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Allergie

Prävention von klein auf

03.04.2017  10:20 Uhr

Von Ulrike Becker / Vier oder sechs Monate lang stillen? Kuhmilch besser meiden? Durch verwirrende Botschaften sind Eltern oft verunsichert, wie sie ihr Kind am besten vor einer Allergie schützen. Gut aufgeklärt können sie einiges dazu beitragen, das Allergierisiko zu verringern.

Allergische Erkrankungen, wie das atopische Ekzem (Neurodermitis), allergisches Asthma und Heuschnupfen haben seit den 1970er-Jahren in den westlichen Industrieländern stark zugenommen. In Deutschland leiden derzeit 26 Prozent der Kinder vorübergehend oder dauerhaft an einer Allergie, 9 Prozent an Heuschnupfen, gefolgt von Neurodermitis (6 Prozent) und Asthma (4 Prozent). Unter den Erwachsenen zählen 30 Prozent zu den Allergikern.

Auf die Frage nach den Ursachen für den Anstieg der Erkrankungsrate gibt es derzeit keine eindeutige Antwort. Diskutiert wird ein Einfluss des west­lichen Lebensstils. Darauf lassen unter anderem Zahlen aus Ostdeutschland schließen: Vor der Wiedervereinigung waren dort deutlich weniger Menschen an einer Allergie erkrankt als in Westdeutschland – trotz höherer Luftverschmutzung. Mit dem Angleichen der Lebens- und Ernährungsstile liegt die Allergiehäufigkeit in der ganzen Bundesrepublik mittlerweile auf dem gleichen Niveau.

Auch die Genetik spielt eine wichtige Rolle (siehe Kasten). Ein besonders hohes Risiko haben Kinder, deren Eltern oder Geschwister an einer Allergie leiden. Durch ihre Ernährung während Schwangerschaft und Stillzeit kann die Mutter dazu beitragen, das Allergie­risiko zu verringern. Einen weiteren wertvollen Beitrag leisten der richtige Zeitpunkt der Zufütterung und die Baby­kost im ersten Lebensjahr. Zusätzlich spielen Umweltfaktoren und Haustiere eine Rolle. Somit kann Prävention an etlichen Faktoren ansetzen.

Prävention möglichst früh

In der Schwangerschaft und den ersten Lebensmonaten besteht die größte Chance, mit gezielter Ernährung einer Allergie vorzubeugen. Lange Zeit galt die Empfehlung, potenzielle Allergene wie Kuhmilch, Hühnerei oder Fisch zu vermeiden. Doch der Verzicht auf einzelne Lebensmittel hat sich als wenig wirkungsvoll erwiesen. Zudem birgt die eingeschränkte Nahrungsauswahl das Risiko einer unzureichenden Versorgung mit wichtigen Nährstoffen, beispielsweise Calcium oder Omega-3-Fettsäuren.

Einfluss der Gene

Ob der Nachwuchs eine Allergie entwickelt, bestimmen zu einem großen Teil die Gene. Entscheidend ist, ob die Eltern selbst Allergiker sind. So besteht das geringste Risiko bei Kindern, deren Eltern weder an Heuschnupfen, Asthma oder anderen Allergien leiden. Experten beziffern es auf 15 Prozent. Auf bis zu 35 Prozent steigt das Risiko, wenn ein Geschwisterkind Allergiker ist. Reagiert ein Elternteil allergisch, sind es 20 bis 40 Prozent, sind Vater und Mutter allergisch belastet, erhöht es sich auf 50 bis 60 Prozent. Leiden die Eltern sogar an der gleichen Allergie, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Kind ebenfalls eine Allergie entwickelt, bei 60 bis 80 Prozent.

Heute geht die Empfehlung in eine ganz andere Richtung: Die Experten sind mittlerweile davon überzeugt, dass ein Kontakt mit möglichen allergieauslösenden Faktoren sogar hilfreich ist, da er die Toleranzentwicklung gegenüber möglichen Allergenen fördert. Über die Nabelschnur und die Muttermilch kommt das Ungeborene beziehungsweise der Säugling von Anfang an in Kontakt mit der Ernährung seiner Mutter, und das heranreifende Immunsystem kann sich bereits auf mögliche Allergieauslöser einstellen.

