Gegen den Brechreiz |
25.04.2017 09:50 Uhr |
Von Kornelija Franzen / Übelkeit (Nausea) und Erbrechen (Emesis) sind Begleitsymptome verschiedenster Erkrankungen und Situationen, etwa in der Frühschwangerschaft, bei einer Magen-Darm-Infektion, der Reisekrankheit oder einer Behandlung mit Zytostatika. PTA und Apotheker können gut wirksame Antiemetika empfehlen – vorausgesetzt, die Grenzen der Selbstmedikation werden nicht überschritten.
Im Bauch macht sich ein mulmiges Gefühl bemerkbar, der Herzschlag beschleunigt sich, man wird blass und beginnt zu schwitzen. Schließlich werden Übelkeit und Würgereiz so übermächtig, dass es kein Zurück mehr gibt: Das Erbrechen setzt ein. Wenngleich für den Einzelnen unangenehm, ist der Brechreflex aus medizinischer Sicht ein essenzieller Schutzmechanismus. Anders als beispielsweise bei Pferden oder Ratten kann das menschliche Verdauungssystem bei Verdacht auf ungenießbare, verdorbene Nahrung den Rückwärtsgang einlegen und sich des fragwürdigen Mageninhaltes entledigen.
Foto: Shutterstock/PhotoMediaGroup
Die Ursachen für Übelkeit und Erbrechen sind vielfältig. Neben verdorbenen Lebensmitteln oder Infektionen des Gastrointestinaltraktes können auch unangenehme Gerüche, Ekel, Gehirnerschütterungen, Migräneattacken oder hormonelle Veränderungen in der Schwangerschaft zu den leidlichen Symptomen führen. Nausea und Emesis entwickeln sich auch infolge einer Gleichgewichtsstörung. Als Beispiel seien Kinetosen und Erkrankungen des Innenohres (etwa Morbus Menière) genannt. Nicht zuletzt gehören die Symptome auch zu den typischen unerwünschten Nebenwirkungen einer Strahlen- oder Zytostatikatherapie.
Signalkaskade unterbrechen
Das Brechzentrum im verlängerten Rückenmark (Medulla oblongata) ist an der Auslösung und Steuerung des Erbrechens beteiligt. Es ist gewissermaßen eine übergeordnete Zentrale, die Informationen aus dem Magen-Darm-Trakt, dem Gleichgewichtsorgan, dem Kleinhirn sowie höheren Hirnzentren auswertet und anschließend eine Entscheidung nach dem »Alles-oder-Nichts-Prinzip« fällt. Zu den wesentlichen Botenstoffen zählen dabei Histamin, Dopamin, Serotonin, Acetylcholin und Substanz P (Neurokinin, NK1).
Arzneimittel gegen Übelkeit und Erbrechen, Antiemetika genannt, greifen überwiegend als Rezeptorantagonisten hemmend in die Signalübertragung der Mediatoren ein. Ausschlaggebend bei der Wahl eines geeigneten Antiemetikums ist die Ursache der Beschwerden. So wird Zytostatika-induziertes Erbrechen in der Regel mit Serotonin-(5-HT3)-Rezeptorantagonisten behandelt. Bei Migräneattacken haben sich Prokinetika vom Typ der Dopamin-(D2)-Rezeptoragonisten (wie Metoclopramid und Domperidon) bewährt.
Selbstmedikation mit Antihistaminika
Im Rahmen der Selbstmedikation werden antiemetisch wirksame Arzneistoffe aus der Klasse der H1-Antihistaminika eingesetzt. Mittel der Wahl sind dabei zwei Substanzen der ersten Generation: Diphenhydramin und Dimenhydrinat. Sie werden in verschiedenen Darreichungsformen für Erwachsene und Kinder angeboten und erlauben so eine altersgerechte und bedarfsorientierte Therapie. Für Erwachsene und Kinder ab sechs Jahren gibt es zum Beispiel Emesan® (Diphenhydramin), Dimenhydrinat ist etwa in Vomex® und Vomacur® enthalten. Für Kinder ab 6 kg Körpergewicht eignet sich beispielsweise Vomex® A Sirup.
Vor der Reise
Zur Vorbeugung einer Reisekrankheit sollten H1-Antihistaminika etwa eine halbe bis eine Stunde vor Reiseantritt angewendet werden Die Wirkung setzt nach 15 bis 30 Minuten ein und hält vier bis sechs Stunden an. Praktisch für unterwegs und bei Kindern beliebt sind Dimenhydrinat-haltige Reisekaugummis (Superpep®, ab sechs Jahren). Sie zeigen einen raschen Wirkeintritt, da der Arzneistoff über die Mundschleimhaut resorbiert wird und so direkt in die Blutbahn gelangt. Daher ist eine relativ geringe Wirkstoffkonzentration ausreichend, weswegen Reisekaugummis auch nicht so müde machen. Bei Kindern sorgt das Kauen außerdem für Ablenkung. Daneben gibt es zur Prophylaxe von Kinetosen auch ein verschreibungspflichtiges Pflaster, Scopoderm TTS®, mit dem Muscarin-Rezeptorantagonisten Scopolamin als Wirkstoff.
