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11.01.2007 12:01 Uhr |
Betroffene verkennen den Ernst der Lage
Carola Seifart, Marburg
Rauchen kann tödlich sein - so steht es auf vielen Zigarettenschachteln. Zu Recht, denn es ist die häufigste Ursache der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD). Sie führt zu Verschleimung, Husten und Atemnot. Die Prognose der Erkrankung ist schlecht. Neue Therapien verbessern die Beschwerden und können das Voranschreiten bremsen.
Fast jeder langjährige Raucher muss morgens husten, doch nur sehr selten berichtet er darüber seinem Arzt. Der Husten ist nicht bloß ein Laster, sondern gibt Anlass zur Sorge. Denn jeder fünfte Raucher entwickelt eine ernste Krankheit der Atemwege.
Irgendwann schwellen diese an, verengen sich und produzieren immer mehr Schleim. Die Folge: Bei einer kleinen Anstrengung muss der Betroffene husten und bekommt kaum Luft. Raucht er weiter, schreitet die Zerstörung der Lunge irreversibel voran. Die Diagnose der chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung stellen Ärzte oft viel zu spät. Schlussendlich benötigen viele Patienten ein Sauerstoffgerät. Weltweit ist die COPD zurzeit die vierthäufigste Todesursache. Fachleute erwarten in den nächsten Jahrzehnten einen weiteren Anstieg. Wahrscheinlich wird die COPD im Jahre 2020 auf den dritten Platz der Todesursachen vorrücken.
Erst nach vielen Jahren haben sich amerikanische und europäische Lungenexperten auf eine international anerkannte Definition der COPD geeinigt: Bei der Erkrankung ist der Atemfluss irreversibel vermindert. Üblicherweise schreitet die Erkrankung fort. Ihre Ursache ist eine chronische Entzündung der Atemwege, die in den meisten Fällen durch Zigarettenrauch entsteht. Selten verursachen Schadstoffe wie Feinstäube, Ruß, Dämpfe oder Abgase eine COPD. Das Expertengremium ist sich weiterhin einig: Die Erkrankung lässt sich verhindern und behandeln.
Schaden kennt kein zurück
Das Tragische für COPD-Erkrankte ist, dass die Verengung der Atemwege und die Verminderung des Atemflusses nicht mehr rückgängig zu machen sind. Leidet also ein Patient an der chronischen Atemwegserkrankung, hat er zwar Chancen seine Beschwerden durch eine Behandlung zu bessern, jedoch kann seine Lunge nie mehr ihren gesunden Ausgangszustand erreichen. Das unterscheidet die COPD im Wesentlichen vom Asthma bronchiale, bei dem sich die Atemwege kurzfristig verengen, sich nach jedem Anfall allerdings vollständig erholen können.
Dass Entzündungsvorgänge in den Atemwegen bei der COPD eine Rolle spielen, ist schon lange bekannt. Im Jahr 2002 zeigte eine wissenschaftliche Studie, dass schon bei sehr frühen Formen der COPD Entzündungen in den Atemwegen nachweisbar sind. Experten gehen davon aus, dass die Entzündung für die Entstehung der Erkrankung tatsächlich entscheidend ist. Aber auch in den Lungen von Patienten in schweren, fortgeschrittenen Stadien finden sich Zeichen einer Entzündung neben bereits stark zerstörtem Gewebe. Damit wurde klar: Entzündungsreaktionen führen auch zum Fortschreiten der Erkrankung.
Den Mechanismus erklären sich derzeit Forscher so: Tief eingeatmeter Zigarettenrauch reizt die Schleimhäute der Atemwege und aktiviert Entzündungszellen. Die aktivierten Zellen locken weitere Entzündungszellen herbei, so dass sich der Prozess schließlich selbst unterhält. In Laboruntersuchungen wurden im Atemwegsekret von Patienten mit COPD fünf- bis zehnmal mehr Entzündungszellen nachgewiesen als im Sekret gesunder Menschen.
Reaktive Sauerstoffradikale aus dem Zigarettenrauch schädigen zudem die Erbsubstanz der Schleimhautzellen der Atemwege und führen zu ihrem vorzeitigen Zelltod. Zusätzlich bilden auch Entzündungszellen freie Radikale - also eine doppelte Belastung für die Atemwege. Von der anfänglichen Entzündung der Atemwege bemerken Raucher nichts, erst im Laufe der Zeit stellen sich die Symptome ein. Weil die Zellen der Atemwege sich zu schützen versuchen, produzieren sie Schleim, der den Hustenreiz verursacht. Die Lunge befördert beim Husten Schleim und ebenfalls die Fremdstoffe des Zigarettenrauches aus den Atemwegen hinaus. Diese Tatsache ist den Rauchern beispielsweise als morgendlicher Auswurf bestens bekannt.