In der S3-Leitlinie der allergolo­gischen und pädiatrischen Fachgesellschaften raten die Experten Schwangeren und Stillenden dazu, möglichst abwechslungsreich zu essen und den Schwerpunkt auf Nährstoffreiches wie Gemüse, Obst und Vollkornprodukte zu setzen. Zusätzlich sollte regelmäßig fettreicher Fisch auf dem Speiseplan stehen, denn sein Verzehr scheint vor einer Allergieentwicklung zu schützen. Der Grund dafür sind vermutlich die in fettreichem Fisch enthaltenen Omega-3-Fettsäuren, die als Vorstufen für Gewebshormone dienen und so das Immunsystem günstig beeinflussen. Etwa 300 Gramm Meeresfisch wie Lachs, Hering oder Makrele sollten Schwangere und Stillende pro Woche verzehren. Große Raubfische wie Thunfisch und Schwertfisch sind aufgrund ihrer hohen Schadstoffbelastung allerdings nicht geeignet.

Werdenden Müttern und Stillenden, die keinen Fisch mögen, rät Ernährungswissenschaftler Dr. Markus Keller vom Institut für alternative und nachhaltige Ernährung (ifane), ausreichend pflanzliche Öle mit einem hohen Gehalt an Omega-3-Fettsäuren aufzunehmen wie Lein-, Raps-, Walnuss- und Hanföl sowie zusätzlich mit Mikro­algen­öl angereichertes Leinöl. Omega-6-fettsäurereiche Öle wie Maiskeim- oder Sonnenblumenöl sollten die Frauen dagegen sparsam verwenden, da sie im Stoffwechsel mit den Omega-3-Fettsäuren konkurrieren.

Daten aus verschiedenen Studien deuten darauf hin, dass der Verzehr probiotischer Milchprodukte in der Schwangerschaft den Nachwuchs möglicherweise vor atopischer Dermatitis schützt. Aufgrund der vielen verschiedene Bakterienstämme geben Experten jedoch bislang keine konkrete Empfehlung für die Zufuhr spezieller Produkte.

Kaiserschnitt überdenken

Auch ein Kaiserschnitt kann das Allergie­risiko für das Neugeborene erhöhen, vor allem für Asthma. Anders als bei einer natürlichen Geburt fehlt der Kontakt des Babys mit den mütterlichen Darmkeimen, der für die Besiedlung des kindlichen Verdauungstrakts mit günstigen Keimen wichtig ist. Ist der Kaiserschnitt aus medizinischer Sicht nicht zwingend notwendig, sollten Schwangere und Gynäkologe diesen unter dem Aspekt der Allergie­prävention möglichst überdenken.

Gestillte Kinder sind besser vor Allergien geschützt als nicht gestillte. Die erste Milch, das sogenannte Kolostrum, ist besonders reich an Immunstoffen. Laut dem Europä­ischen Institut für Stillen und Laktation (IBCLC) soll das Kolostrum lebenslang die Gesundheit des Neugeborenen stärken. Die später produzierte Muttermilch enthält ebenfalls zahlreiche Immunfaktoren, die sich unter anderem auf das darmassoziierte Immunsystem auswirken und so die Abwehrkräfte des Babys günstig beeinflussen. Außerdem unterscheidet sich die Darmflora gestillter Kinder von der Keimbesiedelung nicht gestillter, vermutlich ein weiterer Einflussfaktor auf die Allergieneigung.

Im Hinblick auf die Allergiepräven­tion sollten die Mütter mindestens vier Monate lang den Säugling voll stillen. Das heißt, vor dem fünften Lebens­monat sollte ein allergie­gefährdetes Baby noch keine andere Nahrung erhalten. Eine längere Stillzeit bringt in punkto Allergievorbeugung keinen zusätzlichen Nutzen. Im Gegenteil: Studien deuten darauf hin, dass Zufüttern mit Beginn des fünften Lebensmonats die Toleranzentwicklung gegenüber Allergenen fördert. Möglicherweise ist längeres ausschließliches Stillen sogar mit einem höheren Allergierisiko verbunden. Das scheint besonders dann der Fall zu sein, wenn die Mutter selbst an einer Allergie leidet.

