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Lärmschutz

Dem Ohr mehr Gehör schenken

24.10.2007  09:33 Uhr

Lärmschutz

Dem Ohr mehr Gehör schenken

PTA-Forum / In den Ballungszentren der Industrienationen leiden immer mehr Menschen unter ständigem Lärm. Zivilisation und hohe Geräuschpegel scheinen eng miteinander verbunden zu sein. Nun stellt die WHO einen alarmierenden Zusammenhang her: Die Gesundheitsexperten gehen davon aus, dass Tausende von Menschen durch permanenten Lärm chronisch krank werden oder sogar vorzeitig sterben.

In Deutschland gibt es zwar diverse gesetzliche Regelungen zum Lärmschutz wie Nachtflugverbote, Bau von Lärmschutzwänden und Geschwindigkeitsbegrenzungen an viel befahrenen Straßen, doch das scheint nicht auszureichen. Daher fordert die WHO die Regierungen auf, Anti-Lärm-Maßnahmen in Städten und Gemeinden zu unterstützen. Seit 2003 hat die EU die Initiative ergriffen: Alle europäischen Städte mit mehr als 250 000 Einwohnern sollen bis zum Jahr 2008 digitalisierte Lärmkarten erstellen, auf denen die »hot-spots« des Verkehrslärms eingetragen sind. Anhand dieser Daten und der Erkenntnisse über die Gesundheitsbeeinträchtigung durch Lärm sollen die Verantwortlichen in Stadt und Land weitere Gesetze zur Lärmreduktion erarbeiten.

Folgender Trend veranlasste die WHO-Experten zu schnellem Handeln: Immer mehr Menschen beschweren sich über die zunehmende »Lärmverschmutzung«. Das britische »Office for National Statistics« berichtete beispielsweise, dass die Zahl der Beschwerden in den letzten 20 Jahren um das 5-fache stieg. Eine Erhebung der britischen »National Society for Clean Air (NSCA)« im Mai 2007 ergab, dass sich 45 Prozent der Befragten in ihrem Wohlbefinden durch Lärm erheblich beeinflusst fühlten, ein Jahr davor waren es noch 35 Prozent.

Ebenfalls seit 2003 untersucht die WHO-Arbeitsgruppe »Noise Environmental Burden of Disease project«, wie sich exzessiver Lärm auf die menschliche Gesundheit auswirkt. Aus demselben Grund traf sich ein EU-Expertengremium bereits viermal, das letzte Mal im Dezember 2006. Auf der Grundlage von Studien aus Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden wollen die Wissenschaftler die Auswirkungen von Lärm auf die europäische Bevölkerung einschätzen.

Neue Daten zeigen, dass 2 Prozent der Europäer an massiven Schlafstörungen infolge von Dauerlärm leiden und sich mindestens 15 Prozent ernsthaft belästigt fühlen. Die überraschendste Entdeckung sei jedoch der Zusammenhang zwischen Lärm und Tod, so Deepak Prasher, Professor für Audiologie am University College London. »Aktuelle Daten zeigen den eindeutigen Zusammenhang zwischen Lärm und vorzeitigem Tod. Bis heute sind sich viele Menschen noch nicht darüber klar, wie stark Lärm ihre Gesundheit beeinflusst.«

Auch die englische Fachzeitschrift New Scientist griff im September den Zusammenhang zwischen Lärmverschmutzung und gesundheitlichen Risiken auf. Unter anderem zitiert der Autor den US-Amerikaner Dr. Louis Hagler aus Oakland, California, der sich seit Jahren durch Anti-Lärm-Kampagnen einen Namen gemacht hat. Hagler hofft, Lärm könnte bald sozial ebenso unakzeptabel werden wie das Rauchen.

Die Effekte von Lärm abschätzen

Der Nachweis, dass Lärm zu Krankheiten oder sogar zum Tod führen kann, ist nicht leicht zu erbringen. Autos und LKWs zum Beispiel sind laut und verschmutzen gleichzeitig die Luft. Wie lassen sich beide Effekte trennen? Um verlässliche Aussagen zu erhalten, verglich die WHO zum einen Haushalte in sehr lauter Umgebung mit Haushalten in ruhiger Nachbarschaft. Außerdem versuchten die WHO-Forscher herauszufinden, ob extrem hoher Lärm das Sterberisiko von Menschen mit koronaren Herzkrankheiten erhöht. Dazu verglichen sie Informationen über den Krankenstand mit Karten, die die lautesten Teile europäischer Städte ausweisen. Abschließend schätzten sie ab, wie viele Menschen voraussichtlich als Folge der Lärmexposition erkranken oder sterben würden.

Wie Lärm krank macht

Warum wirkt sich Lärm derart verheerend auf die Gesundheit des Menschen aus? Dafür haben die Wissenschaftler folgende Erklärung: Lärm verursacht chronischen Stress, der den Körper in eine ständige Alarmbereitschaft versetzt. Auch während des Schlafs reagieren die Ohren, das Gehirn und der Körper laufend auf Geräusche, so dass die Konzentration der Stresshormone wie Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin steigt.

»In der Evolution war dies sinnvoll, da alle Tiere während des Schlafes wachsam sein müssen. Nur dann können sie unmittelbar flüchten, falls dies notwendig sein sollte«, sagt Dr. Andy Moorhouse, Akustik-Forscher an der Universität Salfort, Großbritannien. Ständig erhöhte Werte der Stresshormone wirken langfristig lebensbedrohlich.

