Kein Schwarz-Weiß |
08.05.2018 12:27 Uhr |
Von Carolin Antropov, München/ Der werdenden Mutter helfen, dem Baby nicht schaden: Täglich stehen PTA, Apotheker und Ärzte vor dem Dilemma, diesem Interessenskonflikt in der Beratung von Schwangeren gerecht zu werden. Professor Christof Schaefer, ärztlicher Leiter von Embryotox, beleuchtete auf einer Fortbildung die Zwickmühlen und warnte vor Schwarz-Weiß-Denken.
Seien es Schmerzen, akuter Heuschnupfen oder dauerhafte Leiden, eine Schwangere kommt selten ganz ohne Arzneimittel aus. Doch bei dem Wunsch, sie adäquat zu therapieren, stoßen alle Heilberufler auf das gleiche Problem: »Was zur Mutter kommt, erreicht im Allgemeinen auch das Kind«, erklärt Professor Christof Schaefer der Charité-Universitätsmedizin Berlin. Der Facharzt für Kinderheilkunde ist ärztlicher Leiter des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums Embryonaltoxikologie (kurz »Embryotox«) und der Experte, wenn es um Arzneimittel in der Schwangerschaft geht. Da die Zeit im Mutterleib für das Kind die vulnerabelste Phase im ganzen Leben darstellt, gibt es seiner Meinung nach keinen so empfindlichen und wichtigen Bereich der Arzneimitteltherapiesicherheit wie die Schwangerschaft. Wenn hierbei etwas schief geht und Schäden auffallen, ist es längst zu spät. Zwar sei immer wieder die Rede von einer Plazentaschranke. »Aber was die Plazenta als Letztes ist, ist eine Schranke oder gar eine Barriere«, gibt er zu bedenken. »Sie schützt das Kind überhaupt nicht.«
Hausmittel sind die erste Wahl bei banalen Infekten in der Schwangerschaft.
Foto: iStock/vadimguzhva
Latenzzeit möglich
Arzneimittel in der Schwangerschaft sind ein angstbesetztes Thema. Denn verkürzte Arme und Beine durch Contergan brannten sich als Bilder in das Gedächtnis vieler ein. Doch ebenso eine Fehlgeburt, Fehlbildungen von Organen, Wachstumshemmung, kognitive Einschränkungen, Funktionsstörungen oder gar ein erhöhtes Krebsrisiko können durch die falschen Mittel zur falschen Zeit ausgelöst werden. Manche Schäden fallen dabei nicht sofort, sondern erst mit Latenz auf. Die wichtigsten Teratogene sind Thalidomid, Retinoide wie Isotretinoin, Mycophenolat, aber auch Valproinsäure, Cumarin-Derivate (Marcumar®) und Methotrexat (MTX). Letzteres wird sogar zum medikamentösen Abbruch einer Eileiterschwangerschaft eingesetzt. Sie alle erhöhen das Risiko für Fehlbildungen um den Faktor zwei bis zehn. Je nach Wirkstoff liegt es damit bei bis zu 30 Prozent. Umfangreiche rechtliche Auflagen bei Valproinsäure (Indikationseinschränkung) und Isotretinoin (Rezeptgültigkeit sieben Tage, monatliche Schwangerschaftstests, doppelte Verhütung) klingen daher in der Theorie sinnvoll und effektiv. In der Praxis wird Embryotox dennoch etwa alle zwei Wochen von einer Schwangerschaft unter Retinoiden berichtet. Bei der Abgabe teratogener Arzneistoffe kann also gar nicht oft genug auf eine sichere Kontrazeption hingewiesen werden! Dies gilt ebenso für niedrig-dosiertes MTX.
Keine absolute Sicherheit
Gott sei Dank verursachen Arzneimittel aber nur einen kleinen Teil aller kindlichen Fehlbildungen. Unterschätzt werden hingegen die vermeidbaren Schäden durch Alkohol mit fast 5000 geschädigten Kindern jährlich in Deutschland sowie das unvermeidbare Basisrisiko. Wenn man jung ist, nicht raucht und gesund lebt, dann kann ja nichts schief gehen – oder? Leider nein, denn ein Basisrisiko bleibt. Für große Fehlbildungen liegt es bei etwa drei Prozent, wovon das Herz mit rund einem Prozent am häufigsten betroffen ist. Aber auch Café-au-Lait-Flecken, Blutschwämmchen und andere pränatale Entwicklungsstörungen, die vielleicht nie Probleme bereiten, treten bei bis zu jedem zehnten Kind auf. »Es gibt keine Garantie für einen gesunden Ausgang der Schwangerschaft«, erinnert Schaefer.
