Fasten ohne Risiko |
18.05.2018 16:13 Uhr |
Von Kornelija Franzen / Am 15. Mai hat der Fastenmonat Ramadan begonnen. 30 Tage lang verzichten gläubige Muslime von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang auf Nahrung und Flüssigkeit. Alles, was über den Magen in den Darm gelangt, ist tagsüber tabu – perorale Arzneimittel eingeschlossen. Dennoch können auch Patienten mit Dauermedikation meist am Ramadan teilnehmen. Das A und O sind ein angepasster Medikationsplan und vorausgehende Patientenschulungen.
Religiöses Fasten ist ein elementarer Bestandteil zahlreicher Glaubensrichtungen. Christen, Juden und Muslime fasten regelmäßig und festigen auf diese Weise ihren Glauben. Der Fastenmonat der Muslime wird Ramadan genannt. Er entspricht dem neunten Monat des islamischen Mondkalenders. Im Vergleich zum Sonnenjahr ist das Mondjahr um knapp zwei Wochen kürzer, weshalb sich der Beginn des Ramadans jedes Jahr um diese Zeitspanne nach vorne verschiebt. Der diesjährige Fastenmonat ist am 15. Mai gestartet. Enden wird er am 14. Juni mit dem dreitägigen Fest des Fastenbrechens (Id al-Fitr), auch Zuckerfest (Seker Bayrami) genannt.
Neben dem Glaubensbekenntnis, täglichen Gebeten, dem Geben von Almosen und der Wallfahrt nach Mekka gehört das Einhalten des Ramadans zu den fünf Grundsäulen des Islam, auch für viele der etwa 4,7 Millionen Muslime in Deutschland. Die Teilnahme ist ab der Pubertät verpflichtend für alle geistig und körperlich gesunden Muslime. Kranke und alte Menschen, Kinder, Reisende sowie Schwangere, Stillende und Frauen während der Menstruation sind dagegen von der Fastenpflicht entbunden. Wer nicht fasten kann, ist angehalten, die versäumten Tage nachzuholen. Ist das nicht möglich, kann der Gläubige seine Pflicht erfüllen, indem er beispielsweise täglich an Bedürftige spendet.
Erlaubt und verboten
Gefastet wird von Tagesanbruch bis Sonnenuntergang. Dies beinhaltet in erster Linie den Verzicht auf Essen und Trinken. Aber auch Annehmlichkeiten und sinnliche Freuden wie das Benutzen von Parfüm, Rauchen oder Sex sind tagsüber nicht gestattet. Was Arzneimittel betrifft, so verbieten die Fastenregeln die Einnahme peroraler Darreichungsformen, aber auch Nasen- und Ohrentropfen sowie Zäpfchen sind tagsüber tabu. Zulässig sind hingegen Inhalativa zur Therapie von Asthma und COPD, Augentropfen (wichtig für Glaukom-Patienten), Dermatika wie Salben und Cremes sowie transdermale Pflaster. Eine Ausnahme sind allerdings Nikotinpflaster, denn sie unterwandern das im Ramadan geltende Tabakverbot. Sublinguale Arzneiformen und Injektionen gehören ebenfalls zu den im Fastenmonat erlaubten Darreichungsformen, denn sie gelangen parenteral, also unter Umgehung der Magen-Darm Passage, in den Körper. Auch eine Kapillarblutentnahme ist tagsüber zulässig. Die Bestimmung der Blutzuckerkonzentration oder die Ermittlung des Gerinnungswertes ist somit möglich.
Dauermedikation anpassen
Gläubige Muslime, die trotz Dauermedikation fasten möchten, sollten bestenfalls einige Wochen vor Beginn des Fastenmonats mit ihrem behandelnden Arzt über die Durchführbarkeit sprechen. Manchmal genügt eine Dosisanpassung, das Verschieben des Einnahmezeitpunkts oder der Wechsel hin zu einer alternativen Darreichungsform, um trotz chronischer Erkrankung fasten zu können. Die Zufriedenheit, die viele Gläubige allein durch die Teilnahme am Ramadan erfahren, sollte besonders bei chronisch Kranken nicht unterschätzt werden. Aber Vorsicht: Keinesfalls sollten Patienten eigenmächtig ohne Absprache mit dem Arzt Änderungen des Medikationsplans vornehmen oder Tabletten einfach weglassen.
