Krampfadern frühzeitig behandeln |
23.09.2011 12:53 Uhr |
Von Andrea Gerdemann / Experten schätzen, dass zwischen 50 und 80 Prozent der Deutschen ein Venenproblem haben, also auch mindestens jeder zweite Apothekenkunde. Da die meisten nichts davon wissen, sollten PTA oder Apotheker hellhörig werden, wenn Kunden über typische Beschwerden klagen, und im Gespräch klären, ob eine Selbstmedikation möglich ist.
Bei der Bonner Venenstudie aus dem Jahr 2003 kam ans Licht, dass etwa jeder dritte Teilnehmer Krampfadern hatte und jeder sechste Mann und jede fünfte Frau an einer chronisch venösen Insuffizienz litten. Für diese Studie befragten und untersuchten Ärzte im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie 3072 Probanden im Alter von 18 bis 79 Jahren. Ihr Ziel: Epidemiologische Daten zur Häufigkeit und Ausprägung von chronischen Venenkrankheiten zu gewinnen. Die meisten Teilnehmer unterschätzten die Auswirkungen einer Venenerkrankung völlig und verharmlosten sie als »kosmetisches Schönheitsproblem«. Doch diese Einstellung ist gefährlich, denn nicht oder falsch behandelte Venenerkrankungen können zu einer Varikose oder einer Venenthrombose führen, im schlimmsten Fall sogar zu einer lebensbedrohlichen Lungenembolie.
Links ist die Arterienpumpe dargestellt: Mit jeder Pulswelle, die in der mittleren Arterie nach unten drückt, wird Blut in den beiden Venen rechts und links nach oben befördert. Rechts zeigt die Grafik die Wadenmuskelpumpe: Die Muskeln komprimieren die Vene und pressen das Blut herzwärts.
Grafik: PZ/Wosczyna
Das Krankheitsbild
Die Hauptaufgabe des Venensystems liegt darin, das Blut aus den Extremitäten zurück zum Herzen zu transportieren. Dazu wird das Blut aus den oberflächlichen Venen in das tiefe Beinvenensystem und von dort aus in Richtung Herz gepresst. Da dieser Prozess gegen die Schwerkraft verläuft, greifen idealerweise zwei Mechanismen ineinander: die Wadenmuskelpumpe und die Arterienpumpe (siehe auch Grafiken). Muskelpumpen komprimieren die Venen – auch die tiefen Beinvenen – und drücken das Blut in Richtung Herz. Druckwellen in den Aterien unterstützen den Prozess. Venenklappen verhindern, dass das Blut zurück Richtung Füße fließt.
Eine Venenschwäche entwickelt sich in den meisten Fällen schleichend. Deshalb bemerken die Betroffenen den Beginn fast nie. Erste Symptome, die den Patienten auffallen könnten, sind Schmerzen und Schweregefühl in den Beinen sowie Schwellungen und Juckreiz, aber auch Wadenkrämpfe. Bleiben die Beschwerden unbehandelt, kann sich daraus eine chronisch venöse Insuffizienz (CVI) entwickeln, die in mehreren Stadien verläuft:
Die Ursachen der CVI sind noch nicht eindeutig geklärt. Allerdings sind eine Reihe von Risikofaktoren bekannt, die deren Entstehung begünstigen. Hierzu gehören neben der genetischen Disposition, Übergewicht, Schwangerschaft, höheres Alter, Rauchen, die Einnahme oraler Kontrazeptiva beziehungsweise anderer Hormonpräparate, weibliches Geschlecht, langes Stehen, Sitzen und Bewegungsmangel.
Zuerst die Kompression
Kompressionsstrümpfe gelten als Mittel der ersten Wahl zur Behandlung von Venenerkrankungen, denn sie unterstützen die Muskelpumpe. Die erweiterten Gefäße werden auf ein Drittel bis ein Fünftel ihres Durchmessers zusammengepresst. Das bremst den Übertritt von Flüssigkeit aus den Venen in das umliegende Gewebe und unterstützt deren Rückresorption in die Gefäße. Ödeme werden ausgeschwemmt, Schwellungen gehen zurück.