Niemand weiß, welche Dosis eines Arzneimittels in der Schwangerschaft absolut sicher ist. Es kommt vor, dass Ärzte daher die Therapie verweigern – nicht zuletzt aus Angst vor rechtlichen Konsequenzen oder Unwissenheit. Doch bei vielen Erkrankungen ist dies die schlechteste aller Optionen. Ob Epilepsie, Depressionen oder Colitis ulcerosa: Chronische Erkrankungen erfordern zum Schutz von Mutter und Kind eine wirksame Pharmakotherapie. Im Idealfall wird der Kinderwunsch deshalb rechtzeitig mit dem Arzt besprochen. Citalopram und Sertralin gelten bei Depression beispielsweise als sichere Wahl. Valproinsäure ist bei Epilepsie hingegen nur Ausnahmesituationen vorbehalten, da weniger teratogene Alternativen wie Lamotrigin, Levetiracetam oder auch Carbamazepin zur Verfügung stehen.
Dass teratogen und fetotoxisch nicht das Gleiche ist, zeigen ACE-Hemmer und Sartane. Diese sind zwar im ersten Schwangerschaftsdrittel nicht optimal, aber gerade noch tolerabel. Im zweiten und dritten Schwangerschaftsabschnitt allerdings richten sie schwerwiegende Nierenschäden an, die bis zur Dialysepflicht des Neugeborenen führen können.
Fachinfo und Beipackzettel
Die Plazenta schützt das Ungeborene nicht vor Medikamenten, die ihm schaden könnten.
Foto: Shutterstock/nd3000
Jede medikamentöse Therapie, aber auch jede unterlassene Behandlung erfordert eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung. Wenn also therapieren, wie informieren? Hier kommt das nächste Dilemma ins Spiel: Da es keine Studien mit Schwangeren gibt, beruhen die verfügbaren Daten auf klinischen Erfahrungen. Wer allerdings in der Roten Liste oder Fachinformation nach Hilfe sucht, findet meist Ernüchterung. So steht in der Fachinfo von Cipramil®: »Es liegen keine hinreichenden Daten zur Anwendung von Citalopram bei schwangeren Frauen vor. Tierexperimentelle Studien zeigten reproduktionstoxische Wirkungen«. Diese Fakten sind laut Schaefer allerdings falsch: Nach Auswertung von mehreren 10 000 Fällen gibt es keine Hinweise auf Schädigungen, auch tierärztlich nicht.
Selbst offenbar sichere Arzneimittel sorgen immer wieder für Panik. So gelten Paracetamol und Ibuprofen (letzteres nur bis Woche 28!) als Mittel erster Wahl. Dennoch ist die Liste der Kritik lang: mentale Entwicklungsstörungen, Asthma, Hodenhochstand oder gar Fertilitätsstörungen. Teilweise weisen Studien zwar methodische Mängel auf. Doch niemand könne beweisen, dass die Einnahme zu 100 Prozent sicher sei. »Die Vorwürfe bleiben im Raum stehen und verunsichern«, so Schaefer. »Wo viel Spekulation ist, ist viel Angst.« Seiner Meinung nach können experimentelle Daten alleine niemals eine Evidenz für klinische Risiken darstellen, wohl aber nachdenklich stimmen. Ibuprofen und Paracetamol sollten daher nicht als Bonbons, sondern mit Bedacht eingesetzt werden. Auch hohes, anhaltendes Fieber schädigt das ungeborene Kind und müsse gegebenenfalls mit diesen Mitteln gesenkt werden.
Neben Embryotox hilft aktuelle Literatur in der Abwägung, welche Mittel aufgrund langjähriger Erfahrung und hinreichender Daten als sicher eingestuft werden können. Um die Mutter nicht zusätzlich zu verunsichern, sollte sie vorsichtshalber darauf hingewiesen werden, wenn im Beipackzettel von der Anwendung abgeraten oder auf fehlende Daten verwiesen wird. Denn auch Kommunikation spielt eine große Rolle, wie folgendes Beispiel zeigt: Erhöht ein Arzneimittel das Risiko für Fehlbildungen am Herzen um 50 Prozent, klingt es zunächst dramatisch. Für eine einzelne Schwangere ist der Unterschied zwischen einem Prozent und 1,5 Prozent Wahrscheinlichkeit einer Herzfehlbildung aber nahezu ununterscheidbar. Tritt sie nach Exposition tatsächlich auf, ist es sogar doppelt so wahrscheinlich, dass die Ursache dafür nicht am Arzneimittel liegt, sondern am unvermeidbaren Basisrisiko. Schwarz/Weiß oder ein klares Feind/Freund führt beim Thema Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft nicht selten zu Missverständnissen. /
Bei Schmerzen, Fieber
1. Wahl: Paracetamol; Ibuprofen* (*nur bis zur 28. Woche!)
Bei Übelkeit, Erbrechen
1. Wahl: Meclozin (in Deutschland nicht mehr erhältlich); Dimenhydrinat, Doxylamin, Pyridoxin, Metoclopramid
Bei Allergie
1. Wahl: Loratadin (da die beste Datenlage); Cetirizin, Dimentinden
Bei Erkältung
1. Wahl: Hausmittel wie ausreichend Trinken, Inhalieren; gegebenenfalls Xylometazolin-haltiges Nasenspray (0,05%), Acetylcystein