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Glaukom

Die verkannte Gefahr

26.07.2013  09:04 Uhr

Von Claudia Borchard-Tuch / Das Glaukom zählt zu den häufigsten Erblindungsursachen in den westlichen Industrienationen. In Deutschland sind fast eine Million Menschen am grünen Star erkrankt. Das Gefährliche dieser Augenerkrankung: Sie entwickelt sich schleichend und bleibt oft jahrelang unbemerkt. Doch nur die frühzeitige Behandlung kann die tragischen Folgen des Glaukoms verhindern.

»Wenn die Pupille wie die Farbe des Meeres wird, ist das Augenlicht zerstört«, schrieb Hippokrates. Obwohl das Glaukom – auch grüner Star genannt – bereits seit dem Altertum bekannt ist, kennen auch heute noch viele Menschen die Erkrankung nicht: Laut Umfrage des Marktforschungsinstituts EMNID hat fast jeder vierte Deutsche noch nie etwas von der Augenerkrankung gehört. Ein Drittel der Befragten verwechselte den grünen mit dem grauen Star. 87 Prozent glaubten, sie müssten erst dann einen Augenarzt aufsuchen, wenn sie nicht mehr deutlich sehen können.

Diese Einschätzung ist fatal, denn die meisten Glaukomformen entwickeln sich schleichend und bleiben häufig jahrelang symptomlos. Macht sich die Schädigung des Sehnervs bemerkbar, ist sie nicht mehr rückgängig zu machen. Daher gilt: Je früher ein Glaukom entdeckt wird, desto wahrscheinlicher kann das Sehvermögen erhalten werden. Eine Operation ist nicht zwangsläufig erforderlich. Oft lässt sich ein Glaukom schon medikamentös erfolgreich therapieren.

Zerstörter Sehnerv

Der Begriff »Glaukom« fasst eine Vielzahl von Augenerkrankungen zusammen, die bei keiner oder unzureichender Therapie dazu führen, dass der Sehnerv zerstört wird. Immer gehen beim Glaukom die Nervenfasern in Sehnerven und Netzhaut zugrunde, die die von den Rezeptoren der Netzhaut aufgenommen Sinneseindrücke zum Gehirn leiten. Der Untergang der Nervenfasern kann mehrere Ursachen haben. Am häufigsten dafür verantwortlich sind ein erhöhter Augeninnendruck oder eine unzureichende Blutversorgung. Der Augeninnendruck ist der Druck gegen die Innenwand des Auges. Er hängt vom Kammerwasser ab, das der Ziliarkörper bildet. Durch die Pupille gelangt es in die vordere Augenkammer und fließt im Kammerwinkel durch das Trabekelwerk und den Schlemm-Kanal in das Venensystem ab. Der Augeninnendruck sollte nicht über 20 mmHg liegen. Beträgt der Augeninnendruck eines Patienten 35 mmHg, ist dessen Risiko, an einem Glaukom zu erkranken, um das Fünffache erhöht.

Zwei Glaukomformen

Beim primären Glaukom unterscheiden Experten zwischen Offenwinkel- und Engwinkelglaukom. Am häufigsten tritt das Offenwinkelglaukom auf. Hierbei ist der Kammerwinkel, den Hornhaut und Iris in der vorderen Augenkammer bilden, zwar unverändert offen. Doch verschiedene Veränderungen im Bereich des Kammerwinkels wie altersbedingte Ablagerungen erschweren, dass das Kammerwasser abfließen kann. Beim Engwinkelglaukom hingegen ist der Kammerwinkel verkleinert, was ebenfalls den Abfluss des Kammerwassers behindert.

Neben dem erhöhten Augeninnendruck kann eine unzureichende Blutversorgung des Sehnervs den Untergang der Nervenzellen verursachen. Zumeist ist hierbei das Gefäßsystem der Patienten aufgrund einer sogenannten vaskulären Dysregulation nicht mehr in der Lage, sich ausreichend an wechselnde Sauerstoff- und Nährstoffbedürfnisse anzupassen. Häufig ist der Augeninnendruck normal, auch als Normaldruckglaukom bezeichnet. Diese Patienten leiden oft zudem an peripheren Durchblutungsstörungen, an Hörstörungen oder Tinnitus.

Diagnose­verfahren

Eine wichtige Untersuchungsmethode ist die Tonometrie – die Messung des Augeninnendrucks. Dieser Druck schwankt im Verlauf des Tages und ist morgens am höchsten. Deshalb messen Augenärzte den Druck in der Regel vormittags. Da das Ergebnis der tonometrischen Untersuchung von der Dicke der Hornhaut abhängt, bestimmt der Arzt diese meist mit.

