Anticholinergika für langen Atem |
03.12.2007 11:15 Uhr |
Anticholinergika für langen Atem
Birgit Carl und Anna Laven, Aachen
Die Arzneistoffgruppe der Anticholinergika ist in lang und kurz wirksame Substanzen unterteilt. In Deutschland sind Ipratropiumbromid als kurz wirksame und Tiotropiumbromid als lang wirksame Substanz im Handel. Ipratropiumbromid wirkt 6 bis 8 Stunden, Tiotropiumbromid circa 24 Stunden lang. Verordnet werden die Substanzen vor allem zur Behandlung der chronischen Bronchitis.
Anticholinergika erweitern die Atemwege, indem sie die Muscarin-Rezeptoren in den Bronchien kompetitiv und reversibel blockieren. So verhindern Anticholinergika, dass sich Acetylcholin an die Rezeptoren anlagern kann. Damit schalten sie weitestgehend die Effekte des Botenstoffs Acetylcholin aus, der aus den parasympathischen Nervenenden freigesetzt wird und die Bronchien zusammenzieht (cholinerger Effekt). In der Konsequenz entspannt sich die glatte Muskulatur, und die Atemwege bleiben weit gestellt.
Kurz wirksame Anticholinergika verordnen Ärzte zur Verhütung und Behandlung einer chronisch obstruktiven Bronchitis mit und ohne Lungenblähung (Emphysem). Außerdem werden sie zur symptomatischen Therapie bei leichtem bis mittelschwerem Asthma bronchiale eingesetzt. Da Ipratropium die Mastzellen stabilisiert, wirkt es auch bei allergischem Asthma. Es dient als Bedarfsmedikament, also als Reliever. Im Handel ist eine fixe Kombination von Ipratropium mit dem Beta-2-Sympatomimetikum Fenoterol. Studien belegten, dass diese Kombination die Häufigkeit von Krankenhauseinweisungen verringerte. Bei Patienten mit einer Intoleranz gegenüber Beta-2-Sympathomimetika dient Ipratropium als Monopräparat als Alternative. Lang wirksame Anticholinergika wie Tiotropium verordnen Ärzte als Dauertherapeutika bei COPD-Patienten. Dieser Arzneistoff verringert die Lungenüberblähung, und der Patient bekommt wieder besser Luft. Außerdem nimmt die Zahl der Anfälle ab.
Nebenwirkung Mundtrockenheit
Bei mehr als 1 von 100 Patienten führt die Anwendung eines Anticholinergikums zu einem trockenen Mund. Für Tiotropium ist bekannt, dass diese Nebenwirkung vor allem zwischen der dritten und der fünften Behandlungswoche auftritt. Diese zumeist leichte Nebenwirkung verschwindet im Verlauf der Therapie jedoch wieder.
Über diesen Zusammenhang sollten PTA oder Apotheke den Patienten informieren. Damit erhöhen sie seine Compliance und motivieren sie ihn zum Durchhalten. Ein Formulierungsvorschlag: »Bei einigen Patienten bewirkt das Medikament vor allem während des ersten Monats Mundtrockenheit. Die gute Nachricht: Nach einigen Wochen verschwindet diese wieder von ganz alleine. Sollte bei Ihnen kurzfristig Mundtrockenheit auftreten, empfehle ich Ihnen, nach jeder Inhalation den Mund mehrmals gut mit Wasser zu spülen oder zu gurgeln. Auch ist es hilfreich, direkt nach der Inhalation etwas zu essen. Lutschen Sie während dieser Zeit viele Bonbons. Diese halten die Mundschleimhaut feucht. Hier haben sich vor allem Lutschpastillen – zum Beispiel mit Primelwurzel – bewährt.« Da Anticholinergika bitter schmecken, ist der Patient zusätzlich motiviert, den Mund zu spülen.
Wie bei fast allen inhalativen Applikationsformen müssen Patienten häufig direkt nach der Anwendung husten. Ebenso oft treten lokale Irritationen auf. Einige Patienten klagen über gastrointestinale Nebenwirkungen wie Verstopfung. Schwindel und Kopfschmerzen gehören ebenfalls zu den häufigen Nebenwirkungen. Vielen COPD-Patienten fällt es schwer, das Pulver aus einem Pulverinhalator wie dem Handihaler zu entleeren und damit ausreichende Mengen in die Lunge zu befördern, weil sie nicht tief genug Luft holen können. Sie sollten den Wirkstoff in gasförmiger Form inhalieren. Hierzu dient der Respimat. Patienten mit Verstopfung können PTA oder Apotheker therapiebegleitend Macrogole empfehlen.
