Gefahr durch Unterzuckerung |
13.04.2015 12:25 Uhr |
Von Isabel Weinert / Unterzuckerungen sind die häufigsten Notfälle im Zusammenhang mit Diabetes. Menschen mit Diabetes profitieren, wenn PTA und Apotheker in der Beratung auch auf diese Gefahren hinweisen, eine Unterzuckerung erkennen sowie Schockzustände in Erster Hilfe behandeln können.
Hypoglykämien belasten den Alltag von Typ-1-Diabetikern, aber auch den vieler Typ-2-Diabetiker immer wieder. Dabei können sich die Symptome des niedrigen Blutzuckers in Abhängigkeit von Therapie, Unterzuckerhäufigkeit und Diabetesdauer wie ein Chamäleon wandeln. Das macht es nicht leichter, sie richtig einzuordnen.
Gefährdet für Hypoglykämien sind grundsätzlich Typ-1-Diabetiker sowie Typ-2-Diabetiker, die Insulin spritzen oder Sulfonylharnstoffe einnehmen. Eine Intensivierte Konventionelle Therapie (ICT), wie sie heute Standard in der Behandlung des Typ-1-Diabetes ist, beinhaltet ein höheres Unterzuckerrisiko als die Behandlung mit der Insulinpumpe (Kontinuierliche subkutane Insulin-Infusion, CSII). Für Typ-2-Diabetiker gilt: Je komplexer das Insulin-Behandlungsschema, umso häufiger treten Unterzuckerungen auf. Für beide Diabetikergruppen spielt die Wahl der Insuline im Hinblick auf die Unterzuckergefahr eine wichtige Rolle. NPH-Insulin zeigt sich in diesem Punkt den lang wirksamen Analoga unterlegen. Nicht ganz so deutlich gilt das auch für Normalinsulin, verglichen mit kurz wirksamen Analoginsulinen.
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Erhöhte Insulin-Sekretion
Die Crux der Sulfonylharnstoffe liegt in deren Wirkmechanismus. Sie fordern der Bauchspeicheldrüse des Typ-2-Diabetikers permanent Insulin ab. Das kann in sehr lange anhaltenden Unterzuckerungen münden. Während sich ein Diabetiker bei einer leichten Unterzuckerung selbst helfen kann, ist eine schwere Hypoglykämie als solche definiert, die Fremdhilfe notwendig macht.
Die Gefahr zu unterzuckern, steigt:
Die Grenze, ab der man von einer Unterzuckerung spricht, wird nach wie vor diskutiert. Voraussichtlich etabliert sich als Konsens ein Schwellenwert von 3,9 mmol/l (70 mg/dl). Ab diesem Wert steuert der Organismus des gesunden Menschen dem tiefen Blutzucker entgegen. Die körpereigene Insulinproduktion nimmt dann ab. Gegenspieler von Insulin, wie Glucagon, Adrenalin, Wachstumshormon und Cortison, treten vermehrt in Aktion.
Ab etwa 3,4 mmol/l (61 mg/dl) zeigen sich die durch die Gegenregulation hervorgerufenen Symptome deutlich: Heißhunger (auf Süßes), Gereiztheit, Herzklopfen, innere Unruhe, Zittern, Schweißausbruch, Fahrigkeit, Angst. Sinkt der Blutzucker weiter ab, kommen Sehstörungen, Verwirrung, Stimmungslabilität und Konzentrationsprobleme hinzu. Unterhalb 1,6 mmol/l (29 mg/dl) treten Bewusstseinsstörungen und Krampfanfälle bis hin zum Tod auf.
Nicht jedes zuckerhaltige Lebensmittel eignet sich gleich gut im Fall einer Hypoglykämie: Schokolade gelangt zum Beispiel aufgrund des hohen Fettgehalts zu langsam in die Blutbahn.
