Lebensgenuss für jedes Alter |
26.10.2007 09:02 Uhr |
Lebensgenuss für jedes Alter
Annette Behr, Berlin
In einer Gesellschaft, die dem Jugendwahn frönt, will niemand alt werden. Aktuell beobachte ich ein erstes, noch zähes Umdenken, das wir möglicherweise dem demografischen Wandel der deutschen Bevölkerung verdanken: Die Bundesregierung startet Initiativen zur Integration der über 50-Jährigen. Und auch die Werbebranche hat die »jungen Alten« als neue Zielgruppe entdeckt. Ich hingegen schätze meine 88-jährige Oma, weil sie mit ihrem Alter nicht hadert und sich gibt, wie sie ist.
»Mich hat der Herrgott vergessen!«, sagt sie manchmal ganz unvermittelt. Das glaube ich nicht, denn wunderbare Menschen wie sie werden so lange wie möglich auf Erden gebraucht. Und auch der inzwischen 89-jährige Helmut Schmidt äußerte sich kürzlich vor Journalisten: »Meine ältesten Freunde sind alle tot. Ich bin ja ein bisschen zu lange am Leben geblieben.« Das war sicher nicht ernst gemeint, ich denke, Herr Schmidt kokettiert gerne mit seinem Alter. Auf den Rat des Altkanzlers hören noch heute viele. Er ist genauso unverzichtbar wie meine Oma. Wer sollte uns denn, den Jüngeren, von vergangenen Zeiten erzählen? Und wer sonst sollte uns vorleben, nicht bei jedem Zipperlein zu jammern. Meine Oma war selten krank, erst mit dem Alter kamen ein paar unausweichliche Gebrechen. Auf die Frage, wie es ihr geht, antwortet sie stets: »Ach ja, für mein Alter ganz gut.« Helmut Schmidt geht mit den Widrigkeiten des Alterns ein wenig ruppiger um. Auf Reisen verflucht er zunächst jede steile Treppe, doch dann bewältigt er das Hindernis mit Hilfe eines Stocks. Er packt Probleme beherzt an und bewältigt sie. Viele »Alte« oder »Hochbetagte« erzählen meist milde lächelnd von ihren Gebrechen und leben uns vor, dass man dem Alter auch mit Humor begegnen kann.
Alter zu negativ besetzt
Ganz anders die »ewig Jungen«: Sie wollen keinesfalls zu den Senioren gehören. Sogar der Brockhaus definiert das Alter eher negativ »als letzten Abschnitt in der Entwicklung der Lebewesen«. Jeder Alternde nähert sich seinem Lebensende, doch niemand weiß, wie viel Zeit ihm noch bleibt. Die meisten Menschen verdrängen, dass Altern ein Wandlungsprozess ist, der das ganze Leben dauert. Daher wird es höchste Zeit, das Wort Alter nicht länger mit negativen Vorstellungen zu verbinden.
Vor kurzem las ich in einem Flyer der Bundesregierung: »Der Mix der Generationen in der Belegschaft, das Miteinander von Jung und Alt, ist ein Erfolgsrezept für Unternehmen.« Also gehören 50-, 55- und 60-Jährige doch nicht zum alten Eisen. Diese Erkenntnis ist allerdings in wenige Firmenzentralen vorgedrungen.
Drei meiner Nachbarn sind nicht mehr berufstätig, obwohl sie die 60 noch lange nicht erreicht haben. Sie wurden für zu alt befunden und entlassen. Die drei leiden unter der Arbeitslosigkeit, können nicht verstehen, dass ihre Erfahrungen und Qualifikationen nicht mehr benötigt wurden. Für viele Menschen bedeutet diese »Ausmusterung« neben den finanziellen Einbußen bisweilen den Verlust der Aufgabe oder sogar des Sinns ihres Lebens. Manche fallen in ein tiefes Loch, aus dem sie nicht heraus finden. Die »Initiative 50 plus« ist daher ein durchaus sinnvolles Programm der Regierung.
