Polyvalente Kationen beeinflussen Gyrasehemmer |
26.10.2007 08:43 Uhr |
Polyvalente Kationen beeinflussen Gyrasehemmer
Andrea Gerdemann, München, Nina Griese, Berlin
Innerhalb der Gruppe der Antibiotika verordnen Ärzte am vierthäufigsten Gyrasehemmer, auch Chinolone genannt. Diese Tatsache erklärt, warum die Interaktionssoftware der Apotheken-PCs so häufig Wechselwirkungen zwischen Gyrasehemmern und polyvalenten Kationen melden.
Foto: iStock/DimaSobko
Polyvalente Kationen wie Eisen-, Aluminium-, Magnesium- oder Calciumsalze sind in verschreibungspflichtigen und freiverkäuflichen Medikamenten enthalten sowie in zahlreichen Lebensmitteln. Daher müssen PTA oder Apotheker diese Interaktion bei allen Patienten, die einen Gyrasehemmer verordnet bekommen, abklären.
Schon aus dem Namen dieser Antibiotika geht hervor, dass die Arzneistoffe das bakterielle Enzym DNA-Gyrase hemmen. Dieses Enzym kommt in der menschlichen Zelle nicht vor. In der Bakterienzelle sorgt es für die Faltung der DNA-Helix in Schleifen und für deren spiralige Verdrillung. Gyrasehemmer wirken sowohl bakteriostatisch als auch bakterizid.
Auf Grund ihres breiten Wirkspektrums nehmen Chinolone (zum Beispiel Ciprofloxacin in Ciprobay®, Ofloxacin in Tarivid® oder Moxifloxacin in Avalox®) eine wichtige Rolle in der Therapie zahlreicher Erkrankungen ein. So verordnen Ärzte Gyrasehemmer zum Beispiel bei Harnwegs-, Atemwegs- oder Darminfektionen (bakterieller Enteritis).
Polyvalente Kationen wie Eisen-, Aluminium-, Zink-, Magnesium- oder Calciumsalze werden als Arzneimittel bei verschiedenen Indikationen eingesetzt. Eisen-Präparate verschreibt der Arzt häufig bei Eisenmangelzuständen. Bei Eisen-Präparaten lautet die Einnahmeempfehlung: Bitte circa 30 Minuten vor dem Frühstück oder zwischen den Mahlzeiten mit Vitamin C oder Vitamin-C-haltigen Fruchtsäften schlucken. Calciumsalze kaufen Patienten meist im Rahmen der Selbstmedikation, doch werden sie auch zur Osteoporoseprophylaxe oder -behandlung und in der Schwangerschaft verordnet. Für die Antazida, zum Beispiel Aluminiumhydroxid (in Maaloxan®) oder Sucralfat (in Ulcogant®), gilt Gleiches. Hier lautet die Empfehlung: bitte ein bis zwei Stunden nach den Mahlzeiten sowie zur Nacht einnehmen.
Die Interaktion mit zwei- und dreiwertigen Kationen ist allen Gyrasehemmern gemeinsam: Sie bilden mit diesen Ionen stabile Chelatkomplexe, infolgedessen wird ihre Resorption und damit ihre Verfügbarkeit erheblich gemindert. Des Weiteren wird ein Adsorptionseffekt vermutet, der ebenfalls die Wirksamkeit der Gyrasehemmer vermindert. Sinkt der Chinolon-Blutspiegel, ist die antibakterielle Wirkung beeinträchtigt, in einigen Fällen versagt die Therapie komplett.
Die Milch macht’s unwirksam
Die Patienten dürfen Ciprofloxacin und Norfloxacin grundsätzlich nicht zusammen mit calciumhaltigen Nahrungsmitteln wie Milch oder Milchprodukten einnehmen. Bei gleichzeitiger Einnahme wird die antimikrobielle Wirksamkeit vermindert und die Therapie unwirksam. Die in den Milchprodukten enthaltenen Calciumionen bilden mit beiden Arzneistoffen schwer resorbierbare Chelate. Je nachdem, wie viel Milch der Patient zum Frühstück trinkt, kann die Bioverfügbarkeit von Ciprofloxacin (in Ciprobay®) um 15 bis 30 Prozent sinken, ein milchfreies Frühstück hat hingegen keinen Einfluss auf die Therapie.
