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Ignaz Semmelweis

Der Retter der Mütter

25.06.2014  11:53 Uhr

Von Ralf Daute / Am 1. Juli 1818 wurde Ignaz Philip Semmelweis in Buda, Ungarn, geboren. Mit seinen unermüdlichen Forschungen erreichte er, das damals weit verbreitete und häufig tödlich verlaufende Kindbettfieber einzudämmen.

Ignaz Philip Semmelweis war ein streitbarer Mann mit kantigen Gesichtszügen, und in seinem Beruf war er ein Meister seines Fachs. An der Welt verrückt geworden ist er trotzdem: Vier Wochen nach seinem 47. Geburtstag wurde Semmelweis in die Irrenanstalt Döbling eingeliefert, die in der Nähe von Wien lag. Er verhielt sich aggressiv, und bei einer Auseinandersetzung mit den Pflegekräften zog sich der Patient eine leichte Verletzung zu. In deren Folge entwickelte sich eine Blutvergiftung, die am 13. August 1865 zu seinem Tod führte. Semmelweis hinterließ Frau und drei Kinder. Die wenigen Nachrufe blieben in der Fachwelt weitestgehend unbeachtet.

Rund ein Jahrhundert später prägte der amerikanische Autor Robert Anton Wilson den Begriff »Semmelweis-Reflex«. Damit beschrieb er der Fachwelt die Reaktion, eine wissenschaftliche Entdeckung ohne weitere Überprüfung des Sachverhaltes unmittelbar abzulehnen. Mit diesem Verhalten werden Forscher, die Neuland betreten, gewissermaßen bestraft, weil sie die etablierten Pfade des Denkens verlassen haben.

 

Der Name für diese brüske Form der Zurückweisung ist vermutlich perfekt gewählt, denn der ungarische Mediziner brachte nach seiner bahnbrechenden Entdeckung nahezu die gesamte Fachwelt gegen sich auf. Den Ruhm gab es erst nach seinem Tod, in der DDR wurde sein Leben sogar verfilmt. »Der Retter der Mütter« lautet der Titel des Streifens – pathetisch, aber keinesfalls übertrieben, denn die von Semmelweis entdeckte Ursache des Kindbettfiebers rettete in der Tat das Leben unzähliger Mütter.

 

Geboren wurde Semmelweis im Jahr 1818 als Sohn eines Kaufmanns in Buda, heute einer der beiden Teile von Budapest. Nach drei Jahren Studium an der Universität Pest, siedelte er 1837 nach Wien über und studierte dort ab 1838 Medizin. Im Anschluss an seine Promotion im Jahr 1844 erstellte Semmelweis die ersten zwei Jahre seines Berufslebens pathologische Befunde an Frauenleichen.

1846 erhielt Semmelweis eine Anstellung als Assistenzarzt in der geburtshilflichen Abteilung des Allgemeinen Krankenhauses Wien. Dort begann er mit seinen Untersuchungen, um zu erklären, warum auf zwei verschiedenen Stationen des Krankenhauses so unterschiedlich viele Mütter am Kindbettfieber starben: In der Abteilung, in der Studenten ausgebildet wurden, lag die Zahl deutlich höher als in der, in der die Hebammenschülerinnen unterrichtet wurden. Semmelweis untersuchte den Sachverhalt zunächst bei den Hebammen, mit der fatalen Folge, dass nun auch in dieser Abteilung die Zahl der Todesfälle unter Müttern stieg. Zuletzt weigerten sich die Frauen sogar, in seine Abteilung verlegt zu werden. Semmelweis hielt in seinem Tagebuch fest, dass in der gesamten Klinik 36 von 208 Müttern am Kindbettfieber starben.

 

Erster Verdacht

Ein Unfall brachte den Mediziner auf die richtige Spur: Ein Kollege verletzte sich während einer Leichensektion und starb kurz darauf an ähnlichen Symptomen wie beim Kindbettfieber. Daraufhin beobachtete Semmelweis, dass Mediziner und Studenten die Opfer des Kindbettfiebers sezierten und sich anschließend – wenn überhaupt – lediglich die Hände wuschen, bevor sie Frauen während der Entbindung untersuchten. Daraus folgerte Semmelweis, dass die Studenten Krankheits­erreger an ihren Händen auf die Schwangeren übertrugen – wie er selbst und seine Kollegen.

