Viele »pfundige« Arzneistoffe |
19.11.2010 18:37 Uhr |
Viele »pfundige« Arzneistoffe
Von Brigitte M. Gensthaler, München / Wer über längere Zeit reichlich isst und trinkt, bringt schließlich mehr Pfunde auf die Waage, als ihm lieb und gesund ist. Dann gilt es, überflüssige Pfunde wieder abzubauen. Dass auch einige Arzneimittel das Gewicht ansteigen lassen, ist den Patienten oft unbekannt. Welche Arzneistoffe sind das, und welchen Rat können PTA oder Apotheker in diesen Fällen geben?
Manchmal klagen Kunden in der Apotheke, dass ihr Gewicht steigt, seit sie ein bestimmtes Arzneimittel einnehmen. »Nehmen Sie diese Sorgen ernst, denn eine unerwünschte Gewichtszunahme ist eine wichtige Ursache für Noncompliance«, sagte Dr. Markus Ziegelmeier von der Apotheke des Städtischen Klinikums München-Bogenhausen bei einem Vorsymposium zum WIPIG-PZ-Präventionskongress.
Foto: PZ/Wolf
Frauen leiden meist stärker unter den zusätzlichen Pfunden als Männer. Betroffen sind oft junge Frauen mit bipolaren Störungen, die Psychopharmaka einnehmen. Wichtig sei im Beratungsgespräch, mit dem Patienten über Möglichkeiten zum Gegensteuern zu sprechen, empfahl der Apotheker. Mehr Bewegung und eine Ernährungsumstellung kommen infrage. Nach Rücksprache mit dem Arzt kann eventuell auch die Medikation verändert werden.
Trotzdem sollte das Apothekenteam stets nach anderen Ursachen fahnden: »Nicht alles, was der Patient dem Arzneimittel zuschreibt, geht auf dessen Konto«, warnte Ziegelmeier. Möglicherweise bewegt sich der Patient wegen seiner Schmerzen zu wenig. Sogar Betablocker verleiten zu Bewegungsmangel, denn sie verlangsamen den Puls und nehmen aus dem Leben »Antrieb und Tempo raus«. Das ist vielen Hypertonikern nicht bewusst. Umgekehrt essen Patienten mit Schizophrenie oder Depression dank einer guten Behandlung wieder regelmäßig, was ihnen in der akuten Krankheitsphase nicht möglich war. Dann zeigt sich der Therapieerfolg auch in der schleichenden Gewichtszunahme.
Kalorienfalle süße Bonbons
Arzneimittel mit anticholinergen Nebenwirkungen, zum Beispiel tricyclische Antidepressiva, Neuroleptika, bestimmte Medikamente gegen Blasenschwäche oder die Parkinson-Erkrankung, verursachen häufig starke Mundtrockenheit. Greifen die Patienten dann zu zuckerhaltigen Getränken oder Bonbons, steigt die Kalorienzufuhr und damit oft auch langfristig ihr Gewicht. Hier hilft der Rat: statt Limo und Saft besser Wasser und ungesüßten Tee trinken. Manche geriatrischen Patienten leiden so sehr unter dem trockenen Mund, dass sie deshalb das Essen verweigern und an Gewicht verlieren. Darauf müssten PTA oder Apotheker in der Beratung den Betroffen selbst oder den pflegenden Angehörigen deutlich hinweisen.
Erst der direkte Vergleich macht deutlich, wie viel Zucker ein Glas süße Limonade enthält.
Foto: Techniker Krankenkasse
Man solle von Fall zu Fall abwägen, ob man dem Kunden zu einer Ernährungsumstellung rät oder nicht, betonte Ziegelmeier. Ausschlaggebend seien der Leidensdruck des Patienten sowie Begleiterkrankungen, beispielsweise Diabetes oder Fettstoffwechselstörungen. Betagte Menschen sowie Patienten mit Krebs- oder Lungenerkrankungen nehmen ohnehin stärker ab als gewünscht und sollten ihr Gewicht nicht absichtlich reduzieren.
Dickmacher Betablocker
Wie beeinflussen Arzneimittel das Körpergewicht? Ziegelmeier nannte dazu einige Beispiele. So unterdrücken Betablocker die Mobilisierung von Energiereserven im Körper und bremsen dadurch die körperliche Leistungsfähigkeit. Laut Studien ist der Effekt aufs Gewicht bei Propranolol am stärksten ausgeprägt. Auch Atenolol und Metoprolol können zu mehr Pfunden führen. Am geringsten scheint der Einfluss von Nebivolol zu sein.
PTA oder Apotheker könnten den Patienten raten, den Ballaststoffanteil in ihrer Ernährung zu erhöhen und Lebensmittel mit niedrigem glykämischen Index zu bevorzugen, riet Ziegelmeier. Dies senke zugleich das Diabetesrisiko. Auch leichte Ausdauersportarten wie Wandern oder Nordic Walking wirkten sich günstig aus. Insgesamt seien die Erfolge in der Praxis aber begrenzt. Im Vordergrund steht daher die Umstellung der Therapie auf ein anderes Arzneimittel, wenn der Arzt dem zustimmt.