Umweltrisiken vermindern

Um das Allergierisiko ihres Nachwuchses zu verringern, können Eltern auch in ihrer Umgebung auf ungünstige Einflüsse achten.

Tabakrauch: Rauchverzicht sollte für Schwangere und Stillende selbstverständlich sein, auch Passivrauchen gilt es zu meiden.

Feinstaub: Wer an einer viel befahrenen Straße wohnt, lüftet am besten nur bei wenig Verkehr und fährt zum Spazierengehen mit dem Kinderwagen ins Grüne.

Schadstoffe im Innenraum: Schimmelpilze an feuchten Stellen, Ausdünstungen aus neuen Möbeln oder einem frischen Anstrich wirken sich ebenfalls ungünstig aus. Damit schädliche Stoffe sich bereits verflüchtigt haben, wenn das Baby einzieht, renovieren werdende Eltern das Kinderzimmer besser bereits deutlich vor der Geburt.

Haustiere: In Familien mit hohem Allergierisiko am besten keine Hunde oder andere Haustiere mit Fell halten, auf keinen Fall jedoch Katzen.

Übertriebene Hygiene: Im Haushalt ist übertriebenes Sauberhalten eher kontraproduktiv. Eine zu hohe Belastung mit Hausstaub sollten Eltern dennoch möglichst vermeiden.

Kann die Mutter nicht oder nicht voll stillen, ist industriell hergestellte Säuglingsmilchnahrung die beste Wahl. Für die allergiegefährdeten Kinder empfehlen Allergologen eine sogenannte hypo­allergene (HA) Säuglingsnahrung, ebenfalls vier Monate lang. Die Zusammensetzung entspricht weit­gehend der Muttermilch, nur das Protein ist bereits aufgespalten (hydrolysiert) und wird so vom Organismus nicht als fremd erkannt. Da die Produkte auf Basis von Kuhmilchprotein hergestellt werden, sind sie ungeeignet für Säuglinge mit einer Kuhmilchallergie. Für sie gibt es Spezialnahrung.

Der richtige Milchersatz

Ab dem fünften Lebensmonat und für das ganze erste Lebensjahr können auch Risikokinder normale Säuglingsmilchnahrung trinken, beispielsweise Anfangsnahrungen mit den Kürzeln »Pre« oder »1«. Folgemilch wie »2« oder »3« sind unnötig. Von selbst hergestellter Ersatzmilch raten Experten dringend ab, da die Gefahr eines Nährstoffmangels immens ist. Auch Säuglingsnahrung auf Basis von Sojaprotein ist für allergiegefährdete Babys ungeeignet, da Sojaprotein als potentes Allergen gilt.

Manche Hersteller vermarkten Zusätze von Pro- oder Präbiotika in Säuglingsnahrung als vorteilhaft. So eindeutig fällt die Antwort von Fachleuten nicht aus. So kamen Experten des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) 2015 zu der Einschätzung, dass sich aus den bisherigen Untersuchungen kein eindeutiger gesundheitlicher Nutzen von Säuglings­anfangs- und Folge­nahrung mit probiotischen Bakterien­stämmen ableiten lässt. Einige wenige­ Studien deuten zwar auf einen vorbeugenden Effekt von Probiotika bei atopischem Ekzem hin. Eine kon­krete Empfehlung sprechen die Wissenschaftler des BfR jedoch nicht aus, da die Vielzahl der eingesetzten Bakterien­stämme den eindeutigen Nachweis erschwere. Sie weisen aber darauf hin, dass Pro- oder Präbiotika während der Schwangerschaft größere Effekte zeigten als der Zusatz in Säuglingsnahrung.

