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Selbstmedikation bei Haarausfall

Tinkturen und Tabletten lassen Haare sprießen

11.01.2007  15:20 Uhr

Selbstmedikation bei

Tinkturen und Tabletten lassen Haare sprießen

Andrea Gerdemann, München

Die Haarpracht ist für die meistenMenschen ein wichtiger Bestandteil ihres Erscheinungsbildes: Volles und gesundes Haar steht für Attraktivität und Lebenskraft. Daher versetzt der Verlust von Haaren viele Menschen in Schrecken. Besorgt suchen sie nach Mitteln, um den Haarausfall zu stoppen. Schwindler und Geschäftemacher haben mit unseriösen Versprechungen leichtes Spiel.

Haarausfall ist ein natürlicher Prozess. Jeder Mensch verliert täglich etwa 100 Haare. Die Grenze zwischen natürlichem und therapiebedürftigem Haarausfall verläuft fließend. Erst wer mehr als 100 Haare pro Tag verliert und wenn diese nicht in gleicher Zahl nachwachsen, liegt Haarausfall vor.

Die durchschnittlich 100.000 bis 150.000 Haare auf der Kopfhaut wachsen täglich zwischen 0,35 und 0,5 mm. Der Haarwuchs verläuft in drei Zyklen: der Wachstums-, der Übergangs- und der Ruhephase. 80 bis 90 Prozent der Kopfhaare befinden sich in der Wachstumsphase (Anagenphase), die zwei bis acht Jahre dauert. 0 bis 3 Prozent der Kopfhaare durchlaufen die anschließende Übergangsphase (Katagenphase), die nur wenige Wochen beträgt. Die abschließende Ruhephase (Telogenphase) dauert zwei bis vier Monate. In dieser befinden sich 10 bis 20 Prozent der Kopfhaare. Danach wird das Haar abgestoßen, und der Haarfollikel geht in eine erneute Wachstumsphase über. Im Alter von 50 Jahren leidet etwa jeder zweite Mann an Haarausfall, vor den Wechseljahren circa jede zehnte Frau, danach etwa jede fünfte. Die wichtigsten Arten des Haarausfalls sind

  • der hormonell-erbliche Haarausfall (Alopecia androgenetica),
  • der kreisrunde Haarausfall (Alopecia areata) und
  • der diffuse Haarausfall.

Der erbliche Haarausfall betrifft hauptsächlich Männer, oft schon im Alter von circa 25 Jahren. Mit 95 Prozent ist er die häufigste Form. Das hartnäckige Gerücht, das übermäßig produzierte männliche Geschlechtshormon Testosteron sei für den frühen Haarausfall verantwortlich, ist falsch. Die tatsächliche Ursache des Haarausfalls ist die vererbte Empfindlichkeit der Haarwurzeln gegenüber Dihydrotestosteron. In der Kopfhaut führt diese Empfindlichkeit dazu, dass die Wachstumsphase sich verkürzt und der Haarfollikel degeneriert. Die ersten Symptome sind die bekannten Geheimratsecken, später lichtet sich das Haar auch am Hinterkopf. Diese Art des Haarausfalls tritt bei Frauen sehr selten auf. Nach der Menopause dünnt sich bei manchen das Haar entlang des Scheitels extrem aus.
Die zweithäufigste Form ist die Alopecia areata. Sie tritt jedoch sehr selten auf. Sie betrifft sowohl Männer als auch Frauen jeden Alters. Bei den Erkrankten bilden sich an mehreren Stellen des Kopfes plötzlich kreisrunde, kahle Flecke. Manchmal fallen die Haare komplett aus. Experten vermuten, dass eine Störung des Immunsystems oder eine psychische Erkrankung die Auslöser hierfür sind. Bei den meisten Patienten beginnt das Haar jedoch innerhalb eines Jahres wieder zu wachsen.

Der diffuse Haarausfall ist nicht auf bestimmte Stellen des Kopfes beschränkt.  Diese seltene Form kann sehr unterschiedliche Ursachen (siehe Kasten) haben.

