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Rotaviren

Am schlimmsten trifft es die Kleinen

19.11.2010  18:19 Uhr

Rotaviren

Am schlimmsten trifft es die Kleinen

Von Maria Pues, Hamburg / Inzwischen kennt fast jeder Noroviren als Erreger heftigen Durchfalls. Dass auch Rotaviren häufig eine Rolle spielen, wissen nur wenige.

Rotaviren sind die häufigsten Auslöser für Durchfallerkrankungen bei Kindern. Bis zum fünften Lebensjahr hat jedes Kind durchschnittlich einmal mit diesen Viren Kontakt gehabt. Die Infektion führt zur Immunität, die allerdings nicht das ganze Leben anhält. Auch werden Neuerkrankungen häufig durch veränderte Rotaviren verursacht. Im Jahr 2008 erkrankten in Deutschland 77 490 Menschen an Rotaviren. Damit belegte diese Infektion den zweiten Platz unter den meldepflichtigen Erkrankungen. Seit Einführung des Infek­tionsschutzgesetzes Anfang 2001 war dies die höchste übermittelte Fallzahl.

Im Jahr 2009 wurden dem Robert-Koch-Institut (RKI) rund 62 000 Fälle gemeldet, meist nur schwere Verläufe. Das liegt daran, dass Patienten »einfache« Durchfall­erkrankungen häufig selbst behandeln, statt einen Arzt aufzusuchen. Außerdem lassen Hausärzte bei Patienten mit Durchfallerkrankungen nur selten die Erreger untersuchen. Das RKI geht daher davon aus, dass die schweren Verläufe in den gemeldeten Zahlen überrepräsentiert sind. Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass die Dunkelziffer der Infizierten relativ hoch ist. 61 Prozent der gemeldeten Fälle (37 822) betrafen Kinder im Alter bis zu 5 Jahren, 17 Prozent (10 858) Personen über 60 Jahre. Von den Kindern mussten 49 Prozent (18 621) stationär behandelt werden.

Warum erkranken so viele Menschen an der Infektion mit Rotaviren? Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens sind die Viren ex­trem infektiös und zweitens besonders »robust«. Nach Angaben des RKI reichen bei einem Säugling bereits 10 Viren aus, damit er an Durchfall erkrankt. Beim Norovirus hingegen müssen es bis zu 100 Erreger sein.

Viren überleben auf glatten Flächen

Außerdem »überleben« Rotaviren verhältnismäßig lange auf glatten Oberflächen und halten sogar vielen Desinfektionsmitteln stand. »Auf Legosteinen zum Beispiel lassen sich Rotaviren sogar noch nach zwei Wochen nachweisen«, sagte Dr. Gerhart Hofmann, Kinderarzt in Würzburg, im Rahmen eines Pressegesprächs der Firma GlaxoSmithKline. Da den Rotaviren eine Membranhülle fehlt, ist ihre Widerstandskraft höher als die von Grippeviren. Unbehüllte Viren lassen sich meist nicht so leicht durch Reinigungsmittel inaktivieren. Zum anderen verfügen Rotaviren zu ihrem Schutz über zwei widerstandsfähige Kapsidschichten und einen sogenannten Core (= Kern). Nur Desinfektionsmittel mit der Bezeichnung viruzid töten Rotaviren effektiv ab. Bei der Anwendung muss unbedingt auf eine ausreichende Einwirkzeit geachtet werden.

Die Übertragung erfolgt üblicherweise fäkal-oral. Besonders wichtig ist daher für alle, die mit Infizierten Kontakt hatten, dass sie anschließend ihre Hände gründlich reinigen. Die Mütter sollten vor allem das Erbrochene oder den Stuhl der kleinen Patienten umgehend beseitigen, da sich dort große Mengen des Erregers finden: 1 Gramm Stuhl enthält zwischen 109 bis 1011 Viren. Außerdem gelten weitere grundsätzliche Hygienemaßnahmen: Gesunde und Erkrankte sollten keine Handtücher oder Waschlappen gemeinsam benutzen. Die Wäsche der Erkrankten sollte bei mindestens 60 °C gewaschen werden.

Inkubationszeit von drei Tagen

Während ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsene nach der Infektion mit Rotaviren manchmal gar keine oder oft nur moderate Symptome zeigen, trifft es Säuglinge meist schwer. Einerseits erkranken sie eher, da ihr Immunsystem noch nicht ausreichend trainiert ist, andererseits leiden sie schnell und heftig unter dem Flüssigkeitsverlust. Eine weitere Besonderheit der Rotaviren im Vergleich zu Noroviren: Die Inkubationszeit beträgt durchschnittlich drei Tage, bei Noroviren zeigen sich die Symptome bereits nach wenigen Stunden.

Nach dem Befall der Darmzotten hemmen Rotaviren dort die Enzyme, die Polysaccharide spalten. Dadurch verbleiben die Mehrfachzucker im Darmlumen und verursachen eine durch Osmose bedingte Diarrhö. Schwer Erkrankte leiden daher unter 20 Brech- oder Durchfall-Attacken pro Tag.