Unter den Gyrasehemmern reagiert Norfloxacin (in Norflox®) am stärksten auf Calcium-Ionen: In Abhängigkeit von der Menge vermindern Milch oder Joghurt die Bioverfügbarkeit um mindestens 40 Prozent. Die generelle Einnahmeempfehlung für die beiden Chinolone lautet daher: Ciprofloxacin- oder Norfloxacin-haltige Präparate immer mit einem Glas Leitungswasser einnehmen, denn auch Mineralwässer können erhebliche Mengen an Calcium- und Magnesiumionen enthalten. Mit Calcium angereicherte Fruchtsäfte sollten die Patienten ebenfalls meiden. Bis der Patient ein Milchprodukt genießen darf, müssen mindestens zwei Stunden nach der Einnahme des Ciprofloxacin- oder Norfloxacin-haltigen Präparats vergangen sein oder anders herum betrachtet: Frühestens vier Stunden nach dem Genuss eines Milchprodukts darf er den Gyrasehemmer einnehmen. Im Unterschied zu diesen beiden Arzneistoffen beeinflussen Milchprodukte die Absorption anderer Chinolone, zum Beispiel Enoxacin (Enoxor®), Ofloxacin (Tarivid®), Moxifloxacin (Avalox®), Levofloxacin (Tavanic®) oder Fleroxacin (Quinodis®), nicht in klinisch relevantem Ausmaß.
Anders als bei den Calcium-Ionen in Milchprodukten bilden alle zu den Chinolonen gehörigen Substanzen mit polyvalenten Kationen Chelate, wodurch die Wirkung abgeschwächt wird. Allerdings ergibt sich auch hier eine Abstufung der Stärke der Wechselwirkung: Ciprofloxacin, Norfloxacin und Enoxacin (in Enoxor®) sind von dieser Interaktion am stärksten betroffen. Fleroxacin (in Quinodis®) scheint nur in einem geringen Maß Chelate zu bilden. In der Konsequenz ergibt sich daraus der folgende Zusammenhang: Wie stark die Resorption eines Gyrasehemmers gehemmt wird, hängt erstens von der Arzneisubstanz, zweitens von der Art und Menge der polyvalenten Kationen und drittens vom Abstand zwischen den Einnahmen ab.
Um die Wechselwirkung zu verhindern, wird empfohlen, einen möglichst großen Abstand zwischen den Einnahmen der beiden interagierenden Arzneimittel einzuhalten. In der Regel sind das mindestens zwei Stunden nach beziehungsweise vier Stunden vor der Chinoloneinnahme.
Fallbeispiel
Frau Mayer, die keine Hausapothekenkundin ist, legt der PTA eine Verordnung über Ciprobay® Uro Filmtabletten vor. Die 36-jährige Frau ist verärgert, da sie in zwei Tagen nach Ibiza in den Urlaub fliegt und sich am Wochenende im Freibad noch die Blase entzündet hat. Zusätzlich zu dem verordneten Chinolon möchte sie Calcium-Sandoz® forte 500 mg Brausetabletten kaufen. Sie erzählt, dass sie die Brausetabletten zurzeit regelmäßig einnimmt, um einer möglichen Sonnenallergie entgegenzuwirken.
Beim Einscannen der beiden Präparate zeigt die Software eine mittelschwere Interaktion an. In der Interaktionsmonographie der ABDA-Datenbank findet die PTA unter Maßnahmen Folgendes: Es wird empfohlen, einen möglichst großen Abstand zwischen der Einnahme des Gyrasehemmers und des Mineralstoffpräparates einzuhalten. Möglichst vier Stunden vor und zwei Stunden nach der Einnahme von Ciprofloxacin.