Tagsüber erlaubt:
Tagsüber verboten:
Werden Arzneimittel nur einmal täglich appliziert, kann in vielen Fällen der gewohnte Rhythmus beibehalten werden. So werden etwa Schilddrüsenpräparate weiterhin vor dem Frühstück eingenommen, also vor der erlaubten Morgenmahlzeit (Suhur), Statine unverändert abends zur erlaubten Nachtmahlzeit (Iftar). Eventuell legt der Arzt für die Dauer des Fastens eine Dosisreduktion fest. Dies gilt im Übrigen auch bei der Einnahme von Diuretika.
Patienten mit Bluthochdruck, Epilepsie oder chronischen Schmerzen, die ihre Medikamente mehrmals über den Tag verteilt einnehmen, können eventuell auf ein entsprechendes Retardpräparat umgestellt werden. Analgetika stehen vielfach auch als transdermale therapeutische Systeme zur Verfügung.-
Als problematisch ist das Fasten bei Gichtpatienten einzustufen. Durch das Hungern und den damit verbundenen Abbau von Körpersubstanz steigt der Harnsäurespiegel im Blut an. Durch die angekurbelte Fettverbrennung entstehen zudem vermehrt Ketonkörper. Diese lassen den pH-Wert im Blut absinken, was wiederum verstärkt Uratkristalle ausfallen lässt – eine Gichtattacke droht. Möchten Gichtpatienten dennoch am Ramadan teilnehmen, ist eine Dosissteigerung der entsprechenden Medikamente indiziert. PTA und Apotheker sollten Patienten daher unbedingt an einen Arzt verweisen.
Blutgerinnung im Griff
Während des Ramadans ändert sich nicht nur das Essverhalten (tagsüber fasten, abends essen). Auch die Zusammensetzung des Speiseplans und damit die Aufnahme von Vitamin K weicht von den sonst üblichen Gewohnheiten ab. Dies kann die Wirksamkeit von Vitamin-K-Antagonisten (Phenprocoumon, Warfarin) beeinflussen. PTA und Apotheker sollten daher unbedingt Patienten, die ihre Blutgerinnung mithilfe von Antikoagulanzien kontrollieren, auf die Notwendigkeit zusätzlicher Quick-Wert-Bestimmungen beziehungsweise INR (International Normalized Ratio)-Wert-Messungen hinweisen. Die Wirkung von Thrombozytenaggregationshemmern (wie Acetylsalicylsäure, Clopidogrel) und direkten oralen Antikoagulanzien (wie Apixaban, Rivaroxaban) wird durch das Fasten nicht beeinflusst.
Selbst mit Diabetes ist Fasten grundsätzlich möglich. Die Leitlinie »Diabetes und Ramadan« (siehe Kasten) aus dem Jahr 2016 teilt Diabetes-Patienten in verschiedene Risikogruppen ein. Nach Beurteilung der Autoren sollten Patienten mit sehr hohem und hohem Risiko das Fasten unterlassen. In diese Kategorie fallen etwa Typ-1-Diabetiker, schlecht eingestellte Typ-2-Diabetiker und Patienten mit fortgeschrittenen diabetischen Folgeerkrankungen. Eine schwere oder mehrere leichte Unterzuckerungen innerhalb von drei Monaten vor Beginn des Ramadans stellen ebenfalls Ausschlusskriterien dar.
Gut eingestellte Typ-2-Diabetiker gehören zur Gruppe der Patienten mit mittlerem bis geringem Risiko. Nach Ansicht der Autoren spricht hier nichts gegen die Teilnahme am Ramadan, vorausgesetzt, der Patient wurde entsprechend geschult und auf die Notwendigkeit regelmäßiger Blutzuckerkontrollen hingewiesen. Mindestens sechs Messungen sollten es dann täglich sein. Nur so kann eine drohende Entgleisung des Blutzuckerwertes rechtzeitig erkannt und durch geeignete Gegenmaßnahmen gebannt werden. Besonders kritisch sollten Fastende tagsüber auf Anzeichen einer drohenden Unterzuckerung (Hypoglykämie) achten. Zu den typischen Warnsymptomen gehören Herzrasen, Zittern, Sprach- und Sehstörungen, Blässe und Heißhunger. Aber auch Überzuckerungen (Hyperglykämien) können vorkommen. Als Folge eines zu üppigen Abendessens sind sie vor allem nachts ein Problem. Weitere schwerwiegende Komplikationen stellen diabetische Ketoazidosen, Dehydrationen und Thrombosen dar. Neben einem veränderten Stoffwechsel (Hungerstoffwechsel) ist hier die fehlende Flüssigkeitsaufnahme am Tag ursächlich. Symptome einer Thrombose sind etwa einseitige Schwellungen oder Spannungsgefühle am Knöchel oder Unterschenkel, muskelkaterähnliches Ziehen und Schmerzen in der Wade sowie Erwärmung und bläuliche Verfärbung des Beins.
