Wann ist der Mann ein Mann? |
03.12.2007 11:09 Uhr |
Wann ist der Mann ein Mann?
Annette Behr, Berlin
Unbeschwerte Sexualität, ohne an die Verhütung denken zu müssen. Für meine Großeltern und Eltern war das noch ein Traum. Glücklicherweise nahm die Antibabypille vielen Frauen dann die Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft. In meinem Freundeskreis entwickelt sich die Schwangerschaftsverhütung aktuell von der reinen Frauensache zum Männerthema.
Für Frauen, die den Partner fürs Leben gefunden haben, eröffnet die Sterilisation des Mannes einen neuen Weg für befreite Sexualität, vorausgesetzt beide wünschen sich keine Kinder mehr. Doch leider ist die kleine Operation immer noch sehr vorurteilsbehaftet. »Wenn ich gewusst hätte, wie einfach und komplikationslos dieser Eingriff ist, hätte ich ihn schon viel früher machen lassen!«, sagt der Partner meiner Freundin, als es im vertrauten Gespräch auf seine Sterilisation kommt. Klaus und meine Freundin Sabine sind nicht verheiratet, leben aber seit fünf Jahren glücklich zusammen. Er ist Vater eines Sohnes, und Sabine hat zwei Kinder aus erster Ehe. Vor zwei Jahren hat sich der 43-jährige Klaus sterilisieren lassen: »Wir möchten keine weiteren gemeinsamen Kinder haben«, erklärt er.
"Die Entscheidung habe ich mir nicht leicht gemacht. Ich glaube, ich habe etwa zwei Jahre lang immer mal wieder darüber nachgedacht. Außerdem kann ich Sabine endlich die Pille ersparen, die sie so ungern nimmt«, meint er.
Wie Klaus handeln viele Männer und noch mehr Frauen: Laut Statistik sind zur Zeit in Deutschland 0,45 Millionen Männer und 1,45 Millionen Frauen im zeugungs- beziehungsweise gebärfähigen Alter sterilisiert. Die Zahlen nehmen allerdings seit 2004 nicht mehr konstant zu. Denn seit der Gesundheitsreform übernehmen die Krankenkassen die Kosten für den Eingriff nicht mehr. Die 250 bis 500 Euro für die Operation müssen die Versicherten selbst zahlen, außer bei medizinisch notwendigen Indikationen.
Klaus hatte sich zunächst über das Internet (siehe Kasten) und dann bei pro familia informiert. »Die Männer, die zu uns in die Beratung kommen, sind meist sehr gut vorinformiert und zur Sterilisation entschlossen«, bestätigt Dr. Christina Schneider von profamilia Berlin. »Wir führen ein ausführliches Beratungsgespräch über die persönliche Situation. Auf Wunsch händigen wir den Männern oder Paaren eine Liste von Ärzten aus, die den Eingriff durchführen. Eine Arztempfehlung geben wir nicht.«
In der Gemeinschaftspraxis von zwei Urologen, an die sich Klaus wandte, sterilisieren Vater und Sohn jährlich ambulant rund 150 Männer. Die Patienten werden zunächst sorgfältig in einem circa 45-minütigen Beratungsgespräch über mögliche Risiken und Folgen des Eingriffs aufgeklärt. Wie Klaus berichtet, hat ihn der Urologe »vertrauensvoll freundschaftlich« über die weitreichenden, möglichen Konsequenzen einer Sterilisation im Hinblick auf einen zukünftigen Kinderwunsch und sich verändernde Partnerbeziehungen hingewiesen. Im Idealfall sollten bereits ein bis zwei Kinder vorhanden und die Familienplanung abgeschlossen sein. »Rund 90 Prozent der Männer, die sich für eine Sterilisation entscheiden, haben leibliche Kinder«, bestätigt der 41-jährige Dr. Christian Herzig und ergänzt: »Zwischen 40 und Anfang 50 sind auch die meisten Männer, die sich für eine Sterilisation entscheiden.«
Wenige wünschen Refertilisation
Nur ungefähr 10 Prozent der Männer überlegen es sich nach dem Beratungsgespräch anders. Herzig vermutet, dass einige der Preis abschreckt und sie möglicherweise einen anderen »günstigeren« Arzt den Eingriff machen lassen. Mit ausschlaggebend für den Entschluss zur Sterilisation ist, nach Aussagen des Mediziners, die Angst vor einem Kind mit Down-Syndrom oder auch vor einem ungeplanten Nachzüglerkind. Kritisch sieht er die Sterilisation bei jungen Männern, etwa Mitte 20-Jährigen. »Viele, die in diesem frühen Alter operiert wurden, kommen in den Dreißigern wieder. Dann mit neuer, oft auch jüngerer Partnerin und einem Kinderwunsch«, sagt Herzig. »Wenn die Sterilisation länger als zehn Jahre zurück liegt, nimmt der Erfolg des mikrochirurgischen Eingriffs mit den Jahren stark ab. Zusätzlich ist die Refertilisation mit 2 500 bis 3 000 Euro sehr teuer.«
Die Vasektomie, wie die Sterilisation im Fachjargon heißt, ist beim Mann wesentlich unkomplizierter und risikoloser als die Sterilisation bei der Frau. Allein schon deshalb, weil der Eingriff unter lokaler Betäubung, ambulant beim niedergelassenen Urologen, im Krankenhaus oder einem pro-familia-Beratungszentrum durchgeführt werden kann.
