PTA-Forum online
Phytotherapie

Heilpflanzen mit antibiotischen Eigenschaften

29.10.2008  21:18 Uhr

Phytotherapie

Heilpflanzen mit antibiotischen Eigenschaften 

von Ernst-Albert Meyer

In der Fachpresse häufen sich Meldungen über die weltweite Zunahme von Antibiotika-Resistenzen. Eine der Ursachen ist die Tatsache, dass Ärzte diese Arzneistoffe zu häufig und zu unkritisch verordnen, zum Beispiel bei den meist viral bedingten Erkältungskrankheiten. Bis zu einem gewissen Grad und bei manchen leichten Infekten sind Heilpflanzen mit antibakteriellen Eigenschaften eine Alternative.

Ein Bakterium ist dann resistent, wenn die maximal erreichbare Gewebe- oder Serumkonzentration des Antibiotikums nicht mehr ausreicht, um die Vermehrung des Erregers zu hemmen. Allerdings liegen der Resistenzentwicklung der Mikroorganismen ganz unterschiedliche Mechanismen zugrunde. Obwohl weltweit eine Zunahme der Antibiotika-Resistenzen zu beobachten ist, lässt sich diese nicht nur mit dem zu häufigem Verschreiben dieser Arzneistoffe erklären. Im Vergleich zu ihren Kollegen in anderen Ländern verordnen deutsche Ärzte Antibiotika noch recht zurückhaltend.

Vielmehr begünstigt ein ganzer Komplex von Faktoren diese Entwicklung. Da ist der weltweite Tourismus zu nennen: So infizieren sich beispielsweise deutsche Urlauber in anderen Ländern mit Erregern, die in Deutschland längst ausgerottet waren und tragen damit zu ihrer erneuten Verbreitung bei. Aber auch Armut und beengte Wohnverhältnisse fördern die Anfälligkeit der Menschen gegenüber Mikroorganismen. So tritt hierzulande die Tuberkulose (TBC) von osteuropäischen Ländern ausgehend wieder verstärkt auf, wobei in baltischen Staaten hochresistente TBC-Erreger registriert werden.

Ein weiterer wichtiger Aspekt: In vielen Ländern sind Antibiotika rezeptfrei und oft auch nicht apothekenpflichtig. In Entwicklungsländern bieten häufig Straßenhändler diese Arzneimittel zum Verkauf an. Hinzu kommt, dass meist aus Sparsamkeitsgründen in den armen Ländern Antibiotika unterdosiert werden. Alles Faktoren, die die Entstehung von Antibiotika-Resistenzen fördern.

Außerdem nimmt der Mensch mit der Nahrung Rückstände von Antibiotika auf, denn mehr als 50 Prozent der weltweit produzierten Antibiotika werden in der Tierhaltung zur Infektionsprophylaxe und -therapie und als Wachstumsbeschleuniger eingesetzt. Dies ist allerdings in der EU verboten. Mit ungenügend gebratenem Fleisch, rohen Eiern oder Gemüse, das mit antibiotikahaltiger Gülle von Tieren gedüngt wurde, nehmen Menschen unbewusst die Arzneistoffe zu sich.

Mehrfach resistente Keime

Ein großes Problem mit zum Teil tödlichen Folgen ist der Hospitalismus, auch nosokomiale Infektionen genannt. Diese Infektionen erwerben Patienten im Krankenhaus, entweder weil sie besonders anfällig sind oder weil die Keime im Krankenhaus mehrfach resistent sind. Leider ist das Letztere häufig der Fall. Nach einem Expertenbericht des ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) erkranken in der EU jährlich 3 Millionen Menschen an Hospitalismus, wobei 50.000 die Infektion nicht überleben. An erster Stelle stehen Harnwegsinfektionen mit 40 Prozent, gefolgt von Infektionen der Atemwege (20 Prozent) und postoperativen Wundinfektionen (15 Prozent). Eine immer größere Rolle spielt dabei der sogenannte apparative Hospitalismus, wenn sich Bakterien in Geräten der Medizintechnik wie Beatmungsgeräten und Inhalationsapparaten ansiedeln und auf diesem Weg Patienten infizieren. Oder die Bakterien gelangen bei operativen Eingriffen beziehungsweise bei der Anwendung von Hilfsmitteln wie Venen- oder Harnwegskathetern in den Körper des Patienten, wenn Chirurgen oder das Krankenhauspersonal nicht steril arbeiten. Viele nosokomiale Infektionen wären daher vermeidbar, wenn die für stationäre Einrichtungen geltenden Hygienebestimmungen strikt eingehalten würden. 