Betablocker wie Celiprolol oder Nebivolol oder andere Antihypertonika wie ACE-Hemmer oder Sartane haben keinen so großen Einfluss auf das Gewicht. Bekommt der Patient Propranolol oder Metoprolol zur Migräneprophylaxe, könnte der Arzt auf Topiramat ausweichen. Der Wirkstoff reduziere bei den meisten Patienten eher das Gewicht, erklärte Ziegelmeier. Dagegen bringt der Wechsel auf Flunarizin, das ebenfalls für diese Indikation zugelassen ist, nichts, da es eine Gewichtszunahme ankurbelt.
Auf vielfältige Weise greifen Psychopharmaka in die Gewichtsregulation ein. Tricyclische Antidepressiva können den Appetit steigern, aber auch Mundtrockenheit auslösen und damit zum Trinken anregen. Beispielsweise nehmen Patienten unter der Therapie mit Nortriptylin, Doxepin oder Amitriptylin deutlich an Gewicht zu. Eine Alternative wären die SSRI (selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) Mirtazapin oder Venlafaxin.
Vorsicht bei Co-Analgetika
Auch zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen setzen Ärzte Tricyclika als Co-Analgetika ein; Leitsubstanz ist Amitriptylin. »Erklären Sie den Nutzen der Zusatztherapie, damit der Patient das Co-Analgetikum nicht einfach absetzt.« Zum Beispiel könnten PTA oder Apotheker den Kunden so überzeugen: »Das zweite Medikament unterstützt gut die Wirkung Ihres Schmerzmittels.«
Im Durchschnitt legen Patienten zwei bis zehn Kilogramm zu, wenn sie die Neuroleptika einnehmen. Die Arzneistoffe verstärken das Hungergefühl und verändern das Essverhalten erheblich. Besonders ausgeprägt ist dies bei Clozapin und Olanzapin. Aber auch Valproinsäure und Lithium machen sich so bemerkbar. Relativ günstig sei Risperidon, während bei Ziprasidon in Studien sogar eine Gewichtsabnahme beobachtet wurde.
Vor allem junge Patientinnen mit bipolaren Störungen leiden stark unter der Veränderung der Figur, berichtete Ziegelmeier. Man müsse sie unbedingt motivieren, die Therapie trotzdem beizubehalten und vor jeglicher Änderung mit dem Arzt zu sprechen. Eine ballaststoffreiche Ernährung mit niedrigem glykämischen Index und der Verzicht auf Cola und Limo sowie mehr Bewegung wirken einem metabolischen Syndrom entgegen.
Hypoglykämie und Heißhunger
Patienten mit Typ-2-Diabetes nehmen nach Beginn einer antidiabetischen Therapie oft zu. Zum einen scheiden sie keine Glucose und Ketokörper mit dem Urin mehr aus; zum anderen passen viele Betroffene ihre Ernährung und ihre Trinkgewohnheiten der veränderten Situation nicht an. Patienten mit schlecht eingestelltem Diabetes haben großen Durst und bevorzugen oft kalorienhaltige Getränke.
Nehmen die Patienten während der antidiabetischen Therapie kräftig zu, kann dies außerdem auf Hypoglykämien hinweisen. Die Unterzuckerung löst ein Hungergefühl aus, das zum Essen verführt. Das trifft vor allem Patienten, deren HbA1c -Werte eigentlich recht gut sind. Die Gewichtszunahme ist zudem besonders bei Patienten ausgeprägt, die Arzneistoffe wie Glibenclamid oder Glimepirid einnehmen oder Insulin spritzen. Pioglitazon löst dagegen keine oder kaum Hypoglykämien aus.
PTA oder Apotheker sollen den Diabetiker nach dem Spritz-Ess-Abstand fragen oder sich erkundigen, wann er die Tabletten einnimmt und wann er Heißhunger bekommt, riet Ziegelmeier. Wer sportlich aktiv ist, sollte beachten: Präprandial ist die Hypoglykämie-Gefahr besonders hoch und kann heftige Heißhungerattacken nach sich ziehen. Eine kleine und leichte Mahlzeit vor dem Sport reduziert die Gefahr, zu unterzuckern und danach beim Essen über die Stränge zu schlagen.
Als therapeutische Alternative bietet sich unter Umständen Metformin an, das übergewichtigen Diabetikern das Abnehmen erleichtert. Gliptine sind gewichtsneutral.
Corticoide und Kontrazeptiva
»Vollmondgesicht« und Stammfettsucht als Folgen der Langzeitgabe von hoch dosierten Corticoiden sind gut bekannt. »Eine kurzzeitige Hochdosis-Cortisontherapie hat aber keinen Einfluss auf das Gewicht«, beruhigte der Referent. Hohe Dosen über längere Zeit erhielten nur schwer kranke Menschen, bei denen die Gewichtsentwicklung zweitrangig ist.
Orale Kontrazeptiva können, vor allem zu Beginn der Einnahme, eine Gewichtszunahme durch Wassereinlagerung bewirken. Bei Dauereinnahme pendelt sich das Gewicht aber ein. Wenn die Frau unter den zusätzlichen Pfunden sehr leidet, sollten PTA oder Apotheker sie an den Frauenarzt verweisen. Ein Wechsel des Pillenpräparats kann sich lohnen. /