Schmerztherapie im Fokus |
18.05.2018 |
Von Caroline Wendt, Berlin / Palliativ-Patienten haben unterschiedliche Bedürfnisse. Um zu verstehen, welcher Patient welche Medikation benötigt, muss zunächst der entsprechende Schmerztyp erkannt werden, erklärte Dr. Helmut Hoffmann-Menzel bei der Fachmesse Interpharm im März.
20 bis 40 Prozent der Krebspatienten leiden bereits zu Beginn ihrer Erkrankung unter Schmerzen, berichtete der Apotheker und praktizierende Arzt vom Malteser Krankenhaus Seliger Gerhard in Bonn. Häufig verursachen die Tumoren Schmerzen: Sie können etwa auf Nervenbahnen drücken, Hohlorgane komprimieren oder die Durchblutung vermindern. »Manchmal wachsen Tumoren aber auch so schnell, dass ihre eigene Blutversorgung nicht mehr gewährleistet ist«, erklärte Hoffmann-Menzel. Dadurch könnten Nekrosen entstehen, welche schmerzhafte Entzündungsreaktionen auslösen.
Eine konsequente Schmerztherapie ist bei den meisten Palliativpatienten unerlässlich.
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Um eine Diagnose zu stellen, sei nicht unbedingt ein bildgebendes Verfahren nötig. »Durch eine genaue Patienten-Befragung – wo, wann oder wie der Schmerz auftritt – lassen sich schon viele Informationen erhalten«, erklärte der Referent. So machen sich neuropathische Schmerzen eher in Ruhe bemerkbar und nozizeptorische Schmerzen verschlimmern sich unter Belastung oder beim Abtasten.
Doch auch die Krebstherapie kann Schmerzen verursachen: Bei einer Operation wird Gewebe zerstört, was beispielsweise zu Phantomschmerzen führen kann. Strahlungen können Fibrosen auslösen, und eine Chemotherapie kann Polyneuropathien zur Folge haben. Verschlechtert sich die Krankheit, verstärken sich häufig auch die Schmerzen. »Die Zunahme der Schmerzen verdeutlicht den Patienten das Voranschreiten der Krankheit, das ist ein nicht zu verachtender psychologischer Effekt«, betonte der Mediziner bei seinem Vortrag. Schmerzen hätten somit auch immer eine emotionale Komponente und müssten auch deshalb konsequent behandelt werden, so Hoffmann-Menzel.
Das WHO-Stufenschema zur Therapie von Tumorschmerzen unterscheidet drei Stufen beim Einsatz von Schmerztherapeutika: Auf der Stufe I befinden sich die nicht-opioiden Schmerzmittel wie Paracetamol, Novaminsulfon, Ibuprofen und Diclofenac. Acetylsalicylsäure (ASS) habe in der Schmerztherapie aufgrund der gastrointestinalen Nebenwirkungen ihren Stellenwert verloren und sei nur noch in der Selbstmedikation zu finden, erklärte Hoffmann-Menzel. »Nicht-opioide Schmerzmittel klingen für die meisten Patienten harmlos, doch das sind sie mitnichten«, hob der Mediziner hervor. Magen-Darm-Blutungen bis hin zum Ulkus, Nierenfunktionsstörungen, Müdigkeit und Verwirrung sind mögliche Nebenwirkungen, die laut Hoffmann-Menzel nicht zu verharmlosen sind. Auch koronare Komplikationen, die bei einigen COX2-Hemmern beschrieben sind, könnten ebenso bei Ibuprofen oder Diclofenac auftreten, so Hoffmann-Menzel.
Morphin als Goldstandard
Die zweite Stufe des WHO-Schemas bilden Opioide zur Behandlung von mittleren bis starken Schmerzen, wie Tilidin, Tramadol oder Tapentadol. Die aktuelle S3-Leitlinie »Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht heilbaren Krebserkrankung« der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin aus dem Jahr 2015 empfiehlt, besser frühzeitig auf stärkere opioide Schmerzmittel wie Morphin, Hydromorphon, Oxycodon oder Fentanyl zu setzen, die auf der dritten Stufe des WHO-Schemas zum Einsatz kommen. Der Goldstandard sei nach wie vor Morphin, da dieses in vielen unterschiedlichen Darreichungsformen verfügbar sei, erklärte der Referent. Aber auch Hydromorphon und Oxycodon gehören zu den Standardtherapeutika. Diese beiden Wirkstoffe hätten zudem ein besseres Image. Morphin gelte immer noch als Suchtmittel. Außerdem glaubten viele Patienten, dass die Einnahme von Morphin bedeutet, dass es dem Lebensende entgegenginge, verdeutlichte Hoffmann-Menzel.
In der Sterbephase wird häufig eine intravenöse Schmerzbehandlung nötig.
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Doch nicht nur die Patienten scheuten oftmals eine Therapie mit Betäubungsmitteln, sondern auch die Mediziner, berichtete Hoffmann-Menzel. Es gebe immer noch Ärzte, die keine BtM-Rezepte in ihrer Praxis hätten, da sie den zusätzlichen Aufwand und die Nebenwirkungen scheuten. »Dabei sind die Nebenwirkungen, die regelmäßig vorkommen, nicht Abhängigkeit und Atemdepression, sondern Übelkeit und Obstipation«, so Hoffmann-Menzel. Und hier könne sehr gut vorgebeugt werden. Metoclopramid (MCP) und Domperidon hemmen effektiv Übelkeit und Erbrechen. Außerdem seien diese Nebenwirkungen meistens auf die ersten sieben bis zehn Tage nach Behandlungsbeginn begrenzt. Dann könne das Antiemetikum wieder abgesetzt werden. Eine dauerhafte Obstipationsprophylaxe sei bei der Einnahme von opioiden Schmerzmitteln allerdings nötig. »Wir empfehlen gerne eine Kombination aus Natriumpicosulfat und Macrogol«, so der Oberarzt aus Bonn.
