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Darmerkrankungen

Colitis, Crohn & Co.

24.11.2009  21:34 Uhr

Darmerkrankungen

Colitis, Crohn & Co.

von Christiane Berg

Relativ viele Menschen leiden regelmäßig an Durchfall, Blähungen oder Verstopfung. Die meisten Beschwerden lassen sich durch Arzneimittel der Selbstmedikation behandeln. In manchen Fällen sind die Probleme jedoch Zeichen schwerer Darmerkrankungen wiechronischer Entzündungen und Geschwulste. 

Zu den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) zählen Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. In Deutschland sind etwa 320.000 Menschen betroffen, darunter mehr als 40.000 Kinder und Jugendliche. 20 bis 30 Prozent aller CED-Patienten sind bei Erkrankungsbeginn jünger als 18 Jahre. Pro Jahr kommen etwa 1000 Kinder und Jugendliche neu hinzu, bei Morbus Crohn sogar mit zunehmender Tendenz.

Flammendes Inferno

Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren Morbus Crohn und Colitis ulcerosa gänzlich unbekannt. Aktuell breiten sich beide Krankheiten weltweit und vor allem in den westlichen Industrieländern aus, erläutert Professor Dr. Friedrich Hagenmüller, der Vorsitzende der Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Gastroenterologie, im Gespräch mit PTA-Forum. Experten vermuten, dass die Zunahme der chronisch entzündlichen Darmerkrankungen unter anderem auf die veränderten Lebensbedingungen und Ernährungsgewohnheiten der Menschen in den Industrieländern zurückzuführen ist. Nachweislich spielen auch Vererbungsfaktoren eine Rolle. So konnten Wissenschaftler bestimmte Gene identifizieren, die für eine reduzierte Immunabwehr im Darm verantwortlich sind. Dadurch können Bakterien in die Darmwand eindringen und lokal Entzündungsmediatoren aktivieren. Diese wiederum schädigen die Darmwand, lassen sie anschwellen und bewirken Vernarbungen. Rauchen gilt als zusätzlicher Risikofaktor für die Entstehung des Morbus Crohn und beeinflusst den Verlauf sehr negativ.

Morbus Crohn ist eine Autoimmunerkrankung der Darmschleimhaut. Ihren Namen erhielt sie nach dem amerikanischen Magen- und Darmspezialisten Burrill Bernard Crohn (1884 bis 1983). An Morbus Crohn erkranken die meisten Patienten zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr, an Colitis ulcerosa zumeist im dritten bis vierten Lebensjahrzehnt. Männer und Frauen sind etwa gleich häufig betroffen. Die Symptome beider Krankheiten sind ähnlich. Die Patienten klagen meist über Durchfall mit blutigen und breiigen Stühlen sowie immer wieder auftretende oder anhaltende Krämpfe. Sie verlieren an Gewicht, fühlen sich antriebslos, ständig müde und abgeschlagen. Oft leiden sie darüber hinaus unter sehr schmerzhaften Fisteln am After, die zu Inkontinenz führen können. Häufig sondert der Darm Flüssigkeit, Eiter oder Blut ab.

Weil die Immunabwehr gestört ist, treten oft gleichzeitig zum Morbus Crohn auch andere Krankheiten auf, zum Beispiel rheumatische Beschwerden, Augenentzündungen oder Hautkrankheiten. Daher leiden Crohn-Patienten häufiger an Schuppenflechte beziehungsweise erkranken Menschen mit Psoriasis vermehrt an Morbus Crohn als gesunde Menschen.

Bei Morbus Crohn und Colitis ulcerosa ähneln sich zwar die Symptome, dennoch sind unterschiedliche Bereiche des Magen-Darm-Traktes chronisch entzündet. Vom Morbus Crohn kann der gesamte Bereich vom Mund bis zum After betroffen sein, allerdings befällt die Entzündung bevorzugt den unteren Teil des Dünndarms, des Dickdarms und seltener die Speiseröhre und den Zwölffingerdarm. Manchmal wechseln erkrankte mit gesunden Darmabschnitten ab. In den betroffenen Arealen kann die chronische Entzündung die Darmwand zerstören und sich bis in benachbartes Gewebe »durchgraben«.

Im Unterschied dazu ist bei Colitis ulcerosa ausschließlich die Schleimhaut des Dickdarms (Colon) betroffen. Anders als beim Morbus Crohn breitet sich die Entzündung kontinuierlich vom After in Richtung Dünndarm aus.