 

Diese Erkenntnis muss ihn tief getroffen haben. Sie erklärt vielleicht auch, warum er später, im Kampf um die Durchsetzung seiner Forderungen, seine Kollegen als »Mörder« beschimpfte. Fortan verlangte Semmelweis von seinen Studenten, dass sie nach Leichensektionen ihre Hände und die benutzten Instrumente desinfizierten. Binnen kürzester Zeit sank die Sterblichkeit unter den Müttern von 12 auf nur 2 bis 3 Prozent. Als der Arzt aufgrund eines weiteren Falles erkannte, dass man sich auch bei Lebenden mit Krankheitserregern anstecken konnte, machte er die Desinfektion nach jeder einzelnen Untersuchung Pflicht. Der Erfolg gab ihm recht: Im Jahr 1848 sank die Sterblichkeit der Mütter weiter auf nur noch 1,3 Prozent. Heute gilt Semmelweis wegen dieser Maßnahmen als Vater der evidenzbasierten Medizin, die wissenschaftliche Nachweisbarkeit zur Richtschnur für medizinisches Handeln macht. Zu seiner Zeit wurde Semmelweis verlacht.

 

Unter seinen damaligen Kollegen galt Hygiene als Zeitverschwendung, und bei der Suche nach den Ursachen des Kindbettfiebers zählten keine Fakten, sondern Mythen wie Milchstau oder das Ausbleiben der Menstruation. Semmelweis verfocht seinen Standpunkt energisch – und mit einer Wortwahl, die ihm bei seinen etablierten Kollegen mit Sicherheit keine Beliebtheitspunkte einbrachte.

 

Verbitterter Kampf

In einem Brief an einen Kollegen schrieb er: »Ich trage in mir das Bewusstsein, dass seit dem Jahre 1847 Tausende und Tausende von Wöchnerinnen und Säuglingen gestorben sind, welche nicht gestorben wären, wenn ich nicht geschwiegen, sondern jedem Irrtum, welcher über Puerperal-Fieber verbreitet wurde, die nötige Zurechtweisung hätte Teil werden lassen […]. Das Morden muss aufhören, und damit das Morden aufhöre, werde ich Wache halten, und ein jeder, der es wagen wird, gefährliche Irrtümer über das Kindbettfieber zu verbreiten, wird an mir einen rührigen Gegner finden. Für mich gibt es kein anderes Mittel, dem Morden Einhalt zu tun, als die schonunglose Entlarvung meiner Gegner, und niemand, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, wird mich tadeln, dass ich diese Mittel ergreife.«

Über seine Entdeckung schrieb Semmelweis auch in einem Fachbuch mit dem Titel »Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers«. Doch trotz dieses 500 Seiten starken Werks blieb ihm die Anerkennung der Fachwelt versagt. Selbst Rudolf Virchow, eine der Koryphäen der Medizin zu damaliger Zeit, hielt von Semmelweis‹ Erkenntnissen nichts.

 

Dazu trug wohl bei, dass Semmelweis bei aller Vehemenz seines Auftretens nicht unbedingt der beste Verfechter seiner Ideen war. Semmelweis wird als kindlich-naiv und vertrauensvoll beschrieben. Allerdings reagierte er auf Zurückweisungen schroff, unbeherrscht und aggressiv.

 

»Semmelweis trat nun aus seinem Schweigen in eine aggressive Anklageposition und ergriff hartnäckig das Wort gegen den vorhandenen wissenschaftlichen Irrtum und seine Vertreter. Er rang mehr um das Leben der Mütter als um seine persönliche Anerkennung. Leider zerstörte seine ungeheure Polemik die Basis für eine sachliche Auseinandersetzung«, so die Meinung von Professor Dr. Johannes Dietl (Würzburg), der sich im Deutschen Ärzteblatt mit der medizinischen Kontroverse beschäftigte.

 

Erst in der Ärztegeneration nach Semmelweis setzten sich die Erkenntnisse des streitbaren Ungarn durch – und blieben bis heute Standard. /

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