Von der Verschleimung zur Atemnot
Durch die chronische Entzündung schwellen die Schleimhäute der Atemwege an, der Durchmesser verengt sich, zudem wird die Stabilität der Atemwege reduziert. Das hat zur Folge, dass sie bei schneller Ausatmung regelrecht zusammenfallen. Das Atmen fällt deutlich schwerer. Die Atemluft bewegt sich nicht mehr mit normaler Geschwindigkeit durch die Atemwege. Bei einigen Patienten gehen sogar Lungenbläschen zugrunde oder erweitern sich irreversibel, bis ein Lungenemphysem entsteht. Dabei vermindert sich die Lungenoberfläche derart, dass sie ihre lebenswichtige Funktion nicht mehr ausreichend erfüllen kann, zu wenig Sauerstoff tritt ins Blut über. Letztlich resultiert immer Atemnot - zuerst nur unter Belastung, später auch in Ruhe. Die drei charakteristischen Symptome der COPD sind daher Verschleimung, Husten und Atemnot.
Weil die Erkrankung so schleichend und undramatisch beginnt, gehen viele Patienten erst dann zum Arzt, wenn ihnen das Atmen bereits deutlich schwer fällt. Je früher sie handeln, umso größer ist ihre Chance, wenigstens teilweise die Lungenkapazität zu retten. Zur Diagnose nutzen Mediziner den Lungenfunktionstest. Mit dieser Untersuchung erkennen sie den verminderten Atemfluss sowie den Gasaustausch und bestimmen gleichzeitig den Schweregrad der Erkrankung. Die Methode eignet sich ebenfalls zur Verlaufskontrolle der COPD.
Drei Säulen der Pharmakotherapie
Die Arzneimittel gegen COPD verringern die Symptome Husten und Auswurf, verbessern die körperliche Leistungsfähigkeit und steigern die Lebensqualität der Betroffenen. Bei einigen Patienten bremsen oder stoppen sie sogar den Verlauf, normalisieren allerdings nie mehr die Lungenfunktion vollständig. Arzneimittel können ebenfalls sogenannte Exazerbationen eindämmen. Dabei handelt es sich um Krankheitsverschlechterungen, beispielsweise bei Infektionen, die typischerweise sehr plötzlich auftreten und das Befinden des Patienten erheblich verschlechtern.
Bei der Pharmakotherapie orientiert sich der Arzt am Ausmaß der Erkrankung. Diese ermittelt er zunächst im Gespräch und anschließend durch eine Lungenfunktionsanalyse (Tabelle). Drei Arzneimittelgruppen stehen ihm zur Verfügung:
Zur Basismedikation zählen die Bronchodilatatoren (Beta-2-Sympathomimetika, Anticholinergika und Theophyllin). Die Arzneisubstanzen öffnen die verengten Atemwege des Patienten und verbessern den Atemfluss. Der Wirkeintritt kurzwirksamer Bronchodilatatoren erfolgt nach 20 bis 30 Sekunden und besteht für drei bis maximal acht Stunden. Der Wirkeintritt der langwirksamen Arzneistoffe beginnt zunächst leicht (Formoterol) oder mäßig (Salmeterol) verzögert, besteht dafür aber 12 Stunden. Bei akuter Atemnot eignen sich kurz wirksame Medikamente als Sprays (Salbutamol wie in Sultanol®, Fenoterol wie in Berotec®, Reproterol wie in Bronchospasmin®). Zur Basistherapie kommen üblicherweise langwirksame Präparate zum Einsatz (Salmeterol wie in Serevent®, Formoterol wie in Foradil® und Oxis®, Thiotropiumbromid in Spiriva®). Die Wahl zwischen Beta-2-Sympathomimetika und Anticholinergika macht der Arzt davon abhängig, wie der Patient darauf anspricht. Theophyllin in Kapseln oder Tabletten (zum Beispiel in Bronchoretard®, Euphyllin®, Afonilum®) ist in der Langzeittherapie der COPD zwar wirksam, gilt aber nur als Bronchodilatator der zweiten Wahl aufgrund seiner zahlreichen Interaktionen und Nebenwirkungen, beispielsweise Herzrhythmusstörungen oder Krampfanfälle.