Umfangreiche Diagnostik

Basis jeder Therapie ist eine gesicherte Diagnose. Diese setzt sich aus zahlreichen Befunden zusammen, unter anderem aus den geschilderten Beschwerden des Patienten, der körperlichen Untersuchung durch den Arzt, aus Labor- und Ultraschalluntersuchungen (Sonographie). Um genau feststellen zu können, auf welche Bereiche sich die Entzündung ausgebreitet hat, führt der Arzt eine Darmspiegelung (Koloskopie) und Magnetresonanztomographie durch und röntgt den Darm.

Zur Standardtherapie chronisch entzündlicher Darmerkrankungen zählen 5-Aminosalicylsäure und Sulfasalazin, orale und lokale Corticosteroide sowie Immunsuppressiva wie Azathioprin und Methotrexat. Bei Patienten mit starken Beschwerden kommen auch Ciclosporin und Tacrolimus zum Einsatz.

Neue Substanzen wie die »Biologicals« Infliximab und Adalimumab hemmen den Tumor-Nekrose-Faktor alpha (TNF-alpha). Aktuelle Studien ergaben, dass auch an CED erkrankte Kinder gut auf diese Medikamente ansprechen und daher von der TNF-alpha-Blocker-Therapie profitieren. Zugelassen ist Infliximab jedoch bei Kindern ab 6 Jahren lediglich zur Behandlung des schweren aktiven Morbus Crohn. Bei Erwachsenen wird der Arzneistoff sowohl bei mittelschwerer bis schwerer Colitis ulcerosa als auch bei schwerem Morbus Crohn angewendet.

Als »Marker der Zukunft« gilt Calprotectin. Das Protein Calprotectin wird von neutrophilen Granulozyten und Monozyten gebildet und bindet Calcium. Bei entzündlichen Erkrankungen des Gastrointestinaltraktes ist die Konzentration an Protein im Stuhl erhöht. Daher gilt es als Maß für die Einwanderung von Granulozyten ins Darmlumen und damit als zuverlässiger Indikator für zelluläre entzündliche Prozesse. Der Calprotectin-Wert wird im Stuhl gemessen. Er eignet sich zur Differentialdiagnose, beispielsweise um chronisch entzündliche Darmerkrankungen vom Reizdarmsyndrom zu unterscheiden. Außerdem gibt der Wert Hinweise auf den Grad der mukosalen Heilung und die Krankheitsaktivität bei Colitis ulcerosa.

Gerade bei Kindern ist die frühzeitige Erkennung und medikamentöse Therapie der Erkrankung von großer Bedeutung. »Morbus Crohn und Colitis ulcerosa können das Wachstum beeinträchtigen und auch die Pubertät verzögern«, warnt Hagenmüller. Beide Erkrankungen belasten nicht nur die betroffenen Kinder seelisch sehr stark, sondern auch deren Eltern und Geschwister. Daher sollten gerade Kinder psychosozial betreut werden. Vor allem Kinder sind darauf angewiesen, einen Nährstoffmangel durch die zusätzliche Gabe von Vitaminen und Mineralien auszugleichen oder Kalorien durch hochkalorische Diäten zu ergänzen. Da keine klinischen Langzeituntersuchungen zu Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikamente bei Kindern vorliegen, spielt bei diesen die Ernährungstherapie eine besonders wichtige Rolle. »Kinder gehören stets in die Hand eines erfahrenen Kinder-Gastroenterologen«, betont der Magen-Darm-Spezialist.

Existenzielle Folgen

Erst bei Versagen der medikamentösen Therapie oder bei Komplikationen werden chirurgische Verfahren unumgänglich. Je nach der individuellen Situation des Patienten entfernt der Operateur befallene Darmanteile oder Fisteln. In manchen Fällen bildet er operativ aus Dünndarmschlingen eine Tasche (Pouch). In dieser soll sich der überwiegend flüssige Inhalt des Dünndarms sammeln, was die Darm-entleerung hinauszögert. Hagenmüller: »Die Pouch-OP ist ein größerer Eingriff und kann für den Patienten weitgreifende Konsequenzen nach sich ziehen. Neben großer chirurgischer Erfahrung ist daher stets auch die sorgfältige Indikationsstellung unbedingte Voraussetzung.«

Viele an CED Erkrankte haben zum Zeitpunkt der Diagnose schon einen langen Leidensweg hinter sich. Häufig tritt der Stuhlgang so plötzlich auf, dass sie ihn kaum kontrollieren können. Diese Tatsache zwingt sie, sich stets in der Nähe einer Toilette aufzuhalten. Manche Patienten ziehen sich sogar ganz in ihre eigenen vier Wände zurück. Am Arbeitsplatz führt die nicht sichtbare und tabuisierte Behinderung oft zu großen Missverständnissen. Bei anderen Patienten verläuft die Erkrankung sehr milde und lässt eine nahezu normale Lebensführung zu.