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Individuelle Unterschiede
Die genannten Schwellenwerte gelten nur näherungsweise, weil die Spannbreite, ab der eine Unterzuckerung wahrgenommen wird, von Diabetiker zu Diabetiker sehr groß sein kann. Manch Diabetiker ist auch bei sehr tiefen Werten noch Herr seiner Sinne, sodass er sich immer selbst helfen kann, obgleich er eigentlich eine schwere Unterzuckerung hat. Andere fühlen sich bereits bei Werten über 3,9 mmol/l unterzuckert. Das kommt meist vor, wenn ein Diabetiker über längere Zeit mit seinen Blutzuckerwerten zu hoch liegt. Dann setzt die Gegenregulation bereits bei an sich noch normal niedrigen Werten ein.
Schnelle Kohlenhydrate
Mit den oben genannten Unterzucker-Symptomen warnt das Gehirn: Iss etwas! Sofort! Es ist aber nicht egal, was ein Diabetiker in dieser Notsituation isst. Es müssen Kohlenhydrate sein, und zwar solche, die sehr schnell in die Blutbahn übergehen. Dazu gehören Traubenzucker – als Gel aus der Tube oder als Täfelchen (davon drei bis vier Stück kauen und am besten etwas dazu trinken) –,Softdrinks auf Zucker-, keinesfalls auf Süßstoffbasis, Malzbier und Gummibärchen. Zuckerquellen wie Schokolade, Kuchen, süße Stückchen vom Bäcker oder Pudding eignen sich nicht bei Unterzucker, weil Glucose wegen des hohen Fett- und Eiweißgehaltes zu langsam in die Blutbahn gelangt. Das gilt generell für alle mit Fett kombinierten Kohlenhydrate und solche, die nicht aus Trauben- oder Haushaltszucker bestehen.
Alkohol kann den Blutzucker unvorhersehbar stark absenken. Um das Risiko klein zu halten, hat sich die Zwei-Gläser-Regel bewährt: Männer sollten nicht mehr als zwei Gläser (je 0,2 Liter) Bier, zwei Gläser (je 0,1 Liter) Wein oder zwei Gläser (je 2 Zentiliter) Schnaps trinken. Frauen sollten wegen ihrer empfindlicheren Leber besser nur die Hälfte trinken.
Herz aus dem Takt
Den Tod durch eine Hypoglykämie sehen Wissenschaftler heute vor allem als Folge von Herzrhythmusstörungen. Bereits leichte Unterzuckerungen können das Herz aus dem Takt bringen. In der sogenannten VADT-Studie waren schwere Hypoglykämien die wichtigste Variable für die Vorhersage eines kardiovaskulär bedingten Todes und für die Gesamtsterblichkeit. Der Zusammenhang zwischen Hypoglykämie und Herz-Kreislauf-Sterblichkeit wurde auch in der ADVANCE-Studie deutlich.
Bei der Therapie von Diabetikern geht es deshalb nicht nur um möglichst gute Blutzuckerwerte, sondern auch darum, jede Form von Hypoglykämie so weit wie möglich zu vermeiden. Hilfestellung dabei kann neben der Insulinpumpentherapie, die vorrangig bei Typ-1-Diabetikern zum Einsatz kommt, auch die kontinuierliche Glucosemessung (CGM) leisten. Die Erstattung der Anschaffungs- und Behandlungskosten eines CGM-Systems beruht jedoch bislang auch mit ärztlicher Verordnung auf Einzelfall-Entscheidungen. Wiederholte schwere Hypoglykämien sind aber zumindest einer der Gründe, ein CGM zu beantragen.
Manchmal nehmen die Symptome einer Unterzuckerung im Laufe der Diabeteserkrankung ab, weil das sympathische Nervensystem auf niedrige Werte nicht mehr adäquat reagiert. Der Diabetiker ahnt den tiefen Zucker dann mehr, als dass er ihn wirklich wahrnimmt. Es gibt Diabetiker, die ihn überhaupt nicht mehr bemerken und der Hyposchockgefahr dann ohne körperliche Warnung ausgesetzt sind. In diesen Fällen sprechen Ärzte von einer Hypo-Wahrnehmungsstörung. Sie muss von einem Diabetologen mit einer eigens dafür konzipierten Schulung behandelt werden.
