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Harninkontinenz

Die schwache Blase stützen

03.12.2007  09:57 Uhr

Harninkontinenz

Die schwache Blase stützen

Rita Reckmann, Vaals

Harninkontinenz ist ein weit verbreitetes Problem. Zwar kann es theoretisch in allen Altersstufen auftreten, doch steigt das Risiko mit zunehmendem Alter. Statistisch gesehen betrifft es in jüngeren Jahren überwiegend Frauen, bei älteren Menschen gleichen sich die Zahlen zwischen beiden Geschlechtern an.

Von Inkontinenz Betroffene verheimlichen meist ihr Leiden, sodass es schwer fällt, konkrete Zahlen zur Prävalenz zu nennen. Außerdem glauben viele Senioren, Blasenschwäche gehöre zum normalen Alterungsprozess und akzeptieren die Inkontinenz als unabänderliches Schicksal. Hat die betroffene Frau oder der Mann jedoch den Entschluss gefasst, das Kontinenzproblem aktiv anzugehen, suchen sie zuerst in der Apotheke Rat und Hilfe. In einer solchen Situation müssen PTA oder Apotheker Sachwissen über Harninkontinenz besitzen, aber auch einfühlsam reagieren und Verständnis für die Situation des Patienten aufbringen.

Basiswissen rund um das Thema Harninkontinenz enthält der im April 2007 veröffentlichte »Expertenstandard zur Förderung der Harnkontinenz in der Pflege« des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP). Das DNQP beauftragt regelmäßig Experten aus Medizin und Pflege, damit diese zu ausgewählten Themen einen Standard als Rahmenempfehlung für die Qualität der pflegerischen Versorgung entwickeln. 2006 stand die Harninkontinenz im Zentrum der Expertenarbeit mit der Begründung: Das Thema bedürfe dringend größerer Aufmerksamkeit, »da Harninkontinenz als scham- und manchmal auch als ekelbesetztes Phänomen in der Gefahr steht, verdrängt, ignoriert oder als unabänderlich resignierend hingenommen zu werden.«

Der Qualitätsstandard dient Pflegenden und Mitarbeitern von Einrichtungen als Maßstab, damit sie den Betroffenen fachlich angemessen helfen und gleichzeitig deren Würde wahren. Ein Begleitheft fasst die Ergebnisse der umfangreichen Literaturrecherche zum Thema Harninkontinenz, den verschiedenen Formen, charakteristischen Beschwerden und zur Förderung der Kontinenz bei erwachsenen Personen zusammen. Auszüge des Expertenstandards sind auf der Internetseite des DNQP unter www.dnqp.de einzusehen. Wer sich für die vollständige Ausgabe interessiert, kann diese beim Netzwerk bestellen.

Frauen häufig stressinkontinent

Die International Continence Society (ICS) hat 2002 die Terminologie der Harninkontinenz geändert und sie nach ihren Symptomen, klinischen Befunden sowie nach den urodynamischen Beobachtungen eingeteilt. Harninkontinenz ist also ein Sammelbegriff, deren gemeinsames Kennzeichen der unfreiwillige Urinverlust ist. Grundsätzlich werden zwei Hauptformen unterschieden: die funktionelle Inkontinenz und die Harninkontinenz aufgrund einer veränderten Speicher- und Entleerungsfunktion der Blase.

Eine funktionelle Inkontinenz liegt dann vor, wenn ein kontinenter Mensch nicht mehr rechtzeitig die Toilette erreicht. Ursache kann eine eingeschränkte Mobilität und/oder eingeschränkte Kognition sein.

Am häufigsten tritt die gestörte Speicherfunktion der Blase bei Stress- oder Dranginkontinenz auf. Die Stressinkontinenz geht einher mit unfreiwilligem Urinverlust bei körperlicher Belastung, zum Beispiel durch einen heftigen Hustenstoß, Niesen, Hüpfen oder schweres Heben. Sie betrifft vor allem Frauen. Die Dranginkontinenz ist gekennzeichnet durch unfreiwilligen Urinverlust durch plötzlichen und nur schwer zu unterdrückenden Harndrang.