Komedikation
Neben den klassischen Schmerzmitteln gibt es noch eine Reihe anderer Substanzen, die zur Schmerztherapie verwendet werden. Einige der eingesetzten Arzneimittel sind eigentlich für andere Indikationen zugelassen: Antidepressiva, Antikonvulsiva oder Glucocorticoide. Hier sei es wichtig, die Patienten darauf vorzubereiten, dass die Nebenwirkungen von Antidepressiva oder Antikonvulsiva unter Umständen sofort einsetzen, während die Hauptwirkung noch auf sich warten lässt. »Trotzdem sind diese Arzneimittel unersetzlich, wenn es um die Therapie von Nervenschmerzen geht, da sie die Schmerzwahrnehmung beeinflussen«, erklärte der Referent. Auch eine Komedikation mit Dexamethason sei in vielen Fällen wichtig, um Entzündungsreaktionen und die dadurch hervorgerufenen Schmerzen zu verringern, so Hoffmann-Menzel.
Im Fokus der Öffentlichkeit stehe im Moment auch die Schmerztherapie mit Cannabis. Doch bei Tumorschmerzen sei die Evidenz gering bis nicht vorhanden, ähnlich auch bei neuropathischen Schmerzen, betonte der Mediziner.
Neben der medikamentösen Behandlung seien auch nicht medikamentöse Interventionen sinnvoll, etwa Lymphdrainage, Physio- und Ergotherapie, sagte Hoffmann-Menzel. Auch eine psycho(onko)logische Behandlung und soziale Unterstützung haben große Bedeutung.
Einfach und wenig invasiv
Nicht nur die richtige Substanz sei bei der Schmerztherapie entscheidend, ergänzte Dr. Constanze Rémi, Apothekerin von der Klinik und Poliklinik für Palliativmedizin am Klinikum der Universität München, den Vortrag des Mediziners. Oral, peroral, nasal, bukkal, transdermal: In Deutschland sind Schmerztherapeutika in vielen verschiedenen Darreichungsformen verfügbar. Die Anwendung sollte einfach und möglichst wenig invasiv sein, betonte Rémi. Zudem sollte im Mittelpunkt stehen, dass die Lebensqualität der Patienten erhalten, wenn möglich sogar verbessert werde, so die Apothekerin.
Eine Therapie muss immer angepasst an die jeweiligen Bedürfnisse der Patienten erfolgen. Während bei einem kontinuierlichen Schmerz eine Basisanalgesie mit Retardtabletten oder Pflastern möglich ist, müsse bei Durchbruchschmerzen eine schnell wirksame Arzneiform gewählt werden, so Rémi. Ist der Patient mobil, seien Darreichungsformen wie trinkfertige Ampullen oder ein nasal zu applizierendes Spray von Vorteil. Auch persönliche Vorlieben sollten bei der Wahl der Darreichungsform berücksichtigt werden. »Für einen passionierten Sauna-Gänger etwa ist ein wirkstoffhaltiges Pflaster nicht zu empfehlen«, erklärte die Fachapothekerin für Klinische Pharmazie. Denn bei der starken Hitze kommt es zu einer verstärkten Wirkstoff-Freisetzung.
Häufig müssen im Verlauf einer Erkrankung nicht nur die eingesetzten Wirkstoffe, sondern auch die Darreichungsform angepasst werden. So kann ein transdermales therapeutisches System (TTS) über einen längeren Zeitraum hinweg gute Schmerzlinderung leisten, doch in der Sterbephase ungeeignet sein. Dann ist die Haut häufig so schlecht durchblutet, dass der Wirkstoff aus dem Pflaster nicht mehr richtig aufgenommen werden kann. »Wir bevorzugen in solchen Fällen die subkutane Injektion«, berichtete die Referentin. Natürlich sei auch eine intravenöse Infusion möglich. Der Vorteil der subkutanen Gabe sei, dass kein Blutgefäß benötigt und eine kleinere Nadel verwendet werden könne.
Bei der Auswahl der richtigen Darreichungsform sei auch die psychologische Komponente von Bedeutung. Rémi schilderte den Fall einer Patientin, die den Glauben an ihre Morphin-haltigen Tabletten verloren hatte, weil sie die unverdauten Bestandteile der Tablettenhülle in ihrem Stoma-Beutel gefunden hatte. »Die Patientin lehnte jede weitere orale Schmerztherapie ab, wir mussten sie auf ein parenterales Morphin-Präparat umstellen«, sagte Rémi.
Arzneiform angepasst
Weiter berichtete die Referentin von einem Patienten, bei dem aufgrund eines fortgeschrittenen gastrointestinalen Tumors eine orale Therapie nicht mehr möglich gewesen sei. »Außerdem wollte der Patient auf eine parenterale Gabe möglichst verzichten«, so Rémi. Die Apothekerin und ihr Team fanden eine Lösung für seine Medikation: Granisetron als Pflaster, ein Haloperidol-haltiges Nasenspray, Metamizol und Omeprazol als Suppositorien. Da Omeprazol in keinem Fertigarzneimittel für die rektale Anwendung verfügbar war, wurden die Zäpfchen als Rezeptur angefertigt. /