Bei Fieber einen kühlen Kopfbewahren |
29.08.2008 10:33 Uhr |
Bei Fieber einen kühlen Kopf bewahren
von Sabine Laerum
Die Körpertemperatur von Kindern steigt oft schon bei relativ harmlosen Infekten stark an. Das verunsichert viele Eltern, und sie fragen sich: Ab wann sollen wir das Fieber senken? Über die Bedeutung des Fiebers sind sich Schulmediziner und Verfechter alternativer Heilmethoden einig. Fieber ist eine gesunde Abwehrreaktion des menschlichen Organismus.
Viele Eltern fühlen sich hin- und hergerissen, wenn ihr Kind sich mit glühend heißen Wangen an sie schmiegt und das Fieberthermometer immer höher klettert. Einerseits wissen sie, dass das Immunsystem den Keimen einheizen soll. Andererseits ertragen sie es kaum mit anzusehen, wie ihr Kind unter dem Fieber leidet.
Laut einer britischen Studie halten 90 Prozent der Eltern Fieber für gefährlich. 80 Prozent denken, unbehandelt schädige es das Gehirn, 7 Prozent fürchten, ihr Kind müsste sterben. Angesichts dieser Ängste verwundert es nicht, dass etwa ein Viertel aller Eltern ihrem Kind bereits bei einer Temperatur um 37,8°C ein Fieberzäpfchen geben; Fieber beginnt jedoch erst bei rektal gemessenen 38,5°C.
Auch die Kinderärzte sind sich im Umgang mit Fieber nicht einig. Etwa 67 Prozent empfehlen den Eltern, ab 38,5 °C fiebersenkende Medikamente einzusetzen, vor allem um einen Fieberkrampf zu verhindern. Die anderen raten den Eltern, zunächst einmal abzuwarten. Welche Haltung ist wissenschaftlich fundiert?
Fieberkrämpfe nicht vermeidbar
Was den Fieberkrampf betrifft, können Eltern unbesorgt sein: Große Studien zeigen, dass diese ungefährlich sind (siehe Kasten) und die prophylaktische Senkung der Temperatur sie nicht verhindert. Das liegt daran, dass ein Fieberkrampf während des Temperaturanstiegs entsteht. Doch den Anstieg zu verhindern, gelingt nie. Sobald die Wirkung eines Medikaments nachlässt, steigt die Temperatur wieder an.
Etwa 3 bis 4 Prozent aller Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und fünf Jahren reagieren auf einen Fieberanstieg mit einem Krampfanfall. Die Muskeln zittern für einige Minuten sehr heftig, und das Kind wird bewusstlos, reißt dabei aber die Augen weit auf. Danach ist es sehr müde und erinnert sich an nichts. Ein kurzer Fieberkrampf ist ungefährlich, jagt den Eltern jedoch einen heftigen Schrecken ein. Eltern, die den ersten Fieberkrampf ihres Kindes erlebten, berichten meist, sie hätten befürchtet, ihr Kind würde sterben. Außerdem hätten sie sich sehr hilflos gefühlt und nicht gewusst, was sie tun sollten.
Bei einem Fieberkrampf legt man das Kind am besten auf die Seite, damit es sich nicht verschluckt, falls es erbricht. Wenn der erste Fieberkrampf nach zwei bis fünf Minuten nicht aufhört, sollten die Eltern den Notarzt rufen. Dieser wird das Kind wahrscheinlich zur genauen Untersuchung in eine Klinik einweisen. Sehr selten ist ein Fieberkrampf das erste Symptom einer bisher nicht bekannten Epilepsie. Studien zeigen, dass ein erster Fieberkrampf das Risiko für einen weiteren nicht zwangsläufig erhöht. Bei einem zweiten Anfall geben die inzwischen erfahrenen Eltern ihrem Kind eine krampflösende Rektiole mit Diazepam, das der Arzt prophylaktisch verschrieben hat.
»Fieber ist ein gesunder, ungefährlicher Prozess, den man nicht a priori behindern soll. Fühlt sich das Kind aber unwohl oder trinkt kaum noch, ist es besser, das Fieber zu senken«, empfiehlt Professor Dr. Christoph Aebi, leitender Kinderarzt und Spezialist für Infektiologie am Berner Inselspital. Damit schließt er sich den Leitlinien der Schweizer Pädiater an.
So wie Schulmediziner Aebi ist auch die Einstellung von Dr. Alfred Längler, leitender Kinderarzt am anthroposophisch orientierten Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke: »Es gibt keine allgemeingültige Gradzahl, ab wann Fieber gesenkt werden muss. Manche Kinder sind mit 39,5 °C sehr erschöpft, andere sind mit 40,8 °C noch fidel.«
Fieber ist kein Feind
Einig sind sich die Mediziner auch darin, dass selbst hohes Fieber für grundsätzlich gesunde Kinder nicht gefährlich ist. Das gilt, solange sie einen herkömmlichen viralen oder bakteriellen Infekt durchmachen, bei dem die Temperatur normalerweise nicht höher als 41 °C steigt. Erst ab 41 °C besteht vor allem bei Säuglingen die Gefahr eines Kreislaufschocks aufgrund ihres noch instabilen Wasser- und Elektrolythaushaltes.