Foto: Shutterstock/Soyka
Bei Magen-Darm-Infektionen oder Migräneanfällen ist der Brechreiz zuweilen so groß, dass eine perorale Arzneimittelanwendung nicht möglich ist. Hier bieten sich Zäpfchen als Alternative an (zum Beispiel Emesan® E oder K Suppositorien, Vomex A®, Vomacur®).
Um einen Gewöhnungseffekt zu vermeiden, sind Diphenhydramin- und Dimenhydrinat-haltige Präparate ausschließlich für einen kurzzeitigen Gebrauch bestimmt. Darüber hinaus dürfen PTA und Apotheker es keinesfalls versäumen, Patienten auf die sedierende Wirkung hinzuweisen. Andernfalls drohen Unfälle im Straßenverkehr oder beim Bedienen von Maschinen. Die zentral dämpfende Wirkung kann besonders für Kleinkinder gefährlich werden – eine altersgerechte Dosierung ist daher wichtig.
Diphenhydramin und Dimenhydrinat besitzen ein ausgeprägtes anticholinerges Potenzial. Dies verbietet ihren Einsatz bei akutem Asthma bronchiale, Engwinkelglaukom, Epilepsie oder Prostatahyperplasie. Die gleichzeitige Einnahme von ebenfalls anticholinerg wirkenden Arzneimitteln wie trizyklischen Antidepressiva oder MAO-Hemmern ist kontraindiziert. H1-Antihistaminika können zudem die QT-Zeit verlängern. Daraus ergeben sich Gefahren bei Patienten mit Herzrhythmusstörungen.
Pflanzliche Hilfe
Übelkeit und Erbrechen lassen sich auch mit pflanzlichen Zubereitungen behandeln. Iberogast®, eine Kombination aus neun Pflanzenextrakten, hat sich bei gastrointestinalen Störungen etabliert und kann ab einem Alter von drei Jahren empfohlen werden. Daneben können PTA und Apotheker ihren Patienten zu Zubereitungen mit Ingwerwurzelstock (zum Beispiel Zintona® Kapseln) raten. Die antiemetische Wirkung beruht vermutlich auf einer Hemmung von 5-HT3-Rezeptoren sowie einem prokinetischen Effekt durch Steigerung der Darmperistaltik. Erwachsene und Kinder ab sechs Jahren nehmen drei- bis viermal täglich zwei Kapseln à 250 mg Ingwerwurzelstock ein.
Patienten, die auf Homöopathie vertrauen, kann die Anwendung von Globuli mit Arsenicum album D12, Cocculus D12, Ipecacuanha D12 oder Nux vomica D12 empfohlen werden. Für die Behandlung einer Reisekrankheit mit Übelkeit und Brechreiz bei Kindern ab zwölf Monaten eignen sich auch Travelin® Tabletten von Mama Natura. Als Komplexmittel stehen Cocculus Pentarkan® S (ab zwölf Jahren) und Nausyn® Tabletten (ab einem Jahr) zur Verfügung. Die Produktlinie Sea-Band® setzt auf die Heilkraft der Akupressur und bietet mit entsprechenden Akupressurbändern für das Handgelenk eine nebenwirkungsfreie Therapieoption für Erwachsene, Kinder und Schwangere an.
In anderen Umständen
Im ersten Trimenon werden etwa sieben von zehn Frauen von Übelkeit und Erbrechen geplagt. Verantwortlich für die Emesis gravidarum sind mit großer Wahrscheinlichkeit hormonelle Veränderungen, allen voran scheint der Anstieg des Schwangerschaftshormons hCG (humanes Choriongonadotropin) ausschlaggebend zu sein. Milde, besonders morgens auftretende Beschwerden, sind daher letztlich physiologisch bedingt und in der Regel nicht weiter besorgniserregend. Abzugrenzen ist diese leichte Form des Schwangerschaftserbrechens von der sogenannten Hyperemesis gravidarum. Das nahezu unstillbare Erbrechen zieht massive Wasser-, Elektrolyt- und Gewichtsverluste nach sich. Eine Hyperemesis gravidarum ist gefährlich für Mutter und Kind und demzufolge zwingend ärztlich zu therapieren.