Etwas positiver fällt eine Cochrane-Analyse zu präbiotischen Zusätzen aus dem Jahr 2013 aus: Demnach gibt es einige Hinweise, dass die präbiotische Ergänzung in Säuglingsnahrung Ekzeme vermindert. In einzelnen Studien wiesen Forscher auch eine signifikante Reduktion der Asthmahäufigkeit bei Säuglingen mit hohem Allergierisiko nach. Die Autoren halten jedoch weitere Forschung für erforderlich, bevor sie konkrete Empfehlungen geben.

Zeit für den ersten Brei

Im Anschluss an vier Monate mit ausschließlich Mutter- oder Ersatzmilch erhalten allergiegefährdete Säuglinge mit Beginn des fünften Monats die erste Beikost. Wenn möglich, stillen Mütter sie weiterhin zusätzlich. Wie lange ein Kind insgesamt gestillt wird, hängt von der Entwicklung des Kindes und der Bereitschaft der Mutter ab.

Einen Stufenplan zur idealen Zusammensetzung der ersten Babybreie und zur Reihenfolge, in der das Baby sie erhalten sollte, hat das Forschungsinstitut für Kinderernährung Dortmund (FKE) entwickelt. Der Plan sieht zwischen dem 5. bis 7. Monat zuerst einen Gemüse-Kartoffel-Brei vor, der an fünf Tagen zusätzlich Fleisch enthält und einmal pro Woche fettreichen Fisch wie Makrele oder Lachs. Auch in der Beikost scheint die gelegentliche Gabe von fettreichem Fisch vor allergischen Erkrankungen zu schützen. Einen Monat später bekommt das Baby zusätzlich einen Milch-Getreide-Brei. Als dritter Brei ersetzt ein milchfreier Getreide-Obst-Brei eine weitere Milchmahlzeit. Ab dem 10. Monat kann der Säugling langsam an der Familienkost teilnehmen.

Früher dachten Ernährungsexperten, der kindliche Organismus würde durch eine zu große Abwechslung bei den Zutaten der Babybreie überfordert. Mittlerweile haben Studien gezeigt, dass eine frühe Vielfalt beim Nachwuchs nicht nur die Akzeptanz für neue Lebensmittel fördert, sondern der frühe Kontakt mit verschiedenen Lebensmitteln bei gleichzeitigem Stillen das Risiko für Allergien verringert. Meiden Mütter potenziell allergieauslösende Lebensmittel wie Fisch, Nüsse oder Weizen oder führen sie diese später in die Ernährung ein, schützen sie ihr Kind damit nicht vor Allergien. Am Anfang sollten sie pro Woche jedoch nur eine neue Zutat ausprobieren und die Verträglichkeit beobachten. Isst das Kind den ersten Brei komplett, können sie alle drei oder vier Tage ein neues Lebensmittel testen. Erst wenn der dritte Beikostbrei eingeführt ist, halten Experten das zusätzliche Trinken für nötig, vor allem kalorienfreie Getränke wie Trinkwasser oder ungesüßter Kräuter- und Früchtetee.

Kuhmilch sollten die Eltern im ersten Lebensjahr nur in kleinen Mengen zur Breizubereitung geben und nicht als Getränk. Schnell ist sonst die Protein­aufnahme zu hoch, was ein höheres Körpergewicht in den ersten zwei Jahren begünstigt. Aus demselben Grund raten Experten auch von Zwischenmahlzeiten aus Milchprodukten wie Quark, Joghurt, Milchpudding ab. Generell sollten die Eltern auf eine altersgemäße Gewichtsentwicklung achten, denn es gibt Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen dem Über­gewicht bei Kindern und einem erhöhten Asthmarisiko.

Motivierte Zielgruppe

Eltern sind oft verunsichert, wie sie ihr Kind am besten ernähren sollen. Dazu trägt das riesige Angebot an Säuglingsnahrung in Drogerien und Supermärkten bei. Gleichzeitig sind sie in der Regel hochmotiviert, ihren eigenen Ernährungs- und Lebensstil zum Wohle des Kindes zu verändern. Daher sind sie ­sicher dankbar für jede fachkundige Bera­tung in der Apotheke. /