Schweregrad | Atemnot | Lungenfunktion | Therapie |
---|---|---|---|
Risikogruppe (0) | nein | noch nicht eingeschränkt | Meidung von Risikofaktoren (Raucherentwöhnung) |
leicht (I) | meist noch nicht oder bei starker Belastung | leichtgradig eingeschränkt | wie bei 0, plus kurz wirksame Bronchodilatatoren bei Bedarf |
moderat (II) | bei mäßiger Belastung | eingeschränkt (30-70% des Sollwertes) | wie bei I, plus lang wirksame Bronchodilatatoren |
schwer (III) | bei Belastung/ beginnend in Ruhe | ausgeprägt eingeschränkt (> 30% des Sollwertes) | wie bei II, plus gegebenenfalls inhalative Glukokortikoide |
sehr schwer (IV) | in Ruhe | schwer wiegend eingeschränkt (< 30% des Sollwertes) | wie bei III, plus Sauerstofftherapie |
Eine Untersuchung zeigte, dass es sinnvoll ist, zwei Bronchodilatatoren zu kombinieren: Die gleichzeitige Anwendung der lang wirksamen Arzneistoffe Formortol und Thiotropiumbromid besserte die Beschwerden der Patienten gut.
Da eine Entzündung der Atemwege die Erkrankung verursacht, erscheint es logisch, inhalative Glukokortikoide einzusetzen. Sie schützen auch tatsächlich vor akuten Exazerbationen. Zu einer Dauerbehandlung entschließt sich der Arzt aber nur dann, wenn sie nachweislich die Lungenfunktionparameter oder subjektive Beschwerden des Patienten bessern. Untersuchungen der letzten Jahre haben den Nutzen der inhalativen Glukokortikoide häufig nicht belegt. Systemische Glukokortikoide verordnen Mediziner nur für eine kurze Dauer, wenn sich die Beschwerden des Patienten akut verschlechtern. Bei langfristiger Anwendung führen die Tabletten zu erheblichen Nebenwirkungen.
Jeder Erkrankte muss unbedingt das Rauchen aufgeben. Dadurch bessern sich die Symptome und wird das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamt. Körperliche Bewegung, Atemübungen und eine gesunde Ernährung gehören ebenfalls zu einer umfassenden COPD-Therapie.
Raucherentwöhnung ist keine einfache Sache. Ärzte und Apotheker sind gleichermaßen gefordert, den Patienten dabei zu unterstützen. Was Hoffnung macht: Eine kurze Beratung von nur etwa drei Minuten führt bei 5 bis 10 Prozent der Raucher zum Beenden des Nikotinkonsums. Dennoch ist der Langzeiteffekt von Raucherentwöhnungsprogrammen niederschmetternd. Die Rückfallhäufigkeit innerhalb des ersten Jahres beträgt mehr als 80 Prozent. Wer jedoch den Ausstieg aus der Sucht mit der Kombination aus Nikotinersatz und verhaltenstherapeutischen Maßnahmen versucht, hat mehr Aussicht auf Erfolg.
Hilfen zum Abgewöhnen
Für die Nikotinersatztherapie bieten sich nikotinhaltige Pflaster, Sprays, Lutschtabletten und Kaugummis an. Wer Nikotinkaugummis anwendet, darf 15 Minuten davor und danach nichts essen. Ein Tipp für Anwender: Das Gummi nach dem Kauen gegen die Innenseite der Wange pressen, um eine optimale Aufnahme über die Wangenschleimhaut zu erzielen und die Freisetzungszeit des Nikotins zu verlängern. Stark abhängigen Rauchern sollten PTAs und Apotheker empfehlen, die Therapie mit Kaugummis in der 4-mg-Nikotin-Dosis zu beginnen.
Kontraindikationen für den Nikotinersatz sind eine instabile koronare Herzkrankheit, unbehandelte Magengeschwüre, Herzinfarkt beziehungsweise Schlaganfall im Monat vor dem geplanten Start der Therapie.
Zusätzlich zu den genannten Maßnahmen verordnen Ärzte das Antidepressivum Bupropion. Das Arzneimittel steigert zwar die Entwöhnungsrate, verursacht aber manchmal Nebenwirkungen im Magen-Darm-Trakt sowie Krampfanfälle.
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