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ADHS

Tagträumer und Tobsüchtige

24.10.2009  21:52 Uhr

ADHS

Tagträumer und Tobsüchtige

von Iris Priebe

Das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) ist eine so komplexe Störung, dass ihr Krankheitswert häufig nicht erkannt wird. Doch damit Betroffene trotz dieser Erkrankung ein»normales« Leben führen können, müssen sie selbst und ihre Angehörigen mehr über dieses Syndrom wissen.

Viele Menschen sind der Auffassung, ADHS sei eine Modekrankheit; tatsächlich ist diese Störung keine neue Erkrankung, sondern mehr der Name. ADHS zeigt sich auf drei Ebenen: im Bereich der Wahrnehmung, im sozialen und/oder im motorischen Bereich (siehe Tabelle). Die Symptome sind bei jedem anders ausgeprägt. Zusätzlich können Lese-, Rechtschreib- oder Rechenschwäche damit einhergehen. Wissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge ist ADHS genetisch bedingt und beruht auf einer Regulationsstörung im Frontalhirn. Diese Störung ist nicht heilbar, doch Arzneimittel, eine modifizierte Ernährung und psychologische Begleittherapien können das Syndrom deutlich mildern. Darüber hinaus sollten Eltern gleich zu Beginn der Diagnose die besonderen Fähigkeiten ihres ADHS-Kindes fördern. Diese Maßnahme stärkt das Selbstbewusstsein junger Patienten und erleichtert ihnen das Leben mit der Erkrankung. Dennoch folgen immer wieder Rückfälle, die es neu zu überwinden gilt.

ADHS gilt als die häufigste psychische Störung von Kindern und Jugendlichen. Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts leiden rund 5 Prozent der unter 18-Jährigen an diesem Syndrom, Jungen rund zwei- bis viermal häufiger als Mädchen. Im Jahr 2008 erhielten in Deutschland etwa 407 000 Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen verschreibungspflichtige Medikamente gegen diese Störung.

Ursachen und Anzeichen

Die Ursachen der Erkrankung werden kontrovers diskutiert. Mediziner halten ADHS für eine organische Störung, Psychologen und Pädagogen machen mentale Probleme als Reaktion auf familiäre oder gesellschaftliche Belastungen dafür verantwortlich. Schwierigkeiten im sozialen Umfeld können die Symptome zumindest verstärken oder festigen. Eine genetische Komponente wird vermutet, denn auffällig ist, dass sich die Eltern von ADHS-Kindern oft ähnlich verhalten, zum Beispiel verpassen sie ständig Termine und erledigen viele Dinge erst »kurz vor Toresschluss«.

Definition der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte e.V.

ADHS liegt dann vor, wenn unaufmerksames und impulsives Verhalten mit oder ohne deutliche Hyperaktivität ausgeprägt ist, nicht dem Alter und Entwicklungsstand entspricht und zu deutlicher Beeinträchtigung in verschiedenen sozialen Bezugssystemen und im Leistungsbereich von Schule und Beruf führt. Diese Auffälligkeiten sollen länger als 6 Monate bestehen. Die beeinträchtigenden Symptome von Hyperaktivität bis Impulsivität und Unaufmerksamkeit sollen bereits vor dem Alter von 7 Jahren vorhanden gewesen sein. Die Symptome sollen nicht ausschließlich im Rahmen einer tief greifenden Entwicklungsstörung, zum Beispiel Autis-mus oder Psychose auftreten und nicht besser durch andere somatische oder psychiatrische Störungen erklärt werden können.

Untersuchungen ergaben, dass das Stirnhirn von aufmerksamkeitsgestörten Kindern weniger Glucose verbraucht. Verantwortlich dafür scheinen körpereigene Neurotransmitter wie Dopamin, Noradrenalin und Serotonin zu sein. Deren Ausschüttung und Aufnahme ist bei ADHS-Kranken unausgeglichen und führt zu hyper- oder hypoaktivem Verhalten.

ADHS-Kinder bringen viel Unruhe und oft auch Chaos in ihre Umgebung. Daher sehen nicht nur die Zimmer der Kinder häufig unordentlich aus. Tornister, Jacke, Mütze: auf dem Weg ins Kinderzimmer lässt das Kind sie einfach an Ort und Stelle fallen. Der auffällige Konzentrationsmangel macht sie außerdem vergesslich. So kommt es ebenfalls vor, dass sie viele Aktivitäten beginnen, jedoch nicht zu Ende führen. Und so leicht ADHS-Kinder in Rage geraten können, so rasch fühlen sie sich ungeliebt und unverstanden und reagieren gekränkt. Andererseits haben sie ein Herz für Tiere, verhalten sich in Verhandlungen sehr geschickt und setzen sich mit ihrem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn gerne für Schwächere ein.

Diagnostik

Zur Diagnose der ADHS richten sich Ärzte nach bestimmten Leitlinien, den sogenannten International Classifikation of Diseases (ICD-10-Leitlinie) und Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV-Kriterien). Außerdem schließen sie durch eine Differentialdiagnostik Störungen mit vergleichbaren Symptomen aus. 

Zur Routinediagnostik gehören manchmal auch ein EEG und ein individueller Laborcheck mit Blutzucker- und Cholesterolbestimmung sowie eine Harnuntersuchung. Weiterhin macht sich der Arzt ein umfassendes Bild vom körperlichen Zustand, der seelischen Verfassung sowie der eigenen und familiären Vorgeschichte des Patienten. Zusätzlich können Hör- und Sehtests sowie Bewegungsverhaltenstests erfolgen. Dabei werden alle Symptome erfasst: negative und positive Verhaltenweisen des Kindes. Anschließend führt der Arzt Leistungs- und Konzentrationstests durch.

