Die Anfänge der Neurodermitis |
27.04.2015 13:58 Uhr |
Von Daniela Hüttemann / Sie gehört zu den häufigsten Erkrankungen kleiner Kinder und erzeugt einen hohen Leidensdruck: die Neurodermitis. Betroffene Eltern sind für jeden Tipp dankbar. Entscheidend sind eine gute Basispflege der Haut und eine Strategie für den akuten Schub.
Leichte Formen mit eingerechnet sind schätzungsweise 15 Prozent aller Kinder in Industrieländern an Neurodermitis erkrankt und immerhin noch 1 Prozent der Erwachsenen. In 85 Prozent der Fälle beginnt die Erkrankung im ersten Lebensjahr, meist um den dritten Lebensmonat herum. Die gute Nachricht: Bei der Hälfte der Kinder bessern sich die Beschwerden ab dem vierten Lebensjahr deutlich oder verschwinden sogar ganz.
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Typischerweise führt Neurodermitis bei Babys und Kleinkindern zu quälendem Juckreiz, unscharf begrenzten, geröteten und nässenden Hautstellen mit Bläschen, Schuppen und Krusten. Diese bilden sich vor allem anfangs auf den Wangen, am Kopf und an den Streckseiten von Armen und Beinen. Der Windelbereich bleibt in der Regel ausgespart. Daher lässt sich die Neurodermitis meist gut von der Windeldermatitis (Soor) oder dem seborrhoischen Säuglingsekzem, das bei fast allen jungen Säuglingen auftritt, unterscheiden. Allerdings kann letzteres fließend in eine Neurodermitis übergehen. Bei älteren Kindern verlagern sich die Entzündungsherde in die Ellenbeugen, Kniekehlen und zum Hals. Kratzen die Kleinen die juckenden Stellen auf, begünstigt das Infektionen, und es entstehen nässende, gelbe Krusten.
Übrigens ist die Neurodermitis mehr als eine Hautkrankheit: Generell reagiert das Immunsystem der Erkrankten sehr sensibel. Oft leiden Neurodermitiker auch unter anderen atopischen Erkrankungen wie Heuschnupfen oder Asthma. Zudem sind Störungen im Magen-Darm-Trakt keine Seltenheit.
Ausgesprochen wichtig ist die gute Basispflege der trockenen Haut: Es reicht, wenn Eltern ihr Baby einmal die Woche baden, nicht zu heiß, möglichst kurz, statt Seife mit mildem Waschsyndet oder nur einem Schuss Öl im Badewasser. Anschließend dürfen sie die Haut nur vorsichtig trocken tupfen und sollten sie direkt mit einer fetthaltigen Basislotion (häufig mit »Basis« im Namen) eincremen, da die feuchte Haut die Pflege besser aufnimmt. Für nässende Stellen eignen sich Lotionen mit höherem Wassergehalt, für die trockene Haut sind fettigere Cremes oder Salben besser. Daher sollten die Eltern das Pflegeprodukt je nach Hautzustand und Witterungsbedingungen wählen. Der Zusatz von Omega-6-Fettsäuren, zum Beispiel in Nachtkerzenöl, kann die rückfettende Wirkung verstärken. Allerdings vertragen nicht alle Babys diese Präparate gut.
Bei gereizter, trockener Haut sollten Eltern das Baby mindestens zweimal täglich eincremen.
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Rat von Experten
Die Kinderärzte Dr. Nicole Menche, Dr. Herbert Renz-Polster und Dr. Arne Schäffler raten in ihrem Standardwerk »Gesundheit für Kinder«, bei einem Präparat zu bleiben, solange es gut hilft, aber immer mehrere Produkte mit unterschiedlichem Fettgehalt vorrätig zu halten, damit sie die Basispflege schnell dem aktuellen Hautzustand anpassen können.
