Wenn der Verlust unerträglich wird |
30.10.2008 09:42 Uhr |
Wenn der Verlust unerträglich wird
von Brigitte M. Gensthaler, München
Kräftiges volles Haar gilt als Zeichen für Gesundheit und Vitalität. Umso belastender wirkt starker Haarausfall. Daher suchen die Betroffenen nach Mitteln, um den Haarverlust zu stoppen. Eine wichtige Beratungsaufgabe für PTA und Apotheker.
Etwa die Hälfte aller Männer, jede zehnte Frau vor und jede fünfte nach den Wechseljahren plagen sich mit Haarausfall. Bei verstärktem täglichen Haarverlust sprächen Fachleute vom Effluvium und erst bei einer sichtbaren Ausdünnung der Haare von Alopezie, erklärte Professor Dr. Hans Wolff von der Klinik für Dermatologie der Universität München bei einer Pressekonferenz der Johnson & Johnson GmbH in München.
Der Dermatologe erklärte wichtige Fakten zum Kopfhaar. So hat jeder Mensch rund 100.000 Haare auf dem Kopf. Ein einzelnes Haar wächst etwa 0,3 mm pro Tag, das heißt circa 1 cm pro Monat. Die Wachstums- oder Anagenphase eines Haares dauert individuell unterschiedlich zwei bis zehn Jahre; daraus resultiert eine maximale Haarlänge von 24 bis 120 cm. Dann geht das Haar in eine ein- bis zweiwöchige Umbauphase (Katagenphase) und schließlich in die Ruhe- oder Telogenphase über. Nach zwei bis vier Monaten fällt es aus, und der Haarfollikel tritt in eine erneute Wachstumsphase ein.
Gene lassen Haare ausfallen
Weitaus am häufigsten ist der erblich bedingte Haarausfall, die androgenetische Alopezie. Diese betrifft sowohl Männer als auch Frauen. Während sich beim Mann die berühmten Geheimratsecken bilden, verlieren Frauen die Haare typischerweise zunächst im Mittelscheitelbereich. Haarausfall könne aber auch ernste Erkrankungen anzeigen, sagte Wolff. Beispielsweise könnten sich Eisenmangel, Schilddrüsenüberfunktion, immunologische Erkrankungen oder Infektionskrankheiten dahinter verbergen.
Wolff stellte klar: »Haarausfall kommt nicht vom Stress.« Bei der androgenetischen Alopezie reagieren die Haarwurzeln übermäßig empfindlich auf das Hormon Dihydrotestosteron (DHT). Die Anagenphase wird verkürzt, und aus dem kräftigen längeren Terminalhaar wird ein zartes Flaumhaar. »Diese Miniaturisierung kann man aufhalten.« Am Ende des Prozesses bilden sich keine neuen Haare mehr, und es entsteht eine Glatze.
Angesichts der vielfältigen möglichen Ursachen einer Alopezie sollten PTA oder Apotheker den Kunden mit seinem »haarigen Problem« zunächst an den Arzt verweisen, damit dieser eine exakte Diagnose stellt, empfahl Dr. Joachim Kresken, Apotheker und Vorsitzender der Gesellschaft für Dermopharmazie. Nach seinen Erfahrungen leiden vor allem Männer zwischen 20 und 30 Jahren sowie Frauen in und nach den Wechseljahren unter dem Haarausfall. Viele hätten schon diverse Mittel ausprobiert, bevor sie Rat in der Apotheke suchen. »Die Apotheke ist eine wichtige Anlaufstelle für Menschen mit Haut- und Haarproblemen.«
Den Haarausfall stoppen
Ziel der Therapie ist es, den androgenetischen Haarausfall dauerhaft zu stoppen. Dies gelingt bei etwa 90 Prozent der Männer und Frauen. »Bei mehr als 50 Prozent erreichen wir sogar eine optische Verdichtung des Haarkleids«, sagte Wolff.
Im Handel sind verschreibungspflichtige und rezeptfreie Therapeutika. Zu den ersteren gehören Tabletten mit 1mg Finasterid. Dieses blockiert die Bildung von DHT und ist ausschließlich für Männer zugelassen. Etwa 1 bis 2 Prozent der Männer klagten in den ersten Therapiewochen über nachlassende Libido und Potenz; dies sei beim Absetzen der Tabletten aber reversibel, informierte der Dermatologe.
Bei Frauen können orale Kontrazeptiva mit einem antiandrogen wirksamen Gestagen das Haarproblem lindern. Wenn die Frau ohnehin die Pille nimmt, könne der Arzt sie auf ein Präparat aus dieser Gruppe umstellen, sagte Wolff.
Verschreibungsfrei ist eine Lösung mit Minoxidil, die zweimal täglich aufgetragen wird. Für Männer gibt es eine 5-prozentige, für Frauen eine 2-prozentige Zubereitung. Wichtig sei, dass die Lösung auf die trockene Kopfhaut aufgetragen wird und die Haare danach nicht gleich gewaschen werden, sagte Kresken. Die Behandlung erfordert viel Geduld: Der Patient muss die Lösung regelmäßig über mehrere Wochen anwenden, bevor sich ein Effekt zeige, sagte der Apotheker. Vorübergehend kann sich der Haarausfall sogar verstärken. Nach etwa drei Monaten ist ein Erfolg sichtbar, nach sechs Monaten der Maximaleffekt erreicht.
Dauertherapie erforderlich
Wann ist eine topische, wann eine systemische Therapie besser? Wolff entscheidet dies nach den Vorlieben des Mannes. Die Kombination von Finasterid-Tabletten und Minoxidil-Lösung empfehle er nur, wenn der Mann über sechs bis zwölf Monate eine der beiden Therapien konsequent angewendet hat, ohne Erfolg zu erzielen. Wichtig: Alle Haartherapeutika wirken nur, solange sie angewendet werden. Daher ist eine Dauertherapie erforderlich. Die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen die Medikamente nicht.
Für die Selbstmedikation bei leichter Alopezie steht auch eine Haartinktur mit Alfatradiol (17-alfa-Estradiol) zur Verfügung. Sie wird einmal täglich auf die Kopfhaut aufgetragen. Manche Ärzte verordnen den Wirkstoff auch als Rezeptur. In kontrollierten klinischen Studien habe es aber keinen überzeugenden Wirksamkeitsnachweis gegeben, berichtete Dr. Christian Kunte, Oberarzt an der Dermatologischen Klinik der Universität München. Dies gelte auch für Kosmetika und Nahrungsergänzungsmittel.
Liegt ein Mangel vor, könnten Präparate mit Mikronährstoffen oder B-Vitaminen unterstützend hilfreich sein, so Kresken. In der Apotheke solle man dem Kunden außerdem möglichst milde Shampoos empfehlen; geeignet seien Produkte mit den Tensiden Ethercarbonsäuren, Alkylpolyglucoside oder Sulfosuccinate. Auf Haargele, Färbe- oder Dauerwellenmittel sollten Menschen mit Haarausfall verzichten. Wolff empfahl zudem eine Olivenöl-Packung, die Betroffene einmal pro Woche über Nacht einwirken lassen sollten.
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