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Organspende

Jeder sollte sich entscheiden

18.05.2018  16:12 Uhr

Von Barbara Erbe / 797 Menschen haben im vergangenen Jahr in Deutschland laut der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) nach ihrem Tod Organe gespendet, um damit das Leben anderer zu erleichtern oder zu verlängern. Das sind 60 weniger als im Vorjahr. Dass die Spendenzahlen zurückgehen, liegt aber weniger an fehlender Hilfsbereitschaft als vielmehr an unklarem Patientenwillen und im Ernstfall überlasteten Intensivstationen.

Da jeder Spender im Durchschnitt drei Patienten versorgt, haben 2017 also rund 2400 Menschen von der Spendebereitschaft profitiert. Allerdings warten allein in Deutschland mehr als 10 000 Menschen auf ein Organ. Dabei stehen 81 Prozent, also etwa vier Fünftel der Bevölkerung, dem Thema Organ- und Gewebespende grundsätzlich positiv gegenüber, bemerkt Dr. Julia Hansen, Referentin für Organ- und Gewebespende in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) im Gespräch mit PTA-Forum. »Knapp 70 Prozent der von uns repräsentativ Befragten wären damit einverstanden, dass man ihnen nach dem Tod Organe und/oder Gewebe entnimmt.«

Die Zahl derjenigen, die angeben, einen Organspendeausweis zu besitzen, sei überdies von 2012 bis 2016 stetig angestiegen, von 22 auf 32 Prozent. Zwar bietet der Organspendeausweis auch die Möglichkeit, sich für das Nichtspenden von Organen zu entscheiden. Erfahrungsgemäß stimmen aber diejenigen, die solch einen Ausweis ausfüllen, einer Entnahme von Organen und/oder Geweben in 86 Prozent der Fälle zu.

Beizeiten darüber sprechen

Anders als diese Umfrageergebnisse vermuten lassen, liegen Organspendeausweise aber auf deutschen Intensivstationen im Ernstfall wesentlich seltener vor, berichtet Birgit Blome von der DSO. »Das könnte daran liegen, dass viele den Ausweis zwar ausfüllen, ihn dann aber irgendwo ablegen und nicht mit sich führen. Oder sie haben zwar die Absicht, sich als Organspender zur Verfügung zu stellen, haben diese Absicht aber noch nicht dokumentiert.«

Kommt in der Apotheke das Gespräch auf das Thema Organspende, sollten PTA und Apotheker ihrer Kundschaft deshalb dazu raten, sich auf jeden Fall damit auseinanderzusetzen –und sich dann auch zu einer Entscheidung durchzuringen. »Das ist der verlässlichste Weg, die engsten Vertrauten davor zu bewahren, in einer tragischen Situation innerhalb relativ kurzer Zeit an ihrer statt entscheiden zu müssen«, sagt Blome. Am besten sei es, einen ausgefüllten Ausweis in der Brief­tasche mitzuführen. »Aber es hilft auch schon, beizeiten mit Familie oder vertrauten Freunden über die eigene Einstellung zum Thema Organspende zu sprechen, sodass die Bereitschaft zur Organspende – oder eben auch die Vorbehalte dagegen – im Ernstfall klar ist und die Hinterbliebenen nicht spekulieren müssen, wenn die Entscheidung an ihnen hängen bleibt.«

Konkrete Verfügung

Ein weiteres Problem sieht Blome in der seit einigen Jahren stetig wachsenden Zahl von Patientenverfügungen, die manchmal »zu unkonkret« abgefasst würden. Viele Menschen hätten verständliche, aber teils auch sehr diffuse Ängste vor der »Apparatemedizin« beziehungsweise vor den oft als unwürdig empfundenen lebenserhaltenden Maßnahmen. »Eine Patientenverfügung, die intensivmedizinische Maßnahmen ausschließt, kollidiert mit dem Wunsch oder der Bereitschaft zur Organ­spende«, darauf­ weist Blome hin. Denn bis zur Feststell­ung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls – und darüber hinaus bis zur Entnahme-Operation – müssen Kreislauf und Organe optimal versorgt sein. Aus diesem Grund ist es ratsam, die Entscheidung zur Organspende in die Patientenverfügung mit aufzu­nehmen und darin klar zu regeln, dass intensivmedizinische Maßnahmen im Falle einer möglichen Organspende für wenige Tage bis zur Organentnahme durch­geführt werden können. Das Bundes­justizministerium stellt dazu Formulierungsvorschläge zur Verfügung. Eine gute Möglichkeit ist es auch, das An­liegen mit einem Arzt zu besprechen.