Mögliche Symptome

Sozialer Bereich Antriebslosigkeit, Impulsivität, rasche Frustration, mühsame Organisation
Wahrnehmender Bereich Tagträume, leicht ablenkbar, kritikempfindlich, extrem vergesslich, mangelhaftes Durchhaltevermögen
Motorischer Bereich zappelig, ungeschickt in Grob- und Feinmotorik, willkürlicher Krafteinsatz
Einhergehende Symptome schnelle psychische und physische Ermüdung, verzögerte seelische Entwicklung, stark ausgeprägter Gerechtigkeitssinn

Aus der Summe aller Testergebnisse schließt er, ob das Kind an ADHS oder einer anderen Erkrankung mit ähnlichen Charakteristiken wie Zwangsstörungen oder Depressionen leidet.

Therapie und Nahrungsergänzung

Die Verhaltenstherapie ist ein Baustein der ADHS-Behandlung. Auch die Eltern werden in die Therapie des jungen Patienten eingebunden. Bei entsprechender Diagnose verordnet der Arzt zusätzlich eine Physiotherapie. Die positiven Eigenschaften des ADHS-Kindes gilt es bei der Schul- und später bei der Berufswahl zu nutzen. Häufig kommen als Basismaßnahme auch Medikamente zum Einsatz. Dazu gehören Substanzen wie das BTM Methylphenidat-Hydrochlorid (wie Concerta®, Equasym®, Medikinet®, Ritalin®) und das verschreibungspflichtige Atomoxetin-Hydrochlorid (Strattera®). Methylphenidat gehört zur Klasse der Stimulanzien. Bei der Behandlung orientiert sich der Arzt an den Symptomen und verordnet jedem Patienten eine individuelle Dosis des Arzneistoffs.

Ganz unumstritten ist die Behandlung mit Methylphenidat nicht. So wird in Fachkreisen immer wieder das Abhängigkeitspotenzial diskutiert. Da ADHS-Kranke ohnehin suchtanfälliger sind als Gesunde, sind diese Bedenken begründet. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen jedoch, dass die Suchtgefahr bei unbehandelten ADHS-Patienten noch größer ist als bei therapierten.

Der Arzt soll die Therapie mit Methylphenidat beenden, wenn die Symptome sich trotz individueller Dosierung nach einem Monat nicht bessern. Bei Behandlungszeiträumen von über einem Jahr sollte einmal jährlich ein Auslassversuch erfolgen.

Der Zusammenhang zwischen Ernährung und ADHS ist nicht abschließend geklärt. Jedoch bewirken Diäten laut Bundesärztekammer bei 1 bis 2 Prozent und nach Aussage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bei immerhin 5 bis 10 Prozent der ADHS-Kinder eine Besserung der Symptome. Die Durchführung dieser Diäten ist meist extrem aufwändig, deshalb bleibt sie nur Einzelfällen vorbehalten und steht unter Aufsicht einer Diätassistentin. Wichtig dabei ist, dass das Kind freiwillig mitarbeitet. Bei der sogenannten oligo-antigenen Diät nach Egger werden Lebensmittel und Zusatzstoffe weggelassen, die oft Nahrungsmittelallergien oder -unverträglichkeiten auslösen. Diese Ernährungsumstellung dauert etwa 3 bis 4 Wochen. Phosphatarme Diäten gelten als obsolet.

Stoffwechseluntersuchungen haben gezeigt, dass bei einigen Kindern ein Mangel an ungesättigten Fettsäuren sowie an Eisen und Zink an der Symptomatik beteiligt sein könnten. Einzelne kleine Studien zeigen eine Wirksamkeit von mehrfach ungesättigten Fettsäuren; es liegen jedoch auch Studien vor, die keine Wirksamkeit im Vergleich zu Placebo nachweisen. Daher sind weitere Untersuchungen notwendig, um den Vorteil einer Nahrungsergänzung besser belegen zu können.

Essentiell für das Gehirn sind vor allem die Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren, denn sie sind Bestandteile der Nervenzellhülle. Auch Vitamine, zum Beispiel Vitamin B1, und Spurenelemente wie Mangan beteiligen sich am Aufbau des Nervengewebes. Ihr Mangel kann zu Konzentrationsstörungen und Müdigkeit führen. Nahrungsergänzungsmittel, zum Beispiel Addy Plus®, Fokus IQ®, Omefa Plus®, Esprico® und Concentrix®, führen dem Körper diese und weitere Substanzen zu.

Naturheilkundlich interessierten Eltern können PTA und Apotheker zusätzlich zur Therapie das homöopathische Arzneimittel Zappelin® N empfehlen. Sein Anwendungsgebiet leitet sich von den homöopathischen Arzneimittelbildern der Einzelbestandteile ab, dazu gehören auch nervöse Störungen mit Unruhe. Wenn sich unter der Behandlung die Symptome verschlimmern oder nach 5 bis 6 Wochen keine Besserung eintritt, müssen die Eltern den Arzt aufsuchen. Eine homöopathisch-spagyrische Alternative ist das Medikament Secelo spag. Pekana®.

Kinder, die unter ADHS leiden, können lernen, ihre Schwäche in den Griff zu bekommen. Sie werden sich dann in Schule und Beruf integrieren und ein zufriedenes Leben führen. Geduld und Verständnis der Angehörigen unterstützen die Therapie entscheidend.

E-Mail-Adresse der Verfasserin:
irispriebe(at)gmx.de