»Klaus hat von dem Eingriff nicht viel mitbekommen«, meint meine Freundin, die ihm auch während der Operation zur Seite stand. »Der gesamte Eingriff dauerte höchstens 30 Minuten.«
Routiniertes Verfahren
Unter lokaler Anästhesie schneidet der Arzt zunächst in die Haut des einen Hodensacks, um den Samenleiter freizulegen. Dann entnimmt er ein etwa ein Zentimeter langes Stück, zur feingeweblichen Untersuchung. »Die Untersuchung dient der forensischen und juristischen Absicherung, auch für eventuelle Vaterschaftsklagen«, erklärt der Urologe. Die Enden des durchtrennten Samenleiters werden unterbunden und verödet. Damit wird ein Zusammenwachsen verhindert. Beim zweiten Hoden wiederholt sich der Eingriff.
Eine Viertelstunde musste sich Klaus noch in der Praxis ausruhen. »Dann sind wir beide erleichtert einen Kaffee trinken gegangen«, sagt er lächelnd. Weder Schmerzen noch sonstige Komplikationen traten nach dem Eingriff auf.
»Das unangenehmste war die Betäubungsspritze in die Hodensackhaut, aber auch das ist auszuhalten«, findet Klaus. Schmerzen im Hodenbereich haben circa 6 Prozent der Männer nach dem Eingriff. Komplikationen wie Nachblutungen oder Infektionen treten bei 1 bis 2 Prozent auf.
Eine in Deutschland noch nicht weit verbreitete, aus den USA stammende Technik, ist die Non-Skalpell-Vasektomie (NSV). Die NSV ist ein minimal invasives Verfahren, das bis auf einen kleinen Einstich zur Betäubung von Haut und Samenleiter, absolut schmerzfrei sein soll. Vorteile der Methode sind die deutlich verkürzte Zeit der Operation und der Wegfall einer Hautnaht. Vielen deutschen Ärzten fehlt aber noch die Praxis für diese Methode.
Bitte warten
Nach der Sterilisation ist der Mann noch nicht sofort zeugungsunfähig. Im Abstand von einigen Wochen muss das Ejakulat untersucht werden, um die Sterilität zu überprüfen. Das erste Spermiogramm erfolgt nach acht Wochen, das Abschlussspermiogramm zwölf Wochen nach dem Eingriff. Erst wenn sich keine Spermien mehr nachweisen lassen, können Paare auf eine Verhütung verzichten. Dann allerdings für immer. Die Vasektomie beim Mann ist eine der sichersten Verhütungsmethoden. Nur 1 von 1000 Frauen wird nach der Sterilisation ihres Partners schwanger.
Auf Libido und Potenz des Mannes hat die Sterilisation physisch keinen Einfluss. Der Hormonhaushalt bleibt unberührt. Beim Orgasmus werden zwar keine Spermien mehr abgegeben, die Ejakulation erfolgt aber wie vor dem Eingriff. »Die Ejakulatmenge bleibt annähernd gleich«, bestätigt auch der Urologe.
Trotzdem hält die große Angst vor dem Verlust ihrer Potenz viele Männer von der Sterilisation ab. »Als wir mit einem befreundeten Paar über die Sterilisation sprachen, wollte der Mann zu diesem Thema überhaupt nichts sagen. Er schüttelte nur den Kopf«, erzählt Klaus etwas verständnislos. Er kann nicht nachvollziehen, warum Männer sich nicht informieren und das Thema derartig tabuisieren. »Und dieselbe Freundin hat mir unter vier Augen gesagt, wie sehr sie mich um meinen Mann beneidet«, sagt Sabine. Obwohl das befreundete Paar keine weiteren Kinder mehr möchte, lehnt der Mann eine Sterilisation kategorisch ab. »Dann bin ich kein richtiger Mann mehr!«, äußern viele Männer auf die Frage, wie sie zu einer Sterilisation stehen.
Auch für manche Frauen bedeutet eine Sterilisation nicht nur das Ende von leiblichen Kindern, sondern auch einen wesentlichen Verlust an Weiblichkeit. Es ist das bewusste Ende der eigenen Fortpflanzungsmöglichkeit. Männer und Frauen erleben diesen Verlust unterschiedlich. Daher ist es so wichtig, sich vor der endgültigen Entscheidung intensiv mit dem Thema Sterilisation auseinanderzusetzen. Offene Gespräche über Gefühle und Ängste sind die Voraussetzung für eine befriedigende Lösung. Beratungen bei pro familia, bei einem Psychologen und Gespräche mit Freunden helfen bei der Entscheidungsfindung.
»Vor- und Nachteile eines Entschlusses sollten gründlich gegeneinander abgewogen werden, um die Entstehung physischer Anspannungen (auch Sterilisationsneurosen genannt) nach dem Eingriff zu vermeiden«, heißt es in der Dokumentation zur Patientenaufklärung aus der Praxis des Urologen. Als Sterilisationsneurose bezeichnen Mediziner ein vermindertes Selbstwertgefühl bei Männern nach einer Sterilisation. »Ich habe dieses Krankheitsbild in meiner Praxis allerdings bisher nicht kennengelernt«, stellt Dr. Herzig fest.
Würdevolle Behandlung
Die pro-familia-Beratung, Beratungszentren und Ärzte informieren nicht nur umfassend in Sachen Partnerschaft, Sexualität und Verhütung, sondern gehen intensiv auf die individuelle Situation und die Würde jedes einzelnen ein, egal wie er sich entscheidet. Durch das persönliche Gespräch entsteht das Vertrauen zum behandelnden Arzt. Das baut Ängste ab. Und die Frage, ob sich der Mediziner und Vater einer Tochter selbst sterilisieren lassen würde, beantwortet er wenig überraschend: »Ich würde es auf jeden Fall machen lassen.«
www.profamilia.de
www.sterilisierung.com
www.vasektomie.de
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