Service gibt es nicht umsonst |
30.05.2018 11:36 Uhr |
Von Nicole Schuster / Wer gesundheitsbezogene Apps nutzt, füttert sie oft zwangsläufig mit Daten. Neben einer unzureichenden Aufklärung über die Verwendung der Daten ist auch die mangelnde Evidenz vieler dieser Applikationen ein Problem. Verbindliche Qualitätskriterien und einheitliche Zulassungsverfahren sind wünschenswert.
Smartphones mit ihren kleinen Zusatzprogrammen, den sogenannten Apps, sind aus dem Alltag vieler Menschen nicht mehr wegzudenken. Die Funktionen der Applikationen erleichtern so manches, und viele Nutzer greifen gerne und relativ sorglos auf die Angebote zurück. Zahlreiche Apps beziehen sich auf Themen rund um Fitness, Gesundheit und Medizin.
Die Palette reicht von einfachen Fitness- und Lifestyle-Anwendungen über Tagebücher, etwa zum Aufzeichnen von Blutdruckwerten, Schmerzstärke oder der Stimmung, bis hin zu komplexen Anwendungen zur Diagnostik und Therapie von Krankheiten. Solche Angebote aus dem Bereich Mobile Gesundheit – auf Englisch »Mobile Health« oder kurz »mhealth« – versprechen Anwendern eine bessere Kontrolle ihres Gesundheitszustands, erinnern an die rechtzeitige Einnahme von Medikamenten und helfen beim Überwachen bestimmter Körperfunktionen. Einige sollen sogar Krankheiten diagnostizieren können, so gibt es etwa Apps, die gemäß den Entwicklern Hautkrebs von ungefährlichen Leberflecken unterscheiden. Je mehr Aufgaben die Programme in der Gesundheitsfürsorge übernehmen wollen, desto wichtiger ist, dass sie einwandfrei funktionieren. Während es bei einem Schrittzähler nur ärgerlich ist, wenn er nicht richtig funktioniert, kann es bei einem Programm zur Überwachung des Bluthochdrucks oder der Herzfunktion die Gesundheit bedrohen, wenn Messwerte falsch aufgezeichnet oder interpretiert werden. Offiziell geltende Qualitätskriterien, eine Verpflichtung der Hersteller für eine qualitätsgesicherte Entwicklung oder gar Zulassungsverfahren, die sicherstellen, dass im sensiblen Bereich Medizin nur qualitativ akzeptable und unbedenkliche Apps auf den Markt kommen, fehlen allerdings. So ist es sowohl für technikaffine Gesundheitslaien als auch für medizinisches Fachpersonal schwer einzuschätzen, ob eine App empfehlenswert ist oder nicht.
Besorgniserregende Sammelwut
Viele Programme gibt es für wenig Geld, zahlreiche Anwendungen kosten auf den ersten Blick sogar nichts. Das sollte Nutzer allerdings misstrauisch machen, denn guten Service bekommt man selten umsonst. Entweder mangelt es solchen Apps an Qualität oder sie treiben die Entwicklungskosten auf anderem Weg wieder ein. Eine Möglichkeit sind Werbeeinnahmen. Bei solchen Apps ist der Anwender ständig mit Anzeigen und Werbeeinblendungen konfrontiert. Andere Applikationen sind nur in einer Testphase oder mit eingeschränkten Funktionen kostenlos.
Alles im grünen Bereich beim Sport? Spezielle Apps werten wichtige Daten aus.
Foto: Shutterstock/Halfpoint
Nach einer bestimmten Zeit, beziehungsweise, um weitere Funktionen nutzen zu können, müssen Anwender Geld zahlen. »Weitaus kritischer ist es, wenn sich Anbieter mit den Daten ihrer Nutzer refinanzieren. Daraus lassen sich prinzipiell Nutzerprofile erstellen und mit anderen Informationen, die wir im Netz etwa in sozialen Netzwerken hinterlassen haben, zusammenbringen«, erklärt Oliver Ebert, Fachanwalt für IT-Recht und Hochschullehrbeauftragter für e-commerce und Internetrecht aus der Kanzlei REK Rechtsanwälte in Stuttgart und Balingen, im Gespräch mit dem PTA-Forum. Noch eher harmlos ist, wenn diese allein für Marktforschungszwecke genutzt werden. Die Profile lassen sich aber auch weiterverkaufen, etwa an Krankenkassen oder Versicherungen. »Kritische Gesundheitsdaten können leicht zum Nachteil von Verbrauchern genutzt werden«, erklärt Ebert. »Sie können beispielsweise der Ermittlung von Risiko-Scores dienen, auf deren Basis entschieden wird, ob jemand eine Versicherung oder Leistungen daraus bekommt oder nicht.« Aber nicht nur das. Auch Firmen haben ein Interesse an Informationen zum Gesundheitsstatus ihrer Mitarbeiter oder Bewerber. Ein zu freigiebiger Umgang mit den eigenen Daten kann sich somit auch beruflich als nachteilig erweisen.
