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Orale Antidiabetika

Gliptine, Glinide und Gliflozine

23.04.2018  13:57 Uhr

Von Caroline Wendt, Berlin / Tabletten können als Problem oder als Lösung empfunden werden. Diese unterschiedliche Wahr­nehmung hat Einfluss auf die Therapietreue der Patienten. Christian Schulz, Apotheker aus Horn-Bad Meinberg, erläuterte bei der Fachmesse Interpharm in Berlin, wie PTA und Apotheker Über­zeugungsarbeit leisten können.

Ein Patient, der aufgrund einer Unterzuckerung ein neues Medikament einneh­men soll, sei zunächst hoch motiviert. Doch bereits nach fünf Jahren sehe das anders aus: »Dann liegt die Therapietreue im Durchschnitt nur noch bei 50 Prozent«, berichtete der Fachapotheker für Allgemeinphar­mazie. Dabei sei vielen Patienten nicht bewusst, welche Folgen ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus Typ II haben kann. Therapieziele sollten daher die Gesunderhaltung der großen und kleinen Blutgefäße, eine verbesserte Stoffwechsellage aber auch eine hohe Behandlungszufriedenheit der Patienten sein.

Gesunder Lebensstil

Die Basistherapie sollte immer eine Umstellung der Lebens­gewohnheiten beinhalten: In Schulungen sollten die Patienten erfahren, welchen Einfluss Ernährung und Bewegung haben. Genauso gehören eine Tabakentwöhnung und eine regelmäßige Blutzuckerkontrolle dazu, betonte Schulz. »Der HbA1c-Wert gibt erst nach 80 Tagen Auskunft über den Status einer­ Diabetestherapie«, er­klärte der Referent. Deshalb sei ein Blutzuckertagebuch von großer Be­deutung. Dieses gibt dem Arzt wichtige Hinweise über tageszeitliche Schwankungen und den Erfolg der Therapie.

Ist eine medikamentöse Behandlung des erhöhten Blutzuckerspiegels notwendig, ist Metformin mit mehr als 40 Jahren Therapieerfahrung das Mittel der ersten Wahl. Metformin ver­mindert die Glucoseproduktion und -abgabe der Leber. Zudem wird die Glucose­aufnahme in die Skelettmuskel- und Fettzellen gesteigert – der Blutzuckerspiegel sinkt. »Ein großer Vorteil einer Therapie mit Metformin ist die damit einhergehende Gewichtsreduktion«, hob Schulz hervor. Diese verbessere nicht nur die diabetische Stoffwechsellage, sondern habe auch Einfluss auf einen erhöhten Blutdruck. Metformin müsse allerdings immer einschleichend dosiert werden, die Dosis dürfe nur langsam gesteigert werden. Das Prinzip »start low, go slow« sei wichtig, um Nebenwirkungen wie Übelkeit­, Erbrechen und Durchfall zu reduzieren. »Kommt es trotzdem zu Beschwer­den, sollten PTA und Apotheker zu Geduld mahnen«, sagte Schulz. Bei einer konsequenten Anwendung gehen die Nebenwirkungen in der Regel zurück.

Vorsicht Unterzuckerung

Bleiben die gastrointestinalen Nebenwirkungen bestehen, kann ein Präpa­rate-Wechsel sinnvoll sein. Bei einer noch funktionierenden Bauchspeicheldrüse sind Sulfonylharnstoffe wie Gliben­clamid eine Alternative. Sie fördern­ die Insulinfreisetzung unabhängig vom Blutzucker. »Deshalb sollen Sulfonylharnstoffe immer mit dem ersten Bissen einer Mahlzeit ein­genommen werden«, erklärte der Apotheker. Ansonsten kann es leicht zu Unter­zuckerungen kommen. Die Langzeitanwendung von Sulfonylharn­stoffen werde allerdings eher kritisch gesehen. »Diese Substanzen wringen die Bauchspeicheldrüse regelrecht aus«, so der Referent. Außerdem komme es unter der Einnahme zu einer Gewichts­zunahme von im Durchschnitt 2 bis 3 Kilogramm.

Eine weitere gut verträgliche Alternative sind Gliptine (zum Beispiel Saxa­gliptin oder Sitagliptin). Sie hemmen den Abbau von Inkretinen – gas­trointestinalen Hormonen, welche die nahrungsabhängige Insulinsekretion beeinflussen. »Dadurch ist das Hypoglykämie-Risiko sehr gering«, sagte Schulz. Allerdings haben die Wirkstoffe dieser Substanzgruppe eine andere gefährliche Nebenwirkung: das erhöhte Risiko einer Pankreatitis – einer Ent­zündung der Bauchspeicheldrüse. »Bei anhaltenden, starken Bauchschmerzen sollten die Patienten daher umgehend zum Arzt gehen«, betonte der Apotheker.