Doch unsere Gesellschaft denkt nur sehr langsam um. Warum will niemand alt sein? Weil wir die Bilder von alten, bedürftigen, schlecht gepflegten Menschen in Heimen vor Augen haben, so dass wir das eigene Altsein lieber verdrängen? Die heute 40-Jährigen wollen noch einmal testen, was in ihnen steckt, sie laufen Marathon und wollen vom vorzeitigen Ruhestand nichts hören. Die heute 50- bis 70- Jährigen sind die wohlhabendste Generation aller Zeiten, daher haben Werbungs- und Konsumgüterindustrie diese Generation als Zielgruppe entdeckt.
»Schönheit kennt kein Alter« steht auf riesigen Werbe-Plakaten für eine Hautcreme. Die Fotokünstlerin Annie Leibovitz hat für die Werbekampagne Frauen über fünfzig fotografiert. »Toll«, findet meine Mutter die drei nackten Frauen. »Endlich mal keine 17-jährigen Magermodels«, sagt sie erleichtert. Der Erfolg dieser und ähnlicher Kampagnen bricht mit Klischees: Ältere Frauen werden als aktiv und attraktiv dargestellt, auch jenseits der Wechseljahre. Selbst in der Waschmittel- und Kaffeewerbung wirken die Omas neben ihren Kindern und Enkeln topfit.
Generation Silber entdeckt
Die Texter der Werbewirtschaft haben ihre Phantasie spielen lassen: »Best Agers«, »Master Consumers«, »Happy Enders« oder »die Generation Silber« nennen sie ihre neu entdeckte Zielgruppe. Das erste Seniorenkaufhaus Deutschlands der »Käthe und Karl GmbH« nahe Berlin verkauft sprechende Wecker, Schuhe mit speziellem weichem Zehbereich sowie Handys mit großen Tasten und Displays. Hoffentlich gibt es demnächst dort auch Fernseher, CD- oder DVD-Player für die Kunden, denn Oma und Opa lassen sich von ihren Enkelkindern die Funktionen ihres CD-Players immer wieder neu erklären. Glücklicherweise schauen diese häufiger mal vorbei. In den meisten Fällen wohnen Familien leider weit voneinander entfernt.
Alle für einen, einer für alle
Dieses hehre Motto hatten sich die »Drei Musketiere« auf die Fahnen geschrieben. Ein wenig mehr von dieser Maxime wünsche ich mir für das Miteinander der Generationen. Wir alle träumen von einem schönen Leben, auch im Alter. In Heimghettos will niemand enden.
Selbstständiges aktives Leben ist beispielsweise in Mehrgenerationenhäusern möglich. Das erste entstand 2003 im Bergischen Land. In Wipperfürth leben 35 Mietparteien, Familien, Alleinerziehende mit Kindern, kinderlose Paare und Singles zusammen. Die Mieter müssen in der Lage sein, ihren Haushalt selbstständig zu führen. Alle zwei Monate gibt es eine Hausversammlung, an der alle Bewohner teilnehmen. Zusätzlich organisieren die Hausbewohner regelmäßige Treffen, Koch-, Turn-, Spiele- und Videogruppen. Ein Garten und Räumlichkeiten für Treffen und Feste sind ebenfalls vorhanden. Im Idealfall hilft einer dem anderen. Viel zu selten sind neue, innovative Wohnprojekte, die zu den individuellen Bedürfnissen der Menschen passen. Die menschliche Sehnsucht nach Kontakt, Austausch und Geborgenheit bleibt für viele häufig unerfüllt.
Soziales Jahr für Junge
Eine »Gesellschafterin für Senioren« schafft Abhilfe, sie stellt ihre Zeit für Besuche und Unternehmungen zur Verfügung. Allerdings gegen Bezahlung: Zwischen 15 und 40 Euro verlangen diese Betreuerinnen für ihre Dienste. Wohlfahrtsverbände und kirchliche Organisationen ermöglichen eine kostenlose Betreuung. Wie wäre es mit einem sozialen Jahr für junge Menschen? Vom Staat gut bezahlt könnten junge Erwachsene die Betreuung Alleinstehender und Hilfsbedürftiger übernehmen. Familienangehörige und Pfleger würden entlastet, und die Generationen kämen sich wieder näher.
E-Mail-Adresse der Verfasserin:
blaubehr(at)gmx.net