Als problematisch erweist sich jedoch häufig die Compliance: Nur jeder zweite Patient trägt die Strümpfe konsequent. Die Kompressionstherapie kann nur dann ihre volle Wirkung entfalten, wenn die Patienten ihre Kompressionsstrümpfe täglich tragen. Auf diesen Zusammenhang sollten PTA und Apotheker die Patienten hinweisen und sie langfristig immer wieder aufs Neue zum Tragen der Strümpfe motivieren. Zahlreiche Tipps zu Kompressionsstrümpfen stehen im Kasten.
Die Kompressionstherapie lässt sich – gerade auch bei CVI-Patienten – sinnvoll durch Arzneimittel ergänzen. Hier haben PTA und Apotheker die wichtige Aufgabe, die Patienten über geeignete Medikamente aufzuklären und zu beraten. Dazu sollten sie in jedem Fall vorher abfragen, ob der Patient seine Beschwerden selbst behandeln darf. Die Fragen auf Seite 24 helfen dabei.
Diese drei Heilpflanzen haben ihre Wirksamkeit bei Venenproblemen in Studien unter Beweis gestellt: das Rote Weinlaub, der Mäusedorn und die Rosskastanie.
Fotos: Antistax (oben), Fagorutin (Mitte), Dr. Willmar Schwabe (unten)
Bei manchen Symptomen müssen PTA oder Apotheker dem Patienten zum Arztbesuch raten. Hierzu gehören beispielsweise ausgeprägte Ödeme und starke Stauungen, akute Rötungen (Entzündungen), Verhärtungen, Einblutungen oder Wunden, der Verdacht auf ein Ulcus cruris oder eine Herzinsuffizienz (Knöchelödeme und nächtlicher Harndrang) oder auch ausgeprägte Waden- und Beinkrämpfe. Patienten mit Diabetes, Blutgerinnungsstörungen sowie Herz-, Nieren- oder Leberfunktionsstörungen sollten ebenfalls keine Selbstmedikation durchführen.
Pflanzliche Arzneimittel
In den meisten Fällen unterstützt die medikamentöse Therapie die Kompressionsbehandlung. Die alleinige medikamentöse Behandlung hingegen bleibt nur den ganz leichten Fällen einer CVI vorbehalten. PTA und Apotheker sollten dabei solche Arzneistoffe empfehlen, deren Wirksamkeit in Studien nachgewiesen wurde. Hierzu gehören Phytopharmaka mit Extrakten aus Rotem Weinlaub, Rosskastaniensamen, Mäusedornwurzelstock sowie Präparate, die Rutoside wie Oxerutin oder Troxerutin enthalten. Alle genannten Extrakte und Einzelsubstanzen wirken ödemprotektiv, das heißt, sie dichten die Gefäßwände ab und verhindern, dass Flüssigkeit aus den Venen in umliegendes Gewebe übertritt. Die Dosierungen und Einnahmehinweise unterscheiden sich wie folgt:
Damit sich die Wirkung voll entfalten kann, müssen die Patienten alle Arzneimittel über einen längeren Zeitraum einnehmen. Sind ihre Beschwerden in den Sommermonaten am stärksten, sollten sie bereits im Frühjahr mit der Einnahme beginnen und über den gesamten Sommer hinweg fortsetzen. Manche Patienten vertragen einen Wirkstoff nicht oder reagieren überempfindlich. Dann müssen sie das Arzneimittel absetzen und auf andere Wirkstoffe umsteigen. Als Nebenwirkungen der genannten Wirkstoffe beziehungsweise Extrakte können außerdem auftreten: Magen-Darm-Beschwerden und selten allergische Hautreaktionen mit Juckreiz oder Ausschlag. Schwangere, die häufig unter Wassereinlagerungen oder schweren Beinen leiden, sollten eine Behandlung nur in Rücksprache mit ihrem Gynäkologen durchführen.
