Rezepte der Verführungskunst |
23.09.2011 13:03 Uhr |
Von Ernst-Albert Meyer / »Die Frau soll den Mann fürchten, ihm untertan und gehorsam sein.« Diese Worte des Reformators Martin Luther (1483 bis 1546) bestimmten Jahrhunderte lang die Stellung der Frau in Ehe und Gesellschaft. Auch beim Sex hatte sich die Frau dem Manne zu fügen. Darum versuchten viele Frauen, durch bestimmte Kräuter den Mann ihrer Wahl zu verzaubern und so die Erfüllung ihrer Wünsche zu erreichen.
Da in vergangenen Zeiten das Leben der Frauen auf Ehe, Familie und Haushalt beschränkt war, spielten sie in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft nur selten eine bedeutende Rolle. Bereits der Kirchenvater Hieronymus (347 bis 420) forderte, die Mädchen zu Schamhaftigkeit, Schweigsamkeit, Enthaltsamkeit, Mäßigung, Demut und vor allem zur totalen Unterordnung gegenüber dem Mann zu erziehen. Außerdem seien Frauen anfälliger gegen die Sünde und das Böse und dürften »sich nicht im Müßiggang ergehen«. Selbst das Musizieren und freundschaftliche Gespräche lehnte Hieronymus als Gefahr für Mädchen ab. Mädchen sollten sich mit Handarbeiten beschäftigen. Es reiche, wenn ihre Bildung aus dem Verständnis der Bibel und den »notwendigen weiblichen Fertigkeiten« bestehe. Nur wenigen Frauen gelang es, sich aus diesem engen »Korsett« zu befreien.
Allerhand Liebesmittel sollten den Auserwählten betören: so auch ein mit weiblichem Schweiß präparierter Apfel.
Illustration: Steffen Köpf
Auch bei der Wahl ihres Ehemannes konnten Frauen nicht mitentscheiden. Meist wurden junge Mädchen den Plänen ihrer Eltern entsprechend mit einem ungeliebten Mann verheiratet. In der Ehe war die Frau dann vollkommen von ihrem Mann abhängig. Das galt auch für das Ehebett. Hier mussten die Ehefrauen ihrem Mann gefügig sein und ihn glücklich machen. Außerdem hatten sie stillschweigend die »Seitensprünge« ihrer Männer zu akzeptieren, während sie selbstverständlich treu sein mussten. Absolut »verboten« war es, dass ein junges Mädchen oder eine unverheiratete Frau einem Mann ihre Sympathie oder Liebe offenbarte. Auf der anderen Seite genoss eine verheiratete und tüchtige Frau, die ihre Aufgaben gegenüber Mann und Familie erfüllte, auch ein gewisses Ansehen in der Gesellschaft. Dagegen fristeten ledige, geschiedene oder verwitwete Frauen meist ein ärmliches Dasein. Da die Frauen in der Überzahl waren, mussten viele allein leben. Es ist deshalb verständlich, dass viele Frauen versuchten, ihre unerfüllten Wünsche nach Liebe und Sex durch Zauberei zu realisieren.
Pflanzliche Liebesmittel
Bestimmte Kräuter, Sträucher und Bäume standen damals in dem Ruf, übernatürliche Kräfte zu besitzen. Manche Pflanzen galten als Wohnsitz von Feen, Elfen, Kobolden und Dämonen sowie anderer guter und böser Geister. Außerdem hielten sich nach damaliger Vorstellung in Pflanzen auch die Seelen Verstorbener auf. Je nach Wesen, das von der einzelnen Pflanze Besitz ergriffen hatte, sprachen die Menschen dieser bestimmte Kräfte zu. So sollten Giftpflanzen dämonische Energien innewohnen, während in Heilpflanzen göttliche Kräfte vorherrschten.
Eine entscheidende Rolle spielte sicher auch, dass die Anwendung eines magischen Liebesmittels das Selbstvertrauen der Frauen stärkte. Im Ergebnis näherte sich die verliebte Frau ihrem Auserwählten wahrscheinlich viel mutiger, was durchaus zum Erfolg führen konnte. Außerdem verstärkten vermutlich die vorgeschriebenen Riten für die Zubereitung der Liebesmittel deren Effekt. Das Wissen über erotische Zaubermittel bewahrten die Frauen als Geheimnis und gaben es von Generation zu Generation weiter.
Damals war der Apfel als Liebeszauber sehr populär. Weil Äpfel den Brüsten der Frau ähneln, sahen die Menschen darin die Ursache seiner erotischen Kräfte. Um den Erwählten für sich zu gewinnen, trug das verliebte Mädchen einen Apfel unter ihrer Achsel, bis dieser ganz vom Körperschweiß durchtränkt war. Diesen Apfel gab die Verliebte dem ahnungslosen Jungen zu essen. Der Apfel gemeinsam mit dem Schweiß des Mädchens sollte bewirken, dass sich der junge Mann unsterblich in das Mädchen verliebte.