Antibiotikum als Zusatzstoff 

Folgende Regelung dürfte den wenigsten Verbrauchern bekannt sein: Das antimykotisch wirkende Antibiotikum Natamycin darf als Lebensmittelzusatzstoff E235 zur Konservierung von Lebensmitteln verwendet werden, beispielsweise von Hartkäse, Schnittkäse und halbfestem Schnittkäse sowie getrockneten und gepökelten Würsten. Es darf dabei allerdings nicht tiefer als 5 mm in die Lebensmittel eindringen. Um Verbraucher vor möglicher Resistenzbildung und Schäden der Darmflora durch Natamycin zu schützen, empfiehlt das Bundesinstitut für Risikobewertung, vor dem Käseverzehr dessen Rinde oder äußere Schicht circa 5 mm dick zu entfernen. Eine Empfehlung, die aber kaum bekannt ist!

Wie jeder auf dem Etikett nachlesen kann, wird Natamycin häufig als Lebensmittelzusatzstoff bei sehr vielen Käsesorten verwendet. Als Arzneimittel ist Natamycin in Pima-Biciron® N Augensalbe und Pimafucin® Lutschtabletten enthalten.

Pflanzliche Alternative

Bis zu einem gewissen Grad und bei manchen Erkrankungen können Heilpflanzen mit antibiotisch wirkenden Inhaltsstoffen eine Alternative zu Antibiotika sein. Das gilt vor allem für Pflanzen mit Glucosinolaten oder mit ätherischen Ölen wie Thymian, Pfefferminze und Salbei. Als Glucosinolat-haltige Pflanzen haben vor allem Kapuzinerkresse und Meerrettich Bedeutung. Diese beiden Heilpflanzen fanden schon in Antike und Mittelalter als pflanzliche Antibiotika Verwendung, zum Beispiel zur Seuchenprophylaxe. 

Das Kraut der Kapuzinerkresse enthält Senfölglucoside, auch Glucosinolate genannt, aus denen durch enzymatische Spaltung Benzylsenföl (Benzylisothiocyanat) entsteht. Ein wichtiges Glucosinolat in Kapuzinerkresse ist das Glucotropaeolin. Die Meerrettichwurzel zeichnet sich durch die Glucosinolate Sinigrin und Gluconasturtin aus. Bei deren enzymatischer Spaltung entstehen Allylsenföl (90 Prozent) und Phenylethylsenföl (10 Prozent). Meerrettichwurzel erhielt 1988 eine Positiv-Monographie von der Kommission E des ehemaligen Bundesgesundheitsamts, Kapuzinerkresse im Jahr 1992 eine Stoffcharakteristik. Als Anwendungsgebiete für Kapuzinerkresse und Meerrettichwurzel nennt die Kommission E den adjuvanten Einsatz bei Infekten der ableitenden Harnwege, Katarrhen der oberen Luftwege und äußerlich bei leichten Muskelschmerzen. In-vitro-Studien bestätigen mehrere Eigenschaften der Senföle, sie wirken 

  • bakteriostatisch gegen grampositive und -negative Bakterien,
  • virostatisch,
  • antimykotisch und
  • hyperämisierend bei äußerlicher Anwendung.

Der bakteriostatische Effekt der Senföle beruht auf folgendem Mechanismus: Sie reagieren mit den Sulfhydrylgruppen bestimmter Enzyme in Bakterien und Pilzen und stören so den Stoffwechsel der Mikroorganismen. Nach Untersuchungen der Bonner Wissenschaftler Arrien G. Winter und Lisel Willecke wirken Senföle auf 16 pathogene Bakterienstämme im Körper bakteriostatisch. Weiteren Untersuchungen zufolge besitzt Benzylsenföl nach peroraler Gabe auch eine unspezifische immunstimmulierende Wirkung, die über eine Leukozytose zustande kommt.

Bei Harn- und Atemwegsinfekten

Ob Kapuzinerkresse oder Meerrettichwurzel bakteriostatisch oder bakterizid wirken, hängt von der Dosis ab. Hinzu kommt der immunstimulierende Effekt des Benzylsenföls, der die antimikrobiellen Eigenschaften unterstützt. In den getrockneten Arzneidrogen liegen die Senföle noch in hoher Konzentration als Prodrugs, als Glucosinolate vor. Erst nach der Einnahme wird durch den Kontakt mit dem im Verdauungstrakt enthaltenen Wasser und durch das in den Pflanzen gespeicherte Enzym Myrosinase das wirksame Senföl freigesetzt. Dieses wird in Magen und Dünndarm fast vollständig resorbiert, so dass die im Dickdarm lokalisierten Mikroorganismen, die Darmflora, nicht geschädigt wird. Die Ausscheidung erfolgt über die Nieren und die Lunge. Auch in diesen Organen werden therapeutisch wirksame Konzentrationen erreicht. 

Die Verwendung von Trockenextrakten, wie bei vielen anderen Phytopharmaka üblich, ist bei Kapuzinerkressekraut und Meerrettichwurzel nicht angebracht, da schon bei der Extraktherstellung die flüchtigen Senföle entstehen würden. 