Ursachen des Haarausfalls

  • genetische Überempfindlichkeit gegenüber Testosteron
  • hormonelle Einflüsse bei Frauen, zum Beispiel Schwangerschaft, Menopause
  • Stress, psychische Belastung
  • haarschädigende Maßnahmen wie Dauerwellen oder Färbemittel, zu heißesFöhnen, zu intensive Sonnenlichteinstrahlung, mechanische Belastung durch Haargummi
  • Erkrankungen wie Schilddrüsenüberfunktion, Lebererkrankungen, Infektionen (Lues, Typhus), Diabetes mellitus, Hypophysenstörungen, hohes Fieber, Durchblutungsstörungen, systemischer Lupus erythematodes, chronische Polyarthritis
  • Nährstoffmangel bei extremen Diäten oder Essstörungen, zum Beispiel Mangel an Vitaminen, Mineralstoffen oder Eiweiß/Aminosäuren
  • immunologische Störungen
  • unerwünschte Wirkungen von Arzneimitteln wie Antikoagulantien, Beta-Blockern, D-Penicillamin, Goldverbindungen, Lipidsenkern wie Simvastatin, Spironolacton, Terbinafin, Thyreostatika, Vitamin A, Zytostatika
  • Vergiftung, zum Beispiel mit Thallium oder Arsen
  • Strahlentherapie oder Strahlenunfälle

Tipps für jedermann

Patienten mit Haarausfall sollten grundsätzlich nur milde Shampoos benutzen, nur alle drei bis vier Tage die Haare waschen, das Haar nicht mit einem Handtuch trocken rubbeln und nicht zu heiß föhnen, keine Dauerwell-Präparate oder Färbemittel benutzen sowie auf eine gesunde und vitaminreiche Ernährung achten. Extrem Gestresste sollten eine Entspannungstechnik erlernen und dem Körper auch mal eine »Auszeit« gönnen.

Fast immer ist es sinnvoll, dass ein Hautarzt den Haarausfall differtentialdiagnostisch untersucht. Ob ein Patient zu androgenetischer Alopezie veranlagt ist, kann der Arzt schon relativ früh erkennen. Mit Hilfe eines Trichogramms stellt er fest, in welcher Wachstumsphase sich eine Auswahl von Haaren befindet. Dazu reisst er dem Patienten etwa 50 Haare aus und untersucht diese unter dem Mikroskop. Dann bestimmt er das zahlenmäßige Verhältnis der Haare in Anagen-, Telogen- und Katagenphase. Mit dem Trichogramm kann er außerdem toxisch geschädigte Haare (dystrophische Haare) identifizieren.

Tinkturen ohne Rezept

Viele Betroffene fragen zunächst PTA oder Apotheker um Rat. Dann sollten sich diese als erstes einen Überblick über die Symptome verschaffen. Hierbei können die Fragen im Kasten helfen.

Fragen zur Symptomerfassung (Beispiele)

  • Seit wann leiden Sie an Haarausfall?
  • Fallen die Haare büschelweise aus?
  • Wo lichten sich die Haare?
  • Nehmen Sie regelmäßig Medikamente ein?
  • Arbeiten Sie beruflich mittoxischen Stoffen?
  • Wie pflegen Sie Ihr Haar?Färben Sie die Haare?
  • Haben Sie eine Dauerwellemachen lassen?
  • Haben Sie bereits Mittel ausprobiert? Wenn ja, mit welchem Erfolg?

Gegen Haarausfall stehen einige Präparate für die Selbstmedikation zur Verfügung. 17-alpha-Estradiol ist zur lokalen Anwendung für Männer und Frauen mit leichten Formen der androgenetischen Alopezie zugelassen. Manche Hautärzte lassen in der Apotheke die Lösung anfertigen, andere verordnen ein Fertigpräparat. Der handelsübliche Wirkstoffname, den die Hersteller von Fertigpräparaten verwenden, ist Alfatradiol. Die Substanz hemmt die Bildung von Dihydrotestosteron und erhöht so die Rate der Haare in der Wachstumsphase. Die Präparate dürfen nicht eingesetzt werden bei Kindern unter 18 Jahren, Schwangeren und Stillenden, da bei diesen Personen keine ausreichenden Erfahrungen vorliegen. Als Nebenwirkungen können kurzfristiges Brennen, Rötung oder Juckreiz durch das enthaltene Lösungsmittel 2-Propanol auftreten. Wechselwirkungen sind nicht zu erwarten.

Mittels eines Kopfhaut-Applikators wird die Lösung einmal täglich aufgetragen. Dazu muss der Patient den Applikator etwa 1 Minute lang gleichmäßig auf der Kopfhaut entlang führen, so dass circa 3 ml der Lösung (0,25 mg/ml) auf die Kopfhaut gelangen. Nach Besserung des Haarausfalls muss er die Lösung nur noch jeden 2. bis 3. Tag auftragen.