Noch aussagekräftiger als die Messung des Augeninnendrucks ist die Untersuchung des Sehnervs. Bei der Augenhintergrunduntersuchung, der sogenannten Funduskopie, kann der Augenarzt feststellen, ob der Sehnerv (Papille) am Austrittsort geschädigt ist. Aufgrund der hohen physiologischen Variabilität der Papille ist die Diagnose einer Glaukom-bedingten Schädigung jedoch manchmal schwierig. Moderne laserbasierte Diagnoseverfahren wie die Heidelberger Retina-Tomografie bieten hier mehr Sicherheit, da sie die Papille dreidimen­sional darstellen. Das Verfahren ist einfach und ohne Erweiterung der Pupille durchzuführen; die Analyse geschieht automatisiert und schnell.

Mit der Gesichtsfelduntersuchung, der sogenannten Perimetri, entdeckt der Augenarzt das für das Glaukom typische Symptom: die Ausfälle an den Randbereichen des Gesichtsfeldes. Zu Beginn der Erkrankung sind sie noch so klein, dass der Patient sie nicht bemerkt. Später werden die Ausfälle immer größer und es entsteht schließlich der sogenannte Tunnelblick.

Zahlreiche Risikofaktoren

Da das Lebensalter unter den Risikofaktoren an erster Stelle steht, sollte sich jeder vom 40. Lebensjahr an alle zwei bis fünf Jahre augenärztlich untersuchen lassen. Menschen mit zusätz­lichen Risikofaktoren sollten schon ab dem 35. Lebensjahr einmal jährlich eine Vorsorgeuntersuchung in Anspruch nehmen.

Zu den zusätzlichen Risikofaktoren zählen neben erhöhtem Augen­innendruck auch familiäre Belastung (Erkrankte in der Verwandtschaft 1. Grades), Kurzsichtigkeit ab minus 5 Dioptrien und schwarze Hautfarbe. Niedriger Blutdruck, häufige Migräneattacken oder Schnarchen steigern das Risiko ebenfalls. Während Nicotin-Konsum ungünstig ist, wirkt sich Alkohol nicht auf den Augeninnendruck aus.

So früh wie möglich

Ziel der Behandlung ist es, das Verhältnis zwischen Augeninnendruck und Blutdruck zu optimieren, um eine gute Durchblutung der Papille zu erreichen. Alle Glaukommittel verringern den Augeninnendruck. Den Druck auf einen Wert unter 21 mmHg zu senken, reicht aber bei manchen Patienten noch nicht aus, um den Sehnerv vor Schaden zu bewahren. Allgemein gilt: Je fortgeschrittener ein Glaukom ist, desto niedriger sollte der angestrebte Augen­innen­druck sein. Bei der Therapie eines Normaldruckglaukoms empfehlen Fach­leute, den Augeninnendruck auf 12 mmHg abzusenken.

Zur medikamentösen Behandlung stehen eine Reihe von Antiglaukomatosa, meist als Augentropfen, zur Auswahl. Betablocker verringern die Kammerwasserproduktion und sind beim Offenwinkelglaukom indiziert. Von Vorteil ist, dass sie zum einen den Augeninnendruck wirksam senken, zum anderen die Pupillenweite und die Nah- und Ferneinstellung des Auges (Akkomodation) nicht beeinflussen. Die Patienten müssen Augentropfen mit Betablockern zweimal täglich applizieren. Langjährige Erfahrungen liegen mit Timolol vor. Auch Betaxolol, Cartelol, Levobunol und Metipranol werden eingesetzt. Obwohl die Betablocker in diesem Fall lokal angewendet werden, können sie systemische Nebenwirkungen wie Reizleitungsstörungen am Herzen, Bradykardie oder Atembeschwerden auslösen.

Alpha-2-Sympathomimetika verringern wie Betablocker die Kammerwasserproduktion. Clonidin und Brimonidin eignen sich für die Langzeittherapie, Apraclonidin für die Behandlung nach chirurgischen Eingriffen am Auge. Wegen seines raschen Wirkungseintritts setzen Ärzte Apraclonidin auch beim akuten Glaukomanfall ein. Nebenwirkungen betreffen das Auge oder den gesamten Körper: zum Beispiel Augenbrennen oder Rötung, Müdigkeit, Schwindel sowie Blutdruckabfall. Das Adrenalinderivat Dipivefrin steigert vermutlich den Kammerwasserabfluss, indem es β2-Rezeptoren im Trabekelwerk stimuliert. Die Substanz ist beim Offenwinkelglaukom indiziert.

