Leitlinie empfiehlt Phytopharmaka |
18.05.2018 16:13 Uhr |
Von Ulrike Viegener / Die Selbstbehandlung der unkomplizierten Blasenentzündung ist eine Domäne der Phytomedizin. Frauen, die öfter mit den lästigen Beschwerden zu kämpfen haben, sollten immer auch über die Möglichkeiten einer Rezidivprophylaxe beraten werden.
Die Beschwerden bei einer Blasenentzündung sind fies: Brennende Schmerzen und permanenter Harndrang, auch wenn sich nur Tröpfchen in der Blase befinden. In der Folge kommt es zu einer regelrechten Angst vor dem Toilettengang.
Eine Therapie gegen Blasenentzündung sollte in erster Linie die Symptome lindern.
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Deshalb brauchen Frauen, die mit einer Zystitis in die Apotheke kommen, in erster Linie ein Medikament, das die Symptome schnell beseitigt. Antibiotika erfüllen diese Forderung, bei manchen ist bereits nach der ersten Tabletteneinnahme eine deutliche Besserung zu spüren. Trotzdem suchen viele Frauen nach einer Alternative, besonders dann, wenn sie häufiger mit dem Problem zu kämpfen haben.
Rezidivierende Blasenentzündungen sind keine Seltenheit. Die schnelle Symptomlinderung ist vorrangiges Therapieziel bei der Auswahl eines geeigneten Medikaments. Es sollte, gerade auch bei der Selbstmedikation, aber auch unbedingt sichergestellt sein, dass die Infektion tatsächlich ausheilt und nicht verschleppt wird.
Oft ohne Antibiotikum
Laut einer Doppelblind-Studie mit 500 Teilnehmerinnen, in der die Wirksamkeit von Fosfomycin (3 g als »single shot«) und Ibuprofen (dreimal täglich 400 mg über drei Tage) verglichen wurde, heilen zwei Drittel aller unkomplizierten Blasenentzündungen ohne Zuhilfenahme eines Antibiotikums folgenlos aus. Allerdings hatte der Verzicht auf ein Antibiotikum schon seinen Preis: Die Beschwerden hielten unter Ibuprofen im Schnitt einen Tag länger an. Außerdem kam es innerhalb von 14 Tagen tendenziell häufiger zu einem Rezidiv. Und die Komplikationsrate war ohne Antibiotikum signifikant erhöht: In fünf Fällen kam es unter Ibuprofen zu einer Nierenbeckenentzündung (Pyelonephritis), unter Fosfomycin nur in einem Fall.
Die Studie wird in der im vergangenen Jahr aktualisierten Leitlinie zum Thema »Unkomplizierte Harnwegsinfekte« unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Urologie ausdrücklich erwähnt, in der sich die Experten sehr kritisch mit dem Einsatz von Antibiotika auseinandersetzen. Zwingend erforderlich sei eine Antibiotikatherapie bei unkomplizierten Harnwegsinfekten nicht, so das Statement. Eine unkomplizierte Blasenentzündung kann also auch symptomorientiert mit Ibuprofen behandelt werden, so die Empfehlung der Leitlinienautoren.
Über die genannten Nachteile, die mit dem Verzicht auf ein Antibiotikum verbunden sind, sollten Frauen mit einer Zystitis aber informiert sein. Bei Blut im Urin ist auf jeden Fall ein Antibiotikum erforderlich. Dasselbe gilt bei Fieber, denn in diesem Fall sind die Bakterien meist bereits aufgestiegen und es besteht erhöhte Gefahr einer Pyelonephritis. Frauen, die früher bereits eine Nierenbeckenentzündung durchgemacht haben, sollten ebenfalls auf Nummer sicher gehen und ein Antibiotikum einnehmen.