Lösungsvorschlag der PTA
Zunächst stellt die PTA der Patientin eine Frage: »Wissen Sie, wie und wie lange Sie die Tabletten gegen Ihre Blasenentzündung einnehmen müssen?« »Der Arzt hat mir gesagt, dass ich drei Tage lang jeweils morgens und abends eine Tablette mit Flüssigkeit einnehmen soll«, antwortet Frau Mayer. Die PTA fragt weiter: »Weiß Ihr Arzt, dass Sie zurzeit Calciumtabletten einehmen? Wann nehmen Sie diese ein?« Frau Mayer fährt fort: »Von den Calciumtabletten nehme ich morgens und abends auch jeweils eine. Der Arzt weiß nichts von meinen Calciumtabletten. Ich dachte, dass sei nicht so wichtig. Die nehme ich doch nur so nebenbei. War das falsch?«
Die PTA erklärt der Patientin: »Mit dem Präparat Ciprobay® Uro hat der Arzt Ihnen ein gut wirksames Mittel verschrieben, das allerdings mit dem Calcium interagiert. Calcium ist in Ihren Brausetabletten enthalten, aber auch in Milch, Joghurt und Quark, also in allen Milchprodukten. Wenn Sie die beiden Mittel zusammen einnehmen, kommt es zu einer Wechselwirkung. Calcium reagiert mit Ihrem Antibiotikum. Das führt dazu, dass der Körper das Antibiotikum nicht mehr in ausreichender Menge aufnimmt und somit die Wirkung abgeschwächt wird.«
Frau Mayer reagiert sofort: »Oh, das wäre in diesem Fall ja ganz besonders schlecht. Ich möchte schließlich ohne Blasenentzündung in den Urlaub fahren. Die Calciumtabletten kann ich aber auch nicht weglassen, da ich sonst bestimmt eine Sonnenallergie bekomme. Was soll ich jetzt machen?«
Die PTA beruhigt Frau Mayer, sagt, dass es eine Lösungsmöglichkeit gibt und erläutert diese: »Man muss die Einnahme der beiden Präparate so weit wie möglich auseinander ziehen, damit die beiden Stoffe sich nicht mehr beeinflussen können. Das könnte folgendermaßen klappen: Nehmen Sie, wie vom Arzt verordnet, das Antibiotikum drei Tage lang jeweils morgens und abends mit einem Glas Leitungswasser ein. Nehmen Sie kein Mineralwasser, da auch in Mineralwässern erhebliche Mengen an Calcium enthalten sein können, es dann auch zu einer Wechselwirkung kommt und das Antibiotikum wieder nicht richtig wirken kann. Speziell bei der morgendlichen Tablette verzichten Sie möglichst auf alle Milchprodukte. Ein Spritzer Milch im Kaffee ist sicherlich noch nicht kritisch, ein Milchkaffe oder ein Müsli mit Milch allerdings schon.« Frau Mayer ist erleichtert: »Das ist kein Problem für mich. Ich trinke morgens immer Tee und esse ein Brot.«
Die PTA weiter: »Gut. Ihre Calciumtabletten können Sie am besten mittags einnehmen, und dann die Tagesdosis auf einmal, also zwei Brausetabletten. Wäre das für Sie machbar?« Frau Mayer bejaht dies. Da Frau Mayer einen hellen Teint hat, weist die PTA sie anschließend noch auf die zwar seltene, aber mögliche Gefahr der Photosensibilisierung durch Ciprofloxacin hin. Direkte Sonneneinstrahlung, gerade in den ersten Tagen ihres Ibiza-Urlaubes, sollte sie auf jeden Fall vermeiden.
Unabhängig von der möglichen Nebenwirkung des Ciprobay® Uro ist bei Ferienaufenthalten in südlichen Regionen gerade für Menschen mit heller Haut ein Sonnenschutz mit hohem UVA- und UVB-Filter sehr wichtig. Frau Mayer nimmt diesen Hinweis dankbar auf und bittet die PTA, ihr ein geeignetes Sonnenschutzmittel zu empfehlen.
Ein Kontakt mit dem behandelnden Arzt ist in diesem Fall nicht nötig, da die PTA das Problem im Gespräch mit der Patientin lösen konnte.
E-Mail-Adresse der Verfasserin:
n.griese(at)abda.aponet.de