Gute Einstellung schützt Herz und Verstand |
23.09.2011 12:59 Uhr |
Von Claudia Borchard-Tuch, München / Durchblutungsstörungen gehören zu den gefürchteten Auswirkungen der Zuckerkrankheit. Die gute Blutzucker-Einstellung ist das A und O, um Diabetiker vor Herzinfarkt und Demenz zu bewahren.
Eines der Hauptprobleme bei Diabetes mellitus bestehe darin, dass die Erkrankung lange Zeit unentdeckt bleibt, erklärte Dr. Rolf Dörr, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologe aus Dresden, auf dem Kongress des Berufsverbandes Deutscher Internisten im Februar in München. So verspüren Betroffene lange Zeit keinerlei Symptome, was Mediziner auch als »silent diabetes« bezeichnen. Durchschnittlich vergehen zehn Jahre, bis ein Diabetes mellitus erkannt wird.
Foto: Bayer HealthCare Deutschland
»Höchstwahrscheinlich leben in Deutschland mehrere Millionen von Menschen mit unerkanntem Diabetes mellitus«, schätzte Dörr. Eine der vielen Folgen: Ist der Blutzuckerspiegel nicht im Normbereich, drohen bereits früh Gefäßveränderungen und Durchblutungsstörungen, die lebenswichtige Organe wie das Herz oder das Gehirn schwer schädigen können. »Häufig ist der Herzinfarkt das Erstsymptom eines Diabetes mellitus«, sagte Dörr. Hinzu kommt: Aufgrund eines Herzinfarkts sterben doppelt so viele Diabetiker wie Nicht-Diabetiker.
Daher sollten Diabetiker unabhängig von ihren Beschwerden regelmäßig eine kardiologische Untersuchung durchführen lassen. Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft rät als Erstuntersuchung zu einem Belastungs-EKG. Dieses muss der Arzt jedoch bei vielen Betroffenen frühzeitig abbrechen, da sie nicht ausreichend belastbar sind. Dann sind die Stress-Echokardiografie, die SPECT-Myokardszintigrafie oder die Stress-Magnetresonanztomografie die diagnostischen Maßnahmen der Wahl (siehe Kasten).
Die Stress-Echokardiografie ist eine Ultraschalluntersuchung des Herzens unter Belastung. Die Belastung kann sowohl dynamisch (Fahrradergometrie) als auch pharmakologisch (beispielsweise durch intravenöse Injektion von Dobutamin) erfolgen. Tritt unter der Belastung eine Wandbewegungsstörung auf, ist sie auf eine Mangeldurchblutung des Herzens zurückzuführen.
Auch anhand der Myokardszintigrafie kann der Arzt die Durchblutung des Herzmuskels beurteilen. Dazu wird dem Patienten vor einer Fahrradergometerbelastung radioaktives Technetium oder Thallium in eine Armvene gespritzt. Mit einer Gamma-Kamera wird erfasst, wie sich die radioaktive Substanz im Herzen verteilt. Gut durchblutete Herzmuskelbezirke speichern mehr, schlecht durchblutete weniger dieser Substanz.
Eine technische Weiterentwicklung ist die Single-Photonen-Emissionscomputertomografie (SPECT), mit der Organe, also auch das Herz, Schicht für Schicht untersucht werden können.
Die Magnetresonanztomografie (MRT), auch Kernspintomografie genannt, ist ein bildgebendes Verfahren ohne Röntgenstrahlung. Mit der Stress-MRT des Herzens kann der Arzt die Durchblutung der Herzmuskulatur unter Belastung einschätzen und eine Minderdurchblutung des Herzmuskels erkennen. Bei dieser Methode wird durch die Gabe von Adenosin kurzfristig die Durchblutung des Herzens gesteigert und so eine Belastungssituation simuliert. /
Herzkranke optimal versorgen
»Jährlich versterben in Deutschland 50 000 Diabetiker an einem Herzinfarkt«, so Professor Dr. Wolfgang Motz, Ärztlicher Direktor des Klinikums Karlsburg, einem Herz- und Diabeteszentrum. In zahlreichen Studien erwies sich die gestörte Glukosetoleranz bei Typ-2-Diabetikern als einer der Hauptrisikofaktoren für einen Herzinfarkt. Zur Prävention von Folgeerkrankungen empfiehlt die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) neuerdings neben gesunder Ernährung und ausreichender Bewegung, neu erkannten Diabetikern sofort orale Antidiabetika zu verordnen. Denn nur ganz selten ist die nicht-medikamentöse Therapie über einen langen Zeitraum erfolgreich. Darüber hinaus verzögern orale Antidiabetika das Fortschreiten der Erkrankung. Allgemeine Ziele für die Therapie gibt die Internationale Diabetikervereinigung (IDF) vor (siehe Kasten).
Blutzucker
Blutfettwerte
Blutdruck
Der HbA1c ist ein wichtiger Messwert zur Überwachung des Langzeit-Zuckers. Hb ist die Kurzform für Hämoglobin, dem roten Blutfarbstoff, der für den Sauerstofftransport sorgt. Eine Untereinheit ist das HbA1c. Je höher der Blutzucker ist, desto mehr Glukosemoleküle binden sich an Hämoglobinmoleküle. Der HbA1c-Wert spiegelt die Blutzuckerwerte der letzten acht Wochen wider, deshalb wird er auch als »Blutzuckergedächtnis« bezeichnet. Er wird bei Diabetikern alle drei Monate als Maß für den durchschnittlichen Blutzuckerspiegel bestimmt. Bisher wurde er in Prozent angegeben. Nach der Empfehlung des Internationalen Verbands für Klinische Chemie (International Federation of Clinical Chemistry, IFCC) gilt international die Einheit mmol/mol.