Ist die Diagnose schließlich gestellt, ist die Zeit der Ängste nicht vorbei. Die große Unsicherheit, wie die Krankheit verläuft, und die Sorge um körperliche Folgeschäden belasten die Betroffenen sehr. Viele erfüllen sich einen Kinderwunsch nicht, weil sie Angst haben, die Erkrankung zu vererben. Dies schafft zusätzliche Probleme in der Partnerschaft. Sind die Patienten hingegen gut informiert, können sie ihr körperliches und seelisches Leiden besser managen. Unterstützung finden sie unter anderem bei der Deutschen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung (DCCV) e.V. in Berlin. Derzeit sind dort über 19000 Menschen organisiert. Bei der Selbsthilfeorganisation erhalten CED-Betroffene auch Antworten auf sozialrechtliche Fragen.

Einzigartige Vorsorge

CED-Patienten tragen ein erhöhtes Risiko, an Darmkrebs zu erkranken. Allerdings ist die Gefahr bei Morbus Crohn deutlich geringer als bei Colitis ulcerosa. Die schlechte Nachricht: Generell ist Darmkrebs die in Deutschland häufigste Tumorart und rangiert nach Lungenkrebs an zweiter Stelle der Todesursachen. Die gute Nachricht: Anders als andere Krebsarten ist Darmkrebs heilbar, wenn er früh erkannt wird. »Vorläufer von Darmtumoren sind Polypen, die über viele Jahre gutartig im Dickdarm wachsen«, informiert Hagenmüller. Werden die Polypen bei einer Darmspiegelung rechtzeitig entdeckt und direkt entfernt, lässt sich die Krebsentstehung effektiv verhindern. Seit 2002 übernehmen die Gesetzlichen Krankenversicherungen für Versicherte ab dem 55. Lebensjahr die Kosten für zwei Darmspiegelungen im Abstand von zehn Jahren.

»Das Vorsorgeangebot in Deutschland ist sehr gut und weltweit einzigartig. Die Darmspiegelung ist derzeit die aussagekräftigste Methode zur Darmkrebs-Früherkennung. Zurzeit gehen jedoch nur jede dritte Frau und jeder sechste Mann regelmäßig zur Vorsorge«, kritisiert der Mediziner. An Darmkrebs erkranken in Deutschland pro Jahr circa 73 000 Menschen, 28 000 sterben jährlich daran. Dass Männer »Vorsorgemuffel« sind, ist besonders fatal, denn sie erkranken im Schnitt sechs Jahre früher als Frauen und sterben auch entsprechend eher. Hagenmüller: »Bei Männern in der Hauptzielgruppe der 55- bis 70-Jährigen werden bei Vorsorgedarmspiegelungen fast doppelt so viele unmittelbare Darmkrebs-Vorstufen diagnostiziert wie bei Frauen. Gerade sie sollten sich daher Gewissheit verschaffen und rechtzeitig einer Darmspiegelung unterziehen«.

Das Erkrankungsrisiko verdoppele sich, wenn Verwandte ersten Grades, also Vater, Mutter und Geschwister an Darmkrebs erkrankt waren oder sind. Hier gelte die Faustregel, zehn Jahre früher als der erkrankte Angehörige zur Vorsorge zu gehen. Das heißt: Wurde der Tumor bei Eltern, Schwestern oder Brüdern im Alter von 50 Jahren entdeckt, sollten Mann oder Frau schon mit 40 Jahren zur Darmspiegelung gehen. »Zu Unrecht scheuen viele Menschen davor zurück, eine Darmspiegelung machen zu lassen. Niemand muss Schmerzen fürchten«, informiert Hagenmüller. 

Der konventionellen Koloskopie begegnen viele Menschen mit Vorbehalten. Daher testen Mediziner alternative Verfahren. Sanftere Methoden, das Darminnere zu betrachten, könnten dazu führen, dass zukünftig mehr Bundesbürger die Darmkrebs-Vorsorge nutzen. Große Hoffnungen setzt Hagenmüller unter anderem in Möglichkeiten der virtuellen Darmbetrachtung mit Hilfe der Computertomographie (CT), der Magnetresonanztomographie (MRT) oder mittels Videokapseln.