Gesundheits-Apps sind noch Neuland. Um ihre Chancen und Risiken zu evaluieren, finanzierte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) das Projekt » CHARISMHA – Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps«. Studienleiter Dr. med. Urs-Vito Albrecht MPH, stellvertretender Direktor des hannoverschen Standorts des Peter L. Reichertz Instituts für Medizinische Informatik (PLRI), eruierte zusammen mit 18 wissenschaftlichen Kollegen Handlungsfelder für den Einsatz von Gesundheits-Apps. Ergebnisse stellen die Autoren auf der Internetseite www.charismha.de vor. Unter anderem schlagen sie vor, dass Gesundheits-Apps mit erwiesener Wirksamkeit erstattungsfähig gemacht werden, um einerseits den intransparenten Finanzierungsquellen vieler Apps entgegenzuwirken und um andererseits zu verhindern, dass Gesundheitsdaten zur Währung werden. Teilfinanzierung von Geräten, Schu-lungsmaterialien und andere Maßnahmen könnten dazu beitragen, dass auch Ältere und Menschen mit Behinderungen Zugang zu Apps erhalten. Des Weiteren fordern die Autoren, dass Hersteller verpflichtet werden, vollständige Angaben zum Datenschutz, zu Kontaktdaten sowie zu Inhalten der Apps und ihren Finanzierungsquellen bereitzustellen. Die Studie ergab aber auch, dass die Potenziale der Apps zwar plausibel erscheinen, es aber an wissenschaftlichen Belegen zur Wirksamkeit beispielsweise in Form von Studienergebnissen mangelt.
Daten nur lokal speichern
Auf die mitunter nützlichen Programme völlig verzichten muss man deswegen aber nicht. Bei der App-Auswahl heißt es jedoch »Augen auf« und auf das Kleingedruckte achten. »Eine App muss darüber informieren, welche Daten sie sammelt und was mit den Daten geschieht«, erklärt der Fachanwalt. Es muss dargelegt sein, ob und an welche Dritte sie Daten weitergibt und welche Absichten dahinterstecken. Auch die Dauer der Datenspeicherung und deren Zweck müssen die Anbieter erläutern. Bestenfalls sollten sie auch erklären, wie sie sich finanzieren. Zu bevorzugen sind außerdem solche Apps, die Daten nur lokal, das heißt auf dem Gerät speichern.
Richtig essen und abnehmen – auch dabei können Apps unterstützen.
Foto: Shutterstock/Rasulov
»Hinter dem harmlos klingenden und heute allgegenwärtigen Begriff ›Cloud‹ steckt nichts anderes als ›Computer beim Hersteller‹«, warnt der Experte. Ob die Applikation Daten zur Speicherung versendet, lässt sich vielmals leicht herausfinden: »Benötigt die Anwendung eine konstante Verbindung ins Internet, ist davon auszugehen, dass sie Daten an den Hersteller oder einen Dritten sendet und dort auswertet. Für das bloße Funktionieren der App ist das aus technischer Sicht aber in der Regel unnötig«, so Ebert.
Sitz der Anbieter oft im Ausland
Ärgerlich: Viele Apps halten sich nicht an die Vorschriften und geben nur unzureichend oder gar keine Informationen darüber raus, wie sie mit Nutzerdaten umgehen. Gegen einen App-Betreiber vorzugehen, der widerrechtlich Daten sammelt, ist allerdings gar nicht so einfach. Eine Hilfe könnte die neue Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sein, die seit 25. Mai 2018 in der Europäischen Union gilt. »Nutzer können nun grundsätzlich Schadensersatz vom Betreiber verlangen, wenn mit ihren Daten etwas geschieht, dem sie nicht ausdrücklich zugestimmt haben«, erklärt Ebert. Unseriöse App-Betreiber beugen dem aber oft vor und wählen einen Standort im Ausland, von dem aus sie operieren. »Dennoch gilt auch für sie deutsches Recht. Als Einzelperson gegen diese international tätigen Firmen etwas auszurichten, ist allerdings schwierig. Anwender sollten sich in einem solchen Fall an die Datenschutzbehörde oder Verbraucherzentralen wenden«, rät der Experte.