Umrechnungsformel:
HbA1c [mmol/mol] =
(HbA1c [%] – 2,15) x 10,929
Die medikamentöse Behandlung eines Typ-2-Diabetikers sollte mit dem oralen Antidiabetikum Metformin beginnen. Liegt der HbA1c-Wert nach drei bis sechs Monaten immer noch über 6,5 Prozent, sollte der Erkrankte erneut einen Arzt aufsuchen, damit dieser ihm eventuell noch ein weiteres orales Antidiabetikum verschreibt.
Hier gibt es eine große Auswahl an Wirkstoffen. Die α-Glukosidasehemmstoffe Acarbose oder Miglitol verzögern die Kohlenhydratresorption im Darm und glätten Blutzuckerspitzen nach den Mahlzeiten. Andere orale Antidiabetika sind Sulfonylharnstoffe, Glinide, Glitazone und Sitagliptin. Lässt sich auch mit diesen Therapeutika der HbA1c-Zielwert von 6,5 Prozent nicht erreichen, sollte der Arzt Metformin mit Insulin kombinieren, so Motz.
Da laut Studienergebnissen ebenfalls ein zu niedriger Blutdruck bei Menschen mit verengten Herzkranzgefäßen das Risiko von Komplikationen erhöht, hat die Europäische Gesellschaft für Bluthochdruck (European Society of Hypertension, ESH) kürzlich ihre Empfehlungen überarbeitet. So gilt als Zielwert ein Blutdruck von 130 bis 140 zu 80 bis 85 mmHg, wobei 130 zu 80 mmHg weiterhin als optimal angesehen wird. »Die meisten Diabetiker profitieren von einer Senkung des Blutdrucks auf Werte von 130 zu 80 mmHg«, so Motz. Insbesondere ACE-Hemmer und AT-Blocker vermindern die Gefahr eines Herzinfarkts. Auch sollten Ärzte Diabetikern mit erhöhtem Cholesterolspiegel Cholesterol-Synthese-Enzym-Hemmer verordnen – und zwar unabhängig von der Höhe des Cholesterolwertes, forderte der Kardiologe.
Demenz – oft verkannte Diabetesfolge
Neben Bluthochdruck, Übergewicht und Rauchen zählt Diabetes mellitus zu den wichtigsten Risikofaktoren für Demenz, sowohl für Alzheimer-Demenz als auch für die vaskuläre Form. Inzwischen können Wissenschaftler erklären, warum Diabetiker häufiger als Nicht-Diabetiker an der vaskulären Demenz erkranken. So schädigen hohe Blutzuckerspiegel die Gefäße. Insbesondere bei schlecht eingestellten Diabetikern können zerebrale Durchblutungsstörungen zum Absterben von Nervenzellen und damit zu Hirnschäden führen. Ist die Durchblutung der feinen Verzweigungen der Hirngefäße gestört, verringert sich die Masse der Hirnsubstanz und damit auch die Leistungsfähigkeit des Gehirns. Da der Prozess nur langsam fortschreitet, bemerkt im Alltag zunächst niemand, dass die Hirnleistung nachlässt. Eine gute Diabeteseinstellung verringert langfristig die Gefahr einer Demenz.
Insulinspiegel und Alzheimer
Im Gegensatz zur vaskulären Demenz ist der Grund für das häufigere Auftreten von Morbus Alzheimer bei Diabetikern noch nicht endgültig geklärt. Charakteristisch für die Alzheimer-Demenz sind die sogenannten senilen Plaques. Das sind außerhalb der Neuronen liegende Ablagerungen aus neurotoxisch wirkenden Beta-Amyloid-Peptiden (Aß-Peptiden). In den letzten Jahren gelang es Wissenschaftlern, Zusammenhänge zwischen Alzheimer-Demenz und dem Insulinspiegel im Gehirn aufzuzeigen. So überwindet Insulin die Blut-Hirn-Schranke mit Hilfe spezifischer Rezeptoren, gelangt in das Gehirn und beeinflusst das Denkvermögen.
Obwohl sich in Untersuchungen die geistige Leistungsfähigkeit der Menschen steigerte, deren Insulinmenge im Gehirn erhöht wurde, nachdem sie Insulin »geschnupft« hatten, ergaben andere Untersuchungen einen Zusammenhang zwischen erhöhten Insulinspiegeln im Gehirn und Demenz bei Diabetikern. So stellte sich heraus, dass Insulin den Abbau der neurotoxisch wirkenden Beta-Amyloid-Peptide im Gehirn hemmt. Wissenschaftler gehen davon aus, dass Beta-Amyloide mit Insulin um das abbauende Insuline-degrading Enzyme (IDE) konkurrieren. Andere Forscher untersuchten, wie sich erhöhte Insulinspiegel im Blut auf das Gehirn auswirken. Diese Stoffwechselsituation besteht typischerweise bei insulinresistentem Typ-2-Diabetes. Da hohe Insulinspiegel im Blut Entzündungsreaktionen fördern, waren bestimmte Entzündungsstoffe nicht nur im Blut, sondern auch in der GehirnRückenmarks-Flüssigkeit nachweisbar. Außerdem war auch die Menge an Beta-Amyloid-Peptiden erhöht.
Auch wenn viele Mechanismen noch nicht geklärt sind: Sicher ist, dass Patienten in vieler Hinsicht von einer sorgfältigen Blutzuckereinstellung profitieren. /