Eine gestörte Entleerung liegt bei Inkontinenz durch chronische Harnretention vor. Die Betroffenen können ihre Harnblase nicht mehr vollständig entleeren, haben keine Kontrolle mehr über ihren Restharn, und verlieren unfreiwillig Harn. Diese Inkontinenzform tritt vor allem bei Männern ab dem 50. Lebensjahr durch das Prostatawachstum auf. Die häufigsten Ursachen für Kontinenzprobleme sind:

  • Erkrankungen, zum Beispiel Schlaganfall, Multiple Sklerose, Morbus Parkinson, Demenz
  • Arzneimittel wie Anticholinergika, Antidepressiva, Neuroleptika, Calciumantagonisten, Opiate
  • Harnwegsinfektion
  • Obstipation
  • Belastung des Beckenbodens, zum Beispiel durch Schwangerschaft oder Entbindung, Adipositas, chronischen Husten
  • Estrogenmangel
  • Vergrößerung der Prostata/Operation der Prostata
  • Körperliche Einschränkungen, zum Beispiel beim Stehen, Gehen oder Hinsetzen
  • Kognitive Einschränkungen, beispielsweise bei der Wahrnehmung des Harndrangs

Da die Betroffenen »ihre« Inkontinenz oft aus Scham verheimlichen, ist es nicht leicht, die Kontinenzprobleme zu erkennen. Deshalb müssen sich PTA oder Apotheker einfühlsam verhalten. In der Apotheke beschreiben die Betroffenen häufig »indirekte Probleme«. So fragen sie beispielsweise nach einer Salbe gegen Wundsein und Juckreiz oder nach einem Medikament »für die schwache Blase«, oder gegen Schmerzen beim Wasserlassen. Die für eine Harninkontinenz charakteristischen Symptome sind:

  • unfreiwilliger Urinverlust
    bei körperlicher Belastung
    mit starkem Harndrang einhergehend
    mit gestörtem Gefühl für die Blasenfüllung
  • Drang zu häufigem Wasserlassen bei geringer Harnmenge (Pollakisurie)
  • Aufwachen in der Nacht wegen Harndrang und wiederholtes Wasserlassen (Nykturie)
  • Pressenmüssen beim Wasserlassen
  • Tröpfeln nach der Blasenentleerung
  • verzögerter Beginn der Entleerung
  • ständiger Urinabgang
  • Gefühl der nicht vollständig entleerten Blase
  • überaktive Blase: Harndrangsymptomatik mit und ohne Inkontinenz, oft einhergehend mit Pollakisurie und Nykturie
  • Enuresis nocturna (Einnässen während des Schlafs)

Sensible Kommunikation

Wem es gelingt, mit dem Patienten in ein Gespräch zu kommen und sich vorsichtig der Problematik anzunähern, kann die Vermutung durch gezielte Fragen erhärten, beispielsweise »Können Sie das Problem noch etwas genauer beschreiben?«, »Verspüren Sie häufig Harndrang?«, »Haben Sie (oder die Person, die Sie geschickt hat) Probleme mit dem Wasserlassen?«, »Müssen Sie nachts häufiger aufstehen und zur Toilette gehen?« Falls es die Situation zulässt, können PTA oder Apotheker außerdem fragen: »Verlieren Sie ungewollt Urin?« Und die wichtigste Frage ist: »Haben Sie mit Ihrem Arzt schon über dieses Problem gesprochen?«

Das Gespräch könnte mit dem Hinweis enden, dass Harninkontinenz auch für ältere Menschen kein unabänderliches Schicksal ist. Auf jeden Fall muss der Betroffene zuerst seinen Arzt aufsuchen. Nach ärztlicher Abklärung der Inkontinenzform und der individuellen Ursachen verbessert die adäquate Therapie nicht nur die Inkontinenz, sondern kann durchaus sogar wieder zur Kontinenz führen.

Das sogenannte Miktionsprotokoll liefert dem Arzt wichtige Informationen zur Diagnose und zur gezielten Therapie. In diesem Protokoll notiert der Patient oder seine Pflegeperson die Häufigkeit der Miktionen (willkürliches Wasserlassen) und der Inkontinenzepisoden, die Uhrzeiten und weitere Einflussfaktoren wie Menge und Art der Getränke.