Pflanzliche Desinfizienzien
Für die Selbstbehandlung unkomplizierter Harnwegsinfekte stehen verschiedene Arzneimittel und Arzneitees zur Verfügung. Die Leitlinie spricht in dieser Hinsicht allerdings keine Empfehlungen aus. Abgesehen vom Hinweis auf die zitierte Ibuprofen-Studie werden keine Alternativvorschläge zur Antibiotikatherapie gemacht. In der Praxis häufig angewendete Phytopharmaka finden in der Leitlinie bei der Akuttherapie unkomplizierter Harnwegsinfekte keine Erwähnung. Anders sieht es in punkto Rezidivprophylaxe aus: Hier sehen die Autoren zum gegenwärtigen Zeitpunkt mehr Evidenz für den Einsatz pflanzlicher Harndesinfizienzien wie Kapuzinerkressekraut, Meerrettichwurzel und Bärentraubenblätter (Arctostaphylos uva-ursi).
Nur unkomplizierte Blasenentzündungen sollten in Eigenregie behandelt werden. Bei Hinweisen auf einen komplizierten Infekt sollten PTA und Apotheker an den Arzt verweisen. Das sind:
Auch wenn sich die Experten für ein positives Votum noch mehr kontrollierte Studien wünschen – Studiendaten, die den Einsatz der Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus) und der Meerrettichwurzel (Armoracia rusticana) auch in der Akutsituation nahelegen, gibt es schon. Das Kombinationspräparat Angocin® Anti-Infekt N enthält hochdosierte Senfölglykoside beider Heilpflanzen, die sich in den Harnwegen anreichern. Mehrere Studien sprechen dafür, dass das Kombinationspräparat zur Behandlung der akuten unkomplizierten Zystitis geeignet ist.
Breites Spektrum
Die relevanten Inhaltsstoffe beider Heilpflanzen sind Senfölglykoside, die von vielen Kreuzblütlern als Fraßschutz produziert werden. Im Gastrointestinum werden die Senfölglykoside durch pflanzeneigene Enzyme zu Senfölen (Isothiocyanaten) – den aktiven Wirkstoffen – hydrolysiert. Diese weisen ein breites Wirkspektrum gegenüber grampositiven und -negativen Bakterien auf, wobei auch Escherichia coli als typischer Erreger unkomplizierter Harnwegsinfekte nachweislich erfasst wird.
Gegenüber klassischen Antibiotika weisen Senföle einige Vorteile auf: Zum einen bleibt die physiologische Darmflora, die sowohl für die Verdauung als auch für die Immunabwehr bedeutsam ist, weitgehend intakt. Senföle werden nämlich im oberen Dünndarm fast vollständig resorbiert, sodass zumindest die Bakterien der unteren Darmabschnitte nicht behelligt werden. Auch sonst verursachen Senföle so gut wie keine Nebenwirkungen. Allenfalls kann es zu leichten Schleimhautreizungen im Magen-Darm-Trakt kommen, weshalb empfindliche Personen senfölhaltige Präparate nach dem Essen einnehmen sollten. Ein weiteres Plus der pflanzlichen Antibiotika: Resistenzen scheinen kein nennenswertes Problem zu sein. Eine Studie, in der Angocin Anti-Infekt N bei rezidivierenden Harnwegsinfekten zum Einsatz kam, belegt auch nach wiederholter Anwendung eine gleichbleibend gute Wirksamkeit.
Drei Harnwegsdesinfizienzien mit nachgewiesener Wirkung: Kapuzinerkressenkraut, Meerrettichwurzel, Bärentraubenblätter (von oben nach unten).
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Während die Kapuzinerkresse-Meerrettich-Kombination bei Harnwegsinfekten im Moment fast noch Geheimtipp-Status besitzt, sind die von den Leitlinienautoren ebenfalls positiv bewerteten Bärentraubenblätter (wie in Arctuvan®, Cystinol® akut) ein Phytoklassiker in dieser Indikation. Das enthaltene Arbutin wird zu Hydrochinon metabolisiert, welches mild antibakteriell wirkt.