Des Weiteren sollten Nutzer darauf achten, dass sie ihre App nur mit Nutzername und Passwort öffnen können, dass Daten verschlüsselt und auf dem eigenen Gerät gespeichert werden. Eine Versendung von Daten sollte nur dann stattfinden, wenn diese gewollt ist und etwa der Kommunikation mit dem Arzt dient. Wichtig ist auch, dass die App nicht mit Profilen in sozialen Netzwerken wie Facebook verknüpft ist. Dies würde es ihr noch einfacher machen, Nutzerprofile zu erstellen.
Gute Apps, schlechte Apps
Informationen über Nutzen, Risiken und den Umgang mit Daten sollten Verbraucher zwar in erster Linie vom Anbieter selbst bekommen. Es ist aber empfehlenswert, darüber hinaus zu prüfen, ob Dritte, etwa anerkannte Institutionen, Ärzteverbände, Krankenkassen, Selbsthilfegruppen oder unabhängige Forschungsgruppen die fragliche App bereits getestet haben und entsprechende Bewertungen zu lesen. Auch die Zweckmäßigkeit einer App sollte hinterfragt werden. So muss eine brauchbare Applikation, gerade wenn es um Themen wie Erinnerungen an Impfungen geht, auch speziell für Deutschland programmiert sein. Der Geltungsbereich Deutschland ist ebenso wichtig, wenn es um gesetzliche Untersuchungen zur Krebsfrüherkennung oder andere Versicherungsleistungen geht, da diese nicht einheitlich für alle Länder gelten. Verbraucher sollten auch auf die Möglichkeit achten, die App ohne Internetverbindung nutzen zu können. Neben dem Ausschluss unkontrollierten Datensammelns profitieren Verbraucher dann auch je nach Handytarif von einer Kostenersparnis infolge geringerer Datennutzung. Praktisch ist freilich auch, die Anwendung offline auch in Gebieten mit schwacher Netzabdeckung gebrauchen zu können. Ein weiteres Qualitätsmerkmal ist, wenn sich die App in Studien mit einer ausreichenden Anzahl an Probanden bewährt hat und die Ergebnisse einzusehen sind. Selbstverständlich sollte sein, dass Anbieter die Applikation regelmäßig aktualisieren und an Geräte- beziehungsweise Betriebssystemupdates anpassen.
Den Blutzucker scannen – eine erhebliche Erleichterung für Diabetiker. Wer will, nutzt die dazugehörige App.
Foto: Shutterstock/Nata photo
Auf den ersten Blick vertrauenswürdig sind Apps, die als Medizinprodukte vermarktet werden. »Achten Sie aber zu Ihrer eigenen Sicherheit darauf, dass Apps als Medizinprodukte auch tatsächlich ein CE-Zeichen aufweisen und nicht fälschlicherweise mit Aussagen wie ›CE-zertifiziert‹ werben«, rät der Fachanwalt für IT-Recht. Steuern Anwendungen beispielsweise eine Insulinpumpe, kann eine Fehlfunktion schnell gefährlich werden. Ist im CE-Zeichen eine Nummer angegeben, so weist diese eine externe benannte Stelle aus, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben bei der Entwicklung unabhängig geprüft hat. Fehlt eine Nummer im CE-Zeichen, bedeutet das, dass der Hersteller selbst bestätigt, die App gemäß den geltenden Vorschriften entwickelt und Qualitätsstandards eingehalten zu haben. Das CE-Zeichen sagt in der Regel aber nichts darüber aus, ob eine unabhängige Stelle die App geprüft oder getestet hat.
Das mögliche Schadensausmaß einer App hängt von ihrem Verwendungszweck und von ihrer Zielgruppe ab. Relativ wenig Schaden können Anwendungen im Allgemeinen ausrichten, wenn sie sich an gesunde Erwachsene richten und etwa als Fitnesstracker oder Unterstützung bei Diäten dienen. Auch Apps, die hauptsächlich dazu dienen, Krankheiten, Laborwerte oder andere Begriffe aus dem Bereich Gesundheit nachzuschlagen, sind relativ ungefährlich.
Wer auf Apps im Bereich Gesundheit nicht verzichten möchte, sollte vor dem Herunterladen genau überlegen, welche Funktionen ihm wichtig sind und ob er bereit ist, damit verbundene Risiken einzugehen. Die entsprechenden Informationen sollte der Anbieter leicht verständlich, in deutscher Sprache und vollständig aufführen und keine übertriebenen Werbeversprechen machen. Zudem ist es wünschenswert, dass der Anbieter eine Kontaktadresse für Rückfragen, Fehlermeldungen oder Reklamationen zur Verfügung stellt.
