PTA-Forum online
Neurofeedback

Die eigene Hirnaktivität steuern

27.04.2015  13:58 Uhr

Von Carina Steyer / Die Anwendungsmöglichkeiten der Neurofeedback-Therapie sind zahlreich. Tinnitus, Epilepsie, Depressionen sind nur einige Beispiele für Erkrankungen, deren Symptome sich lindern lassen. Das Prinzip der Therapie ist denkbar einfach: Der Patient lernt, die Aktivität seines Gehirns gezielt zu steuern.

Das Neurofeedback-Training ist eine Form des Biofeedbacks. Biofeedbackverfahren ermöglichen es, die Kontrolle über physiologische Körperfunktionen zu erlangen, beispielsweise über Herzfrequenz, Muskeltonus oder auch Hirnaktivitäten. Während des Trainings wird die jeweilige Körperfunktion mit einem geeigneten Verfahren gemessen und durch optische oder akustische Signale für den Patienten wahrnehmbar gemacht.

Die Grundlage für das Neurofeedback-Training bilden die Gehirnwellen, die je nach Aktivität in unterschiedlichen Frequenzen schwingen (siehe Tabelle weiter unten). Diese Frequenzen können mit einem Elektroenzephalogramm (EEG) gemessen werden. Zwar erfasst das EEG meist ein Gemisch verschiedener Frequenzen, doch eine Frequenz herrscht vor. Bei vielen Erkrankungen verändern sich die Muster der Gehirnfrequenzen charakteristisch. So finden sich bei einigen Kindern mit der Aufmerk­samkeits­defizit-/­Hyperaktivitäts­störung (ADS/ADHS) erhöhte Theta- und erniedrigte Beta-Frequenzen, bei anderen wiederum erhöhte Beta-Frequenzen. Das Neurofeedback-Training soll helfen, diese Regulationsstörungen im Gehirn zu verbessern oder ganz zu beheben, indem der Erkrankte lernt, bestimmte Gehirnfrequenzen gezielt zu kontrollieren.

Ablauf des Trainings

Zu Beginn werden für das EEG die Elektroden auf der Kopfhaut und manchmal den Ohrläppchen des Patienten angebracht. Dieser sieht auf einem Bildschirm eine Animation, die er nur mit seiner Hirnfunktion steuern soll – ganz ohne Joystick oder Maus. Zum Beispiel soll er eine Figur über ein Spielfeld navigieren oder eine Rakete in eine angewiesene Richtung lenken. Dazu wird das EEG mithilfe einer Software analysiert und die für das Training benötigten Frequenzen in ein optisches oder akustisches Signal umgesetzt. Schafft es der Patient, die gewünschten Frequenzen zu verstärken oder auch zu reduzieren, bewegt sich die Figur oder die Rakete in die geforderte Richtung. Dabei sammelt er Punkte, sodass er für sein richtiges Verhalten belohnt wird.

Durch Zufall entdeckt

Welche Möglichkeiten die gezielte Aktivierung von Gehirnfrequenzen bieten kann, entdeckte der Schlafforscher Professor Barry Sterman Ende der 1960er-Jahre eher zufällig. Während ihrer Versuche an Katzen fanden Sterman und sein Team eine bis dahin unbekannte Frequenz im EEG von wachen, aber völlig entspannten Tieren. Es gelang ihnen, die Katzen mithilfe von Belohnungen beziehungsweise einem Leckerbissen darauf zu trainieren, diese Frequenzen gezielt zu produzieren.

Zur selben Zeit wurde in dem Labor die Substanz Monomethylhydrazin untersucht, die in Verdacht stand, epileptische Anfälle auszulösen. Als Sterman und seine Mitarbeiter die Substanz an den Versuchskatzen testeten, erlitten diejenigen Katzen seltener einen Anfall, die zuvor gelernt hatten, ihre Hirnstrommuster zu verändern.

Frequenz der Gehirnwellen in Herz (Hz) Name der Frequenz Verhalten, das mit der Frequenz verbunden wird
< 4 Hz Delta-Wellen Tiefschlaf
4 – 7 Hz Theta-Wellen Geringe geistige Aktivität. Sehr niedrige Frequenzen scheinen den Übergang zwischen Wachsein und Schlafen zu spiegeln.
8 – 12 Hz Alpha-Wellen In entspannten Situationen
13 – 30 Hz Beta-Wellen Geistige Aktivität mit erhöhter Aufmerksamkeit, zum Beispiel beim Kopfrechnen, Schmerzen oder Anspannung
> 30 Hz Gamma-Wellen Stark fokussierte Aufmerksamkeit und geistige Höchstleistung

Wellenfrequenzen im menschlichen Gehirn und damit verbundenes Verhalten

 

Doch das Neurofeedback-Training hilft nicht nur Kranken, sondern erzielte auch bei gesunden Menschen gute Ergebnisse. In verschiedenen Studien verbesserte das Training die Leistung von Musikern, Tänzern und Sportlern. Außerdem soll es Menschen helfen, mit Stress besser umzugehen.

Mögliche Nebenwirkungen

Auch wenn sich die Erfolge des Neurofeedback-Trainings vielversprechend anhören, so hat das Verfahren auch Nebenwirkungen. Diese wurden bisher in Studien nur selten mit erfasst. Wenn, dann berichteten die Studienteilnehmer über Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Ermüdung, Verwirrtheit, Ängste sowie Tics und Anfälle. Kurz nach dem Training oder einer Programmänderung sollen diese Symptome jedoch wieder nachlassen.