Cortison bei akutem Schub
Während eines akuten Schubs werden schon Säuglinge mit Corticoid-haltigen topischen Präparaten »Kortisoncremes« behandelt. Hier lautet der Rat an die Eltern: Das Präparat möglichst dünn nur auf die betroffenen Areale auftragen. Die Therapie erfolgt in der Regel wenige Tage und wird zum Ende der Behandlung hin möglichst ausgeschlichen, das heißt, die Eltern tragen alternierend immer häufiger wieder die Basispflege auf. Offizielle Therapieschemata gibt es nicht, auch wird die Leitlinie zur Behandlung Neurodermitis gerade überarbeitet. Der Arzt – und nicht die Eltern – sollte entscheiden, ob, wie oft und welches Corticoid zum Einsatz kommt, denn Säuglinge und Kleinkinder sind besonders anfällig für die typischen Nebenwirkungen wie Atrophie, Hautinfektionen oder periorale Dermatitis. Trotzdem gilt: Bei akuten Schüben und korrekter Anwendung übertrifft der Nutzen der Präparate bei Weitem die Risiken – PTA und Apotheker sollten stets versuchen, besorgten Eltern die Cortison-Angst nehmen! Ohne Therapie wird der Juckreiz für die Kleinen zur unerträglichen Qual.
Der Arzt verordnet Säuglingen und Kleinkindern möglichst nur ein schwach wirkendes Corticosteroid der Klassen I und II wie Hydrocortison, Prednisolon, Dexamethason oder Triamcinolonacetonid. Potentere Corticosteroide der Klasse III wie Mometasonfuroat oder Betamethasonvalerat kommen nur in Ausnahmefällen zum Einsatz. Vorsicht vor Verwechselungen: Über die Wirkstärke entscheidet oft das Salz, zum Beispiel gehören Hydrocortison und Hydrocortisonacetat zur Klasse I, Hydrocortisonbutyrat aber zur Klasse II. Auch ist die Dosierung und damit die Einwaage bei Rezepturen unterschiedlich. Orale Glucocorticoide erhalten kleine Kinder nur kurzfristig bei sehr schweren Formen der Neurodermitis.
Wenig Evidenz bei Juckreiz
Topische Calcineurin-Inhibitoren wie Tacrolimus und Pimecrolimus sind erst ab dem dritten Lebensjahr zugelassen. Gegen den Juckreiz können die Eltern eine topische Therapie mit Polidocanol oder Gerbstoffen ausprobieren. Allerdings sprechen die Autoren der letzten Leitlinie aus dem Jahr 2008 mangels Wirksamkeitsstudien dafür keine Empfehlung aus. Auch antientzündliche Substanzen oder Substanzgemische wie Bufexamac, Schieferöl (Bituminosulfate) oder Steinkohlenteer werden mangels Wirksamkeitsnachweisen und Allergiepotenzial nicht empfohlen. Topische H1-Antihistaminika bringen keine Besserung. Zwar könnte die abendliche Gabe eines oralen H1-Antihistaminikums mit sedierender Wirkung dem Baby bei quälendem Juckreiz das Einschlafen erleichtern, allerdings sind Antihistaminika der ersten Generation wie Diphenhydramin, Doxylamin und Dimenhydrinat aufgrund ihrer anticholinergen Nebenwirkungen für Säuglinge und Kleinkinder fachlich umstritten und in Frankreich für diese Altersgruppe sogar kontraindiziert.
Im Alltag oft schwer: Mit dem Baby spielen, um es vom Juckreiz abzulenken.