Antidiabetika anpassen
Metformin, Acarbose und Insulinsensitizer (Glitazone) sind orale Antidiabetika mit geringem Hypoglykämie-Risiko. Sie eignen sich demnach gut für einen Einsatz während des Fastenmonats. Eine Dosisanpassung ist hier nicht nötig. Wird das Antidiabetikum als Einmaldosis eingenommen, raten die Autoren der Leitlinie zu einer Applikation am Abend. Erfolgt die Anwendung mehrmals über den Tag verteilt, lautet die Empfehlung, die übliche Tagesdosis zu streichen und stattdessen die entsprechende Menge abends einzunehmen.
Ebenfalls keine Dosisanpassung ist erforderlich, wenn Patienten ihren Blutzucker mithilfe von DPP-4-Inhibitoren (wie Sitagliptin) oder durch subkutane Injektionen von GLP-1-Rezeptoragonisten (wie Exenatid, Liraglutid) kontrollieren. Beide Wirkstoffgruppen greifen glucoseabhängig in den Inkretin-Stoffwechsel ein. Das Risiko für eine Unterzuckerung wird als gering eingestuft.
Die aktuelle Leitlinie »Diabetes and Ramadan: Practical Guidelines« wurde von der International Diabetes Federation (IDF) in Kooperation mit der Diabetes and Ramadan (DAR) International Alliance veröffentlicht. Abgestimmt wurde sie mit dem Mufti von Ägypten, der höchsten religiösen Autorität in diesem Land. Sie ist kostenlos verfügbar unter www.idf.org/guidelines/diabetes-in-ramadan sowie unter www.daralliance.org/daralliance.
Eine Kurzfassung der Leitlinie ist zu finden unter www.diabetesresearchclinicalpractice.com/article/S0168-8227(17)30338-8/fulltext.
Bei den Sulfonylharnstoffen (wie Glimepirid) und auch bei den Gliniden (wie Repaglinid) ist in Absprache mit dem behandelnden Arzt eine Dosisreduktion zu erwägen. Beide Arzneistoffgruppen stimulieren die Insulinsekretion aus der Bauchspeicheldrüse. Folglich bergen sie ein etwas höheres Hypoglykämie-Risiko.
SGLT-2-Inhibitoren (wie Empagliflozin) hemmen selektiv den Glucosetransporter SGLT-2 in der Niere, wodurch mehr Glucose über den Harn ausgeschieden wird. Dieser Wirkmechanismus macht Patienten per se anfälliger für Dehydrierungen und Infektionen der ableitenden Harnwege. Durch das fehlende Trinken am Tag im Ramadan steigt die Wahrscheinlichkeit für Komplikationen.
Probetage planen
Insulinpflichtige Diabetiker können prinzipiell fasten. Sie nehmen allerdings ein größeres Risiko in Kauf als Patienten mit einer rein oralen antidiabetischen Therapie. Welche Anpassungen es hier vorzunehmen gilt, gibt die Leitlinie recht präzise vor. Bei Typ-2-Diabetikern etwa, die einmal täglich ein langwirksames Basalinsulin spritzen, raten die Experten zu einer Dosisreduktion um 15 bis 30 Prozent sowie zu einer Applikation zur Nachtmahlzeit.
Im besten Fall planen Patienten mit Dauermedikation vor Beginn des Ramadans ein paar Probetage ein. Diese dienen dazu, die Medikationsanpassungen auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen. Mögliche Schwachstellen können so rechtzeitig erkannt und behoben werden. /