Nicht medikamentöse Methoden

Das Hauptanliegen jeder Therapie ist die Förderung der Kontinenz. Dies setzt grundsätzlich die umfangreiche Beratung des Betroffenen hinsichtlich der Therapieoptionen voraus. Nur so erhält er die Möglichkeit, die Behandlung aktiv mitzubestimmen. Neben den Arzneimitteln, die der Urologe gegen Miktionsstörungen verordnet, fördern allgemeine Maßnahmen die Kontinenz, beispielsweise die ausreichende Flüssigkeitsaufnahme und die Reduktion des Körpergewichtes.

Da zu niedrige oder zu hohe Flüssigkeitsmengen ein Risiko darstellen, sollten PTA oder Apotheker immer auch nach der Trinkmenge fragen. Als ausreichende tägliche Menge empfehlen die Experten mindestens 30 ml Flüssigkeit pro Kilogramm Körpergewicht. Zu geringe Flüssigkeitszufuhr erhöht die Harnkonzentration und verstärkt damit die Drangsymptome sowie das Risiko eines Harnwegsinfektes und einer Obstipation. Die meisten Menschen wissen, dass bestimmte Getränke, vor allem Bohnenkaffee und Alkohol den Harndrang verstärken können. Mittels eines Miktionsprotokolls kann jeder seine individuelle Disposition erkennen.

Untersuchungen zum Effekt der Gewichtsreduktion führten zu folgendem Ergebnis: Adipöse Frauen mit Stressinkontinenz hatten nach Gewichtsabnahme weniger Inkontinenzepisoden. Da Obstipationsprobleme eine Inkontinenz fördern, sollten die Betroffenen für eine geregelte Verdauung sorgen.

Außerdem schließt eine umfangreiche Beratung mit ein, das Lebensumfeld des älteren Menschen kritisch zu überprüfen. Eventuell ist die häusliche Umgebung sogar daran Schuld, dass der alte Mensch die Toilette nicht mehr rechzeitig erreicht. Erfahrungsgemäß verbessern oder erhalten Maßnahmen, die die Unabhängigkeit älterer Menschen fördern, deren Mobilität. Bei körperlich und/oder geistig eingeschränkten Menschen gehört eine Bekleidungsberatung ebenfalls dazu. Obwohl diese Aspekte über die Einflussmöglichkeiten von PTA oder Apotheker hinausgehen, sollten sie diese wichtigen Faktoren kennen.

Spezielle Programme und Hilfsmittel

Zu den Maßnahmen der Kontinenzförderung zählen Trainingsprogramme und Hilfsmittel. Die Erfahrung zeigt, dass aktive Trainings sowohl die Zufriedenheit der Patienten erhöhen, als auch langfristig wirtschaftlicher sind. Die passive Versorgung mit Kontinenz-Hilfsmitteln sollte immer erst die letzte Maßnahme sein.

Die drei wichtigsten Trainingsmethoden sind das Blasentraining (Verhaltenstraining), das Beckenbodentraining und das Toilettentraining. Das Ziel des Blasentrainings ist es, die Blasenkontrolle zu verbessern und die Menge Harn zu erhöhen, die die Blase ohne Drang oder Tröpfeln halten kann. Mit einem speziellen Programm lernt der Patient, länger den Harn einzuhalten, bevor er die Toilette aufsucht. Wenn die Blase empfindlich oder überaktiv ist, ist das anfänglich recht schwierig. Diese Trainingsart eignet sich für Frauen mit Stress- oder Dranginkontinenz. In Untersuchungen nahmen mit Hilfe des Blasentrainings die Inkontinenzepisoden ab, jedoch individuell sehr unterschiedlich.

