Lebensmittel-Mythen und Irrtümer |
23.11.2009 10:28 Uhr |
Lebensmittel-Mythen und Irrtümer
von Ursula Sellerberg
Mythen und Fehlurteile zu korrigieren, gleicht dem Kampf gegen Windmühlen. Diesem Phänomen stehen sogar Wissenschaftler oft ratlos gegenüber. Auch über Lebensmittel und gesunde Ernährung haben sich viele Irrtümer in den Köpfen festgesetzt. Einige verbreitete Mythen können PTA oder Apotheker im Beratungsgespräch kritisch hinterfragen und versuchen, falsche Vorstellungen gerade zu rücken.
Jahrzehntelang hielt sich die Falschmeldung: »Spinat enthält viel Eisen«. Deshalb zwangen viele Mütter ihre Kinder, Spinat zu essen. Auch für den Comic-Helden Popeye, den Seemann, war Spinat der Inbegriff eines Power-Pakets. Er schluckte gleich den Inhalt mehrerer Dosen Spinat, weil er fest davon überzeugt war, dass ihm dieser ungeahnte Kräfte für seine zahllosen Prügeleien verlieh. Doch der »Ruhm« des Spinats beruhte auf einem Rechenfehler: Beim Abschreiben der Messergebnisse verrutschte das Komma. 100 Gramm Spinat enthalten nur 3,4 Milligramm Eisen statt 34 Milligramm.
Ist Kaffee ein Flüssigkeitsräuber?
Viele Menschen trinken zum Kaffee oder Espresso ein Glas Wasser, um einem vermeintlichen Flüssigkeitsverlust vorzubeugen. Nötig ist es aber nicht. Zwar wirken Kaffee und andere koffeinhaltige Getränke harntreibend, doch verliert der Körper dadurch kein zusätzliches Wasser. Deshalb tragen Kaffee, Cappucino oder Espresso zur täglichen Flüssigkeitsbilanz positiv bei. Wegen seiner anregenden Wirkung sollte niemand mit Kaffee seinen Durst löschen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung rät zu höchstens vier Tassen pro Tag, das entspricht etwa 350 mg Koffein.
Ist Margarine gesünder als Butter?
Müssen Patienten mit Fettstoffwechselstörungen und zu hohen Cholesterolwerten auf Butter verzichten und stattdessen Margarine essen? Bei der Antwort auf diese Frage scheiden sich die Geister. Fest steht: Beide Produkte bestehen zu etwa 80 Prozent aus Fett und sind gleich kalorienreich. Als pflanzliches Fett ist Margarine fast frei an Cholesterol, Butter enthält dagegen 240 Milligramm pro 100 Gramm.
Margarine wird meist aus Pflanzenölen hergestellt, Butter aus dem Fettanteil der Kuhmilch. Margarine enthält ursprünglich ungesättigte Fettsäuren und Butter viele kurzkettige, gesättigte Fettsäuren. Damit die Margarine streichfest wird, müssen deren ungesättigte Fettsäuren gehärtet werden. Beim Herstellungsprozess werden daher die cis-Doppelbindungen der Fettsäuren zu Einfachbindungen hydrolysiert. In einem Zwischenschritt bilden sich oft auch Fettsäuren mit trans-Doppelbindungen. Sie stehen im Verdacht, Erkrankungen der Herzgefäße zu begünstigen. Doch Margarine ist nicht gleich Margarine: Der Anteil an gesättigten, einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren hängt von der jeweiligen Sorte ab. Ein Blick auf die Zusammensetzung und Nährwertanalyse auf dem Etikett gibt darüber Aufschluss.
Heutzutage reduzieren die Hersteller den Anteil an trans-Fettsäuren, indem sie die Öle durchhärten und anschließend mit ungehärteten Ölen vermischen. Lieferanten für Bioläden und Reformhäuser gehen häufig einen anderen Weg. Sie setzen ihren Margarinen oft Palm- und Kokosfett zu, sodass das Produkt streichfähig wird. Dann kann der Härtungsprozess entfallen. Fazit für Patienten mit Fettstoffwechselstörungen: Streichfette generell einsparen. Zum Kochen und Braten hitzestabile Öle wie Raps- oder Olivenöl, eventuell auch Sonnenblumen- und Sojaöl verwenden.
Erhöhen Eier den Cholesterolspiegel?