Möglich ist eine Spende von Organen nur dann, wenn der sogenannte irreversible Hirnfunktionsausfall, auch Hirntod genannt, des Spenders vor dem Herzstillstand eintritt und sein Herz-Kreislauf-System auf der Intensivstation einer Klinik aufrechterhalten wird. Allerdings akzeptieren einer Umfrage des Chirurgischen Instituts der Universität Köln zufolge nur 62 Prozent der Befragten diese naturwissenschaftlich-medizinische Definition des Todes als den tatsächlichen Tod eines Menschen. Hier sieht Blome Aufklärungsbedarf: »Natürlich ist es schwer nachzuvollziehen, dass ein Mensch tot ist, der sich warm anfühlt und dessen Herz noch schlägt. Aber genau das ist der Fall, wenn alle Hirnfunktionen unwiederbringlich verloren sind. Ohne Beatmung und intensivmedizinische Maßnahmen würde das Herz-Kreislauf-System zusammenbrechen, der Körper kann nur für eine kurze­ Zeit künstlich in der Funktion gehalten werden.«

Ablauf der Spende

Auf der Intensivstation wird vor der Entnahme der Zustand der Organe überprüft, vor allem durch Blutanalyse und weitere Untersuchungen sowie anhand­ von Gesprächen mit Ange­hörigen und Ärzten des Verstorbenen. Eine Untersuchung zu Lebzeiten des Spenders ist nicht nötig. Allerdings können­ bekannte Vorerkrankungen, beispiels­weise Krebs, in den Organ­spendeausweis eingetragen werden. Transplantiert werden können prin­zipiell die Organe Herz, Lunge, Leber, Nieren, Bauch­speicheldrüse und Dünndarm sowie Gewebe, das heißt Teile der Haut, der Hornhaut der Augen, Herzklappen und Teile der Blutgefäße, des Knochengewebes, des Knorpelgewebes und der Sehnen.

Vermittlung über Zentrale

Sobald ein möglicher Spender ge­storben ist, leitet die Klinik seine Daten an die Zentrale von Eurotransplant weiter. Die gemeinnützige Stiftung mit Sitz im niederländischen Leiden koordiniert auch für Deutschland die Vermittlung von Spenderorganen. Dazu speichert sie die Daten aller potenziellen Empfänger, unter anderem deren Blutgruppe, Gewebetypisierung, Krankheitsursache, klinische Dringlichkeit und das Krankenhaus, in dem der Patient behandelt wird. Anhand von Faktoren wie Gewebeübereinstimmung, bisherige Wartezeit, Dringlichkeit, Erfolgsaussichten und der Entfernung zwischen Explantations- und Transplantationsort wird per Computersystem der am besten passende Empfänger gesucht und das entsprechende Transplantationszentrum informiert.

Von dort bekommt dann der Patient die positive Meldung, auf die er meist schon lange wartet. Er muss umgehend in die Klinik eilen, damit die Transplantation des neuen Organs oder Gewebes so schnell wie möglich stattfinden kann. Denn für die Entnahme der Organe und die anschließende Transplantation beim Empfänger haben die Ärzte nur zwischen 16 und 24 Stunden Zeit.

