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Diabetes

Innovationen für die Therapie

19.11.2010  18:34 Uhr

Diabetes

Innovationen für die Therapie

Von Gudrun Heyn, Berlin / Dank moderner Medizintechnik könnte der Traum einer vollautomatischen Blutzuckerregulation für Diabetiker bald Wirklichkeit werden. Damit wäre eine Insulintherapie möglich, die sich flexibel und jederzeit auf den aktuellen Bedarf des Körpers einstellt.

Closed-Loop-System, also System der geschlossenen Schleife, nennen Mediziner ein spezielles Prinzip der Diabetesbehandlung. Hierbei bestimmt ein Messgerät am Körper des Patienten kontinuierlich den Glukosewert, ein Computer berechnet daraus den aktuellen Insulinbedarf und eine Insulinpumpe gibt die gerade benötigte Dosis an den Körper ab. »Wie eine Bauchspeicheldrüse sollte solch eine technische Innovation die Abgabe des lebenswichtigen Insulins steuern können«, erklärte ­Professor Dr. Thomas Danne vom Kinderkrankenhaus auf der Bult, Hannover und Präsident der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) auf einem Medienseminar des BVmed in Berlin.

Besonders die Eltern diabeteskranker Kinder könnten davon profitieren. Ihnen würde die Sorge genommen, ob ihr Kind zum Beispiel im Kinder­garten die richtige Dosis zur rechten Zeit erhält. Auch die Prozeduren der Glukose­messung und der Insulingabe würden entfallen. Diabe­teskranke Kinder in Kindergärten und Schulen würden dann nicht mehr auffallen. Vor allem aber würde die Gefahr einer extremen Unterzuckerung (Hypoglykämie) und das Ri­siko von Diabetes-Folgeschäden deutlich gemindert.

»Einen Blutzuckerspiegel stabil zu halten, ist außeror­dent­lich schwierig«, sagte Danne. Mit jeder auch noch so kleinen Mahlzeit ändern sich die Werte. Selbst ein Glas Orangensaft lässt den Glukosespiegel messbar steigen. Wenn keine Nahrung zur Verfügung steht, geben Leber und Muskeln Glukose an den Körper ab, um dessen Energiebedarf zu stillen. So sorgt die Leber besonders morgens nach dem Aufstehen dafür, dass der Körper in Schwung kommt. Einen weiteren Glukosepeak gibt es am Nachmittag. Doch bei jedem Menschen läuft die Glukose-Grundversorgung zu etwas anderen Zeiten und mit anderen Mengen ab. Mit Hilfe des Insulins aus der Bauchspeicheldrüse gelangt der Zucker aus dem Blut in die Körperzellen.

Zwölf Insulingaben pro Tag

Im Rahmen einer modernen Insulintherapie erhalten Diabetiker heute ein Basalinsulin zur Deckung des Grundbedarfs und ein prandiales Insulin vor den Mahlzeiten. Viel effektiver ist die Therapie jedoch, wenn durch regelmäßige Insulingaben über den Tag verteilt die Blutzuckerwerte des Diabetikers annähernd denen eines Stoffwechselgesunden entsprechen, also das Blutzuckerspiegel-Niveau weitgehend konstant ist. Vor allem die großen Schwankungen mit Über- und Unterzuckerungen können so vermieden werden. Außerdem zeigen Studien, dass sich damit auch der angestrebte HbA1c-Wert von 7,5 Prozent gut erreichen lässt. »Durch die 12-malige Insulingabe am Tag haben dies 87 Prozent von mehr als 1000 Patienten geschafft«, sagte Danne. Bei gleicher Gesamtinsulinmenge war dagegen der HbA1c-Wert umso größer, je seltener die Patienten Insulin erhielten.

Der HbA1c-Wert gibt Auskunft über den durchschnittlichen Blutzuckerwert der letzten drei Monate. Nach wie vor ist er das Maß für eine gute Stoffwechseleinstellung. Gelingt es nicht, ihn auf einem niedrigen Niveau zu halten, drohen die gefürchteten Spätfolgen des Diabetes. Dazu gehören Nerven-, Augen- oder Nierenschäden, Arteriosklerose, koronare Herzerkrankung und Diabetisches Fußsyndrom.

Bessere Versorgung

Wirklich praktikabel ist solch eine stark intensivierte Behandlung jedoch nur mithilfe moderner Medizintechnik. Im Rahmen einer intensivierten konventionellen Insulintherapie (ICT) müssten die Patienten 12-mal am Tag ihren Glukosewert in Blut oder Gewebe bestimmen, jedes Mal daraus die benötigte Insulindosis berechnen und sich diese Dosis zuführen. Am Körper getragene Insulinpumpen geben dagegen Insulin kontinuierlich ab. Eine neue Patch-Pumpe benötigt dazu sogar kein Infusionsset mehr, sondern wird direkt auf die Haut geklebt. Welche Dosis für die basale Insulinversorgung wann abzugeben ist, lässt sich bei allen neuen Produkten einfach programmieren.

Das zu den Mahlzeiten benötigte Insulin ruft der Diabetiker bislang noch über Knopfdruck ab. Moderne Insulinpumpen kommunizieren dazu mit Glukosemessgeräten. So lässt sich beispielsweise mit Hilfe eines Blutzuckermessgerätes der für die Mahlzeit benötigte Bolus berechnen und an die Insulinpumpe senden.

Sensoren alarmieren Pumpe

Auch im Gewebe sind inzwischen Glukosemessungen möglich. Die so genannten CGM-Geräte (CGM = Continuous Glucose Monitoring) bestimmen den Glukosegehalt beispielsweise in der Flüssigkeit des Unterhautfettgewebes. Die neuesten Geräte erlauben bereits heute kontinuierliche Messungen von bis zu 10 Tagen. Dann muss der Sensor gewechselt werden. Mit diesen Systemen können die Patienten genau verfolgen, wie sich ihr Glukosespiegel verändert, wenn sie zum Beispiel Sport treiben oder eine Banane essen. Einige Geräte warnen sogar vor einer bevorstehenden Hypoglykämie. Der erste Sensor mit einer Sicherheitsschaltung ist seit 2010 verfügbar. Er stoppt die Insulinausschüttung der Pumpe automatisch, wenn die Gefahr einer Unterzuckerung besteht.

»Obwohl die Technik heute schon sehr weit ist, sind wir vom Ersatz der Bauchspeicheldrüse noch einen Schritt entfernt«, sagte Danne. Weltweit arbeiten Forschergruppen intensiv daran, dass der Traum eines Closed-Loop-Systems wahr wird. Erste Ergebnisse mit halbautomatischen Systemen belegen die Machbarkeit des Prinzips. Eines der Hauptprobleme besteht derzeit jedoch noch darin, dass es eine gewisse Zeit dauert, bis der Glukosesensor erkennt, dass der Patient etwas isst. Wenn dann die Wirkung des Insulins mit Verzögerung eintritt, ist ein Blutzuckeranstieg kaum vermeidbar. Nachts hingegen sind die erreichten Glukosespiegel bereits sehr gut. /

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