Viele kleine Mahlzeiten
Mildes Schwangerschaftserbrechen kann durchaus in Eigenregie therapiert werden. Dabei sollte den Beschwerden zunächst möglichst nicht mit Arzneimitteln begegnet werden. Vielen Schwangeren hilft es, wenn sie über den Tag verteilt sechs bis acht kleinere Mahlzeiten zu sich nehmen. Eiweiß- und kohlenhydratreiche Nahrungsmittel sind zu bevorzugen, während Lebensmittel mit einem hohen Säure- oder Fettanteil sowie stark gewürzte Speisen gemieden werden sollten. Ein guter Tipp ist auch, zwischendurch immer wieder einen Schluck zu trinken. Neben Wasser eignen sich etwa Apfelschorle, Pfefferminz- und Ingwertee. Wohltuend wirkt außerdem Pfefferminzöl, das auf Stirn und Schläfen getröpfelt wird, und die Einnahme von Ingwerkapseln. Bei Letzteren wird in manchen Fällen über Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen oder Sodbrennen berichtet.
Von morgendlicher Übelkeit in den ersten Schwangerschaftsmonaten sind sieben von zehn Frauen betroffen.
Foto: Shutterstock/Africa Studio
Lassen sich Übelkeit und Erbrechen nicht ausreichend durch die genannten Maßnahmen lindern, lautet die Therapieempfehlung Vitamin B6 (Pyridoxin). Gemeinsam mit Vitamin B1 und B12 ist es in Nausema® Dragées enthalten. Darüber hinaus kann, in Absprache mit dem behandelnden Arzt, auch der Einsatz von Diphenhydramin, Dimenhydrinat oder Doxylamin (in Deutschland als Off-label-Use) erwogen werden, heißt es in den Empfehlungen des Instituts für Embryonaltoxikologie der Universitätsklinik Charité in Berlin. Im Rahmen zahlreicher Untersuchungen konnte kein teratogener Effekt beim Menschen nachgewiesen werden. Die Substanzen könnten allerdings möglicherweise eine kontraktionsfördernde Wirkung auf die Gebärmutter haben. Daher sollten sie bei erhöhtem Frühgeburtsrisiko sowie generell im letzten Schwangerschaftsdrittel gemieden werden. Auch eine langfristige Anwendung ist kritisch zu sehen: Neugeborene, deren Mütter bis zur Entbindung H1-Antihistaminika einnahmen, wiesen in Einzelfällen Entzugssymptome wie Zittrigkeit und Diarrhö auf.
Wann zum Arzt?
Erbrechen bei Säuglingen, Kleinkindern, älteren und immungeschwächten Personen ist in jedem Fall ärztlich abzuklären. Das Gleiche gilt, wenn die Symptome über mehr als drei Tage andauern oder besonders ausgeprägt sind. Berichtet ein Patient von häufigem (mehr als drei bis vier Mal), nahezu unstillbarem Erbrechen, eventuell sogar in Verbindung mit hohem Fieber, Verwirrtheit oder Apathie, sind die Grenzen der Selbstmedikation ebenfalls erreicht. Hier drohen infolge starker Dehydration und Elektrolytverlusten lebensbedrohliche Stoffwechselentgleisungen.
Aufhorchen sollten PTA und Apotheker auch, wenn die Symptome zusammen mit intensiven Augenschmerzen (Verdacht auf Glaukomanfall), starken Brustschmerzen (typisch für einen Herzinfarkt bei Frauen) oder starken Bauchschmerzen und Blähungen (Verdacht auf Darmverschluss) auftreten. Erbrechen im Anschluss an Stürze (vor allem bei Kindern) kann auf ein Schädel-Hirn-Trauma hinweisen. /
Arzneistoffgruppe | Wirkstoff/Dosierung | Präparate |
---|---|---|
H1-Antihistaminika | Diphenhydramin | |
Erwachsene, Kinder ab 6 Jahren | Emesan® Tabl., Emesan® E Supp. | |
Kinder ab 8 kg Körpergewicht | Emesan® K Supp. | |
Dimenhydrinat | ||
Erwachsene, Kinder ab 6 Jahren | Reisetabletten-ratiopharm®, Vomex A® (Dragees, Retardkaps., Supp.) Vomacur® (Tabl., Supp.) Superpep® Reisekaugummis | |
Kinder ab 15 kg Körpergewicht | Vomacur® 70 mg Supp. Vomex A®forte Kinder-Supp. 70 mg | |
Kinder ab 8 kg Körpergewicht | Vomacur® 40 mg Supp., Vomex A® Kinder-Supp. 40 mg | |
Kinder ab 6 kg Körpergewicht | Vomex A Sirup | |
Phytopharmaka | Kombinationspräparat aus 9 Pflanzenauszügen (Erwachsene und Kinder ab drei Jahren) | Iberogast® Lsg. |
Ingwerwurzelstock (Erwachsene, Kinder ab 6 Jahren) | Zintona® Kaps. | |
Vitamine | B6, B1, B12 | Nausema ® Dragées |
Homöopathika | Einzelmittel | Arsenicum album D12 Cocculus D12 Ipecacuanha D12 Nux vomica D12 Travelin® Tabletten |
Komplexmittel | ||
ab 12 Jahren | Cocculus Pentarkan® | |
ab 1 Jahr | Nausyn® |