Dem unscheinbaren Eisenkraut schrieben schon die Germanen magische Kräfte zu. Es sollte auch die Liebe erwecken.
Foto: Thomas Schöpke
»Bohre Löcher in die Muskatnuss und trage sie einige Tage unter der Achselhöhle. Zermahle die Nuss und reiche sie dann dem Angebeteten in einem Getränk. Er wird dich lieben müssen«, empfahlen die als Hexen bezeichneten kräuterkundigen Frauen im 16. Jahrhundert den Mädchen in Frankreich. Diese Rezepte erinnern an die Forschungsergebnisse der modernen Wissenschaft, denn inzwischen kennt man die Wirkung der im Körperschweiß enthaltenen Pheromone. Sie bestimmen mit darüber, ob sich Mann und Frau unbewusst zueinander hingezogen fühlen.
Der Weg zum »Traum-Mann«
Bevor sie zum Tanzen gingen, steckten sich die Mädchen Zehrwurzelkraut, nach F.X. Unger identisch mit dem Aronstab (Arum maculatum) in die Schuhe und sagten folgenden Spruch auf:
»Zehrwurzelkraut, ich zieh dich in meine Schuh,
Ihr jungen Gesellen, lauft mir alle zu!«
Auch ein vierblättriges Kleeblatt (Trifolium pratense) sollte Liebeszauber bewirken: Wird ein verliebtes Mädchen von dem Geliebten nicht beachtet, soll sie ihm ein solches Kleeblatt in die Schuhe stecken. Dieser Zauber zwingt ihn, ihr vier Tage lang nachzulaufen. Diese Zeit soll das Mädchen nutzen, seine Liebe zu gewinnen. Oder ein anderes Rezept: Wenn ein Mädchen ein vierblättriges Kleeblatt über seiner Tür anbringt, wird es vom ersten Mann, der über die Schwelle tritt, geheiratet.
Verschiedene Zauberkräfte erhofften sich Frauen auch vom Eisenkraut (Verbena officinalis), das schon die Germanen für eine erotische Pflanze hielten. Der Arzt Leonhart Fuchs (1501 bis 1566) schreibt in seinem Kräuterbuch über diese Pflanze: »Item wer sich mit Ißenkraut safft bestreicht, dem mög niemands abhold sein, man muß ihn lieb haben.« Auch die Wegwarte (Cichorium intybus) wurde als Liebeszauberkraut geschätzt. Wenn die Frau ihren »Traum-Mann« damit berührte, sollte dieser zu ihr in »heißer Liebe« entbrennen. Doch damit der Zauber auch wirksam wurde, durfte die Frau die Wegwarte nicht mit der bloßen Hand anfassen, sondern musste sie an einem Karfreitag mit Hilfe einer Silbermünze ausgraben und dabei noch die Heilige Dreifaltigkeit anrufen. Die Mädchen, die sich die Blüten der Wegwarte und des Steinklees (Melilotus officinalis) drei Nächte hintereinander unter das Kopfkissen legten, konnten den für sie bestimmten Bräutigam sehen.
Am 1. Mai versuchten die Mädchen, mit den Zauberkräften eines Efeukranzes den erhofften Mann herbeizulocken. Und wenn ein neugeborenes Mädchen in einer Wanne aus Buchenholz gebadet wurde, so sollte das Holz dieses Baumes bewirken, dass es später viele Verehrer haben würde.
Die Königin der Blumen, die Rose, gilt bis heute als Symbol der Liebe. Sie lockte schon vor Jahrhunderten Männer an. Zu diesem Zweck sollte das Mädchen zur Sommersonnenwende am 21. Juni eine Rose pflücken und sie bis zum Weihnachtsfest aufbewahren. Wenn sie sich dann zum Kirchgang die Rose ansteckte, würde der zukünftige Ehemann auf sie zukommen und ihr die Blume von der Brust nehmen.
Von der Ringelblume (Calendula officinalis) wird folgendes berichtet: Zunächst sollte das Mädchen einen Teil der Erde, auf der der geliebte Mann gelaufen war, ausgraben, in einen Topf gegeben und eine Ringelblume hineinpflanzen. Blüht die Ringelblume auf, wird der Mann sich in das Mädchen verlieben, ob er will oder nicht.
Krank vor Liebe?
Im Mittelalter waren sich arabische Mediziner einig: Verliebtheit, die über das normale Maß hinausgeht, müsse die »Liebeskrankheit« sein und vom Arzt behandelt werden. Daher gehen verschiedene arabische Ärzte in ihren Werken auf die Diagnose und Therapie der Liebeskrankheit ein. Als sicheres Symptom galt eine Beschleunigung des Pulses bei Nennung des Namens der oder des Geliebten. In seinem »Königlichen Buch« beschreibt der Bagdader Arzt Haly Abbas (gest. 994) verschiedene Behandlungsmöglichkeiten. Den Liebeskranken empfiehlt er »feuchtmachende« Maßnahmen, zum Beispiel das Baden in Süßwasser, Reiten und viel Sport. Auch Weintrinken, das Einreiben mit Veilchenöl, das Spielen der Laute und das Singen von Psalmen rät der Arzt als Behandlung. Vor allem sollen Liebeskranke beschäftigt werden, beispielsweise durch Gespräche über die verschiedensten Themen, damit sie nicht in Gedanken bei der oder dem Angebeteten weilen. Außerdem sollte Sex mit einer ungeliebten Frau bei Männern die leidenschaftliche Liebe vermindern.