Hightech-Blick ins Innere 

In der Diagnostik von Dünndarmerkrankungen hätten sich drahtlose Videokapseln, die der Patient nur hinunterschlucken muss, bereits bewährt. Derzeit werde untersucht, ob diese Kapseln auch zur Vorsorge-Untersuchung des Dickdarms geeignet sind. Die Kapseln enthalten zwei Videokameras, die auf ihrer Reise durch den Darm auch kleine Details sichtbar machen. Dank der hohen Bildqualität können Fachleute sogar frühe Krebsvorstufen erkennen. Die Endoskopiekapsel verlässt den Körper auf natürlichem Weg. Ersten Studien zufolge seien mit diesem System circa 75 Prozent aller Darmpolypen zu identifizieren. Technische Verbesserungen würden diese Ausbeute schon bald erhöhen.

Viel versprechend seien auch Videokapseln, die nicht »eingenommen«, sondern wie ein Zäpfchen in den After eingeführt werden. An einem Kabel hängend werden sie mit Hilfe eines Luftstroms im Dickdarm auf und ab bewegt. Diese Technik liefert Videofilme des Darminneren und ermöglicht eine 360-Grad-Ansicht des Dickdarms sowie Seiten- und Rückblicke auch in die Darmfalten. Möglicherweise könnten zukünftig auch speziell geschulte MTA, Arzthelferinnen oder Krankenschwestern diese Untersuchung durchführen.

Zudem können Mediziner bereits heute das Innere des Darms in recht guter diagnostischer Qualität mit Hilfe von CT oder MRT untersuchen. Entdecken sie dabei einen Polypen, so muss dieser allerdings während einer Koloskopie mit Hilfe des Endoskops entfernt werden.

Ängste unnötig

Eine weitere Neuerung ist ein System, bei dem ein Stülpschlauch schonend in den After eingeführt wird. Schlangenartig passt sich dieser »Pfadfinder« dem natürlichen Verlauf des Darms an. Bei seiner »Vorwärtsfahrt« verlängert sich der Schlauch im Darm, auf der »Rückfahrt« vermindert sich seine Länge. An seiner Spitze sitzt eine Kamera, die um 180 Grad in jede Richtung schwenkbar ist. Mit ihrer Hilfe kann der Arzt die Anatomie des Kolons auf dem Monitor verfolgen. Erste Erfahrungen mit dieser Methode zeigten, dass sich die Innovation als Routinemethode für die Vorsorge eignet, so Hagenmüller. »Ob Videokapsel, CT, MRT oder Stülpschlauch, welche Methode letztlich das Rennen macht, wird nicht zuletzt von ihrer Bezahlbarkeit und ihrer Akzeptanz beim Patienten abhängen.«

Derzeit bleibe die Koloskopie, also die Darmspieglung mit dem gängigen Koloskop, Goldstandard in der Früherkennung. Die meisten Patienten, die eine Koloskopie durchführen ließen, berichteten anschließend, ihre vorherige Angst sei völlig unangebracht gewesen. Hingegen empfinden viele die erforderliche Flüssigkeitsmenge zur Darmreinigung im Vorfeld der Untersuchung als belastend. Diese Prozedur sei das eigentliche Hindernis zur breiten Akzeptanz der Vorsorge-Koloskopie. »Es führt kein Weg daran vorbei. Der Darm muss sauber sein«, so der Mediziner. Auch bei den beschriebenen Neuentwicklungen bleibe die Darmreinigung im Vorfeld unumgänglich.

Als Abführmittel, die den Darm vor der Untersuchung von Stuhl- und Flüssigkeitsresten befreien, werden in Deutschland derzeit vorrangig sogenannte Polyethylen-Glycol-Elektrolyt(PEG)-Lösungen (wie Darmspüllösung Hexal®), alternativ auch Natriumphosphat-Lösungen eingesetzt. Am Tag vor der Koloskopie muss der Patient vier Liter trinken. Insbesondere diese großen Flüssigkeitsmengen, bereiten ihm Schwierigkeiten. Da Ascorbinsäure abführend wirkt, ist eine PEG-Lösung mit Vitamin-C-Zusatz im Handel (Moviprep®). Von dieser Kombinationslösung müssen die Patienten nur zwei Liter trinken. Jedoch auch die Einnahme der herkömmlichen vier Liter umfassenden PEG-Lösungen kann für die Patienten erträglicher gestaltet werden, indem sie die eine Hälfte, also zwei Liter, abends vor der Untersuchung und die andere, also wiederum zwei Liter, am Morgen des Untersuchungstags trinken.