Dies gilt allerdings nicht für Säuglinge im Alter bis zu sechs Monaten, sondern auch für Kinder mit einer Grunderkrankung, die das Immunsystem beeinträchtigt. Auch Kinder mit Herz- oder Lungenschäden reagieren empfindlicher auf Fieber, weil sie die Belastung des Kreislaufs nicht so gut verkraften: Je höher die Temperatur steigt, umso schneller schlägt das Herz und umso mehr Sauerstoff braucht der Körper.
Müssen Eltern also sofort den Kinderarzt aufsuchen, wenn ihr Kind hoch fiebert? Aebis Rat: "Hat es länger als zwei Tage Fieber ohne andere Symptome, muss es vom Kinderarzt untersucht werden. Vorher ist Fieber bei einem Kind, das sich sonst recht gut fühlt und bei dem die Eltern einen Grund für das Fieber sehen wie Husten oder Schnupfen meist harmlos.“ Eine Ausnahme seien Säuglinge im ersten Lebensmonat. Steigt bei ihnen die Temperatur, müssen die Eltern unverzüglich den Kinderarzt konsultieren.
Beruhigend für die Eltern ist auch, sich bewusst zu machen, dass Fieber das Zeichen eines gesunden Abwehrmechanismus ist. Infiziert sich ein Mensch mit Viren oder Bakterien beginnt ein immer gleicher Prozess: Die Makrophagen produzieren sogenannte endogene Pyrogene und setzen in der Folge unter anderem Interleukin-1 und -6 sowie Interferone frei. Diese lösen im Gehirn, im Hypothalamus, über die Arachidonsäurekaskade die Bildung von Prostaglandinen aus. Letztlich stellt sich der Sollwert der Körpertemperatur auf ein höheres Niveau um. Das Fieber ist somit ein sicheres Zeichen, dass die notwendigen immunologischen Prozesse angelaufen sind.
»Eine Infektion ist aber nicht schneller bewältigt, wenn man ein Kind hoch fiebern lässt«, so der Schweizer Kinderarzt. Denn wie hoch das Fieber steigt, hängt von der genetischen Veranlagung, der Art und dem Schweregrad der Infektion ab. Entsprechend variiert von Mensch zu Mensch, also auch von Kind zu Kind der Anteil der Immunzellen, die am Abwehrprozess beteiligt sind. Je mehr Immunzellen der Körper bildet, umso mehr Zytokine werden ausgeschüttet.
Saft wirkt zuverlässiger
Als fiebersenkende Wirkstoffe werden in erster Linie Paracetamol und Ibuprofen eingesetzt. Weil die Wirkung der Substanzen erst nach zweieinhalb bis vier Stunden voll eintritt, denken die Eltern häufig, sie hätten ihrem Kind eine zu geringe Dosis gegeben, und die Versuchung ist groß, dann die Dosis zu erhöhen. Der Herdecker Kinderarzt warnt: »Beide Mittel haben jedoch Nebenwirkungen und sollten daher nur gemäß der Packungsbeilage und mit Bedacht verwendet werden.« Sein Schweizer Kollege weist darauf hin: »Als Saft verabreichtes Paracetamol oder Ibuprofen wirkt zuverlässiger, ist aber für Kinder unter einem Jahr oder bei Erbrechen keine Option.« Bis das Medikament wirkt, könnten die Eltern ihrem fiebernden Kind mit Wadenwickeln Linderung verschaffen. Als alleinige Maßnahme seien diese ungeeignet, weil der kühlende Effekt nur kurz anhält.
Längler verordnet seinen kleinen Patienten immer auch homöopathische Fieberzäpfchen. Zwar gebe es keine evidenzbasierten Daten zu deren Wirksamkeit, aber seiner Erfahrung nach verbesserten sie häufig das Wohlbefinden eines Kindes.
Gerade naturheilkundlich orientierte Eltern fürchten, die Heilung einer Krankheit verlaufe schleppender, wenn sie ihrem Kind synthetische Arzneimittel geben. Längler und Aebi bestätigen diese These nicht. »Für diese Annahme gibt es bisher keinen Beweis, lediglich Hinweise aus bestimmten Tiermodellen«, so Aebi.
Spätestens wenn ihr fieberndes Kind zu wenig trinkt, relativiert sich die Furcht mancher Eltern vor chemischen Medikamenten zur Fiebersenkung. Dann müssen sie schnell handeln. Fiebernde Babys und Kleinkinder verspüren oftmals keinen Durst und trinken kaum noch. Doch je höher die Temperatur steigt, umso mehr Flüssigkeit brauchen sie: Babys können innerhalb von 48 Stunden austrocknen. Kranke Kinder sollten daher trinken, was sie am liebsten mögen, zur Not löffelweise. Auch können die Eltern ihnen mit einer kleinen Spritze geduldig die benötigte Flüssigkeit einflößen.
Aebi rät den betroffenen Eltern, ganz bewusst zu prüfen, ob die Windeln genau so häufig feucht sind wie sonst auch. Außerdem seien Kinder, die zu wenig trinken, sehr schlapp und nicht mehr recht ansprechbar, ihre Mundschleimhaut glänze nicht feucht, und wenn sie weinten, kämen wenige oder gar keine Tränen. »Bevor es soweit ist, kommen zum Glück die allermeisten Eltern in die Sprechstunde«, ergänzt Aebi.
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