Der Flüssigkeits- und Elektrolytverlust kann mit Rehydratationslösungen (wie Elotrans®, Oralpädon®) ausgeglichen werden. Bei Patienten mit starkem Brechreiz muss die Gabe der Lösung löffelweise erfolgen. Motilitätshemmende Wirkstoffe wie Loperamid (wie Imodium®) sind in der Selbstmedikation für Kinder erst ab einem Alter von 12 Jahren zugelassen. Die Therapie des Durchfalls der kleinen Patienten gehört ausschließlich in die Hand des Arztes, weil der hohe Flüssigkeitsverlust lebensbedrohlich werden kann.

Heftiger Angriff auf Darmzotten

Bei manchen Patienten, die besonders schwer erkranken, schließt sich an die erste Phase des Durchfalls eine zweite an. »Die Viren binden an Rezeptoren, wodurch der Flüssigkeitstransport im Darm seine Richtung ändert«, erklärte der Kinderarzt. Dann wird nicht nur aus der Nahrung keine Flüssigkeit mehr resorbiert, sondern noch zusätzlich dem Körper Flüssigkeit entzogen. In diesem Stadium müssen die Patienten mit Infusionslösungen ernährt werden. »Nach einer Infektion mit Rotaviren sieht die Darmschleimhaut nicht mehr so aus wie vorher«, erläuterte Hofmann. Wo vorher Darmzotten waren, erscheint die Oberfläche deutlich geglättet. »Ein solches Bild zeigt sich nur nach einer Rotavirus-Infek­tion«, betonte er. Das erklärt auch, warum schwere Krankheitsverläufe nicht nach ein paar Tagen beendet sind. Bis zu drei Wochen kann es dauern, bis der Darm sich erholt hat und seine »normale« Arbeit wieder aufnimmt – eine schwere Zeit für die meist kleinen Patienten.

Strenge Isolation auf der Station

Wenn Kinder und Säuglinge mit einer Rotavirus-Infektion im Krankenhaus versorgt werden müssen, bedeutet dies für das Personal aufgrund der hohen Infektiosität des Erregers eine große Gefahr. Die Kinder müssen sofort isoliert werden, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern. »Nur eine einzige Kontaktperson ist erlaubt«, berichtete Kinderkrankenschwester Gabriele Niedermeyer von der Berliner Charité. »Der Rest der Familie muss draußen bleiben.« Kontaktperson und medizinisches Personal müssen auf strengste Hygiene achten, auch wenn dies aufgrund des häufigen Erbrechens und der Durchfälle schwierig ist. Die Kleinkinder benötigen intensive Betreuung. Die Krankenschwestern kämen mit dem Windelnwechseln oft nicht schnell genug nach, so rasch folgten die Durchfälle aufeinander, so Niedermeyer. »Und den Kleinen geht es wirklich schlecht.« Die flüssigen Durchfälle reizen Haut und Schleimhäute. »Schnell sind die Kinder wund, haben Schmerzen und schreien viel.«

Durch eine Impfung können die Eltern die Gefahr schwerer Infektionsverläufe auf ein Minimum reduzieren. Dann ist auch das Risiko einer Klinikeinweisung praktisch gleich Null. Zwei Lebendimpfstoffe in Form von Schluckimpfungen, Rotarix® und Rotateq®, stehen derzeit zur Verfügung. Rotarix® erhalten die Kleinen in der 6. Lebenswoche und dem 4. Lebensmonat (zwischen der 16. und 24. Woche), Rotateq® im 3., 4. und 5. Monat. Der Arzt kann die Schluckimpfung problemlos mit der Sechsfachimpfung und der Pneumokokkenimpfung kombinieren. Zwischen den Impfungen müssen jeweils mindestens vier Wochen ­liegen, und sie müssen mit der 26. Lebenswoche, das heißt im 8. Monat abgeschlossen sein. Da der Impfstoff vermehrungsfähige, stark abgeschwächte Rotaviren enthält, scheiden die Säuglinge eine Zeit lang Erreger aus. Daher sollten die Eltern nach der Impfung häufig die Windeln wechseln und verstärkt auf Hygiene achten.

Schluckimpfung wird oft erstattet

Die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) gibt keine generelle Empfehlung für die Rotaviren-Impfung. Ihre Entscheidung fällen die Experten aufgrund einer Kosten-Nutzen-Analyse. Derzeit fällt diese Bilanz zu Ungunsten einer generellen Impfempfehlung aus. Einige europäische Länder sehen das anders. Österreich, Belgien, Finnland und Luxemburg geben eine solche Empfehlung. Auch die vier deutschen Bundesländer Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen haben die Rotavirus-Impfung in ihre öffentlichen Impfempfehlungen aufgenommen. Allerdings übernehmen inzwischen viele Kassen der Gesetzlichen Krankenversicherung die Kosten auch ohne generelle STIKO-Empfehlung. Eltern sollten sich bei ihrer Krankenkasse nach einer Kostenübernahme erkundigen. /

E-Mail-Adresse der Verfasserin

maria.pues(at)t-online.de