Vorsicht bei Glaukompatienten
Bei Patienten mit vergrößerter Prostata oder einer Harnblasenhalsverengung verordnen Ärzte Anticholinergika nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung, da Anticholinergika den Harnverhalt verstärken können. Auch bei Patienten mit Engwinkelglaukom ist die Therapie mit Anticholinergika nur in Ausnahmefällen sinnvoll. Bei jeder Inhalationstherapie ist grundsätzlich darauf zu achten, dass kein Wirkstoff in die Augen gelangt, denn Anticholinergika können einen akuten Glaukomanfall auslösen. Dieser äußert sich mit Augenschmerzen und -beschwerden, unscharfem Sehen, einer falschen Farbwahrnehmung und mit geröteten Augen. Treten solche Symptome auf, muss der Patient unbedingt sofort einen Augenarzt aufsuchen.
Für Schwangere und Stillende gilt: Anwendung nur nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Bewertung und strenger Indikationsstellung, vor allem im ersten Trimenon und während der Stillzeit. Bisher sind bei Ipratropiumbromid keine fruchtschädigenden Wirkungen bekannt, doch die Datenlage ist unzureichend. Für Tiotropium, das erst seit 2002 im Handel ist, liegen ebenfalls noch keine aussagekräftigen Daten vor.
Anticholinergika beeinflussen die Wirkung anderer Medikamente kaum, da die Arzneisubstanzen wegen ihrer lokalen Applikation nur eine geringe systemische Wirkung entfalten. Nur circa 2 Prozent der in den Magen gelangten Wirkstoffmenge wird resorbiert. Es ist allerdings bekannt, dass Anticholinergika die Wirkung von Theophyllin und Beta-Sympathomimetika steigern können. Dies ist bei der COPD- beziehungsweise Asthmatherapie sogar erwünscht. In Kombination mit anderen Anticholinergika oder Arzneisubstanzen mit anticholinergen Wirkanteilen wie Pirenzepin werden Wirkung und Nebenwirkungen verstärkt.
Die übliche Einzeldosis für Ipratropium beträgt 20 µg pro Dosieraerosolsprühstoß und 200 µg pro Inhalationkapsel. Die Arzneisubstanz gibt es in verschiedenen Darreichungsformen: Neben dem klassischen Dosieraerosol und den Inhalationskapseln sind Inhalationslösungen im Handel. Erwachsene dürfen maximal 12 Hübe des Dosieraerosols pro Tag applizieren. Üblich ist eine Anwendung von ein bis zwei Sprühstößen drei- bis viermal täglich. Kinder ab dem 6. Lebensjahr können bis zu 3 Inhalierkapseln pro Tag anwenden. Bis zur zweiten Inhalation müssen mindestens drei Stunden vergangen sein. Die maximal erlaubte Anzahl Kapseln pro Tag sind 8. Patienten, die mit dem Inhalator M inhalieren, füllen bis zu 6 Kapseln in das Vorratsbehältnis, das einer Revolvertrommel ähnelt.
Kapseln vor Feuchtigkeit schützen
Da eine optimale Inhalation nur mit trockenem Wirkstoffpulver möglich ist, haben die Hersteller die Kapseln mit einer Schutzschicht überzogen. Damit bei der Entnahme aus dem Blister keine Risse in den Kapseln entstehen, wurden je 6 Kapseln mit einem sogenannten Peel-off-Verschluss versehen und zusammen eingeblistert. Auf diese Besonderheit sollten PTA oder Apotheker den Patienten stets hinweisen.
Die übliche Tiotropium-Dosis pro Inhalationskapsel beträgt 18 µg. In der Regel inhalieren die Patienten einmal täglich. Hierbei spielt die Tageszeit keine Rolle. Allerdings sollten die Patienten immer zur gleichen Tageszeit inhalieren, das heißt, immer mit einem Abstand von 24 Stunden. Die Wirkung tritt nach circa 30 Minuten ein. Bei einer Erstmedikation muss der Patient drei Tage auf die maximale Wirkung warten. Ein gleichmäßiger Plasmaspiegel, also ein Steady-state, stellt sich nach einer Woche ein. Ein Vorschlag für die Beratung: »Circa eine halbe Stunde nach der Inhalation werden Sie spüren, dass Sie deutlich besser Luft bekommen. Diese Wirkung wird in den nächsten Tagen noch besser. Sollten Sie aus Versehen eine zweite Kapsel aus dem Blister entnehmen, müssen Sie diese verwerfen, da die Kapseln sehr feuchtigkeitsempfindlich sind.«
Patienten, die noch keine Erfahrung im Umgang mit Dosieraerosolen oder dem Respimat haben, sollten PTA oder Apotheker folgenden Hinweis geben: »Lösen Sie den Sprühstoß während des Einatmens aus. Nachdem sie den Wirkstoff eingeatmet haben, warten Sie 10 Sekunden, bevor Sie langsam, am besten durch die Nase, ausatmen.«
E-Mail-Adresse der Verfasserinnen:
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