Gliflozine (zum Beispiel Dapagli­flozin oder Empagliflozin) hemmen die Wiederaufnahme von Glucose in den Nieren. Da mit dem Zucker­ auch vermehrt Wasser ausgeschieden wird, sinkt der Blutdruck. »Gerade­ bei älteren Patienten, die zusätz­lich Diuretika einnehmen, kann das mitunter zu Schwindel und Kreislauf­problemen führen«, so Schulz. Zudem biete der erhöhte Zuckergehalt im Urin ein ideales Nährmedium für Bakterien, was das Risiko für Harnwegs­infektionen erhöhe.

Repaglinid gehört zur Substanzgruppe der Glinide und fördert durch die Bindung an ATP-abhängige Kaliumkanäle der Betazellen des Pankreas die Insulin-Freisetzung. Ähnlich wie bei den Sulfonylharnstoffen sei auch hier die Wirkung unabhängig vom Verzehr von Kohlenhydraten, und die Therapie führe deshalb häufig zu Unterzuckerungen, erklärte der Apotheker. Zudem lasse die Wirkung­ mit der Zeit nach, sodass sich die Arzneistoffe aus der Substanz­gruppe der Glinide nicht für eine Dauer­therapie eignen.

Vom Problem zur Lösung

Ein fundiertes Fachwissen ist für eine gute Beratung unerlässlich. Doch müssen­ PTA und Apotheker aufpassen, nicht in den sogenannten Korrektur­reflex zu verfallen, so der Referent. Insbe­sondere bei unentschlossenen Kunden führe das schnell zu einer Abwehrhaltung gegen das verordnete Medikament. »Lehnt ein Patient ein neues Arzneimittel mit den Worten ›Noch eine Tablette, das wird mir echt zu viel‹ ab, ist der erhobene Zeigefinger meist fehl am Platz«, betonte Schulz. Besser sei es, mit offenen Fragen wie »Was macht Ihnen bei der Einnahme die größten Sorgen?« oder »Was spricht Ihrer Meinung nach für die Einnahme?« zu reagieren. So fördern die Apothekenmitarbeiter ihre Beziehung zum Patien­ten. Dieser fühle sich mit seinen Sorgen ernst genommen. In der Beratung­ könne nun gezielt auf die einzelnen Aspekte eingegangen werden, erklärte der Referent.

Persönliche Motivation

Zudem sei es wichtig, die positiven Aspekte einer Therapie in den Vordergrund zu stellen. Der Anreiz, ein Medikament­ einzunehmen, müsse größer sein als die Ablehnung. »Ein Patient­, der früher gerne wandern ging und das aufgrund seiner schlechten Blutzuckereinstellung nicht mehr kann, sollte wissen, dass längere Ausflüge mit den neuen Tabletten unter Umständen­ wieder möglich sind«, nannte Schulz ein Beispiel.

Das Besprechen von Nebenwirkungen sei häufig heikel, doch gravierende Nebenwirkungen, beispielsweise eine Hypoglykämie, dürften bei einer Beratung nicht unausgesprochen bleiben. Um den Patient nicht direkt abzuschrecken, empfiehlt der Apotheker, mögliche Nebenwirkungen in eine Frage zu verpacken. Wichtig sei es auch, dem Patienten die Angabe der Häufigkeit einer unerwünschten Wirkung richtig zu erklären, so der Apotheker. Unter der Angabe »einer von 1000« könne sich kaum jemand etwas vorstellen. Einfacher sei es am Beispiel konkreter Zahlen und Bilder zu er­klären: »In unserm Dorf leben 4000 Einwohner. Wenn alle diese Tabletten einnehmen würden, hätten nur vier die angesprochene Nebenwirkung«, erläuterte Schulz.

Abschließend riet der Referent, die Patienten einzuladen, bei Fragen oder Problemen wieder in die Apotheke zu kommen. So können PTA und Apotheker dem Patienten helfen, die neue Tabletten­einnahme anzunehmen. /

Orale Antidiabetika im Überblick

Substanz­gruppe Wirkstoffe Handelsnamen (Beispiele) Mögliche Nebenwirkungen
Biguanid Metformin Diabesin®, Glucophage® und Generika Übelkeit, Erbrechen, Durchfall (dosisabhängig, meist reversibel)
Sulfonyl­- harnstoffe Glibenclamid, Glimepirid Maninil®, Amaryl® und Generika Hypoglykämie, Gewichtszunahme
Gliptine Saxagliptin, Sitagliptin Onglyza®, Januvia® Pankreatitis
Gliflozine Dapagliflozin, Empagliflozin Forxiga®, Jardiance® Harnwegsinfekte, Kreislaufprobleme
Glinide Repaglinid, Nateglinid Novonorm®, Starlix® und Generika Hypoglykämie