Harntreibend
Daneben kommen auch andere Phytopharmaka, etwa mit Rosmarinblättern, Liebstöckelwurzel und Tausendgüldenkraut (wie Canephron®) zum Einsatz. Goldrutenkraut (Solidago virgaurea) und Birkenblätter (Betula pendula beziehungsweise pubescens) werden auch oft in Form von Arzneitees getrunken.
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Harntreibende Inhaltsstoffe helfen, die Blase gut durchzuspülen und Bakterien auszuschwemmen. Außerdem werden Inhaltsstoffen der Goldrute entzündungshemmende und krampflindernde Eigenschaften zugeschrieben, die bei akuter Blasenentzündung ebenfalls nützlich sind. Kontraindiziert ist eine Durchspültherapie mit Aquaretika bei Herz- und Niereninsuffizienz.
Rezidivprophylaxe
Bei rezidivierenden Harnwegsinfekten, das heißt mindestens zwei Episoden innerhalb von sechs Monaten oder mindestens drei innerhalb von zwölf Monaten, sollte den betroffenen Frauen zu einer Rezidivprophylaxe geraten werden. Eine Langzeitantibiose ist bei harmlosen Infekten allerdings die Ultima ratio. Zuvor stehen verschiedene Maßnahmen zur Auswahl, die darauf abzielen, die Immunabwehr zu stärken oder die Erreger direkt auszuschalten. An erster Stelle empfiehlt die Leitlinie eine dreimonatige Behandlung mit dem oralen Immunprophylaktikum Uro Vaxom® (OM-89). Und auch das Immunprophylaktikum StroVac®(drei Injektionen in wöchentlichen Abständen) sei einen Versuch wert.
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Ein effektives wie verträgliches Prophylaktikum ist auch die D-Mannose (wie Femmanose®). Dieser Einfachzucker, der kaum verstoffwechselt wird, ist laut einer randomisierten, offenen Langzeit-Studie dem Antibiotikum Nitrofurantoin ebenbürtig. Die Teilnehmerinnen, die unter rezidivierenden Harnwegsinfekten litten, tranken entweder täglich 2 g D-Mannose in Wasser aufgelöst oder sie nahmen Nitrofurantoin in einer Dosis von 50 mg täglich ein. Nach sechs Monaten war in der Zuckergruppe bei 14,6 Prozent und in der Antibiotikumgruppe bei 20,4 Prozent der Frauen erneut ein Harnwegsinfekt aufgetreten – und das bei 72 Prozent weniger Nebenwirkungen (vor allem Durchfall) in der Zuckergruppe. Deutlich höher dagegen die Rezidivrate in der unbehandelten Kontrollgruppe: 61 Prozent. Bleibt die Frage, wie der Effekt der D-Mannose zu erklären ist. Offenbar fängt der Zucker eingedrungene Erreger durch Komplexbildung ab und verhindert so ihr Andocken an die Blasenschleimhaut
D-Mannose ist übrigens auch in Cranberrys enthalten, was zu deren postulierter Wirkung bei Harnwegsinfekten beitragen könnte. Theoretisch würde dies einleuchten – wenn da nicht die widersprüchliche Studienlage wäre. Die Autoren der Leitlinie versagen den roten Beeren deshalb eine positive Beurteilung und eine Empfehlung zur prophylaktischen Anwendung. Am ehesten seien Effekte mit hoch dosierten Kapseln und Tabletten zu erwarten, deren Proanthocyanidin-Gehalt deutlich höher liege als bei handelsüblichen Cranberry-Präparaten. Studien mit entsprechenden oralen Darreichungsformen stünden aber bislang aus, soweit das offizielle Statement. Jedoch gibt es aber klinische Studien, die eine prophylaktische Wirkung von Cranberrys dokumentieren. Und es gibt viele Patientinnen mit wiederkehrenden Harnwegsinfekten, die auf Cranberrys schwören. Womit sich einmal mehr bewahrheitet, dass evidenzbasierte Medizin und Erfahrungsmedizin nicht zwingend zu deckungsgleichen Aussagen kommen müssen. /