Gestörte Sensorik

Krampfartige Bauchschmerzen, Blähungen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Verstopfung oder alles im Wechsel können auch auf ein Reizdarmsyndrom hinweisen. 15 Prozent aller Erwachsenen, überwiegend Frauen, sind davon betroffen. Auch Reizdarm-Patienten berichten häufig von einer Odyssee durch die Arztpraxen, da kein Mediziner eine organische Ursache für die Beschwerden findet. Viele belastet noch zusätzlich das Unverständnis von Verwandten, Freunden, Bekannten und Arbeitskollegen. Selten können diese das Leid nachvollziehen und unterstellen den Betroffenen häufig sogar, sie seien Simulanten. Wie bei den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen sind auch beim Reizdarmsyndrom familiäre Häufungen zu beobachten. Als Ursachen kommen jedoch auch erlernte Verhaltensmuster und eine gestörte Darmflora in Frage. Studien belegen, dass bei den am Reizdarmsyndrom Erkrankten Schmerzreize in den Eingeweiden cerebral anders verarbeitet werden. Daher sprechen Fachleute von einer generalisierten Reizverarbeitungsstörung.

Das Reizdarmsyndrom muss der Arzt differentialdiagnostisch von anderen Erkrankungen abgrenzen, nicht nur von CED-Erkrankungen oder Darmkrebs, sondern auch von Sprue, Lactoseintoleranz, Divertikulosen, bakterieller Fehlbesiedlung oder Motilitätsstörungen des Magen-Darm-Trakts. Die Behandlung richtet sich nach dem Schweregrad des Leidens, so Hagenmüller. Bei leichten Formen des Reizdarmsyndroms könne schon eine Diät sowie eine gesunde Lebensführung mit ausreichend Schlaf, regelmäßiger körperlicher Bewegung und Stressbewältigungsverfahren die Beschwerden lindern. »Wenn es dem Arzt nach sorgfältiger Diagnostik gelingt, den Patienten davon zu überzeugen, dass sich hinter den Reizdarm-Beschwerden nichts Bedrohliches verbirgt, kann der Patient meist sehr viel besser mit seiner Beeinträchtigung umgehen. Nicht selten führt die Beseitigung der sorgenvollen Ungewissheit sogar zu einem Verschwinden der Beschwerden«, berichtet der Facharzt.

Medikamente verschreibt der Mediziner je nach vorherrschendem Symptom. Bei Obstipation soll sich der Patient ballaststoffreich ernähren und gegebenenfalls Abführmittel, zum Beispiel Lactulose, Macrogol oder Bisacodyl einnehmen. Suppositorien, unter anderem mit Natriumhydrogencarbonat/phosphat, erleichtern eine mühsame Defäkation. Bei Diarrhoe helfen Quellmittel, Loperamid, Colestyramin, Probiotika und 5-HT3-Rezeptor-antagonisten wie Alosetron, bei Blähungen pflanzliche Präparate mit Kamillen-, Kümmel-, Fenchel- oder Anis-Extrakten. Gegen starke Krämpfe verordnen Mediziner krampflösende Wirkstoffe wie Butyl-scopolamin oder Mebeverin. Schwere Fälle machen die Kombination aus Antidepressiva und Psychotherapie erforderlich. 

Die Deutsche Reizdarmselbsthilfe e.V. in Frankfurt am Main bietet Hilfe bei der Bewältigung des komplizierten Krankheitsbildes. Dieses ist nicht nur individuell unterschiedlich stark ausgeprägt, sondern ändert sich auch oft im Laufe des Lebens. »Der Patient muss begreifen, dassdas Reizdarmsyndrom immer auch stressbezogene Dimensionen hat«, sagt Hagenmüller. »Im Gespräch und Erfahrungsaustausch mit anderen Patienten, aber auch durch Selbstreflexion und innere Einkehr, zum Beispiel mit Hilfe eines Tagebuches, gelingt es manchem Betroffenen, den Schlüssel zur Besserung selbstzu finden.«

E-Mail-Adresse der Verfasserin:
chris-berg(at)t-online.de