Anders als bei Arzneimitteln und Medizinprodukten fehlt es bislang noch an einem Vigilanz-System. Folglich ist unbekannt, wie viele und welche Schäden und Nebenwirkungen im Zusammenhang mit der Anwendung einer App auftreten. Um hier Risiken besser einschätzen zu können, sollten Gesundheitsgefährdungen oder gar -schäden zentral gesammelt und bewertet werden. Auch das würde helfen, die Spreu vom Weizen zu trennen, also die guten und hilfreichen Anwendungen von unseriösen und gefährdenden abzugrenzen.
Fehlfunktionen gefährden den Patienten
Eine Anwendung hingegen, die bei chronisch Kranken Körperfunktionen überwachen oder an Medikamenteneinahmen erinnern soll, muss einwandfrei arbeiten, da sonst die Gesundheit des Anwenders gefährdet ist. Genauso sieht es bei Apps aus, die der Diagnose von Krankheiten dienen. Erkennt das Gerät eine Krankheit nicht richtig, hält sich der Nutzer womöglich fälschlicherweise für gesund und sucht nicht den Arzt auf. Auch der umgekehrte Fall, dass durch eine App ein Anwender denkt, (schwer) krank zu sein, sollte vermieden werden. Um das Risiko für den Verbraucher so gering wie möglich zu halten, sind Diagnose-Apps in Deutschland als Medizinprodukt klassifiziert, sie müssen also ein CE-Zeichen tragen. Eine Hintertür nutzen unseriöse Anbieter, indem sie ihre Apps wie Diagnose-Apps aufmachen, im Kleingedruckten aber darauf hinweisen, dass die Software nicht dazu geeignet sei, Krankheiten zu diagnostizieren. Dieser Haftungsausschluss soll sie vor Schadenersatzansprüchen schützen. Groß ist das potentielle Gesundheitsrisiko auch, wenn Apps über Sensoren Werte, etwa EKG, EEG oder Blutzucker, bestimmen. Messen sie beispielsweise den Glukosegehalt des Blutes und werden darauf basierend Therapieentscheidungen getroffen, in diesem Fall über die Insulindosis, ist die Gesundheit des Anwenders bei Fehlfunktionen gefährdet, sogar Todesfolgen sind denkbar. Entsprechende Apps unterliegen daher in Deutschland ebenfalls der CE-Kennzeichnungspflicht.
Moderne Technik verhindert Fehler, die bei händischen Aufzeichnungen von Blutdruckwerten entstehen können.
Foto: Shutterstock/Denys Prykhodov
Die vielfachen Einsatzmöglichkeiten von Apps gerade im Bereich Gesundheit versprechen ein großes Potenzial und könnten Patienten zu einem mündigeren Umgang mit der eigenen Gesundheit anleiten und zu einem gesundheitsbewussten Lebensstil animieren. Mit Überwachungsfunktionen von Applikationen können Anwender beispielsweise direkt beobachten, wie sich Verhaltensänderungen positiv (oder auch negativ) auf ihren Gesundheitszustand auswirken. Daraus lassen sich Chancen vor allem für die Prävention ableiten.
Mangelnde Evidenz
Doch ob sich das Verhalten der Nutzer durch die Anwendung von Apps tatsächlich und langfristig bessert, ist noch unklar. Oft fallen sie nach einer vorübergehenden Phase der Begeisterung wieder in den alten Trott und liebgewonnene, wenn auch schlechte Angewohnheiten zurück. Das Zielpublikum vieler Apps scheinen zudem junge, technikinteressierte und meist ohnehin schon gesundheitsbewusste Menschen zu sein. Oft nutzen diese die Apps aber nur wenige Male. Kaum ist der Reiz des Neuen verloren, suchen sie sich eine neue Beschäftigung. Viele ältere Menschen mit chronischen Erkrankungen oder andere Gruppen, die sich nur ungern mit Technik befassen, werden sich indes nur widerwillig auf die Gesundheitsüberwachung durch ein kleines Computerprogramm einlassen. An barrierefreien oder an die Ansprüche von Senioren angepassten Applikationen mangelt es zudem oft. Auch viele Patienten mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen gehören für viele Entwickler nicht zur Zielgruppe ihrer Apps. Gesundheits-Apps können sich zu einer Erfolgsgeschichte entwickeln. Um Qualität und Verbraucherschutz zu gewährleisten, ist jedoch ein multidisziplinärer Ansatz mit Akteuren aus Gesundheit, Forschung und Politik erforderlich. /
Lesen Sie zum Themenschwerpunkt auch die Beiträge