Parasympathomimetika führen bei Anwendung am Auge zu einer Dauerkontraktion des Musculus sphincter pupillae. Infolgedessen verengt sich die Pupille. Zugleich erweitern sich die Abflusswege für das Kammerwasser. Dadurch sinkt der Augeninnendruck für einige Stunden. Dies erklärt die güns­tige Wirkung von Parasympathomimetika bei Patienten mit Engwinkelglaukom. Am häufigsten verordnen Ärzte das Pilocarpin. Ein anderes Miotikum ist Carbachol. Besonders bei jüngeren Patienten können Parasympathomimetika zu Kurzsichtigkeit führen. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind eine vermehrte Tränensekretion oder Augenrötung sowie bei längerer Anwendung Risse in der Netzhaut.

Die Carboanhydratase ist ein Schlüssel­enzym für die Bildung von Kammerwasser. Hemmt ein Arzneistoff die Carboanhydratase, führt dies zu einer effektiven Verminderung der Kammerwasserproduktion. Der Carbo­an­hydratase­hemmer Acetazolamid wurde nur für die systemische Anwendung zugelassen. Während der Therapie können erhebliche Nebenwirkungen auftreten wie Unwohlsein, Nierensteine, Atembeschwerden oder -not. auch Lebererkrankungen können sich verschlechtern. Mittlerweile stehen mit Brinzolamid und Dorzolamid auch lokal anwendbare und damit besser verträgliche Sulfonamid-Derivate zur Verfügung.

Gefährlicher Notfall

Das akute Winkelblockglaukom erfordert schnelles Handeln, denn die Auswirkungen können gravierend sein: irreversible Schäden bis hin zur Erblindung. Der Anfall wird verursacht, wenn sich der ohnehin schon verengte Kammerwinkel schlagartig weiter verschließt. Plötzliche Pupillenerweiterung bei Dunkelheit, Stress oder Ermüdung können das akute Winkelblockglaukom auslösen, ebenso wie Medikamente, zum Beispiel Antidepressiva oder Antihistaminika. Dann steigt der Augeninnendruck plötzlich massiv auf Werte bis zu 80 mmHg.

Das Auge der Patienten ist dann gerötet und hart, die Lider sind geschwollen. Der Patient sieht unscharf und nimmt Nebel- oder Farbringe (»Newton-Ringe«) um Lichtquellen wahr. Die starken Schmerzen können in Stirn, Oberkiefer und Brustbereich ausstrahlen. Zudem wird es den Betroffenen oft übel, sie erbrechen und ihr Herz schlägt extrem langsam (Bradykardie). Selbstverständlich muss der Patient unverzüglich in eine Augenklinik gebracht werden.

Akut- oder Dauertherapie

Acetazolamid kommt beim akuten Glaukomanfall zum Einsatz. Brinzolamid und Darzolamid werden zusammen mit einem Betablocker zur Dauertherapie aller Glaukomformen eingesetzt. Wie Betablocker verändern die beiden Substanzen weder die Pupillenweite noch die Akkomodation. Zu den Nebenwirkungen zählen unter anderem Missempfindungen des Auges, verschwommenes Sehen, Geschmacksstörungen, Kopfschmerzen sowie allergische Reaktionen.

Prostaglandin-Derivate wie Latanoprost, Travoprost oder Bimatoprost verstärken den Abfluss des Kammerwassers. Sie sind bei Patienten mit Offenwinkelglaukom indiziert, bei denen andere, den Augeninnendruck senkende Medikamente nicht verträglich oder nur unzureichend wirksam sind. Prostaglandin-Derivate müssen die Patienten einmal täglich abends applizieren. Zu den Nebenwirkungen gehören ein Fremdkörpergefühl im Auge, verstärktes Wachstum der Wimpern. Bei manchen Patienten verändert sich unter der Therapie die Augenfarbe.

Osmodiuretika wie eine 20-prozentige Mannitollösung bewirken, dass Wasser aus dem Augeninneren in die Blutgefäße des Auges strömt und der Augeninnendruck schnell sinkt. Durch die Volumenverringerung des Glaskörpers verlagern sich Linse und Iris nach hinten und der Kammerwinkel vergrößert sich. In Kombination mit Acetazolamid, Pilocarpin, Betablockern und/oder Apraclonidin gehören Osmodiuretika zur Standardtherapie des akuten Winkelblockglaukoms.

Falls eine medikamentöse Therapie nicht ausreichend wirksam ist, kann eine Augenoperation oder ein Eingriff mit dem Laser den Augeninnendruck senken. Bei der sogenannten basalen Iridektomie entfernt der Operateur ein kleines Stück der Regenbogenhaut (Iris), durch das das Kammerwasser aus der Hinterkammer in die Vorderkammer abfließen kann. Auch mittels Laser, mit der sogenannten YAG-Laseriridektomie kann der Augenarzt eine Verbindung zwischen Vorder- und Hinterkammer schaffen. /

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