Ein starkes Team

Beide Arzneipflanzen sind im pflanzlichen Arzneimittel Angocin® Anti-Infekt N mit 200 mg Kapuzinerkressenkraut und 80 mg Meerrettichwurzel je Filmtablette. Durch die Kombination zweier antimikrobieller Heilpflanzen besitzt das Phytopharmakon ein breites antibiotisches Wirkungsspektrum, Resistenzen sind bis jetzt nicht aufgetreten.

Die zugelassene Anwendungsgebiete sind Infektionen der Harnwege, Sinusitis, Tonsillitis, katarrhalische Erkrankungen der Atemwege und grippale Infekte. Je nach Schweregrad der Erkrankung nehmen die Patienten drei- bis fünfmal mal täglich vier bis fünf Filmtabletten nach den Mahlzeiten mit etwas Flüssigkeit. Die Standarddosis ist dreimal täglich vier Filmtabletten. Kinder ab vier Jahren nehmen entsprechend der Gebrauchsinformation weniger. Zur Infektprophylaxe eignen sich ein- bis zweimal täglich zwei Filmtabletten. Als Gegenanzeigen gelten akute Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre sowie akute Nierenentzündungen. Für Kinder unter vier Jahren ist das Arzneimittel nicht zugelassen. Wechselwirkungen mit anderen Mitteln sind nicht bekannt. Als Nebenwirkungen treten bei empfindlichen Personen vereinzelt Magen- und Darmbeschwerden auf. 

Die Wirksamkeit und Verträglichkeit des Phytopharmakons wurde in den vergangenen Jahren in mehreren Studien nachgewiesen. 2004 bis 2005 wurde eine Kohortenstudie in 251 Arztpraxen mit 1649 Patienten mit akuter Sinusitis (536 Probanden), akuter Bronchitis (634 Probanden) oder akuter Blasenentzündung (479 Probanden) durchgeführt. Die Ärzte setzten entweder Angocin® Anti-Infekt N oder in der Kontrollgruppe ein Antibiotikum ein. Gegen Sinusitis und Bronchitis verordneten sie am häufigsten die Antibiotika Roxithromycin, Azithromycin und Doxycyclin, gegen Cystitis Ciprofloxacin und Norfloxacin. Die durchschnittliche Dosierung des Phytopharmakons lag bei 13 bis 14 Filmtabletten täglich, die Behandlung dauerte zwischen 7 und 14 Tagen. 

Die Studie ergab eine vergleichbar gute Wirksamkeit von Angocin® Anti-Infekt N gegenüber den Antibiotika sowie keine signifikanten Unterschiede bei der durchweg guten Beurteilung des Krankheitsverlaufes durch den Arzt und in der Zufriedenheit der Patienten.

Von Mai bis Oktober 2006 wurde die Eignung des Phytopharmakons für die Pädiatrie in drei multizentrischen Anwendungbeobachtungen bei Kindern über 4 Jahre und Heranwachsenden untersucht. Die insgesamt 858 Probanden wurden je nach Krankheitsbild (Sinusitis, Bronchitis oder Cystitis) in drei Gruppen aufgeteilt und entweder mit Angocin® Anti-Infekt N oder einem gebräuchlichen Antibiotika behandelt. Die Studienanordnung, -durchführung und -auswertung entsprach der Erwachsenen-Studie aus den Jahren 2004 bis 2005. In allen drei Anwendungbeobachtungen war Angocin® Anti-Infekt N auch bei Kindern und Heranwachsenden vergleichbar wirksam und verträglich wie die Antibiotika.

Bei rezidivierenden Harnwegsinfekten

In einer 2008 publizierten multizentrischen Studie wurde bei 131 vorwiegend weiblichen Patienten zwischen 18 und 75 Jahren der therapeutische Effekt von Angocin® Anti-Infekt N bei rezidivierenden, also ständig wiederkehrenden Harnwegsinfekten deutlich nachgewiesen. Die Studienteilnehmer hatten einen akuten Harnwegsinfekt und in den letzten sechs Monaten mindestens zwei Harnwegsinfekte. Zunächst wurde der akute Harnwegsinfekt eine Woche lang mit Cotrimoxazol oder Ciprofloxacin behandelt. Nachdem bei 103 Probanden der akute Infekt abgeklungen war, erhielten 51 Probanden zweimal tägllich zwei Filmtabletten Angocin® Anti-Infekt N und 52 Probanden Placebo. Das Studienergebnis: In der Verumgruppe (Angocin® Anti-Infekt N) trat bei 43 Prozent ein Rezidiv auf, in der Placebogruppe bei 77 Prozent. Eine Resistenz-Entwicklung gegenüber Angocin® Anti-Infekt N ist bisher nicht bekannt.

E-Mail-Adresse des Verfassers:
MedWiss-Meyer(at)t-online.de