Das Beckenbodentraining umfasst ein Übungsprogramm mit spontanen und wiederholten Kontraktionen der Beckenbodenmuskulatur. Das Training dient dem Muskelaufbau und erstreckt sich über drei bis sechs Monate mit mehrmals täglichen kurzfristigen kräftigen Kontraktionen spezifischer Muskelgruppen, und zwar so als ob die Übende gerade Harn zurückhalten wollte. Wer das Programm selbst erlernen möchte, kann eine Bild-, Text- oder Video-Version kaufen. Die einführende Anleitung durch einen Physiotherapeuten ist jedoch immer zu empfehlen, weil die nicht korrekte Kontraktion der Beckenbodenmuskeln die Inkontinenz eher noch verstärken kann. In der Praxis des Physiotherapeuten lernen die Frauen, die richtige Muskulatur anzuspannen. Nur so lassen sich langfristige Behandlungserfolge erzielen. Vom Beckenbodentraining profitieren Frauen mit Stressinkontinenz am meisten. In Verbindung mit einem Blasentraining ist es auch effektiv bei Mischinkontinenzformen.

Biofeedback-Geräte für Zuhause

Oft setzen Urologen zur Kontraktionsförderung unterstützend eine weitere Methode ein, zum Beispiel das Biofeedback, die Elektrostimulation oder einen Vaginalkonus. Beim Biofeedback werden die bei der Kontraktion der Beckenbodenmuskulatur entstehenden elektrischen Ströme als akustische oder optische Signale wiedergegeben. Dadurch erhält der Betroffene eine Rückmeldung, ob ihm die Kontraktion gelungen ist. Inzwischen gibt es im Handel kleine Biofeedback-Geräte, die die Patienten nach Einweisung des Arztes zuhause zur Trainingsunterstützung einsetzen können. Bei der Elektrostimulation erzeugen Elektroden durch Impulse passive Kontraktionen der Beckenbodenmuskulatur.

Vaginalkoni sind unterschiedlich schwere kleine Kegel, die der Arzt verordnet. Die Behandlung beginnt mit dem leichtesten, in die Scheide eingelegt muss die Patientin den Kegel dort täglich circa 20 Minuten lang »festhalten«.

Langzeitstudie in USA

Ob die unterstützenden Techniken die Effektivität des Beckenbodentrainings erhöhen, steht noch nicht fest. Zur Zeit finden in den USA umfangreiche Langzeitstudien zur Wirkung von Biofeedback bei 60 bis 80 Jahre alten Patienten mit Stress- und Dranginkontinenz statt.

Für Patienten mit eingeschränkter mentaler Leistungsfähigkeit eignet sich keine der bisher beschriebenen Trainingsmethoden. Dann lohnt sich ein Versuch mit dem sogenannten Toilettentraining: Der Betroffene wird regelmäßig veranlasst, die Toilette aufzusuchen. Ist der Zeitplan den individuellen Möglichkeiten des Patienten angepasst, kann er eine »soziale« Kontinenz erreichen.

Zu den Hilfsmitteln bei Harninkontinenz zählen nicht nur Unterlagen und Vorlagen, Kondomurinale und Urinkollektoren, sondern auch Pessare und Tampons sowie ableitende Hilfsmittel. Pessare und Tampons sollen Blasenhals und Harnröhre stützen. Die Pessare legt der Gynäkologe ein, doch auch die Verwendung von speziellen Tampons bedarf unbedingt der gynäkologischen Beratung!

Einmal- oder Verweilkatheter

Ableitende Hilfsmittel setzen Mediziner bei chronischem Harnverhalt und neurogenen Blasenfunktionsstörungen ein. Am bekanntesten ist der Blasenverweilkatheter, den der Arzt entweder durch eine Bauchdeckenpunktion einlegt oder durch die Harnröhre einführt. Bei transurethralen Kathetern ist die Gefahr aufsteigender Harnwegsinfektionen sehr groß. Daher muss immer eine strenge medizinische Indikation vorliegen.

Wenn es die Gesamtsituation des Patienten zulässt, wird deshalb statt eines Blasenverweilkatheters der intermittierende Katheterismus eingesetzt. Dabei wird die Blase mehrmals täglich mit Hilfe eines Einmalkatheters entleert, entweder nach entsprechender Schulung durch den Betroffenen selbst oder durch ärztliches beziehungsweise pflegerisches Fachpersonal. Bei Frauen können Verweilkatheter das Kondomurinal oder den Urinkollektor ersetzen, wenn kein Harnverhalt vorliegt und die Patientin das tägliche Wechseln gut verträgt.

E-Mail-Adresse der Verfasserin:
atir(at)cuci.nl