Die folgenden Symptome sollten Diabetiker, die eine Unterzuckerung nicht mehr deutlich wahrnehmen können, an eine solche denken lassen: Starke Müdigkeit, die grundlos einsetzt, veränderte Stimmung (euphorisch oder traurig) ohne Grund, Kraftlosigkeit, Schwindel, Konzentrationsprobleme und Fahrigkeit. Manchmal verspürt der Diabetiker auch nur ein subtiles Gefühl, dass etwas gerade nicht stimmt. Diese Liste lässt sich individuell ergänzen, denn Unterzucker-Symptome können sich bei schlechter Wahrnehmung ganz unterschiedlich äußern.
Akute Unterzuckerungen sind Notfälle. Das Thema Erste Hilfe kann deshalb durchaus auch in der Offizin wichtig sein. Doch auch außerhalb der Apotheke nutzt es, darüber Bescheid zu wissen.
Abhängig vom Diabetestyp können sehr hohe Blutzuckerwerte zu verschiedenen Notfallsituationen führen.
Die Ketoazidose
Bei Blutzuckerwerten über 14 mmol/l (250 mg/dl) können vor allem Typ-1-Diabetiker eine lebensgefährliche Ketoazidose entwickeln. Hier fallen im Stoffwechsel vermehrt Ketonkörper an, die eine metabolische Azidose bedingen. Die Ursachen für die Ketoazidose liegen häufig in Infektionen (deutlich steigender Insulinbedarf), dem Auslassen von Insulinspritzen (aus Angst vor Unterzuckerungen oder –, vor allem von jüngeren Diabetikerinnen genutzt – um abzunehmen), einem noch nicht erkannten Typ-1-Diabetes oder einer Therapie mit Glucocorticoiden. Unter einer Insulinpumpentherapie entwickelt sich eine Ketoazidose leichter als bei einer ICT, bei der die lange Wirkung des Basalinsulins dem Geschehen entgegenwirken kann.
Diabetiker mit Ketoazidose leiden anfangs auch unter starkem Durst und Harndrang, dann kennzeichnen Bauchschmerzen, Übelkeit, Bewusstseinseintrübung und ein deutlicher Geruch nach Azeton das Geschehen. Eine Ketoazidose kann sich binnen Stunden oder über mehrere Tage entwickeln und erfordert ärztlichen Beistand. Der Arzt entscheidet auch über die Notwendigkeit einer stationären Aufnahme.
Das hyperosmolare Koma
Bei älteren Typ-2-Diabetikern, deren Bauchspeicheldrüse noch etwas Insulin produziert, kann sich bei sehr hohen Blutzuckerwerten ein sogenanntes hyperosmolares Koma entwickeln. Ein hoher Blutzucker wegen unzureichender Therapie oder als Folge eines Infekts wird in diesen Fällen noch durch eine vermehrte Glucoseproduktion in der Leber gesteigert, oft bis auf über 55,5 mmol/l (1000 mg/dl). Dadurch gelangt massiv Zucker über die Nieren in den Urin. Weil Zucker Wasser anzieht, steigt die Harnmenge stark an, dem Körper geht viel Flüssigkeit verloren, er trocknet aus. Das kann letztendlich in ein Koma führen. Betroffene müssen in einer Klinik mit Infusionen aus Wasser und Elektrolyten behandelt werden.
Klagt ein älterer Diabetiker über Bauchschmerzen, Unwohlsein, starken Durst und häufiges Wasserlassen oder berichten seine Angehörigen davon, sollten PTA und Apotheker immer auf die Möglichkeit eines drohenden Komas hinweisen und den Patienten sofort an den Arzt verweisen.
Diese Maßnahmen helfen, wenn der Diabetiker bei Bewusstsein ist:
Hilfe beim Hyposchock
Bei einem Hyposchock, also bei Bewusstlosigkeit, gilt für die Helfer:
Manchmal weisen Betroffene alle Hilfsangebote strikt von sich. Das liegt an der Wirkung der Hypoglykämie auf das Gehirn in Kombination mit dem vom Diabetiker wahrgenommenen Kontrollverlust über sich selbst. In diesen Fällen sollte der Helfer vor allem ruhig bleiben und dem Diabetiker immer wieder sagen, dass er unterzuckert ist und nun Traubenzucker beziehungsweise Limonade oder Saft braucht.