Alle Lärmquellen stressen den Organismus und können intensive Ängste auslösen. Einige sind massiv und offensichtlich wie konstanter starker Verkehr oder Flugzeuge beim Takeoff, andere subtiler und schwer zu definieren. »Wenn man keine Kontrolle über den Lärm hat, genügt diese Tatsache, und manche Menschen drehen regelrecht durch«, berichtet Val Wheedon, Mitbegründer der britischen Noise-Association. »Für viele Menschen symbolisiert Lärm die Rücksichtslosigkeit anderer, und die Stresshormone bereiten den Körper auf eine Konfrontation vor.«

Ob die permanente Lärmexposition Herzkrankheiten oder Tinnitus verursacht, hängt auch von der Lautstärke ab. Ab wann ein Dezibelwert problematisch ist, schätzen die Wissenschaftler unterschiedlich ein. Die Literaturrecherche ergibt je nach Autor verschiedene Zahlen. Nach Einschätzung der britischen Experten beginnt der Grenzwert für kardiovaskuläre Problemen bei 50 Dezibel. Zum Vergleich: An einer großen belebten Straßenkreuzung herrschen 75 Dezibel. Für Schlafstörungen soll der Grenzwert bei 42 Dezibel liegen. Ab 35 Dezibel fühlen sich die meisten Menschen belästigt. Ist der Schlaf durch Lärm beeinträchtigt, sind ständige Müdigkeit, Aggressionsausbrüche oder Reizbarkeit die Folge. Die Lernfähigkeit von Kindern lässt ab 55 Dezibel massiv nach. 55 Dezibel entsprechen in etwa dem Geräuschpegel in einem gut besuchten Restaurant. So wies Professorin Arline Bronzaft, Vorsitzende des Lärmkomitees des Bürgermeisters in New York, bereits 1975 in Studien nach, dass die Lesefähigkeit der New Yorker Kinder, deren Klassenräume sich an lärmenden Straßen befanden, drei bis vier Monate hinter denen von Schülern in leisen Klassenräumen zurück lag.

Vergleichbares fand Professor Staffan Hygge vom Laboratorium angewandter Psychologie in Gävle, Schweden, heraus: Das Langzeitgedächtnis von Münchner Schulkindern verbesserte sich um 25 Prozent, nachdem ein nahegelegener Flugplatz geschlossen worden war.

Selbst gemachter Lärm unterschätzt

Selbst produzierte Geräusche nehmen die Menschen meist nicht als Lärm wahr, allenfalls als lästigen Nebeneffekt. Dabei erzeugt zum Beispiel eine Bohrmaschine in Ohrnähe ohne weiteres Spitzenpegel von 115 Dezibel, dieser Wert liegt über der Schmerzgrenze. Auch viele Gartengeräte wie Rasenmäher, Häcksler und Laubgebläse verursachen erheblichen Lärm.
Vor allem Kinder und Jugendliche sind gefährdet. Halbwüchsige dröhnen sich oft stundenlang mit Musik aus MP3-Playern, Walkmans, Radio- oder Stereoanlagen zu - wirklich zur Ruhe kommen ihre Ohren selten. Audiometrische Untersuchungen zur Hörfähigkeit junger Menschen geben Anlass zur Sorge: Bei 24 Prozent der Probanden stellten die Forscher irreversible, durch Lärm verursachte Hörschäden fest. Daher sind Prävention und Aufklärung zu diesem Thema so wichtig. Fast kein Jugendlicher weiß, wie sehr er auf ein intaktes Gehör angewiesen ist. Macht man die jungen Menschen jedoch darauf aufmerksam, dass sie zum Beispiel eine Reihe interessanter Berufe wie Pilot, Musiker oder Tontechniker ohne gutes Hörvermögen nicht ausüben können, wächst ihre Bereitschaft, vorsichtiger mit MP3-Player, Gameboy und PC-Spiel umzugehen.

Nicht zu vergessen: Die ständige »Berieselung« durch Radio oder Fernseher beeinträchtigt auch die kleinen Geschwister und beeinflusst ihre Sprachentwicklung. Kinder lernen durch Imitieren ihrer Bezugsperson sprechen. Werden sie durch Lärm abgelenkt, ahmen sie diese weniger häufig nach und können feine Lautunterschiede im Gesprochenen nicht mehr ausreichend wahrnehmen.

Schutz für das Gehör

Eltern, Lehrer sowie Discjockeys und Veranstalter von Rockkonzerten sollten die genannten Zusammenhänge kennen und umsetzen. Einige Tipps:

  • Sinnvoll sind Hinweise auf die Gefahr von geräuschintensivem Spielzeug wie Autos mit realistischem Sirenengeheul.
  • Hörspielkassetten und -CDs sollten Kinder immer nur in einer normalen Sprachlautstärke hören, vor allem über Kopfhörer.
  • Hobbyheimweker sollten bei handwerklichen Tätigkeiten mit Bohrhammer, Schleifgerät und Co. an Lärmschutz-Maßnahmen denken.
  • Schalldämmende Fenster reduzieren die Geräusche, die aus dem lauten Umfeld ins Haus dringen.
  • Bei geräuschintensiven Arbeiten in Haus oder Garten sind Ohrstöpsel, zum Beispiel Hansaplast Lärmstop, empfehlenswert. Die hautfarbenen Stöpsel reduzieren den Lärm um 33 Dezibel. In weniger starker Geräuschkulisse dämpfen sie den Schall nahezu vollständig.