Wichtig ist, das Training individuell auf das EEG des Patienten abzustimmen. Deshalb sollten nur gut ausgebildete Therapeuten ein Neurofeedback-Training durchführen. Aus diesem Grund raten Experten auch von Geräten ab, die für den Einsatz zu Hause angeboten werden. Hier ist die Gefahr groß, dass das Training nicht den gewünschten Erfolg bringt oder sogar eine Verschlechterung bewirkt. /

Obwohl die Anfänge des Neurofeedback-Trainings inzwischen mehr als 50 Jahre zurück liegen, sind die grundlegenden Mechanismen bis heute nicht wirklich verstanden. Hinter dem Erfolg des Neurofeedback- Trainings vermuten einige Wissenschaftler das Prinzip der operanten Konditionierung (Lernen durch Erfolg), wie es bereits Anfang des letzten Jahrhunderts Iwan Petrowitsch Pawlow in dem berühmt gewordenen Experiment mit seinem Hund gelang.

Wie Stermans Katzen aktiviert der Patient beim Neurofeedback die gewünschte Frequenz, weil er weiß, dass er dafür eine Belohnung erhält. Andere Forscher gehen eher von einem aktiven Lernprozess aus, bei dem der erwünschte Zustand wahrgenommen und geübt wird.

Zahlreiche Anwendungen

Angespornt durch seine Erfolge mit Katzen begann Sterman das Neurofeedback-Training bei Menschen mit Epilepsie einzusetzen. Inzwischen haben viele Studien gezeigt: Das Training kann die Anfallshäufigkeit reduzieren. Der Epileptiker lernt, einen beginnenden Anfall zu erkennen, besser zu kontrollieren und eventuell ganz zu unterdrücken. Hilfreich ist dieses Verfahren vor allem für Patienten, bei denen Medikamente keine Wirkung zeigen. Komplett frei von Anfällen wurde bisher allerdings kein Patient.

Seit Ende der 1970er-Jahre wird Neurofeedback ebenfalls bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung erprobt. Viele Kinder empfinden das Training als attraktiv und machen gerne mit. Inzwischen konnten die positiven Effekte in vielen Studien gezeigt werden. Die Kinder können lernen, sich weniger impulsiv und hyperaktiv zu verhalten. Sie bleiben länger aufmerksam, konzentriert und schlafen oft auch besser.

So er­leben die Kinder und damit auch ihre Eltern häufig, dass sich die schulischen Leistungen verbessern. Langzeitstudien haben ergeben, dass die positiven Veränderungen nach Abschluss der Therapie bestehen bleiben.

Auch bei zahlreichen anderen Erkrankungen kann das Neurofeedback-Training helfen, Symptome zu verbessern. Etwa in der Rehabilitation von Patienten mit leichten Kopfverletzungen oder Schlaganfällen. Im Unterschied zu anderen Verfahren soll das Neurofeedback-Training auch dann noch Symptome verbessern, wenn diese bereits seit mehreren Jahren bestehen.

Tinnitus-Patienten können lernen, ihre Aufmerksamkeit vom Tinnitus wegzulenken. Erfahren sie, dass sie dem Tinnitus nicht hilflos ausgeliefert sind, belasten sie die Ohrengeräusche nicht mehr so stark.

Während und nach einer Alkohol- oder Drogenentzugstherapie kann das Neurofeedback-Training helfen, nicht rückfällig zu werden. Alkoholkonsum erhöht die Alpha- und Theta-Frequenzen. Auch nach mehreren Jahren der Abstinenz finden sich in den EEGs von Alkoholikern häufig geringere Alpha- und Theta-Frequenzen sowie erhöhte Beta-Frequenzen. Wissenschaftler vermuten, dass die Betroffenen sich im Vergleich zu Nichtabhängigen weniger gut entspannen können und der Alkoholkonsum sie vermutlich stärker entspannt als andere Menschen. Mit dem Neurofeedback-Training sollen Betroffene lernen, bestimmte Frequenzen selbst zu erhöhen, ohne Alkohol.

Auch Ängste und Depressionen lassen sich durch Neurofeedback-Trainings verbessern. Worauf dieser Effekt beruht, ist bisher nicht bekannt. Wissenschaftler halten es für möglich, dass sich die Betroffenen mithilfe des Trainings anders wahrnehmen, sich ihre Persönlichkeit verändert und dadurch die Verbesserung erzielt wird.

Schlafstörungen sind ein weiterer Einsatzbereich. Beispielsweise konnten Wissenschaftler in einer österreichischen Studie zeigen, dass die Probanden lernten, die Zeit vom Löschen des Lichts bis zum Einschlafen zu verkürzen. Zusätzlich erhöhten sich während des Schlafs die sogenannten Schlafspindeln. Schlafspindeln sind Zustände, in denen das Gehirn des Schlafenden nicht auf Reize aus der Umwelt reagiert. Weitere Anwendungsgebiete des Neurofeedback-Trainings sind Autismus und Asperger-Syndrom, Parkinson, Fibromyalgie, Fatigue-Syndrom, Tourette-Syndrom, posttraumatische Belastungsstörungen sowie chronische Kopfschmerzen und Migräne.

Hilfe aus dem Internet

Bei der Suche nach ausführlichen Informationen und Therapeuten helfen folgende Adressen weiter

www.eeginfo-neurofeedback.de

Homepage des europäischen Partners von EEG Info USA, unterstützt Neurofeedback-Therapeuten, unter anderem mit Informationen zur Ausbildung und Ausrüstung

neurofeedback-netzwerk.org

Das Netzwerk wird unter anderem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert

www.biofeedbackforum.de

Homepage der Deutschen Gesellschaft für Biofeedback e.V.