Gegen androgenetische Alopezie bei Erwachsenen wird auch der Wirkstoff Minoxidil bei Frauen als 2-prozentige und bei Männern als 5-prozentige Lösung eingesetzt. Bei Schwangeren und Stillenden ist Minoxidil kontraindiziert. Nach der topischen Anwendung von Minoxidil können Juckreiz oder Brennen auftreten, selten allergische Reaktionen. Zu den weiteren Nebenwirkungen zählen Schwindel, Kopfschmerz, Schwächegefühl, Blutdruckabfall und Zigarettenrauch-Intoleranz. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind bei der topischen Anwendung von Minoxidil nicht bekannt. In der Regel müssen die Patienten die Lösung zweimal täglich auf die trockene Kopfhaut auftragen. Eine lebenslange Therapie ist notwendig, denn nach Therapieende fallen die Haare innerhalb weniger Monate wieder aus.

Verschreibungspflichtige Alternative

Die genannten Substanzen oder Fertigpräparate sind rezeptfrei in der Apotheke erhältlich. Des Weiteren verordnen Ärzte Männern mit erblich bedingtem Haarausfall Finasterid als Tabletten. Finasterid ist verschreibungspflichtig und ein 5-alpha-Reduktase Hemmer, der ursprünglich zur Behandlung der benignen Prostatahyperplasie (gutartige Prostatavergrößerung) zugelassen war. Die Dosierung beträgt täglich 5 mg peroral. Eher zufällig wurde seine Wirkung bei Haarausfall entdeckt. Finasterid hemmt das Enzym 5-alpha-Reduktase und damit die Bildung von Dihydrotestosteron aus seiner Vorstufe Testosteron. Finasterid ist kontraindiziert bei Frauen und Kindern unter 18 Jahren. Es wird sogar darauf hingewiesen, dass Frauen im gebärfähigen Alter grundsätzlich nicht mit der Substanz in Berührung kommen sollten, beispielsweise mit zerkleinerten oder zerbrochenen Tabletten. Finasterid hat mittlerweile auch eine Zulassung für den androgenetischen Haarausfall bei Männern zwischen 18 und 41 Jahren. Diese müssen täglich 1 mg peroral einnehmen. Die 1-mg-Dosis täglich senkt den Serum-Dihydrotestosteronspiegel um etwa 70 Prozent.

Keine Wirkung ohne Nebenwirkung

Als Nebenwirkungen treten gelegentlich Störungen des sexuellen Reaktionsvermögens, verminderte Libido und ein geringeres Ejakulatvolumen, Berührungsempfindlichkeit und/oder Spannungsschmerz der Brust auf. Klinisch bedeutsame Wechselwirkungen sind bisher bei einer Dosierung von 1 mg täglich nicht bekannt. Der Wirksamkeitseintritt lässt sich in der Regel erst nach 3 (bis 6) Monaten feststellen. Nach Absetzen der Therapie ist in der Regel innerhalb von einem Jahr kein Effekt mehr zu sehen.

Frauen, die mit der Pille verhüten, erhalten Kombinationspräparate mit speziellen Gestagenen, die antiandrogen wirken. Bei kreisrundem Haarausfall verschreiben Hautärzte kortisonhaltige Haartinkturen. Die Kortikoide sollen das Immunsystem unterdrücken.

Bei Mangel Vitamine

Liegt nachgewiesenermaßen ein Mangel an essentiellen Nährstoffen vor, kann der Ersatz sinnvoll sein. Bei manchen Patienten bessert sich der Haarausfall bei einer Kur mit B-Vitaminen (Biotin, Panthotensäure, Thyamin, u. a.), Eisenpräparaten oder auch Zinksalzen. Auch bei diesen Präparaten gilt, wie bei allen Präparaten gegen Haarausfall: Ein Effekt zeigt sich erst nach mehreren Monaten.

Bei folgenden Substanzen zur Therapie des Haarausfalls ist die Wirksamkeit nicht hinlänglich belegt: Natriumthiocyanat, Gelatine, Thymus-Extrakte, Cystein und Methionin, Sabal-, Hirse- und Klettenwurzelextrakt oder Medizinalhefe. Inhaltsstoffe wie Benzylnicotinat, Coffein und Brennnesselextrakt sind in einigen Präparaten enthalten, weil sie die Durchblutung der Kopfhaut anregen.

Da der Markt sehr unübersichtlich ist, sollten PTA und Apotheker den Patienten beratend zur Seite stehen. Vor allem sollten sie jedem abraten, ein teures »Wundermittel« über das Internet zu kaufen, da deren Wirksamkeit meist nicht erwiesen ist.

 

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andrea(at)gerdemann.info