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Was also lindert den Juckreiz möglichst schnell? Vielen Kindern verschafft eine leichte Kühlung Erleichterung. Die Cremes im Kühlschrank zu lagern, ist also nicht nur aus Stabilitätsgründen sinnvoll. Die Eltern können auch einen feuchten Waschlappen auf die zuvor eingefettete Haut legen. Außerdem sollte die Luftfeuchtigkeit in den Räumen nicht unter 50 Prozent sinken und das Schlafzimmer möglichst kühl sein. Die Kleidung darf nicht kratzen und besteht am besten aus Baumwolle, Seide oder einem Gemisch der beiden Stoffe. Wolle und Synthetik reizen dagegen die Haut. Im Handel gibt es spezielle, beschichtete Neurodermitis-Overalls und Schlafsäcke, bei denen zum Teil Hand- und Fußlöcher zugenäht oder Handschuhe eingearbeitet sind. Zusätzlich sollten die Eltern die Finger- und Zehennägel des Kinds immer möglichst kurz halten. Leicht gesagt, aber im Alltag oft schwer getan: Stress für das Kind – so gut es geht – vermeiden und für Ablenkung und möglichst viel Zuwendung sorgen.
Das oft leider unvermeidliche Kratzen reizt die Haut nicht nur noch mehr, es macht sie auch empfänglich für Infektionen durch Bakterien, Viren und Pilze. Kommt es zu einer solchen Entzündung, verschreiben Kinderärzte meist infektionshemmende Zusätze zur Basiscreme wie Triclosan oder falls nötig, eine topische oder sogar orale Antibiotikatherapie.
Die schwierige Spurensuche
Unbestritten gibt es eine genetische Disposition für Neurodermitis. Nach derzeitigem Wissensstand lässt sich kaum verhindern, dass die Erkrankung bei Veranlagung ausbricht. Wer typische Auslöser seines bereits erkrankten Kindes kennt, sollte diese aber möglichst meiden. So lässt sich die Häufigkeit von Schüben vermindern und deren Heftigkeit abschwächen. Dabei sollten die Eltern ihr Kind genau beobachten und unbedingt mit dem Kinderarzt absprechen, wie sie am besten vorgehen. Als häufige Auslöser bei einer Veranlagung gelten Allergene wie Eier, Milch, Nüsse, Fisch und Schokolade, Infektionen, Stress, zum Beispiel durch Zahnungsbeschwerden oder Schlafmangel, Reizstoffe in Kosmetika und Weichspülern, kratzige Kleidung, aber auch saure und scharfe Lebensmittel wie Tomaten, Erdbeeren und Zitrusfrüchte.
Ein vager Verdacht rechtfertigt in der Regel nicht, die Ernährung des Babys radikal umzustellen – zu groß ist die Gefahr einer unzureichenden Versorgung mit Nährstoffen. Ob Stillen den Ausbruch einer Neurodermitis verhindern oder verzögern kann, ist nicht eindeutig belegt. Auch der vorbeugende Effekt von hypoallergener Säuglingsnahrung (HA-Milch) oder Probiotika ist umstritten.
Beikost sollten die Eltern besonders behutsam einführen, da neue Lebensmittel oft zu Hautirritationen führen. Erst nach ein oder zwei Wochen lässt sich jedoch sagen, ob das Kind das Lebensmittel wirklich nicht verträgt. Als ungünstig für den Start gelten Milch- und Sojamilchprodukte, Eier, Fisch und Weizen, gut verträglich sind dagegen Kartoffeln und Bananen. »Kann ein »normales« Kind mit zwölf Monaten im Prinzip alles mitessen, was Erwachsene zu sich nehmen, sollte man einem Neurodermitis-Kind sechs bis zwölf Monate mehr Zeit dafür gönnen«, empfehlen Menche, Renz-Polster und Schäffler.
Sowohl für Ernährung und Basispflege als auch für die Therapie gilt: Was dem einen Neurodermitis-Kind hilft, ist noch lange nicht das Richtige für das andere. Und auch bei demselben Kind kann sich immer wieder ändern, worauf es gut anspricht und was es lieber meiden sollte. In dieser Situation müssen Eltern ein Gleichgewicht finden: Bewährtes sollten sie, solange es dem Kind gut tut, beibehalten, aber auch nicht vor Neuem zurückschrecken. Starre Dogmen schaden dem Kind mehr, als sie nutzen. /