Auch im Europa des Mittelalters beschäftigte die Liebeskrankheit die Ärzte, wobei sie jedoch Liebeszauber und Liebestränke als mögliche Ursachen ansahen. Der Autor eines Kräuterbuch aus dem 14. Jahrhundert empfiehlt bei »angezauberter Liebe«: »Johanniskraut ist gut / für den / der nit schlafen mag von der poulschaft (Buhlschaft) wegen.« Eine andere alte Handschrift rät ebenfalls zu Johanniskraut, »so einer durch zauberische Liebe von Sinnen gekommen …«.
In vielen alten Mörsern wurden auch obskure Rezepturen gemixt, zum Beispiel um Ehemänner zur Treue anzuhalten.
Foto: Fotolia/Henryk Olszewski
Heilung des untreuen Ehemanns
Ein verheirateter Mann, der außerehelichen »Buhlschaften« nicht abgeneigt ist, gefährdet die Stabilität der Ehe. Deshalb suchten verheiratete Frauen immer auch nach Zaubermitteln, die die eheliche Treue ihres Mannes garantieren sollten. Hier zwei sehr spezielle Rezepte: Die Frau nehme eine Strähne von ihrem Haar, zehn Schamhaare und zehn Haare eines Ziegenbocks. Das Ganze muss sie mit neun Tropfen Mandelöl und drei Tropfen Menstrualblut versetzen und diese Mischung neun Tage und neun Nächte an ihrem Busen tragen. Dann soll sie nochmals sechs Schamhaare und einen Teelöffel Vaginalsekret hinzufügen und aufs Neue das Ganze drei Tage und drei Nächte an ihrer Brust bewahren. Anschließend soll sie die Mischung im Ofen trocknen und zu Pulver zerreiben. Dieses Zaubermittel muss sie dann in kleinen Portionen – am besten in Getränken – ihrem Ehemann verabreichen. Um die Wirkung noch zu verstärken, soll sie eine kleine Menge desselben Pulvers in ein Medaillon oder einen Ring geben und ihrem Mann schenken. Dabei soll sie darauf achten, dass der Mann das Schmuckstück ständig trägt. Das herbeigesehnte Ergebnis: Der Ehemann wird seine Frau bis ans Lebensende lieben und ihr treu sein!
Hat die Frau die Möglichkeit, der »Buhlin« (Geliebten) des Ehemanns ein Getränk zu reichen, kann sie diese so verzaubern, dass sie jeglichen Verkehr mit dem Ehebrecher beendet. Hier die Rezeptur: Die Ehefrau mischt neun Tropfen Bittermandelöl, drei Tropfen Blut von ihrem Ringfinger, je eine Handvoll Süßholz und Katzenminze und eine Prise graues Ambrapulver (wahrscheinlich waren das die Exkremente des Pottwals). Dann gibt sie Wasser und Mehl hinzu, verarbeitet alles zu einer Paste und lässt diese an der Luft trocknen. Anschließend zerrührt sie alles zu einem Pulver und mischt es in ein Getränk, das sie der Geliebten ihres Mannes zu trinken gibt. Der erwünschte Effekt: Die Frau wird ab sofort den Ehemann »meiden wie die Pest«!
Katalog magischer Mittel
Dass magische Liebesmittel nicht nur in Einzelfällen benutzt wurden, belegen Bußbücher des Mittelalters, die Geistliche der katholischen Kirche verfassten. Diese Bücher enthalten eine Art »Sündenkatalog«, also eine Auflistung von Sünden mit Angabe der jeweiligen Bußleistungen und wurden in allen christlichen Ländern von den Priestern als Hilfsmittel während der Beichte benutzt. In dem von ihm verfassten Bußbuch lässt der Kirchenlehrer und Bischof Burchard von Worms (um 965 bis 1025) katholische Priester beichtende Ehefrauen über ihr Liebesleben und ihre Sexualpraktiken befragen, vor allem nach Zauberpraktiken, die die Liebesglut des Ehemanns steigern sollen, um ihn vom außerehelichen Geschlechtsverkehr abzuhalten.
Mit der Gleichberechtigung der Frauen gerieten die Kenntnisse und Rezepturen von »Liebestränken und Liebespulvern« mehr und mehr in Vergessenheit. Emanzipierte Frauen können sich kaum noch in ihre Ururgroßmütter hineinversetzen, wie sie die Liebe eines Mannes mit Pflanzen »herbeizuzaubern« versuchten. /