Viele Patienten mit erhöhten Cholesterolwerten verzichten auf das Frühstücksei oder sogar auf alle Eierspeisen. Obwohl ein Ei je nach Größe etwa 200 bis 250 Milligramm Cholesterol enthält, können PTA und Apotheker die Kunden beruhigen. Die Zufuhr aus der Nahrung spielt nur eine untergeordnete Rolle. Der überwiegende Teil des Cholesterols wird in der Leber produziert. Untersuchungen bestätigen, dass sich durch eine Ernährungsumstellung der Cholesterolwert maximal um 15 Prozent senken lässt. Wie hoch der Cholesterolspiegel im Blut eines Menschen steigt, ist zudem genetisch festgelegt. Wie immer bestätigen daher Ausnahmen die Regel: Wenige Menschen mit erhöhten Cholesterolwerten reagieren empfindlich auf eine hohe Cholesterolaufnahme aus der Nahrung und müssen sich konsequent cholesterolarm ernähren.
Erhöht Salz den Blutdruck?
Das stimmt nicht immer. Bei etwa bei vier von zehn Menschen mit Bluthochdruck sinken die Blutdruckwerte, wenn sie weniger Salz zu sich nehmen, sie sind »salzsensitiv«. Grundsätzlich gilt: Niemand sollte pro Tag mehr als 6 Gramm Kochsalz essen, das entspricht etwa einem gehäuften Teelöffel. Dazu zählen das Salz aus dem Streuer ebenso wie das versteckte Salz aus Fertigprodukten wie Brot, Wurst und Käse.
Macht Schokolade glücklich?
Gerade in der dunklen Jahreszeit wäre es schön, wenn dieser Mythos stimmte. Doch leider ist er falsch. Schokolade enthält verschiedene Substanzen, die theoretisch auf die Psyche wirken könnten. Dazu gehört zum Beispiel Phenethylamin (PEA), das manche Wissenschaftler als »Glückshormon« bezeichnen. So ist beispielsweise die Konzentration dieses Botenstoffes im Blut Verliebter erhöht. Schokolade enthält allerdings so wenig PEA, dass eine pharmakologische Wirkung sehr unwahrscheinlich ist.
Ein anderer Inhaltstoff der Schokolade ist Serotonin. Ein Serotoninmangel wird für Depressionen mit verantwortlich gemacht. Schokolade enthält aber wenig Serotonin, noch weniger als zum Beispiel Walnüsse, Tomaten oder Bananen. Freies Serotonin im Körper baut zudem rasch das Enzym Monoaminoxidase (MAO) ab.
Doch selbst wenn die Konzentrationen in Nahrungsmitteln ausreichend hoch wären, könnten sie das Gefühlsleben nicht beeinflussen. Denn die meisten Lebensmittelbestandteile überwinden die Blut-Hirn-Schranke erst gar nicht. Daher machen nur die Hormone wirklich glücklich, die das Gehirn selbst produziert.
Schokolade enthält auch die Vorstufe von Serotonin, die essentielle Aminosäure Tryptophan. Diese kann die Blut-Hirn-Schranke sehr wohl überwinden. Doch auch die Konzentration von Tryptophan ist deutlich niedriger als in Fleisch, Käse oder Eiern. Zum Vergleich: 100 Gramm Schokolade enthalten nur 50 bis 70 Milligramm Tryptophan, 100 Gramm Käse zwischen 250 und 500 Milligramm.
Trotzdem gilt Käse nicht als Glücksbringer, warum aber Schokolade? Eine mögliche Erklärung: Schokolade erhalten Kinder oft als Belohnung. Daher empfinden Erwachsene Schokolade vermutlich als eine Art »Gute-Laune-Placebo«.
Ist dunkles Brot gesünder als weißes?
Vollkornbrot ist definitiv gesünder als Weißbrot. Doch viele Verbraucher wissen nicht, dass Vollkornbrote nur aus Mehlsorten gebacken werden dürfen, die noch die Getreideschalen (Kleie) und den Keimling enthalten. Manche Bäcker »überlisten« ihre Kunden und färben ihre mit Auszugsmehl gebackenen Brote mit Zuckercouleur oder Malzextrakt dunkel. Deshalb sind diese gefärbten Brote nicht gesünder als Weißbrot. Auch Körner im Brot machen daraus noch kein Vollkornbrot.
Darf man Spinat und Pilze aufwärmen?
Elektrische Kühlschränke gibt es erst seit etwa 100 Jahren. Zuvor bewahrten die Hausfrauen Essensreste bei Raumtemperatur oder im kühlen Keller auf, entsprechend verkeimten sie mit Bakterien. Die erheblich niedrigeren Temperaturen im Kühlschrank verringern das Risiko der Verkeimung von Speisen.
Erwachsene können daher Pilze und Spinat ohne Bedenken am nächsten Tag noch essen, wenn die Reste vom Tag zuvor gekühlt aufbewahrt und vor dem erneuten Verzehr auf mindestens 70 Grad erhitzt wurden.