Salbe, Creme und Gel
Manche Venentherapeutika werden auch äußerlich angewendet. Im Handel sind Gele, Cremes, Salben oder Sprays, die zum Beispiel Heparin/Heparinoide, Aescin, Extrakte aus Rosskastaniensamen oder aus Rotem Weinlaub enthalten. Obwohl ihre Wirksamkeit bislang in Studien nicht nachgewiesen werden konnte, empfinden viele Patienten die Anwendung dieser Topika als äußerst angenehm. Ein Grund dafür dürfte ihr kühlender Effekt sein, weil dadurch kurzfristig Spannungsgefühle und Schmerzen in den Beinen gelindert werden. In den Leitlinien zur Behandlung der Varikosis oder auch der CVI werden lokale Venentherapeutika aufgrund des fehlenden Wirksamkeitsnachweises nicht empfohlen. Trotzdem ist die Anwendung in einigen Fällen sinnvoll, zum Beispiel bei einer oberflächlichen Venenentzündung, wenn der erkrankte Bereich erkennbar ist.
Venentipps für jeden Tag
Ein weiterer wichtiger Baustein bei der Behandlung von Venenerkrankungen sind nicht-medikamentöse Maßnahmen. Dazu kann im Einzelfall auch gehören, seine Lebensweise zu ändern. Der Kasten listet eine Reihe Maßnahmen auf. Nicht medikamentöse Maßnahmen können nur die Behandlung unterstützen, sollten den Patienten jedoch nie dazu veranlassen, auf den Arztbesuch zu verzichten oder eine Kompressionstherapie auszusetzen. Wichtigste Regel, die es hierbei zu beachten gilt, ist die »3S-3L-Regel«: statt sitzen und stehen, lieber liegen oder laufen.
Geeignet sind Schwimmen, Radfahren, Spazierengehen, Laufen, Nordic Walking, Wandern.
Beine regelmäßig hochlagern, beim Sitzen die Beine nicht übereinander schlagen.
Übergewicht abbauen und auf Nikotin und Alkohol (im Übermaß) verzichten. Alles das belastet die Venen, weil die Blutzirkulation verschlechtert wird.
Zweimal täglich die Beine mit circa 16 °C kaltem Wasser abduschen, dabei an den Zehenspitzen beginnen und sich nach oben »arbeiten«.
Besser flache Schuhe als hohe Absätze tragen, damit die Venen-Muskelpumpe effektiv arbeiten kann. Auch enge Jeans, einschneidende Strümpfe oder einschnürende Unterwäsche können die Blutzirkulation behindern. Auf solche Kleidung besser verzichten.
Geeignete Übungen sind beispielsweise: Füße kreisen, »Fahrrad fahren« im Liegen, im Sitzen Fersen und Zehen abwechselnd nach oben ziehen, im Stehen auf den Füßen wippen,
Warme Bäder, Sonnenbäder oder Saunabesuche weiten die Venen.
Auf einer längeren Reise mit der Bahn, dem Auto, dem Bus oder dem Flugzeug, erhöht sich für Patienten mit einer Venenschwäche das Risiko für eine Thrombose. Beachten Betroffene jedoch einige Regeln, lässt es sich auf ein Minimum reduzieren.
Auch beim Sitzen sollten Venenkranke aktiv bleiben: Beine nicht zu lange in einer Position übereinander schlagen und Füße immer mal wieder kreisen lassen.
Foto: medi GmbH & Co. KG
Wichtig für die Reise
In Flugzeug, Bus oder Bahn häufiger aufstehen und umhergehen. Wer mit dem Auto reist, sollte regelmäßige Pausen einlegen und sich die Beine vertreten. Bein- und Fußgymnastik lassen sich auch auf dem Sitzplatz durchführen und halten das Blut in Bewegung. Ebenso sollten Patienten auf der Reise vorbeugend spezielle Stützstrümpfe tragen, wenn sie noch keine individuell angepassten Kompressionsstrümpfe besitzen.
Viel trinken gegen Thrombosen
Des Weiteren müssen die Patienten ausreichend trinken (2 bis 3 Liter pro Tag, am besten Wasser), auch im Flugzeug und während des Aufenthalts in einem warmen Land, denn Flüssigkeitsmangel begünstigt die Entstehung einer Thrombose.
Als Fazit gilt es festzuhalten: Patienten sollten in der Apotheke darüber informiert werden, dass sich Venenschwäche nicht heilen lässt. Wer aber frühzeitig und konsequent in den Prozess eingreift, kann das Fortschreiten dieser Erkrankung aufhalten oder zumindest stark verlangsamen. /