Mehr Lebendspenden

Neben der Spende nach dem Tod gewinnt die Lebendspende zunehmend an Bedeutung. Jede fünfte transplantierte Niere ist hierzulande inzwischen eine Lebendspende von Angehörigen oder engen Freunden. Damit vermeiden Betroffene nicht nur lange Wartezeiten für das Organ eines postmortalen Spenders, sondern erreichen oft auch bessere Ergebnisse: Abstoßungsreaktionen gegen Organe von Blutsverwandten sind weniger stark ausgeprägt, außerdem ist der Eingriff planbar und kann optimal vorbereitet und begleitet werden. Um Missbrauch zu verhindern, ist die Lebendspende hierzulande per Gesetz nur unter nahen Verwandten erlaubt sowie unter Personen, die besonders eng persönlich miteinander verbunden sind.

Aktuell stehen allein in Deutschland über 10 000 Patienten auf der Warteliste. Jedes Jahr sterben annähernd 1000 von ihnen, obwohl ihnen mit einer Organspende hätte geholfen werden können. Um diesem Mangel abzuhelfen, beschäftigen sich Experten regelmäßig mit der Frage, ob eine Änderung der bestehenden gesetzlichen Regelungen sinnvoll wäre.

Zustimmung nötig

In Deutschland gilt gemäß dem Transplantationsgesetz (TPG) die Zustimmungslösung. Das heißt, die verstorbene Person muss zu Lebzeiten ausdrücklich erklärt haben, dass sie ihre Organe spenden will. Liegt keine Einwilligung vor, können die Angehörigen nach dem Tod entscheiden, ob Organe gespendet werden sollen. Diese Regelung wurde 2012 um die Entscheidungslösung erweitert: Die Krankenversicherungen müssen ihre Versicherten über 16 Jahre alle zwei Jahre per Post über die Organspende informieren und zu einer Entscheidung auffordern. Die Bevölkerung soll sich so intensiver mit dem Thema beschäftigen, und es sollen sich mehr Leute für eine Spende entschließen. Es besteht jedoch keine Pflicht, sich zu entscheiden.

In einigen anderen europäischen Ländern, zum Beispiel in Frankreich, Italien und Spanien, gilt die sogenannte Widerspruchslösung. Hier sind alle Verstorbenen automatisch potenzielle Spender, wenn sie nicht zu Lebzeiten ausdrücklich einer Organspende widersprochen haben. Das Spenderaufkommen ist in Ländern mit Widerspruchsregelung oft tatsächlich höher als in Deutschland, allerdings noch immer nicht hoch genug, um alle Patienten zu versorgen. Immer wieder werden aber auch Stimmen laut, die darauf verweisen, dass die Ausweitung der Transplantationen der falsche Weg sei und besser mehr Energie in die Prävention von Zivilisationskrankheiten gesteckt werden sollte, die für einen großen Teil des Organbedarfs verantwortlich sind.

Entscheidung festhalten

In Deutschland möchte die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durch ergebnisoffene Informationen und Beratung erreichen, »dass alle Bürgerinnen und Bürger in der Lage sind, eine stabile Entscheidung für oder gegen eine Organ- und Gewebespende zu treffen und ihre Entscheidung dann auch schriftlich festzuhalten«, betont Referentin Hansen. Das geht besonders einfach mit einem Organspendeausweis: Dort kann man die uneingeschränkte oder eingeschränkte Bereitschaft zur Organspende, aber auch einen Widerspruch oder auch die Übertragung der Entscheidung auf eine andere Person dokumentieren. /

Wer kann spenden?

Anders als Blutspender, die zwischen 18 und 60 Jahre alt sein müssen, gibt es bei potenziellen Organspendern keine Altersbegrenzung. »Unsere älteste Spenderin war 98«, erinnert sich Birgit Blome von der Deutschen Stiftung Organtransplantation. »Sie hat eine Leber und zwei Nieren gespendet.« Schließlich gebe es auch ältere Patienten auf den Wartelisten für ein Spenderorgan. Da grundsätzlich alle Organe und auch Gewebe vor einer Transplantation untersucht werden, ist es auch nicht nötig, sich ärztlich untersuchen zu lassen, bevor man seine Bereitschaft bekundet, nach dem eigenen Tod Organe oder Gewebe zu spenden.