Gegarte Pilze gelten als besonders leicht verderblich, da enthaltene Enzyme und Mikroorganismen aus den Proteinen giftige stickstoffhaltige Abbauprodukte entstehen lassen. Länger als einen Tag sollte niemand gegarte Pilze im Kühlschrank aufbewahren. Auch verbietet es sich, Pilzgerichte stundenlang warm zu halten. Dann könnten die giftigen Abbauprodukte zu Brechdurchfall, Schock oder sogar Koma führen.
Spinat gehört zu den Gemüsearten, die während des Wachstums größere Mengen an Nitrat anreichern. Die Nitratmenge hängt von der Sorte, der Jahreszeit und der Düngung des Bodens ab. Wird gekochter Spinat längere Zeit bei Raumtemperatur gelagert, wandeln Bakterien das enthaltene Nitrat zu Nitrit um. Nitrit reagiert zum einen im sauren Milieu des Magens mit Eiweißen zu Krebs erregenden Nitrosaminen. Zum anderen wandelt Nitrit den roten Blutfarbstoff Hämoglobin in Methämoglobin um, das keinen Sauerstoff mehr bindet. Bei Erwachsenen spaltet ein Enzym das Methämoglobin relativ schnell, Babys und Kleinkindern fehlt dieses Enzym. Daher löst aufgewärmter Spinat in seltenen Fällen bei den Kleinen die sogenannte Blausucht mit akuter Erstickungsgefahr aus. Vorsichtshalber sollten Kleinkinder deshalb keinen aufgewärmten Spinat essen.
Machen Lightprodukte schlank?
Lightprodukte enthalten weniger Zucker oder Fett als übliche Lebensmittel. Das kann Verbraucher aber in die Irre führen. Zum Beispiel dürfen Hersteller ihren Joghurt »light« nennen, wenn er 30 Prozent weniger Fett enthält als herkömmlicher Joghurt. Der Begriff light bezieht sich dabei nur auf den Fettgehalt, nicht auf den Kaloriengehalt oder Brennwert. Manchen Light-Joghurts setzen die Hersteller viel Zucker zu und erhöhen damit wieder den Kaloriengehalt. Deshalb sollten Verbraucher die verschiedenen Produkte im Supermarkt immer anhand der Nährwertanalysen auf den Etiketten kritisch vergleichen. Einige Studien zeigten zudem, dass Probanden Lightprodukte in zu großen Mengen aßen. Dadurch nahmen sie letztlich mehr Kalorien zu sich, als wenn sie sich mit herkömmlichen Lebensmitteln ernährt hätten.
Zum Abnehmen viel Obst essen?
Ganz unbestritten ist Obst gesund, denn es enthält reichlich Vitamine und sekundäre Pflanzenstoffe. Wegen der erheblichen Zuckermengen besitzt Obst aber einen relativ hohen Brennwert. Besonders Trockenfrüchte sind reich an Kalorien: 100 Gramm getrocknete Aprikosen enthalten 300 kcal. Fruchtsäfte sind ebenfalls kalorienreich, obwohl sie kaum sättigen. Ein Liter Saft beinhaltet etwa so viele Kalorien wie eine Hauptmahlzeit.
Übergewichtige werden daher kaum abnehmen, wenn sie viel Obst verzehren. Wer Gewicht verlieren will, sollte besser Gemüse essen, denn im Verhältnis zur Masse enthält Gemüse deutlich weniger Kalorien als Obst.
Macht abends essen dick?
Der Energieerhaltungssatz aus der Physik gilt auch für die Ernährung: Dick wird der, der mehr Kalorien zu sich nimmt, als er verbraucht, ganz egal wann er isst. Dass die Uhrzeit der Nahrungsaufnahme keinen Einfluss auf das Gewicht hat, zeigt auch der internationale Vergleich. Spanier, die oft erst nach 22 Uhr zu Abend essen, sind im Durchschnitt schlanker als Nordeuropäer.
Wer sich für weitere Ernährungsirrtümer interessiert, findet Beispiel unter http://papi-paderborn.de/ernaehrungsirrtuemer.htm . Die Autoren sind engagierte Ernährungs- und Sportwissenschaftler der Universität Paderborn. Sie haben das Projekt PAPI (Paderborner Adipositas Prävention und Intervention) ins Leben gerufen, um dauerhaft gesundheitsfördernde Lebensbedingungen für Kinder zu schaffen.
E-Mail-Adresse der Verfasserin:
u.sellerberg(at)abda.aponet.de