern die Aufnahme von L-Dopa ins Blut und ins Gehirn, da beide um die gleichen Transportwege konkurrieren.
L-Dopa (z.B. Nacom®, Madopar®, Generika)
Ergot-Dopaminagonisten
Non-Ergot-Dopaminagonisten
COMT-Hemmer
MAO-Hemmer
Anticholinergika
NMDA-Antagonisten
Fortgeschrittenes Stadium
Wenn L-Dopa nicht mehr ausreichend wirkt, verschreibt der Arzt häufig zusätzlich einen COMT-Hemmer. Diese Wirkstoffe hemmen ein Enzym, das C-O-Methyl-Transferase (COMT) heißt und L-Dopa abbaut. Dadurch können sie die Wirkung von L-Dopa verbessern. Ganz ähnlich funktionieren MAO (Monoaminoxidase)-B-Hemmer: Auch sie bremsen den Abbau von Dopamin und L-Dopa und erhöhen so deren Verfügbarkeit. Der MAO-B-Hemmer Rasagilin scheint ersten Studien zufolge den Krankheitsverlauf in der Frühphase sogar positiv zu beeinflussen. Die sogenannten NMDA-Antagonisten Amantadin und Budipin blockieren die Wirkung des Botenstoffs Glutamat, eines Gegenspielers von Dopamin, und lindern Symptome wie Tremor und Überbewegungen.
Eine wichtige Information für den Patienten: L-Dopa soll zeitlich versetzt zu den Mahlzeiten eingenommen werden.
Foto: Shutterstock/wavebreakmedia
Welche Kombination von Wirkstoffen bei welchem Patienten die Symptome mit vertretbaren Nebenwirkungen am effektivsten lindert, kann am besten ein erfahrener Parkinson-Arzt beurteilen. Insbesondere im fortgeschrittenen Stadium kommt manchmal auch der Einsatz von Arzneimittelpumpen in Frage.
Nimmt der Patient seine Medikamente nicht oder nicht ausreichend ein, kann das unter Umständen zu einer akinetischen Krise führen: Dann ist der Betroffene zu keinerlei Bewegung mehr fähig, oft nicht einmal mehr zum Kauen und Schlucken – ein lebensbedrohlicher Zustand. Auch Flüssigkeitsmangel, ein Infekt oder andere Erkrankungen können in seltenen Fällen einen solchen Notfall auslösen.
Tiefehirnstimulation
Bei vielen Patienten kommt es nach einer mehrjährigen Therapie zum sogenannten L-Dopa-Langzeitsyndrom: Die Wirkung ist erheblich eingeschränkt oder hält nach der Einnahme nur kurze Zeit an, Nebenwirkungen wie nicht kontrollierbare Überbewegungen nehmen zu. Oft tritt auch das »On-Off-Phänomen« auf, bei dem der Patient darunter leidet, sich zunächst gut und dann plötzlich kaum noch bewegen zu können.
Lassen sich die Beschwerden mithilfe von Medikamenten nur noch unzureichend behandeln, kann manchmal eine Operation die Lebensqualität wieder deutlich verbessern: die Tiefehirnstimulation. Dabei implantiert ein Neurochirurg in bestimmten Hirnbereichen kleine Elektroden und verbindet sie mit einem Schrittmacher, der unter dem Schlüsselbein eingepflanzt wird. Wie stark die betreffenden Hirnregionen elektrisch stimuliert werden, kann der Arzt individuell einstellen und bei Bedarf anpassen. Studien zeigen, dass die Wirkung einer solchen Operation der medikamentösen Therapie überlegen ist und mindestens zehn Jahre anhält. Inzwischen wird sie manchmal auch schon in frühen Erkrankungsstadien eingesetzt, wenn erste Wirkungsschwankungen auftreten. Das Risiko des seit den 1980er-Jahren durchgeführten Eingriffs schätzen Experten im Vergleich zu anderen Hirnoperationen heute als sehr gering ein.
Seit Jahren arbeiten Parkinson-Forscher mit Hochdruck daran, eine Therapie zu finden, die das Fortschreiten der Erkrankung aufhält. Ein vielversprechender Ansatz ist die Impfung gegen das alpha-Synuklein. Mehrere potenzielle Impfstoffkandidaten werden derzeit bereits in ersten klinischen Studien an Patienten getestet und zeigen positive Ergebnisse. Noch im experimentellen Stadium befindet sich die Stammzelltransplantation: Möglicherweise können gesunde fetale Zellen, punktgenau in das Gehirn von Erkrankten injiziert, sich dort zu dopaminproduzierenden Zellen entwickeln. Auch der Einsatz verschiedener Wirkstoffe, die den Abbau von Nervenzellen verhindern sollen, wird untersucht. Bevor einer dieser Ansätze zur Marktreife gelangen kann, werden aber noch ein paar Jahre vergehen, schätzt Brockmann.
In Bewegung bleiben
Neben der symptomatischen Parkinsonbehandlung kann der Patient auch selbst viel dazu beitragen, dass er im Alltag besser mit seiner Erkrankung zurechtkommt. Oft verschreibt der Arzt zusätzlich Krankengymnastik, Ergotherapie oder Logopädie. »Das hat einen genauso hohen Stellenwert wie die medikamentöse Therapie«, betont die Parkinson-Ärztin. In Kernspinuntersuchungen sei sogar nachweisbar, dass die Aktivität bestimmter Hirnareale durch die Bewegungstherapie wieder zunimmt. So könne der Patient körperliche Einschränkungen kompensieren und seine Lebensqualität langfristig erheblich verbessern. In Studien hat sich vor allem das BIG-Training bewährt – eine in den USA entwickelte Übungsform, bei der das Bewegungsausmaß und die -geschwindigkeit gesteigert werden. Aber auch Nordic Walking, Schwimmen, Tai Chi oder Tanzen wirken sich nach Brockmanns Erfahrungen positiv aus: »Alles, was mit großen Bewegungsmustern und Koordination verbunden ist.« Wichtig sei aber in erster Linie, dass der Patient überhaupt aktiv bleibe: »Selbst eine halbe Stunde Spazierengehen ist besser, als daheim im Sessel zu sitzen!«
Bewegung beeinflusst den Krankheitsverlauf positiv.
Foto: Shutterstock/lightpoet
Hans Hauser macht jeden Morgen eine Stunde Yoga: »Das hält mich beweglich.« Außerdem geht er gerne wandern, um sich »mit der Natur zu verbinden und eine gewisse Fröhlichkeit zu erfahren.« Die steht seiner Meinung nach an zweiter Stelle bei der Parkinson-Behandlung – gleich nach der Bewegung und noch vor den Medikamenten. Dank dieser drei Komponenten hat er seine Erkrankung inzwischen gut im Griff. Viel geholfen hat ihm dabei auch die Parkinson-Selbsthilfegruppe, zu deren Treffen er regelmäßig geht. »So habe ich zum Beispiel einen guten Neurologen gefunden, der Erfahrung mit Parkinson hat und mich medikamentös viel besser eingestellt hat.«
Nach dem anfänglichen Schock hat Hauser gelernt, seine Diagnose zu akzeptieren. Er versucht, sich trotz der Einschränkungen seine persönlichen Glücksmomente im Alltag zu schaffen. »Früher hätte ich mir nie erlaubt, mich einfach mal ganz faul auf die Terrasse zu legen und das Nichtstun zu genießen«, sagt er und ergänzt mit nur leicht ironischem Unterton: »Die Krankheit hat also auch ihre positiven Seiten.« /
*Name wurde von der Redaktion geändert
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